VINYL-SPECIAL

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Die Erde ist eine Scheibe

Früher war alles Vinyl. In den späten Achtzigern kam dann die CD. Sie dominierte bis ins neue Jahrtausend hinein. Es folgten mp3s und Downloads und Streams und all jene Internetformate, die einem Tonträger seine Physis entzogen haben. Jetzt ist die CD am Ende und wird nach Meinung vieler Experten der Musikkassette in die ewigen Jagdgründe der Musikdatenträger folgen. Das Vinyl – die Schallplatte – aber lebt noch immer. Oder besser gesagt: Sie lebt nicht nur immer noch – sie erfreut sich nach Jahren auf der Intensivstation der Tonträger plötzlich wieder wachsender Beliebtheit.

Kaum eine Band wagt es heute, ihr neues Album nicht auf Vinyl pressen zu lassen. Für die Sammler und Fans gibt es immer aufwendiger gestaltete Vinyl-Editionen im Boxset-Format und mindestens in 180-Gramm-Vinyl gepresst – mal schwarz, mal farbig, mal knallbunt. Immer mehr Menschen erkennen – entweder zum ersten Mal oder einmal mehr –, wie wunderbar es sein kann, Musik zu hören und dabei ein LP-Cover nebst Textblatt in der Hand zu halten. Die Optik siegt. Die Haptik siegt. Kunst und Ästhetik siegen. Die Düsseldorfer Punkrocker 4 PROMILLE setzen der Vinylplatte mit ihrem neuen Album, Titel: „Vinyl“, nun sogar eine 13 Songs umfassende Hommage – und besuchten vor dem Pressen ihres neuen Tonträgers den Ort, an dem er das Licht der Welt erblicken soll: das Presswerk Pallas in Diepholz bei Osnabrück. Sängerin Melly und ihre Kollegen Thomas, Martin, Ralf und Ziad schauten sich um und ließen inmitten von Maschinen und Vinylmasse zudem die Fotos für das Cover machen. Und sie luden das Ox ein mitzukommen. Eine hervorragende Gelegenheit für einen Blick hinter die Kulissen und auf jene Menschen, die dafür sorgen, dass Musik von einer sich drehenden Kunststoffscheibe erklingt. Eine Reportage aus der Wiege des „Schwarzen Goldes“.

Als sie hören, welchen Beruf Wolfgang Kotowski ausübt, müssen selbst die hart gesottenen Oi!-Punkrocker 4 PROMILLE lachen. Wolfgang Kotowski ist Mutterstecher. Und ohne Mutterstecher läuft in einem Presswerk wie dem der Firma Pallas in Diepholz gar nichts. Ohne den Mutterstecher können LED ZEPPELIN, die ROLLING STONES und METALLICA einpacken – die größten Bands des Planeten, deren Platten hier schon gepresst wurden. Auch 4 PROMILLE hätten ohne Wolfgang Kotowski verloren. Leute wie er sind die Seele des Presswerks. Wären sie nicht da – es entstünde keine Platte. Und genau darum geht es 4 PROMILLE ja: eine Platte. Das neue Album der Düsseldorfer heißt „Vinyl“. Musik, die unter dem Namen „Vinyl“ subsummiert wird, muss natürlich auch auf Vinyl drauf. Und als die Musiker ein Presswerk suchten, fiel die Wahl eben auf Pallas. „Sie waren am günstigsten und fairsten“, sagt Labelchef Christian Fischer von Sunny Bastards. Um mitreden zu können, wurde die Band sogar gemeinsam mit ihm zur Werksbesichtigung eingeladen. Jetzt sind sie also hier und lassen vor Ort auch gleich ein paar Fotos für das Coverartwork der LP machen. Und mit allem haben sie vorher gerechnet bei diesem nostalgischen Ausflug in eine Vergangenheit, die noch ohne Downloads und mp3-Dateien und Zip-Files und iTunes auskam, nicht aber mit einem Mutterstecher.

„Wie bitte?“, lautet der Kommentar von Gitarrist Thomas, als Werkschef Holger Neumann den Mann vorstellt. Sängerin Melly muss laut lachen. Schlagzeuger Ziad grinst. Doch was sich brutal, grobschlächtig und etwas anzüglich anhört, ist eine sehr sensible, ehrenwerte und ernstzunehmende Tätigkeit. Kurz gesagt: Der Mutterstecher passt auf, dass die Platte am Ende nicht springt. Er hört und schaut sich jene mit Silber beschichtete Scheibe genau an, von der später die eigentlichen Vinylplatten abgezogen werden. Immer und immer wieder. Und er entfernt Verunreinigungen zwischen den Rillen. Die Scheibe heißt Mutter. Gereinigt wird sie durch das Herausstechen von Schmutz. Mutter. Stechen. Mutterstecher. Erst danach veredelt Wolfgang Kotowski das gute Stück in einem Galvanikbad. Als Galvaniker. Nicht als Mutterstecher.

Beneidenswert ist dieser Job nicht. „Um eine Plattenseite ganz anzuschauen, anzuhören und zu reinigen, braucht es schon mal bis zu acht Stunden“, sagt Holger Neumann, während neben ihm die ätzende Metallsalzlösung in den Galvanikbädern blubbert. „Bloß nicht reinpacken“, sagt er, als sich die Besucher darüber beugen. „Die Hand wäre ab.“ Der Chef lacht. Er ist 54, nach eigenen Worten aber seit 15 Jahren bei 39 stehengeblieben – seine Arbeit hält ihn jung und ist ihm eine Verpflichtung: „Mein Sohn ist 27 und mittlerweile die vierte Familiengeneration, die hier in der Chefetage des Werks arbeitet.“

Was diese Arbeit so besonders macht, ist klar, sobald man sich die Zahlen anschaut: Pallas ist nach eigenen Angaben eines von nur noch fünf Presswerken für Vinyl in Europa. Europa besteht aus 56 Staaten und hat 740 Millionen Einwohner. 740 Millionen – 56 – 5 . Dieses Verhältnis trägt die Besonderheit also schon in sich. Knapp 20.000 Platten werden bei Pallas pro Tag in zwei Schichten von 35 Mitarbeitern gefertigt. Beinahe alle Maschinen, die dabei zum Einsatz kommen, stammen aus den Siebziger Jahren. „Das bedeutet echte Qualität“, betont Holger Neumann. Eine Maschine hat einen Geldwert von knapp 15.000 Euro – nicht viel, aber sie hat einen ideellen Wert, der mit Geld nicht aufzuwiegen ist.

Alte und ausrangierte Geräte stehen deshalb auch im Foyer des Hauses oder draußen auf einer kleinen Vorwiese. Lieber werden sie mit Stolz präsentiert als weggeschafft und verschrottet. „Wir sind wer!“ – dieses Motto durchdringt jede Ritze und ist überall greifbar in dem 1948 erbauten Gebäude. Und auch der Brand, der im April 2013 das 1.500 Quadratmeter große, moderne Pallas-CD-Presswerk auf der gegenüberliegenden Straßenseite zerstörte, kann dem Selbstbewusstsein der Angestellten hier nichts anhaben. Zehn Millionen Euro betrug der Schaden laut mehrerer Presseberichte. Derzeit wird neu gebaut. Und weiter gepresst. Musik kann alles – auch Wunden heilen.

Die Medizin zur Wundheilung liegt ein Gebäude weiter: Durch einen schmalen Hausflur mit knarzender Holztreppe gelangt man von der beruhigenden Blubber-Beschaulichkeit der kleinen Galvanikbad-Abteilung in die große Halle des Werks. Wenn der Mutterstecher und sein Arbeitsplatz die Seele des Werks und die Geburtshelfer eines jeden Tonträgers sind, dann schlägt hier das Pallas-Herz. An den Wänden hängen Schallplatten zu Dutzenden. Die Namen der Bands und Künstler auf den Label-Etiketten sind uninteressant. Austauschbar. Das hier soll rein optische Reize setzen, für die so manch ein Plattensammler vielleicht töten würde: Jede Vinylscheibe hat eine andere Farbe. Viele sind mehrfarbig. Eine Galerie, die zeigt, wie hässlich und klein und erbärmlich ein Format wie die Compact Disc eigentlich ist. Und an Downloads aus dem Internet zu denken, ist – umgeben von diesen bunten Scheiben – fast unmöglich.

Auch Cornelia Walter verschwendet keinen Gedanken an diesen neumodischen Kram. Sie hat gar keine Zeit dafür: Die 48-jährige Diepholzerin – sie demonstriert als eine von vielen: Pallas ist Diepholz und Diepholz ist Pallas – steht an einer der Pressmaschinen, die gerade am laufenden Band Schallplatten pressen. Eine nach der anderen. Scheibe um Scheibe um Scheibe um Scheibe. Inmitten eines nicht lauten, aber konstanten Wummerns überprüft Cornelia Walter die Bewegungen der Maschine: Ein großer runder Bolzen, gefüllt mit Vinylmasse, drückt immer wieder das Vinyl auf die Pressform. Die Pressform ist ein Abzug der Mutter, ein Sohn. Bei jedem Pressvorgang quillt überschüssige Masse an den Seiten des Bolzens heraus und wird automatisch abgeschnitten. Die fertige Platte – das Vinyl trocknet blitzschnell und wird hart – wird mit einem Ansaugarm angehoben und in eine Papierhülle gesteckt. Stundenlang geht das so. Und seit 27 Jahren schaut Cornelia Walter stundenlang dabei zu, ohne dass ihr langweilig wird. Auf die Frage, ob sie auch selbst einen Plattenspieler daheim stehen habe, schaut sie einen zunächst mit einer Mischung aus Verwunderung, Trotz, Stolz und Amüsiertheit an. Dann sagt sie: „Natürlich habe ich einen Plattenspieler.“ Das „Natürlich“ betont sie. Und es ist außerdem anzunehmen, dass dieses „Natürlich“ einem ungeschriebenen Gesetz nach die Voraussetzung Nummer eins ist, um hier im Pallas-Werk überhaupt einen Job zu bekommen. Auch Matthias Heuer hat einen Plattenspieler daheim. Natürlich. Der gelernte Maschinenführer ist Ende zwanzig, seit neun Jahren hier tätig, presst gerade Kisten voller Singles – und hat in den Mitgliedern von 4 PROMILLE auf einmal einen ganzen Haufen interessierter Zuschauer, die ihm über die Schulter gucken.

Überhaupt sind die Musiker mittlerweile – vor der Linse von Fotograf Tim Hackemacks Kamera, womit die Bilder für das Cover gemacht werden – von erwachsenen Punkrock-Profis zu einem Haufen staunender Kinder geworden: Sie schauen hier. Sie schauen da. Sie fassen Vinylmasse an, die auf einem Tisch schön bunt herumliegt. Thomas greift sich einen Sack mit runden Vinylkügelchen, die später zu einer Masse geschmolzen werden. Gitarrist Martin und Bassist Ralf lesen die Label-Etiketten jener Platten, die an der Wand hängen. Einer nach dem anderen fragt die Pallas-Mitarbeiter, was sie da gerade so machen. Und die gesamte Band stellt sich mit Begeisterung für die Fotos selbst an die Maschinen. Dazu haben sie sogar ihre eigenen Blaumänner mitgebracht, die sie sich eben angezogen haben – oben, im Büro auf der Chefetage, in dem Vertragsgespräche geführt und goldene, hier gepresste Platten an die Wand gehängt werden. Jeder aus der Band tut nun so, als presse er das schwarze Musikgold, während Melly die knallharte Chefin im feinen Zwirn gibt, die mit Intellektuellenbrille auf der Nase überprüft, ob auch alles richtig gemacht wird.

„Wir haben normalerweise keine Bands hier“, sagt Holger Neumann. Er beobachtet die Szenerie und erzählt, dass er neulich mal ein TV-Team nur rausgeworfen habe, weil die sich nicht zu benehmen gewusst und hier alles auf den Kopf gestellt hätten. Hier, an diesem heiligen Ort, wo jeder Aufruhr Blasphemie ist. „Und die Künstler“, fährt er fort, „die interessieren sich normalerweise nicht für den Herstellungsprozess von Platten.“ Aber jetzt sind da diese verrückten Düsseldorfer und Holger Neumann lächelt. Das könnte ein kleiner Ritterschlag sein. Denn das soll wohl heißen: Diese Truppe spürt sie noch, die uralte Magie, die an so einem Ort spürbar durch die Luft wabert. Und solange noch irgendjemand all das spürt, ist die Welt der Musik – ist das Gute in der Welt der Musik – noch nicht verloren. Halbrechts über dem Geschäftsführer hängt ein Schild an der Wand, das eine Mahnung an alle Angestellten ist und helfen soll, die Welt mit jeder Schallplatte ein bisschen zu retten: „Achten Sie auf die Qualität! Der nächste Prüfer ist der Kunde!“ Keiner der Pallas-Arbeiter schaut hoch zu dem Schild. Aber alle sind hochkonzentriert bei der Sache und spüren es. Denn sie alle sind auf einer Mission.

An Ende dieser Mission stehen Inge Nickel, Carola Wutschig und ein paar weitere Mitarbeiterinnen um einen langen Tisch herum. Die Damen sind zuständig für das endgültige Eintüten der Vinylplatten: Jede einzelne schieben sie mitsamt Papierhülle in eines der hier in Stapeln bereitliegenden Pappcover. Die 59-jährige Inge Nickel tut das seit 15 Jahren. Die 58-jährige Carola Wutschig seit 34 Jahren. Eine Eintüt-Kolonne besteht aus bis zu fünf Personen, gemeinsam schaffen sie knapp 12.000 Platten pro Tag. Ablenken lassen sich die Damen dabei von nichts und niemandem. Auch als die Musiker von 4 PROMILLE unmittelbar nebenan zum Gemeinschaftsfoto antreten, schauen sie kaum auf. Warum auch? Sie haben ja schon jede Art von Musik in Händen gehalten. Wer Platten presst, der kennt die Welt.

Leonie Fincke drückt die Leidenschaft für ihre Arbeit bei Pallas in einem Wort aus, das hier bis dato noch keiner benutzt hat: mit dem Wort „cool“. Leonie Fincke ist ja auch erst 21. Eigentlich gehört sie damit zur „Generation Download“, zur „Generation Kopf nach unten“, zur Generation der jungen Menschen, die den ganzen Tag damit zubringen, auf das Display ihres Smart- oder iPhones zu starren und dabei Musik über die blechern klingenden „Lautsprecher“ dieser Geräte zu hören. Selbst die Compact Disc muss einer jungen Frau wie Leonie Fincke uralt vorkommen. Eine Schallplatte dürfte für viele ihrer Alterskollegen – und die Jüngeren sowieso – gar etwas Extraterrestrisches oder im besten Fall das Relikt aus einer Zeit sein, in der man noch aufstehen musste, um die Musik zu wechseln. Aber Leonie Fincke arbeitet nun einmal bei Pallas. Hier absolviert sie gerade eine zweieinhalbjährige Ausbildung zur Industriekauffrau und ist derzeit in der Produktplanung des Werks tätig. „Natürlich“ – das sagt sie wie alle anderen hier – habe auch sie einen Plattenspieler daheim stehen. „Und manchmal“, verrät sie und freut sich dabei ganz offensichtlich diebisch, „kann man hier, je nachdem, bei welchem Label man nachfragt, richtig geile Platten abstauben.“ Leonie Fincke grinst. METALLICA habe sie neulich bekommen. „So ein rares Boxset.“ Und dann kommt das Wort. Dann kommt „cool“: „Viele in der Berufsschule arbeiten für Konzerne wie BASF oder so. Da ist das mit dem Presswerk viel cooler. Eine ganz besondere Sache eben.“

Dass sie gerade Teil von etwas Besonderem geworden sind, merkt man nach der Werksführung auch den Mitgliedern von 4 PROMILLE an. Sie sitzen jetzt wieder im großen Zimmer mit dem runden Tisch in der Chefetage, schälen sich aus den Blaumännern und schauen sich Platten von David Hasselhoff an, die hier an erfolgreiche Zeiten des Werks mit Nummer-eins-Alben erinnern. Holger Neumann plaudert dazu aus dem Nähkästchen. Er erklärt, dass das Vinyl tatsächlich und nachweisbar ein Revival erlebt. „Die Produktion bei uns ist in den vergangenen Jahren um 8 bis 10% angestiegen“, sagt er. Heute werden bei Pallas im Jahr knapp vier Millionen Vinylplatten hergestellt. Weltweit seien es bis zu acht Millionen. Die Gründe? Erstens: „Die alten Musikgruppen gehen erfolgreich wieder auf Tour. Und die gibt es eben seit jeher auch auf Schallplatte.“ Zweitens die Sammler, für die es heutzutage immer mehr hochwertige Sonderauflagen mit farbigem Vinyl und besonderen Pressungen gebe. Drittens die verstärkte Nachfrage von DJs: „Sie kommen seit ein paar Jahren immer häufiger an und wollen Platten haben, damit sie ordentlich mit ihnen scratchen können.“ Mit CDs gehe das ja nun nicht. Viertens: „Viele Menschen sind downloadfaul geworden und wollen den perfekten Tonträger. Und das sei – Grund Nummer fünf fürs Revival – immer noch die Schallplatte. „Selbstverständlich!“, sagt Holger Neumann. „Die Dynamik einer analogen Abtastung kann von keinem anderen Medium erreicht werden!“

Das Ausrufezeichen hinter diesem Satz hört man deutlich heraus. Es besagt, dass der Pallas-Chef in der dritten Generation das Produkt, das er heute immer noch herstellen lässt, bedingungslos liebt. Es besagt, dass er selber einen Plattenspieler besitzt. „Natürlich.“ Es besagt zudem, dass 4 PROMILLE mit der Entscheidung, ihr erstes Album seit der Reunion vor knapp zweieinhalb Jahren „Vinyl“ zu nennen und mit dem Titelsong der Platte eine entsprechende Hommage an das „Schwarze Gold“ zu schreiben, genau richtig lagen. Und es besagt nicht zuletzt, die Vinylplatte ist auf Ewigkeit angelegt. „Sie wird zwar eine Randerscheinung bleiben“, ist sich Holger Neumann sicher. „Aber es wird sie immer geben.“ Wegen der Musik. Natürlich.

 


DER WEG ZUR SCHALLPLATTE

Ganz am Anfang der Schallplatte steht das im Studio aufgenommene und fertig abgemischte Urband. Das darauf enthaltene Programm/Musikmaterial wird mit einem Schneidstichel in eine Lackfolie geschnitten – und zwar als Negativ. Das heißt: als umgekehrte Abformung jener Rillenstruktur, die sich später auf der fertigen Schallplatte befindet. Diese Folie kann also nicht abgespielt werden.

Die Lackplatte wird im Presswerk zunächst mit Silber beschichtet, damit sie elektrisch leitend ist. Nur so kann sie anschließend galvanisch verkupfert oder vernickelt werden. Bei diesem galvanischen Verfahren wird durch ein elektrolytisches Bad mit Metallsalzlösung Strom geschickt. Durch den Stromfluss lagern sich elektrochemische Abscheidungen – Kupfer oder Nickel – auf der Platte ab und veredeln diese. Die Platte, die am Ende dieses Prozesses steht, ist der „Vater“. Von diesem wird in einem weiteren galvanischen Verfahren die „Mutter“ abgeformt. Sie ist positiv und kann zu Testzwecken abgespielt werden.

In einem weiteren Schritt werden von der „Mutter“ mehrere „Söhne“ abgezogen. Sie sind – wie der Vater – ein Negativ und sind letztlich jene Formen (Pressmatrizen), die in die Pressmaschine gelegt werden. Es gibt meist verschiedene „Mütter“ und „Söhne“, um im Falle von Schäden nicht stets neue Abformungen vom „Vater“ vornehmen zu müssen.

In der Pressmaschine wird flüssige Pressmasse – Vinylacetat oder Vinylchlorid (ein Gemisch aus PVC und anderen Stoffen) – auf die negative Matrize gepresst. Heraus kommt nach dem Aushärten die abspielfertige, positive Schallplatte mit ihrer typischen Rillenstruktur.

Die genaue Zusammensetzung der Pressmasse wird meist wie ein Geheimnis von den Herstellern gehütet. Klar ist nur, sie muss möglichst robust und kratzfrei sein. Die Pressmasse kann in jeder Farbe hergestellt werden – so entsteht das farbige Vinyl. Die Platten aus „marbled vinyl“, also marmoriertem Vinyl mit Farbklecksen, entstehen, indem während des Pressvorganges in der Pressmaschine farbige Vinylkügelchen auf die übrige Pressmasse gelegt und dann zerdrückt werden.