Ein iPod mag ein schickes Gerät sein, eine mp3-Datei perfekt, um mit seiner Band weltweit und zum Nulltarif Freunde zu finden, eine CD praktisch fürs Auto und weil 78 Minuten Musik am Stück darauf passen und sie auch nach dem tausendsten Abspielen nicht knistert. Doch Emotionen löst allein ein Format aus, das mit den 50 Jahren, die es mittlerweile auf dem Buckel hat, wie ein Anachronismus wirkt: Die Vinyl-Schallplatte. Wir haben uns deshalb darum bemüht, mal eine Momentaufnahme zum Thema Vinyl zu liefern, in dem wir neben einem geschichtlichen Abriss verschiedenen Leute vom Fan über den Mailorder bis hin zum Großhändler und Masterstudio befragt haben.
Eine kleine Vinyl-Geschichte
Wenn man sich fragt, welche Erfindung von Thomas Alva Edison die bedeutendere gewesen sein mag, der Phonograph oder die Glühbirne, dann kann man schon mal ins Grübeln kommen. Der Ruhm, der ihm durch Letztere zuteil wurde, überstrahlt oftmals alles, so dass die Leistung, Geräusche auf einen Tonträger zu bannen – und somit die Hörerfahrung von der unmittelbaren auf die mittelbare Ebene zu heben –, selten mit seinem Namen in Verbindung gebracht wird. Edison hat nicht die Schallplatte erfunden, und er war auch nicht der Erste, der Geräusche auf einem Medium festhielt, aber sein Phonograph war das erste Gerät, das Töne nicht nur aufzeichnen, sondern auch wiedergeben konnte.
Doch der Reihe nach: Schon 1806 gelang es dem Engländer Thomas Young, die Vibrationen einer Stimmgabel aufzuzeichnen. Allerdings hatte er keine Möglichkeit, diese wiederzugeben. Dieses Problem hemmte die Entwicklung der Tonträger für weitere knapp 70 Jahre: die Aufnahmemöglichkeiten wurden versierter, doch das Abspielen blieb unmöglich. 1877 entwarf der Franzose Charles Cros die Pläne für solch ein Abspielgerät, doch er konnte keine Geldgeber finden. So waren es kapitalistische Interessen, die den Durchbruch begünstigten: ebenfalls 1877 machte sich Thomas Edison daran, einen Anrufbeantworter (oder besser Anrufaufzeichner) für Geschäftsleute zu entwickeln. Hierzu verband er eine Membran mit einer Nadel, die auf einem mit Parafin bedecktem Papier Schallwellen aufzeichnete. Diese Konstruktion schloss er an einen Telefonlautsprecher an, und wenn Edison in diesen hineinrief, schlug die Nadel entsprechend aus und hinterließ die Tonspur. Wenn man das Papier nun noch einmal unter der Nadel herzog, brachte diese die Membran zum Schwingen und gab die aufgenommene Stimme wieder. In der weiteren Entwicklung wurde aus dem Parafinpapier ein mit Stanniolpapier bedeckter Zylinder, der mit einer Kurbel von Hand gedreht wurde, und noch im selben Jahr war der erste Phonograph entworfen.
Nach Edison betraten andere die Bühne (unter ihnen auch Alexander Graham Bell, mit dem Edison später die Oriental Phone Company gründen sollte, die Vorgängerin des Kommunikationsriesen AT&T). Während Edison sich der Verfeinerung der Zylindertechnik widmete, hatte sich Emile Berliner, ein deutscher Auswanderer und ehemaliger Angestellter der Bell Company, im Jahre 1888 schon das erste Patent für das Grammophon gesichert. Berliner setzte statt des Zylinders auf aus Hartgummi hergestellte Scheiben, denn obwohl ersterer anfangs eine bessere Tonqualität garantierte, hatten letztere den Vorteil der leichten Produktion. Die Zylinder mussten immer einzeln bespielt werden und ließen sich nicht unabhängig von der Tonquelle produzieren. Dieser Aufwand rechnete sich nur bei der Jukebox, die der noch jungen Musikindustrie in der wirtschaftlichen Depression des ausgehenden 19. Jahrhunderts kurzfristige, aber sehr hohe Einnahmen bescherte.
In den 1890ern entdeckte Berliners US Gramophone Company das zur damaligen Zeit im Alltag gebräuchliche Schellack, ein Naturplastik, als geeigneteres Material für die Schallplatte. Des weiteren wurde die Masterdisc aus Wachs, und nicht mehr, wie bisher, aus Zink hergestellt. Das Resultat war eine verbesserte Tonqualität (wenn auch immer noch unter der des Zylinders), und die Massenproduktion kam ins Rollen: folglich hatte die Firma schon im Jahre 1894 1000 hand- oder motorbetriebene Grammophone und 25.000 Schallplatten verkauft.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts konkurrierten drei Unternehmen und zwei Formate auf dem noch jungen Musikmarkt. Edisons National Phonograph Company und die Columbia Graphophone Company setzten auf die Zylindertechnik, während Berliner und der Erfinder des motorbetriebenen Grammophons, Elridge Johnson, im Jahre 1901 die Victor Talking Machine Company aus der Taufe hoben, die aus zwei Gründen bis heute bekannt ist: Enrico Caruso und ein Hund.
Caruso war der erste Superstar, der eine Schallplatte veröffentlichte, denn es stellte sich heraus, dass seine Stimme die perfekte Frequenz für die Aufnahmen hatte. Um die relativ kurze Spieldauer der herkömmlichen Schallplatte zu erhöhen, wurde das Format von ursprünglich 7“ auf 10“ und damit auf vier Minuten vergrößert. Die Platte war die erste, auf der der berühmte Hund Nipper, der den Klängen des Grammophons lauscht – mit dem Zusatz „His Master’s Voice“ – zu sehen war. Auf Caruso folgten weitere Opernsänger, und man kann sagen, dass mit diesen Ereignissen der Siegeszug der Schallplatte und der Niedergang des Zylinders begann. Trotz der schlechteren Tonqualität sorgten die Stars für Zuspruch beim breiten Publikum. Außerdem konnten sich die Käufer der Zylinderaufnahmen nicht auf die Kompatibilität mit ihren Abspielgeräten verlassen, da es keine einheitlichen Standardformate gab.
Darüber hinaus waren die Schallplatten leichter zu handhaben und zu lagern, und mit der Einführung der beidseitig bespielbaren Schallplatte 1904 (und deren Produktion auch durch Columbia ab 1908) konnte die Spieldauer verdoppelt werden. Als Elridge Johnson durch aufwändiges Design das Grammophon zu einem ansehnlichen Möbelstück weiterentwickelte, erlitt die Zylinderindustrie einen Rückschlag. Was die Pampers und das Tempo im gegenwärtigen Sprachgebrauch sind (Markennamen, die stellvertretend für die Produkte mehrerer Anbieter stehen), das wurde der „Victor’s“ am Anfang des 20 Jahrhunderts: das Synonym für Plattenspieler.
1912 entschied Columbia, sich vollständig auf das Medium Schallplatte zu konzentrieren und stellte das Zylindergeschäft ein. Auch Edison gab nach und erkannte die Vorteile der Disc an. Doch seine 1913 auf den Markt gebrachte, technisch anspruchsvolle Diamond Disc konnte den Markt nicht erobern, da sie nicht von den gängigen Plattenspielern wiedergegeben werden konnte.
Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges kam die Unterhaltungsindustrie mit ihren Konzerthallen und Kinosälen zum Erliegen, doch der Plattenspieler bot die Möglichkeit, zur Zerstreuung nicht auf ein breites kulturelles Angebot angewiesen zu sein. Die Regierungen der Krieg führenden Nationen erkannten das Potential, mit patriotischen Liedern wie „It’s a long way to Tipperary“ (mit dem Untertitel „The song they sing as they march along“) und „Colonel Bogey march“ der eigenen Bevölkerung Kampfgeist einzuimpfen, und der tragbare Plattenspieler brachte diese Klänge bis in die europäischen Schützengräben.
Nach Ende des Krieges dauerte es nicht lange, bis in den USA 1920 mit KDKA die erste kommerzielle Radiostation der Welt auf Sendung ging. Die Folgen für die Musikindustrie waren einschneidend: angesichts schwindender Marktanteile durch die neue Konkurrenz – wenngleich diese in stark eingeschränkter Qualität sendete – gingen die Plattenfirmen dazu über, mit ihren Künstlern Exklusivverträge abzuschließen, in denen diese sich verpflichteten, nicht mit dem Radio zusammenzuarbeiten. Als die Sendeleistung der Radios weiter zunahm und die Verkaufszahlen der Plattenindustrie in den Keller gingen, musste diese wieder vorlegen. So wurden Lautsprecher entwickelt, und die Lautstärke am Grammophon ließ sich regulieren. Die 1925 entstandenen Bell Laboratories (hervorgegangen aus der Fusion von Western Electric und AT&T) waren die technologischen Wegbereiter für die ersten HiFi-Aufnahmen, die das Soundspektrum erheblich erhöhten, und bald brachte Victor die entsprechenden Geräte auf den Markt, die diese Innovation auch wiedergeben konnten.
Bevor sich Radio- und Musikindustrie gegenseitig zerfleischten, erkannte man das Cross-Marketing-Potential, und Kombigeräte aus Radio und Plattenspieler beendeten den Konkurrenzkampf. 1928 kaufte die Radio Corporation of America (RCA) die Victor Talking Machine Company auf, und RCA Victor war geboren. Diese war es auch, die kurze Zeit später die Program Transcription Disc aus dem Plastikmaterial Vitrolac entwickelte, um diese für das Radio zu verwenden. Auch wenn die Kommerzialisierung dieses Formats nicht gelang, wurde sie das Hauptmedium für die Archivierung von Tönen, so beispielsweise in der Library of Congress.
Auch zwei andere Big Players der Unterhaltungsindustrie hatten sich vorgenommen, gemeinsam neue Wege zu gehen: die Zusammenarbeit von Western Electric und Warner Brothers, die in der Vitaphone Company resultierte, erwies sich als außerordentlich fruchtbar. Die Vereinheitlichung von Formaten war hier der Schlüssel zum Erfolg: eine 16“-Schallplatte, auf die die Tonaufnahmen des Films gepresst waren, hatte, abgespielt bei 33 1/3 Umdrehungen in der Minute (revolutions per minute, rpm), genau dieselbe Spieldauer wie eine 35mm Filmrolle. Gleichzeitig abgespielt, bescherten diese der Welt den ersten Tonfilm.
Vom Wirtschaftscrash von 1929 und der Great Depression wurde auch die Musikindustrie nicht verschont, die sich nun großen wirtschaftlichen Zwängen ausgesetzt sah. Thomas Edisons Zylinder und Discs, die bis dahin einen Nischenmarkt besetzen konnten, verschwanden völlig von der Bildfläche. Schon wie in der Depression um die Jahrhundertwende war die Jukebox (unter anderem auch The Real Wurlitzer) ein Fels in der Brandung. Ihre Zahl wuchs bis zum Jahre 1939 auf 300.000, und Bing Crosby war der unangefochtene Star bei der Liedauswahl. In einer Zeit, in der Schallplatten und Abspielgeräte zu Luxusgütern geworden waren, war das Radio als Anbieter kostenloser Musik im nicht einholbaren Vorteil – innerhalb der Plattenindustrie war wirtschaftliche Rentabilität nun wichtiger als die musikalische Qualität. Ähnlich wie den kleinen Farmern im mittleren Westen erging es auch den kleinen Labels: sie konnten alleine nicht mehr überleben und wurden geschluckt. Nur einige Große vermochten es, den langen Atem aufzubringen, der sie über die Runden brachte. Die Folge war eine Marktkonzentration unter den Big Six: Columbia, Victor, Decca, Capitol, MGM und Mercury wurden die Oligarchen der Musikindustrie.
Während des Zweiten Weltkrieges entwickelte die US-amerikanische Regierung das Konzept, Aufnahmen von Radiosendungen und Musikern an die Soldaten in aller Welt zu verschicken, die neben Musik auch wichtige Nachrichten aus der Heimat beinhalteten. Die V(für victory)-Disc war ein voller Erfolg, sowohl in der Rezeption an der Front als auch in ihrer Produktion in der Heimat. Viele Künstler der American Federation of Musicians, die sich zu dieser Zeit im Streik gegen die vier größten Plattenfirmen befanden, beteiligten sich zuhauf an den Aufnahmen, unter anderem auch, weil sie durch zur Schau gestellten Patriotismus ihre Popularität steigern konnten.
Der Krieg offenbarte die materiellen Defizite von Schellack. Das Material war sehr empfindlich, so dass die V-Discs häufig in Bruchstücken ihr Ziel erreichten. Des weiteren war die Spieldauer von bis zu zehn Minuten pro Seite immer noch sehr gering. Schließlich waren es der japanische Einmarsch in Südostasien und die dadurch erfolgte Kappung der Schellackzufuhr, die die Erfinder zu ihrem Glück zwangen, sich nach einer Alternative umzusuchen, die man dann im PVC fand. Im Juni 1948 verkündete CBS auf einer dramatischen Pressekonferenz in New York die Geburt der ersten Vinyl-Schallplatte: sie konnte bis zu 260 Rillen fassen (im Vergleich zu circa 80 Rillen bei der Schellackplatte), und hatte bei 12“ eine Spieldauer von ca. 23 Minuten pro Seite. Ihr Name „Long Playing (LP) Microgroove“ (groove, engl. für Rille) leitete sich davon ab, dass man ein altes Problem der Schellackplatte überwinden konnte: hatte man bei dieser mehr als 100 Rillen angelegt, ergab sich das Problem der „collapsing groove walls“, das heißt die Zwischenwände waren nicht mehr belastbar genug und gaben nach, sodass schließlich aus zwei oder mehreren Rillen eine wurde. Gemeinsam mit einer neuen Magnetbandtechnik konnte die Tonqualität um ein vielfaches verbessert werden. Und Columbia nutzte die neue Technologie voll aus. Alle vorangegangenen Veröffentlichungen waren nun auch auf Vinyl erhältlich, und die neuen Abspielgeräte lagen in einer verhältnismäßig niedrigen Preisklasse.
Dies war ein Erfolg gegen den Hauptkonkurrenten RCA, der jedoch mit der Einführung der 7“ Single (ebenfalls auf Vinyl und mit der Microgroove-Technologie) schon einige Monate später nachziehen konnte. Dieses Format wurde zum Standard in den Jukeboxes, und der entsprechende, sehr günstige Player für den privaten Gebrauch konnte keine Platten einer anderen Größe abspielen. Das gegenseitige Ausstechen im Kampf um Marktanteile war in eine weitere Runde gegangen.
Mit der Einführung der 7“ konkurrierten hauptsächlich drei verschiedene Abspielgeschwindigkeiten miteinander: 33 1/3 rpm (LP), 45 rpm (7“ Single) und 78 rpm (Schellackplatten), wobei die Schellackplatte ihre erfolgreiche Zeit hinter sich hatte. Während Capitol das erste Label war, das bei seinen Veröffentlichungen alle drei Formate unterstützte, dauerte es bei RCA und Victor noch ein wenig länger. Vielleicht auch angesichts sinkender Verkaufszahlen in den Jahren 1948 bis 1950 lenkten beide ein: 1950 veröffentlichte RCA Platten in den Geschwindigkeiten 33 1/3 und 45 rpm, und ein Jahr später zog Columbia nach, und die Verkäufe zogen wieder an.
Allerdings muss man die Frage stellen, ob nur die Beilegung des Formatstreits für die steigenden Absätze verantwortlich gewesen war. Die USA erholten sich von der Nachkriegsdepression, die Anfang der 50er mit dem Korea-Konflikt und der Ausweitung des militärisch-industriellen Komplexes, vor dem Präsident Eisenhower am Ende seiner Amtszeit gewarnt hatte, endete. So kamen viele Faktoren zusammen, schließlich ist, wie Steven E. Schoenherr es ausdrückte, „for better or worse, the record industry [...] not a world unto itself.“
Die preisgünstige 7“ gewährte auch einkommensschwächeren Schichten Zugang zum Tonträgermarkt, und die musikalische Revolution, die mit Rock’n’Roll-Größen wie Bill Haley and the Comets ihren Anfang nahm, fand genau hier ihre Zielgruppe: Nachkriegsjugendliche, die für wenig Geld an einem für sie völlig neuen Lebensgefühl teilhaben konnten. Die Major-Labels RCA und Columbia hatten den neuen Trend zunächst verschlafen, und es dauerte bis Ende der 50er Jahre, bis sie es verstanden, diesen kommerziell auszubeuten.
Die Zeit der großen Innovationen im Schallplattengeschäft war noch nicht vorbei. Schon 1931 hatte der bei Bell angestellte Entwickler Alan Blumlein das Verfahren der Stereoaufnahme erschaffen, und obwohl sich dieses nun mit 1/4“ Tapes auch verwerten ließ, scheute sich die Plattenindustrie davor, das Publikum mit einem neuen Format zu verschrecken. Schließlich gelang es, eine Rille mit zwei Audiokanälen zu bespielen, und 1957 wurde der Westrex-Standard eingeführt, der die Käufer vor vielen neuen, nicht miteinander kompatiblen Versionen der neuen Technologie bewahrte, sodass 1958 Stereo-LPs auf dem Markt eingeführt wurden.
Diese markt- (und kunden)freundliche Vereinheitlichung war der 1952 gegründeten Recording Industrie Assosication of America (RIAA) zu verdanken, die bis heute die Interessen der kommerziellen Musikindustrie (nicht der Künstler oder Konsumenten) vertritt. Auch wenn es genügend Gründe gibt, diese Organisation zu verachten (beispielsweise die Kriminalisierung von „Raubkopierern“), so sorgte sie für die Standardisierung zunächst der Tonfrequenzen, später für die aller Tonträgerformate. Am 16. Oktober 1963 legte die RIAA die umfassenden „Standards for Stereophonic Disc Records“ fest, die de facto weltweit befolgt werden.
Die 1960er werden dann als das Goldene Zeitalter der Vinylplatte bezeichnet, denn hier vereinten sich ein standardisierter, ausgereifter Massenmarkt und innovative, publikumswirksame Interpreten und Bands. Es begann 1961, als die Beatles einen Vertrag bei EMI unterzeichneten – nachdem sie bei Decca mit dem Hinweis, dass Gitarrenmusik nicht mehr in Mode sei, abgelehnt worden waren –, und endete 1969 mit dem Woodstockfestival vor einer halben Million Menschen. Im Schatten dieser Ereignisse machte man sich in den frühen 70er Jahren bei Philips daran, ein neues Medium zu entwickeln, das ein Jahrzehnt später die Schallplatte als Tonträger ablösen sollte. Und obwohl die CD ihre Vorgängerin bald kommerziell in den Schatten stellen sollte, ist es mehr als zweifelhaft, dass auch sie noch Jahrzehnte nach ihrer Dynastie so viele Liebhaber auf der ganzen Welt haben wird.
Myron Tsakas
Michael Schuster von Cargo Records, einem der großen Indie-Vertriebe mit großem Vinyl-Programm, über sein Verhältnis zu den schwarzen Scheiben:
Bitte stell dich und deine Firma mal kurz vor, beschreibe deine Tätigkeit.
Mein Name ist Michael Schuster, ich bin Geschäftsführer der Cargo Records GmbH und Inhaber des Labels Subway Records. Außerdem bin ich Gründungsmitglied des VUT, des Verbandes unabhängiger Tonträgerunternehmen und Ausbilder für Kaufleute für audiovisuelle Medien in NRW.
Wie und wann und wo kamst du das erste Mal mit einer Schallplatte in Kontakt, und welche Platte war das?
Der erste Kontakt war meines Wissens nach „Winnetou“ und die erste selbst gekaufte Platte war eine 7“ von VISAGE („Fade To Grey“). Die erste selbst gemachte Schallplatte war eine 7“ von den RESISTORS. Die lag auch Ox Nr. 5 bei.
Was macht für dich den Reiz von Vinyl aus?
Für mich persönlich ist es der Reiz, eine Platte bewusster zu hören (Zappen geht nicht), das Umdrehen (gehört einfach dazu) und definitiv der Klang. Eine Platte klingt besser, und ein Knacken gehört dann eben manchmal auch dazu. Außerdem ist es eine unglaublich schöne Zeremonie, eine Platte aufzulegen (My god is a DJ!). Bei einigermaßen guten Umgangsformen ist eine Platte etwas für die Ewigkeit. Eine CD ist definitiv früher oder später im Eimer. Aus geschäftlicher Sicht ist Vinyl der beste Kopierschutz, den es gibt, und die geilste Nische, die man bearbeiten kann.
Wie stehst du zur angeblichen klanglichen Überlegenheit von Vinyl?
Vinyl klingt wesentlich wärmer, zudem sind mehr Frequenzen möglich. Ohne auf technische Feinheiten eingehen zu wollen, aber wenn auf einer Platte die maximale Spielzeit eingehalten wird, dann ist wesentlich mehr möglich als auf einer CD. Dem typischen CD-Hörer ist das leider meist egal. Wer sich einen Song runterlädt, der hört Musik auch auf dem PC. Sorry, aber das ist nun mal die schlechteste Stereoanlage, die ich kenne ...
Sammelst du Schallplatten beziehungsweise CDs?
Ich bringe sie raus ... Also gut, einige behalte ich auch.
Welche schrullige Eigenheit im Umgang mit Vinyl beobachtest du bei dir?
Ich schaue immer auf den Innenring, weil es mich interessiert, wer die Platte gepresst hat. Damit nerve ich regelmäßig meinen Bekanntenkreis außerhalb der Branche ...
Wie haben sich die Vinylverkaufszahlen über die Jahre entwickelt?
Die Verkaufszahlen gehen seit Jahren zurück, folglich wird immer mehr veröffentlicht, damit die Umsatzeinbrüche aufgefangen werden können. Das ist eine logische Konsequenz und passiert in anderen Wirtschafszweigen ebenso. Dies hat nur leider den Nachteil, dass wir durch die Masse den Überblick verlieren. Schau dir doch nur mal die Reviews im Ox an, und sag mir, wer das alles noch kaufen, sammeln, oder hören soll. Leider. Aber Cargo an sich geht es gut, Vinylhörer sind ein treues Publikum, und der Trend geht zurück zum Vinyl. „Value for money“ und auch „back to the roots“. Die CD stirbt vor dem Vinyl. Versprochen.
Wie hat sich das Verhalten der Käufer entwickelt?
Da habe ich die Antwort schon vorweggenommen. Vor ein paar Jahren war die Vinylkäuferschicht eher im gehobenen Alter. Aber ich merke, dass auch die Jüngeren wieder Spaß am Vinyl finden.
Wie wichtig ist den Bands heute das Format ihres Tonträgers, welche Veränderungen haben sich da ergeben?
Eine sehr interessante Entwicklung ist, dass viele Bands beide Formate wollen. Majorfirmen können damit oft nichts anfangen, aber beugen sich dem „Druck“ und wir machen dann den Vertrieb. Gut für uns, und gut für das Vinylpublikum.
Wie haben sich die Schallplattenpreise über die Jahre entwickelt?
Ich finde, die Preise sind sehr konstant geblieben. Leider sind die Herstellungskosten extrem hoch (allemal höher bei einer CD), Tendenz steigend. Nur ist es noch in den Köpfen, dass eine LP günstiger sein sollte beziehungsweise maximal den Preis der CD haben sollte. Diese Rechnung geht aber leider nicht immer auf.
Was beobachtest du auf Seiten der Labels und Großhändler im Umgang mit Vinyl?
Die Labels sehen den Trend und reagieren positiv. Das mag aber nur für bestimmte musikalische Genres gelten. Im „Tanz“-Bereich ist die Platte seit Jahren auf dem absteigenden Ast.
Inwieweit besteht ein Zusammenhang zwischen dem Anteil der Vinylverkäufe und dem Genre? Sprich: Kaufen beispielsweise Garage-Fans eher Vinyl als Hardcore-Fans?
Hier gibt es auf jeden Fall Unterschiede. Bestimmte Bands verkaufen mehr oder ähnlich viel Vinyl wie CDs. Genial.
Wie schwer ist es, in Zeiten des Elektromarkt-Overkills Vinyl zu verkaufen?
Es wird immer Spezialisten geben. Der Markt und das Kaufverhalten ändern sich, und das Internet macht die Sache für einen Plattenladen nicht leichter. Aber hat ein Reisebüro weniger Probleme? Ich glaube, es ist immer eine Frage des „Wohlfühlens“. Ich kaufe meine Platten dort, wo ich ein gutes Gefühl habe.
Welche Bedeutung hat die Kostenentwicklung in der Vinylherstellung bei der Entscheidung, ein Album als LP oder CD oder LP und CD zu veröffentlichen?
Die Rohstoffpreise gehen seit Jahren nach oben, und der Verkaufspreis wird konstant gehalten. Meines Erachtens sollte eine CD wesentlich günstiger sein. Ob LP, CD oder beides hängt wirklich von der Band und dem Genre ab.
Welche Chancen bieten Sonderformate wie farbiges Vinyl, 220g-Vinyl und so weiter?
Wir machen gerne Sondereditionen, 180g oder 220g, farbig, Beilagen, Poster ... und bekommen gutes Feedback. Das hängt aber ebenso von der Combo und der Nachfrage ab.
Ist die Vinylveröffentlichung in Zeiten einfach zu kopierender CDs und getauschter mp3s eine Chance für ein Label?
Noch einmal mein Lieblingsargument: Vinyl ist der beste Kopierschutz aller Zeiten! Und hör mir auf mit mp3s und unbeschrifteten Aldi-Silberlingen. Das ist das beste Zeichen von absolutem Desinteresse an einer Band: „Interessiert mich doch Null, wer hier den Bass spielt, was die Jungs und Mädels zu sagen haben ... Und wenn ich es nicht mehr finde, sauge ich es mir eben noch einmal aus dem Netz ...“.
Wie wird die Zukunft in Sachen Vinyl aussehen?
Es wird eine Nische bleiben, unser eigener kleiner „Fight Club“. Vielleicht stehen wir uns mal bei einem Konzert gegenüber, blinzeln uns kurz an und wissen: „Klar, du auch“.
Welche Labels veröffentlichen am meisten oder ausschließlich Vinyl?
Bei uns fast alle. Einige haben wir aber erst überzeugen müssen, dass es Sinn macht, Vinyl zu veröffentlichen.
Stimmt es, dass Schallplatten in den Verkaufscharts nicht mehr berücksichtigt werden?
Nein. Die LP wird mit der CD gezählt, nur leider werden LPs oft über Wege verkauft, die bei der Charterfassung nicht teilhaben beziehungsweise angeschlossen sind. Das ist sehr schade, denn dann würden die deutschen Charts anders aussehen. Andererseits ist es manchmal auch besser so.
Welche Unterschiede in der Bedeutung von Vinyl gibt es zwischen den verschiedenen Ländern, speziell zwischen Deutschland und den USA, aber auch innerhalb Europas?
In den USA spielt Vinyl weit weniger eine Rolle als in Deutschland oder beispielsweise Spanien, was bedingt ist durch die Struktur der Läden und der Vielzahl an Märkten oder Handelsketten. Deutschland hat eine wirklich große Anzahl an Schallplattenläden und eine Menge verdammt guter!
Wie viele Schallplattenpresswerke gibt es heute noch in Deutschland/Europa, wie sah da die Entwicklung der letzten Jahre aus, wie wird sich das in Zukunft entwickeln?
Die Majorfirmen haben alle vor Jahren aufgehört, Vinyl selbst zu pressen. Es gibt nur noch eine Handvoll unabhängiger Vinylpresswerke, hierbei aber auch ein paar wirklich sehr, sehr feine Firmen. Wir stellen für viele unserer Labels das Vinyl her und achten auf gute Qualität und schnelle Lieferzeiten. Man muss nicht unbedingt ins Ausland gehen, etwa nach Tschechien, um gutes und auch erschwingliches Vinyl zu bekommen.
Wie viele Schallplatten werden heute in Deutschland pro Jahr gepresst?
Hier gehen die Meinungen und offiziellen Zahlen sehr weit auseinander. Laut IFPI (International Federation of the Phonographic Industries) werden im Jahr circa eine Million LPs abgesetzt. Ich glaube, es sind wesentlich mehr.
www.cargo-records.de
John Cremer vom Ton- und Masterstudio Railroad Tracks aus Kerpen befragten wir zu den technischen Aspekten von Vinyl.
Bitte stell dich und deine Firma kurz vor, beschreibe deine Tätigkeit.
Railroad Tracks wurde 1999 gegründet, als die EMI in London beschloss, die Maarweg-Studios der Electrola in Köln zu schließen. Wir führen seitdem als Dienstleister für die EMI in Köln alle benötigten tontechnischen Arbeiten durch. Außerdem stehen unsere Möglichkeiten auch anderen Kunden zur Verfügung. Dazu zählen zum Beispiel: die Durchführung von Aufnahmen hier im Studio, aber auch Klassik-Aufnahmen mit transportabler Technik, Abmischen von vorgefertigten Produktionen inklusive Post-Production, Auditional Arrangements. Dann alle anderen tontechnischen Arbeiten wie Restauration von historischem Material (Bayreuther Festspiele von 1956 und 1958, diverse Schallplattenpreise, Marlene Dietrich zum 100. Geburtstag, EMI, ...), Mastering von Fremdproduktionen, wahlweise analog oder digital oder eine Kombination von beiden. Zusammenstellen von Compilations inklusive Titelangleichungen, Titelkürzungen (Radio-Edits, Jingles, Internet-Soundfiles). Anfertigung von kleinen Promo-Auflagen (gebrannte CD-Rs) inklusive Erstellung von Grafiken. Abwicklung von Presseaufträgen für Vinyl, CD und DVD. Meine Tätigkeit ist im Wesentlichen das Überspielen von angelieferten Produktionen für Vinyl und die analoge Seite des Masterings.
Kannst du dem Laien beschreiben, worin der grundsätzliche Unterschied zwischen digitalen und analogen Audiodaten liegt?
Der grundsätzliche Unterschied zwischen analogen und digitalen Audiodaten besteht darin, dass es keine analogen Dateien gibt. Analoge Musikaufzeichnungen sind entweder magnetische Träger (Bänder im 14-Zoll-Stereoformat oder Mehrspurbänder mit 8, 16 oder 24 Spuren) oder mechanische Träger (Vinyl, Schellack oder auch Nickelmütter). Beim Abspielen dieser Formate wird bei magnetischen Trägern die Aufzeichnung in Form von Sinuswellen über entsprechende Verstärker dem Lautsprecher zugeführt. Bei mechanischen Aufzeichnungen (Rillen entsprechen prinzipiell Sinuswellen) wandelt eine Abtastnadel diese „Gravur“ dementsprechend wieder in elektrische Impulse um und führt diese dann wie bei magnetischen Aufzeichnungen dem Lautsprecher zu. Digitale Audiodaten sind entweder schon digital erzeugte Klänge (etwa Synthesizer) oder aber analoge Instrumente, die über Analog/Digital-Wandler in binäre Codes zerlegt und digital aufgezeichnet werden. Für den Laien: Bei analogen Aufzeichnungen bleibt eine Sinuswelle immer eine Sinuswelle. Bei digitalen Aufzeichnungen wird eine Sinuswelle in punktuelle Werte zerlegt und in Annäherung an eine Sinuswelle wiedergegeben (Interpolation).
Wie genau muss man sich den Mastervorgang vorstellen? Beschreib doch bitte genau den Weg vom Eingang einer Master-CD bis zur fertigen Pressmatrize. Welche technischen Geräte benötigt man dafür?
Im Normalfall wird eine Produktion als CD-R-Audiodatei angeliefert, manchmal aber auch durch das inzwischen allgemein übliche organisatorische Chaos als Download ins Netz gestellt. Bei CD-Rs wird geprüft, wie die Pegelverhältnisse sind, ob die Abmischungen „Ideen“ enthalten, die physikalisch für Vinyl nicht umzusetzen sind (Gegenphasen, extreme Zischlaute, Verzerrungen, überzogene Kompressionen). Dann erfolgt Rücksprache mit den Kunden oder Studios zwecks Diagnose und „Was kann man machen?“. Bei Downloads ist oft unklar, welche Datei welcher Titel ist. Mit Übertragungsfehlern wie Clicks und Drop-outs ist immer zu rechnen, so dass die „eingesparte“ Zeit sich oft als doppelter Zeit- und Materialaufwand herausstellt. Ist eine CD-R oder ein Download okay, wird die Produktion im Normalfall eins zu eins in die Kupferfolie geschnitten. Gegebenenfalls werden kleine Lautstärkekorrekturen und Gegenphasen-Limiter eingesetzt. Wir setzen beim Schneiden hochwertige Analog/Digital-Wandler über ein mit Neve-EQs bestücktes Mischpult und eine Neumann-DMM-SX84-Schneidanlage ein.
Wo liegen die Unterschiede im Mastering für Vinyl im Gegensatz zur CD?
Unterschiede im Mastering: CD-Mastering heißt für viele lediglich Maximizer plus Finalizer rein, Hauptsache laut und „habe fertig“. Vinyl-Mastering heißt: Was ist noch korrigierbar an Fehlern im Mix, die ein sauberes Abtasten der Rille oder eine saubere Pressung unmöglich machen. Das heißt Einsatz von De-Essern gegen überzogene Zischlaute im Gesang, sie würden sonst beim Abtasten zu starken Verzerrungen führen, bedingt durch das schlechte Übersprechen in den Höhen zwischen linkem und rechtem Kanal. Zu starke Gegenphasen führen zu einer übergroßen Schnitttiefe: Es ist dann für alle Presswerke sehr schwierig, sauber zu pressen, weil kleine Lufteinschlüsse die Rillenflanken anrauhen und zu Rauschen und Klirren beim Abtasten führen. Vereinfacht kann man sagen: Ein Mastering, das für Vinyl topp ist, klingt auch immer auf CD. Manche Dinge, die auf CD noch erträglich, aber auch nicht gut sind, sind für Vinyl unmöglich.
Was macht für dich den Reiz von Vinyl aus?
Der Reiz einer Schallplatte liegt für mich darin, dass man einfach mehr in der Hand hat, und in den viel besseren grafischen Möglichkeiten fürs Cover (Texte sind auch ohne Lupe zu lesen). Vor allen Dingen aber ist man nicht versucht, zwischen den Titeln hin- und her zu springen, sondern hört stattdessen mindestens eine Plattenseite durch und muss sich dadurch viel mehr mit der Musik auseinandersetzen.
Wie stehst du zur angeblichen klanglichen Überlegenheit von Vinyl – gibt es dafür rationale, physikalische Erklärungen? Und wie sehen die aus?
Die angebliche klangliche Überlegenheit von Vinyl rührt aus der Anfangszeit der CD, als die gesamte Branche ihren Back-Katalog auf die Schnelle mit teilweise unzulänglichen Analog/Digital-Wandlern, ohne die für die Vinylausgabe erfolgten klanglichen Korrekturen, auf CD umkopierte. Heutzutage besteht im Wesentlichen nur noch ein Unterschied bei komplett analog durchgeführten Produktionen, die aber fast niemand mehr bezahlen kann. Man muss also einen gesunden Kompromiss finden zwischen Finanzrahmen, digitaler und/oder analoger Klangerzeugung (Programmierung von allem und/oder echte Instrumente), digitaler und/oder analoger Abmischung. Bei einer unserer aktuellen Produktionen, dem Album „Faces“ von Anja Odenthal, haben wir versucht, dies zu realisieren: Wo vermerkt, spielen echte Instrumente, aufgezeichnet wurde digital mit hoch auflösenden Wandlern; gemischt wurde teilweise rechnerintern inklusive ausgesuchten Plug-ins, dahinter jedoch mit analogem 48-Spur-SSL-Pult inklusive analoger Effekte wie De-Esser, Kompressoren, EQs etcetera; gemastert wurde zuerst analog und kleinste Korrekturen anschließend digital. Das heißt für beide Formate wurde für die CD-Pressung und für den Vinylschnitt ein identisches Master verwendet. Solltet ihr Unterschiede oder Vor- und Nachteile des einen oder anderen Formates hören, sind diese anlage- (Einmessung) oder geschmacksbedingt.
Wie hat sich das Vinyl-Mastering-Geschäft über die letzten Jahre entwickelt?
Das Vinylgeschäft der letzten Jahre besteht zum großen Teil aus Techno für DJs, allerdings haben sich auch einige spezialisierte Labels fest etabliert, die andere Nischenmärkte bedienen.
Sammelst du Schallplatten beziehungsweise CDs?
Ich selber sammle nicht unbedingt, da ich ja sowieso zehn Stunden am Tag Musik um die Ohren habe und privat inzwischen eigentlich wenig höre.
Welche schrullige Eigenheit im Umgang mit Vinyl beobachtest du bei dir?
Siehe oben. Wenn ich dann mal was höre, dann eher eine ganze Platte, weil das Tracklisting viel mehr von der künstlerisch-musikalischen Seite anstatt von Marketing-Gesichtspunkten bestimmt wurde, und weil man bei einer guten LP-Grafik auch nach Jahren noch neue Details entdecken kann.
Wie wird die Zukunft in Sachen Vinyl aussehen?
Die Zukunft? Ja, wenn ich das wüsste! Unsere Hoffnung ist, dass uns Vinyl als Nischenmarkt, speziell für Sammler, noch lange erhalten bleibt. Im Wesentlichen wird es davon abhängen, ob die Nachfrage groß genug ist, eine durchgehende Produktionskette (Material und Maintenance für Schneidanlagen und Presswerke) zu darstellbaren Preisen aufrecht zu erhalten.
www.railroad-tracks.de
Wenn man von Vinyl spricht, muss man auch von den Menschen sprechen, die sowas kaufen. Und da bot es sich, einfach in der Ox-Schreiberschaft zu bleiben, denn sowohl Kalle Stille wie Casi Vollmer sind seit einer halben Ewigkeit schon dem Sammeln bzw. Horten von Schallplatten verfallen.
Bitte stell dich mal kurz vor.
Kalle: Geboren als „Karl Stille“, just in dem Jahr, als Linienrichter Tofik Bachramov ein Finale entschied, exakt drei Tage nach Inbetriebnahme des ersten Atomkraftwerks der DDR. Kind des Ruhrgebiets, aber glücklicherweise früh in den Süden der Republik verschleppt, wo ich seither lebe, esse und arbeite. Der Wohnort hat sich dabei nie weiter als 25 Kilometer von der Landeshauptstadt Baden-Württembergs entfernt, was in etwa vergleichbar ist mit dem Leben eines Zuchtkarpfens. Bildungsweg: Grundschule, Fernsehen, Straße, Gymnasium, Radio, Schallplatten, Studium zweier nicht weiter erwähnenswerter – weil brotloser – Studienhauptfächer und die harte Schule des Lebens. Seit nunmehr 14 Jahren ununterbrochen vollzeitberufstätig in einer Branche, die sich hauptsächlich mit gerade einmal zwei Zahlen beschäftigt.
Casi: Ich bin Carsten Vollmer und 36 Jahre jung. Im richtigen Leben bin ich Altenpfleger und meine Hobbys sind Schwimmen, Lesen und Reiten. In meiner Freizeit produziere ich viel Lärm, sprich: ich mache Musik, wobei ich die Musikrichtung „Harsh-Noise“ vertrete. Das ist wohl die extremste Abart des Industrials. Menschen, die gar nichts damit anfangen können, sage ich immer, dass ich mit selbst gebauten und modifizierten Instrumenten/Klangerzeugern experimentelle elektronische Musik mache, bei der eine gewisse Lautstärke einfach dazugehört. Manche vergleichen das mit dem Erlebnis, direkt neben einer Flugzeugturbine zu stehen, womit sie nicht ganz Unrecht haben. Allerdings ist eine Flugzeugturbine nicht so laut, das dürft ihr mir ruhig glauben, denn dieses Vergnügen hatte ich schon einmal. Ich sammle und jage Musik, bevorzugtes Opfermedium ist die Vinylschallplatte und schreibe nebenbei auch für das Ox-Fanzine.
Wie und wann und wo kamst du das erste Mal mit einer Schallplatte in Kontakt, und welche Platte war das?
Kalle: Meine Eltern hatten eine für damalige Verhältnisse ansehnliche Plattensammlung mit etwa 100 bis 120 Schallplatten, einiges an Soul (Otis Redding, Ray Charles), eine Menge Johnny Cash, KINKS, BEATLES, STATUS QUO, Bob Dylan und etliches Zeug, das heute in jeder zweiten Flohmarktkiste steht. Aber es war „richtige Musik“, ganz im Gegensatz zum dem, was bei den Eltern von vielen meiner Freunde herumstand. Da gab es vom Elternhaus nichts mit auf den Weg, was über Schlager und „volkstümliche Musik“ hinausging. Selbstverständlich habe ich das lange nicht zu schätzen gewusst, aber Musik und Tonträger waren seit meiner Kindheit ein fester natürlicher Bestandteil des elterlichen Haushalts, wie Bücher und auch Comics. Meine ersten eigenen Schallplatten waren Märchen- und Abenteuer-Schallplatten, größtenteils von Europa, die einher gingen mit dem ersten eigenen Schallplattenspieler, weil ich die damals sündhaft teure Stereoanlage meines Vaters natürlich nicht anfassen durfte. Hans Paetsch regierte einen Großteil meiner frühen Jugend und sprach öfter zu mir als mein leiblicher Vater. Die ersten beiden selbst gekauften Musikschallplatten waren „Fire, Water Earth & Air“ von JANE (in der enttäuschten Hoffnung, dort ein Lied mit einer „Coca Cola“-Textzeile zu finden, das ich auf einer Skifreizeit gehört hatte) und „Wish You Were Here“ von PINK FLOYD. Da war ich neun und zum ersten Mal einen Großteil meines Geburtstagsgeldes auf einen Schlag los.
Casi: Das ist schwierig zu reproduzieren. Es gab ein Foto von mir, da bin ich circa vier, fünf Jahre alt, habe einen Kopfhörer auf und halte das Cover der „Aqualang“-LP von JETHRO TULL in der Hand. Leider ist dieses Foto dann irgendwie verloren gegangen und mein Onkel, der dieses Foto gemacht hatte, besitzt auch kein Negativ mehr davon. Ich kann mich auch noch an den grellen, großen NEU!-Schriftzug in meinen kleinen Kinderhände erinnern, das müsste so um die gleiche Zeit gewesen sein. Dazu muss man wissen, dass mein Onkel ein so genannter Hippie war, also das komplette Gegenteil von meinem Vater. Und genau das war sehr faszinierend für mich, was dazu führte, dass er mich auch schon früh musikalisch prägte. Ich mochte seine Musik immer viel lieber als die James Last-Kassetten meiner Oma. Eine Platte, an die ich mich auch noch erinnern kann, ist eine Weihnachtsplatte, die mein Vater auf seiner Blaupunkt-Anlage wie ein Ritual alle Jahre wieder abdudelte. Nebenbei: Ich durfte seine Platten nicht anfassen und auch die Anlage war absolutes Tabu. Er hatte wohl Angst, dass ich seine ANTON & SEINE BIERBRUMMER-Platten zerkratzte ... Die erste Platte überhaupt, die ich selber besessen habe, ist eine goldene Werbe-Flexi von der AOK-Krankenkasse. Die erste selbst gekaufte Platte war die „Blau blüht der Enzian“-Single von Heino. Vom eigenen, mühsam gesparten Taschengeld. Sechs richtige Deutsche Mark hat die Single damals gekostet. Gekauft beim Elektroeinzelhändler in unserer Straße – Mensch, da war ich vielleicht mächtig stolz! Das muss so 1974/75 gewesen sein. Die erste LP, die ich besessen habe, ist das Walt Disney-Hörspiel vom „Dschungelbuch“, die war irgendwann einfach da und ich weiß überhaupt nicht mehr, wie sie in meinen Besitz kam. Die erste selbst gekaufte LP war das erste ASIA-Album. Das war 1982, da bekam ich auch meinen ersten Schallplattenspieler von meinem Onkel geschenkt. Dazu muss ich allerdings noch etwas anmerken, bevor jetzt jemand auf die Idee kommt, ich wäre uncool gewesen. Von wegen. Zu diesem Zeitpunkt besaß ich schon circa 250 bis 300 Musikkassetten, die ich jede Woche mit meinem Universum-Mono-Kassettenrekorder selber aus dem Radio aufnahm und meinen Vater zusätzlich mit endlosen Semaphore-Klängen und Mittelwellenstörgeräuschen nervte. Der erste noch erhaltene musikalische Gehversuch ist eine Kassette von 1975. Also noch vor Punk. Und jetzt dürft ihr kommen!
Wie, warum und seit wann sammelst du Schallplatten beziehungsweise CDs?
Kalle: Ich kaufe seit meinem elften Lebensjahr mehr oder weniger regelmäßig Schallplatten, Vinyl und später auch CDs. Während andere ihre gesamten Finanzmittel in die Tabak- und Automobilindustrie investiert haben, ging mein verfügbares Geld meistens an die Plattendealer (sowie Buch- und Comic-Händler) meines Vertrauens. Als Wahlschwabe werfe ich nichts weg, wofür ich bezahlt habe, und ich trenne mich nur ungern von Dingen, die mir Freude bereiten, also ist die Plattensammlung stetig gewachsen. Als klassischen „Sammler“ würde ich mich allerdings nicht bezeichnen, eher als „Ansammler“. Ich betreibe jedenfalls keine Komplettsammlungen um jeden Preis oder die Abarbeitung von irgendwelchen Suchlisten, die mit Pressvarianten voll gestopft sind. Mit Ausnahme vielleicht von einer Band und eines Musikers.
Casi: Seit ich meinen ersten Schallplattenspieler habe, habe ich angefangen, Schallplatten zu sammeln, was damit anfing, dass ich mir alle Sachen, die ich auf Musikkassette besaß, nachkaufte. Außerdem habe ich sofort damit angefangen, die Platten zu kaufen, die ich immer bei meinem Onkel gehört habe, denn die gab es nicht auf Kassetten ... 1982 ist mein Startjahr, weil da habe ich ja meinen ersten Plattenspieler bekommen, wie ich oben schon erwähnte. Ich war da auch sehr konsequent, was meine Mutter wiederum zur Verzweiflung brachte, denn zu dieser Zeit wohnte ich noch zu Hause, und schnell verstopften die LPs komplett mein Jugendzimmer. Von den Auseinandersetzungen mit meinem Vater will ich erst gar nicht anfangen. Nur eine kleine Anekdote sei mir gestattet: Einmal habe ich wieder „On Stage“ von RAINBOW gehört, er kam herein und wollte sich beschweren, dass die Musik schon wieder einmal viel zu laut sei und er kein Fernsehen schauen könne. Als er mich da dann mit Kopfhörer stehen sah, blieb ihm nichts anderes übrig, als die Tür wieder leise zu schließen. Ja, ich mag sehr, sehr laute Musik! Warum sammle ich Schallplatten? Weil ich Musik liebe und immer noch an für mich neuer Musik interessiert und fasziniert bin. Einen anderen Grund gibt es nicht und sollte es auch nie geben. Auf die Wertanlage setzte ich einen ganz großen Haufen. Wie sammle ich? Ich kaufe mir einfach die Sachen, die mich interessieren könnten. Ich habe da kein System und auch keine Suchliste. Meine letzte Suchliste habe ich Mitte der 80er verbrannt. Natürlich habe ich ein paar Platten im Kopf, die ich noch gerne hätte, weil ich sie gerne hören würde. Aber eigentlich denke ich, dass die Musik schon irgendwie zu mir kommen wird. Man muss nur Geduld haben und irgendwo, wo man es gar nicht erwartet, hält man auf einmal genau diese eine, lange gesuchte Platte in den Händen. Dann muss man nur noch zugreifen. Das ist meistens auch billiger, als nach ganz bestimmten Platten zu suchen. Ich lasse mich auch inspirieren und kaufe blind nach Reviews, was in letzter Zeit allerdings nicht mehr so häufig vorkommt, da mir die offiziellen Preise einfach zu hoch sind. Auf Flohmärkten kaufe ich auch viel, da muss man sich halt nur öfters mal bücken und zwischen Ernst Mosch und „Höschen-Party“ habe ich schon so manches gesuchte Schätzchen herausgezogen.
Was macht für dich den Reiz von Vinyl aus?
Kalle: Genauso gut könnte man die Frage stellen, was eine gut gebundene Buchausgabe auf gutem Papier für einen besonderen Reiz besitzt gegenüber einer Reclam-Version desselben Textes auf Recyclingpapier. Eine Vinylschallplatte benötigt eine ganz andere Behandlung, Lagerung, Aufmachung, Pflege und Verkaufspräsentation als eine CD. Schon der Einkauf ist anders, alles ist größer, aber empfindlicher und nicht komplett für Konsumenten gemacht, die sich gerade mal selber die Schuhe alleine anziehen können. Eine Platte hat ein Coverartwork, das aufgrund seiner Größe auch als solches zu erkennen ist, und Platten muss man aufgrund ihrer Spieldauer und Beschaffenheit bewusst anhören wollen, eine CD legst du einfach ein und lässt sie durchlaufen, während du nebenher kochst, spülst oder sonst etwas machst. Insofern ist Vinyl in etwa wie eine Speise, die du dir mit viel Aufwand kochst, während CDs das Fertiggericht aus der Tiefkühltruhe sind. Und Vinyl riecht, was dir jeder bestätigen kann, der einmal einen echten Schallplattenladen betreten und sich eine Nase gezogen hat. Die Silbertaler hingegen sind geruchstechnisch absolut steril, passend zu den typischen CD-Einsortierern (bauch-, gehirn- und keimfrei), die sich in ihrem eigenen Laden ohne einen Computer beziehungsweise GPS wahrscheinlich verlaufen würden. Die CD hat uns um das Platten- und Musikkauferlebnis gebracht. Eine Platte war ja noch nicht sicher heimtransportiert, wenn du sie im Laden bezahlt hast, da lagen noch etliche Kilometer gefährlicher Weg dazwischen (eine CD schmeißt du zwischen die restlichen Einkäufe mit dem Katzenfutter und dem offenen Schmirgelpapier). Richtige Vinylläden waren/sind zudem immer aufgeräumter, weil man eine Schallplatte nicht so einfach in ein falsches Fach stellt, wie das mit einer CD problemlos möglich ist. Über das Thema könnte ich stundenlang referieren, verstehen wird es aber nur derjenige, der „echte“ Schallplattenläden mit ausschließlich Vinyl und vielleicht einer verschämten Kassettenecke noch aus seiner Jugend kennt. Viele der heutigen Vinylläden haben schon wieder so etwas von elitärem Confiserie-Luxus, was einfach nicht passt.
Casi: Mit der Vinylschallplatte bin ich aufgewachsen, das ist reine, unschuldige und pure Nostalgie und größtenteils die einfachste Form von Konditionierung. Der Duft frischer Druckfarbe, das Knistern, wenn man die Platte aus der Innenhülle herausholt, das Rauschen der Anlaufsrille. Mit Musik hat das überhaupt nichts zu tun, es ist eigentlich eine kultische Handlung, ein Ritual, eine Platte aufzulegen. Das mache ich wesentlich bewusster und das packt mich einfach emotionaler. CDs schmeiße ich in die Schublade, umrühren und fertig. Das Argument mit dem größeren Cover und so ein Quatsch zieht bei mir auch nicht, ich habe hier CDs, die sind unendlich besser und liebevoller gestaltet als so manche Vinylveröffentlichung. Das hat aber absolut nur mit dem Medium zu tun, das möchte ich hier nochmals betonen. Scheiß Musik auf fettem Vinyl wird dadurch auch nicht besser!
Wie viel Geld gibst du für deine Sucht aus, wie hat sich das über die Jahre verändert?
Kalle: Schwer zu schätzen, aber es ist sehr stark abhängig von dem, was tatsächlich an interessanter Musik erscheint. In „guten“ Monaten, mit einigen wirklich interessanten Veröffentlichungen, kann es gut sein, dass 150 bis 250 Euro ausgegeben werden. Und wenn nichts wirklich Interessantes erscheint, dann wird eben nichts ausgegeben. Aber es gibt selten Monate, in denen ich mehr als 100 bis 150 Euro für Platten tausche. Der finanzielle Rahmen hat sich selbstverständlich verändert. Das hängt einerseits mit dem verfügbaren Geld zusammen, andererseits aber auch mit dem, was Platten heute kosten. Ein Australien-Import der ersten AC/DC-LP hat 1977 knapp 20 Mark gekostet (ein Schweinegeld, weil es dafür vier Singles gab), heute bekommst du dafür nicht mal eine CD, die im Tonstudio nebenan aufgenommen wurde. Die Ausnahmen, die man in der Einhaltung seiner Preisvorstellungen bezüglich dessen, was eine Platte kosten darf, macht, werden mit der Zeit häufiger. Um das zu verstehen, muss man aber selber etwas sammeln und wissen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass man genau dieses eine fehlende Stück noch mal zu Gesicht bekommt. Trotz allem kann ich bis heute nicht verstehen, warum Menschen bereit sind, für ein Stück Plastik eine vierstellige Summe zu investieren. Für den Betrag, den einige Extremfanatiker für eine Single einer unbedeutenden texanischen Kinderpunkkapelle ausgeben, kaufe ich mir nach wie vor viel lieber aktuelle Platten mit guter Musik zum Normalpreis.
Casi: Weiß ich echt nicht ... Meine Frau würde wohl sagen: „Zuviel“. Ich sage: „Egal!“. Über die Jahre hat sich wohl nur der Betrag geändert, da ich logischerweise mehr verdiene, als ich jemals Taschengeld bekommen habe. Also gebe ich auch mehr Geld aus. Prozentual hat sich da nicht viel verändert, ich gebe immer noch mein ganzes Geld vorwiegend für Schallplatten/Musik aus. Bei manchen Platten ist es mir, einfach gesagt, egal, was sie kosten, die kaufe ich mir einfach. Ist halt mein Hobby und rational nicht zu erklären. Denn manche Platten sieht man nur einmal und danach nie wieder. Ob ich nun 50 Euro für eine gebrauchte Platte bezahle, auf der Musik ist, die mich interessiert oder mir blind aus einer Liste eine Platte bestelle, wo ich nur nach der Beschreibung gehen kann. Was ist besser? Womit kann man schneller falsch liegen? Das sind halt persönliche Beweggründe, die mein Suchtverhalten steuern. Allerdings, wenn ich den Händler nicht mag, dann kann es sein, dass ich wegen Kleinigkeiten den größten Terror mache und auch eine schon lange gesuchte Platte aus Sturheit nicht mitnehme. Für mich ist das keine Ware, für mich ist das Musik, die ist mein Leben und da bestimme ich. Wenn du damit auch mein sonstiges Kaufverhalten meinst, dann habe ich halt nun den Vorteil, dass ich schon eine Menge Platten besitze und mir keinen Grundstock mehr aufbauen muss. Das ist ein ungemein entspannender Verhandlungsvorteil, denn Menschen, die wirklich viel Geld für Platten ausgeben, sind rar geworden. Da bricht gerade der komplette Markt zusammen, gerade bei den Spezialgebieten, weil einfach keine Sammler mehr nachwachsen. Ich kann es mir halt leisten, ich brauche nicht die neueste Platte. Da warte ich ein Jahr, höre mir erstmal andere Sachen an und schon bekomme die gesuchte Platte, weil sie in unserer Gesellschaft nur noch ein Gebrauchsgegenstand ist, viel billiger. Die Musik, die aktuell veröffentlicht wird, finde ich sowieso zu über 95 Prozent (höchstens und wenn überhaupt) nur noch mittelmäßig. Warum sollte ich mich mit dem Mittelmaß zufrieden geben, wenn ich die bessere Alternative längst kenne? Oscar Wilde hat es mal sehr treffend ausgedrückt: „Ich habe einen ganz einfachen Geschmack: Ich bin immer mit dem Besten zufrieden.“
Wie stehst du zu Sonderformaten, also Picture-Discs, Colored Vinyl, Shapes und so weiter?
Kalle: Nette Beigabe, solange die Musik im Vordergrund steht. Wenn es von einer guten Platte eine Picture oder eine farbige Version gibt, dann ist es schon schöner, wenn die im Schrank steht. Aber eine Picture-Platte ohne entsprechende Musik, bei der einzig das Gimmick-Format im Vordergrund steht, ist kein Kaufargument für mich. Mir ist es auch egal, ob es von einer 7“ vier verschiedene Vinylfarben gibt, mir reicht ein einzelnes Exemplar, egal in welcher Farbe. Letzten Endes sehen die meisten Picture-Discs schäbig aus, weil das Motiv einfach jämmerlich ist. Anders sieht es mit „besonderen Platten“ aus, deren Artwork einzigartig ist, oder wenn sich jemand etwas ganz Besonderes mit der Verpackung oder dem Vinyl hat einfallen lassen, und wenn es keine absolute Scheißband ist, dann kann die Musik auch mal Nebensache sein. Aber wenn die Musik dazu gut ist, umso besser. Gute besondere Platten: Die RUINATION-Shape, das LOCUST-Singlepuzzle, die EA 80-Picture, die im Dunkeln leuchtet oder die MELT BANANA/CHUNG-10“ mit dem Wackelcover, da stimmt einfach alles.
Casi: Interessieren mich überhaupt nicht, die nehme ich nur so nebenbei mit. Ich versuche von Veröffentlichungen immer die Erstveröffentlichung zu bekommen und sonst nichts. Sonderveröffentlichungen speziell interessieren mich nur bei Bands, Labels oder Musikgebiete die ich „komplett“ sammle. Meistens ist es aber immer die Erstauflage, und im Independent-Bereich sowieso, weil meistens nur eine Auflage gepresst wird. Reine Fanartikel, wie sie heute als Massenware hergestellt werden, brauche ich nicht. Warum sollte ich mir eine Turbojugend-Banane im Zimmer aufhängen? Wenn ich solche Sonderformate, vorausgesetzt es sind auch Musikrichtungen die mich interessieren, billig sehe, nehme ich sie aber auch einfach mit und freue mich. Picture-Discs/Shapes sammle ich auch nicht speziell, da gibt es einfach zuviel Mist, diese ganzen Werbesachen und Schrott-Compilations braucht und hört auch niemand wirklich. Es soll ja sogar Menschen geben, die sammeln nur 3“-CDs. Im klangtechnischen Vergleich sind diese Formate immer schlechter als normales Vinyl. Es ist halt ein Gimmick, und wenn die Band es finanziert bekommt, dann wäre sie ja dumm, wenn sie es nicht produzieren würde. Es gibt aber auch immer weniger Sonderformate oder Spezialverpackungen, weil der Handel und der Versand diese Formate einfach nicht ins Programm nehmen, weil sie nicht ins genormte Regal passen oder mehr Porto kosten. Ich habe auch einige Platten und Kassetten hier, die sind in Stahlplatten eingeschraubt oder sonst irgendwie obskur verpackt, das sieht toll aus, aber die Musik wird dadurch auch nicht besser. Das war früher aber auch mehr auf der Basis einer künstlerischen und schönen Gesamtpräsentation gedacht, ein Bestandteil der Veröffentlichung, der Philosophie, und nicht dazu da, den Käufern nur dreckiges Geld aus der Tasche zu ziehen. Sehr lustig finde ich auch zurzeit die 5“-Vinyl-Singles, welche die meisten billigen Plattespieler wegen ihrer automatischen Endabschaltung nicht abspielen können. Sehr netter Gag, genau wie die 15“-Vinyl-LP, wo die meisten Tonarme rebellieren und abbrechen. Da fällt mir noch ein, dass ich Flexi-Discs sammle, was ja auch ein Sonderformat ist, das die meisten sträflich vernachlässigen.
Wie stehst du zur angeblichen klanglichen Überlegenheit von Vinyl?
Kalle: Richtig, die klangliche Überlegenheit von Vinyl ... Okay, bei Klassik und richtig gut gemasterten Vinylschallplatten mag sich das mit den geeigneten Messtechniken feststellen lassen. Aber wir sind hier nicht im HiFi-Land, und welche LP-Masterungen können sich heute noch mit der Qualität früherer Tage messen? Viele Platten klingen auf Vinyl beschissener als auf CD, so Leid mit das tut. Die „God Hates Us All“ von SLAYER ist dabei ein gutes Beispiel. Die klingt auf Vinyl jämmerlich, trotz der besseren Möglichkeiten, die Vinyl eigentlich bietet. Gar nicht zu reden von den vielen „Fanclub-Platten“ (Deutschland ist ein einziger großer Fanclub), die alle von CD gezogen wurden, die können gar nicht besser als das CD-Master klingen. Leute, die freiwillig so etwas kaufen, in der Annahme, dass das Vinyl hier besser klingt, die haben eine mittelprächtige Meise und zuviel Geld, weil das Vinyl bei so etwas meistens auch noch teurer ist als die CD. In vielen Fällen entscheidet daher ganz pragmatisch der Preis, nicht die gefühlte Temperatur. Im Falle von Ambient-Industrial würde mich Vinyl und das zwangsläufige Knistern sogar stören, dort siegt die CD ganz klar über Vinyl. Und ehrlich gesagt, nach so vielen Jahren auf Konzerten nehmen meine Ohren klangliche Feinheiten sowieso nicht mehr richtig wahr.
Casi: Absoluter Quatsch. Wer hat eine richtige High-End-Anlage zu Hause? Einen eingerichteten Hörraum? Von unseren Lesern wohl weniger als fünf Menschen ... Somit ist das Thema gegessen. Bei der Mittelklasseanlage wird eine gute CD immer siegen, weil sie einfach einige technische Mängel, die diese Anlagen haben, wie Rauschen, Störgeräusche oder fehlende Dynamik, von vorneherein ausblendet beziehungsweise geschickt umspielt. Des Weiteren kann Vinyl in 99,9 Prozent der Fälle gar nicht besser sein, weil die meisten Studios die ursprüngliche Musik auf CD mastern, also die technischen Vorteile einer puren anlogen und lückenfreien Aufnahme und Abtastung gar nicht nutzten könnten. Wie sollte das bitte funktionieren? Bei digitaler Klangbearbeitung und -erzeugung kommt noch ein weiterer Faktor hinzu, der nichts mehr mit analoger Musik zu tun hat. Da liegt der Fehler schon im Detail. Also, wenn man die Musik analog aufnehmen, mit analogen Geräten mastern, dann direkt auf Platte pressen und dann auch noch mit einer optimal aufeinander abgestimmten Anlage präsentieren würde, wäre das Ergebnis rein technisch wahrscheinlich fantastisch. Ein analoges Ursprungsignal wird immer unerreicht bleiben! Es digital zu reproduzieren ist einfach technisch unmöglich, da kann die Auflösung noch so hoch sein. Ob das hörbar ist, ist wieder eine andere Frage. Das liegt vor allem an der Anlage, denn wenn die Schrott ist, brauchst du auch keine High-End-Pressung. Aber was ihr wahrscheinlich meint: Vinyl klingt anders und das ist eine rein philosophische und individuelle Frage der Hörgewohnheiten. Da gibt es selbst bei den Vinyl- und High-End-Fetischisten die heißesten und schrulligsten Diskussionen. Wenn einer das als Hobby hat, dann soll er damit glücklich werden. Was unbestreitbar ist: Vinyl ist das weitaus beständigere und zeitlosere Medium, die CD ist eigentlich nur ein Übergangs- und Transportmedium für den alltäglichen Datenmüll und wird bald nach der totalen Digitalisierung verschwinden. Wisst ihr, was unübertroffen ist? Ein Live-Konzert!
Welche Veränderungen in deinen Kauf-, Sammel- beziehungsweise Hörgewohnheiten hast du über die letzten Jahre beobachtet?
Kalle: Zunehmende Gelassenheit. Keine Platte ist es wert, dass ich am Essen sparen würde, denn alles taucht immer mal wieder auf. Ich kaufe mir längst nicht mehr jede neue Platte, da das wenigste Zeug wirklich neu und bewegend ist. Außerdem gibt es sehr viel mehr interessante Musik abseits dessen, was in diesem Heft zu finden ist. Und die gibt es sehr oft sehr günstig auf allen Flohmärkten dieser Welt. Ich höre seit vielen Jahren bewusst kein Radio mehr, wenn es aus Versehen doch passiert, dann weiß ich auch sofort wieder, warum. Ich kaufe mir keine „Klingt wie ...-Platten“ mehr (hab ich schon zehnmal im Schrank stehen) oder die neue, supertolle Platte einer angesagten Band, die ich live beschissen fand. Dann schon lieber eine Industrial-, Elektro-, Soul- oder sonst eine Scheibe, die was Neues zu bieten hat. Bevor ich einen der handelsüblichen CD-Läden betrete, bestelle ich viel lieber online oder per Telefon, denn ich verabscheue diese Läden, mit ihren Stapeln, dem geschmacksfreien Personal, den unaufgeräumten Fächern und dem Fastfood-Publikum, das sie anziehen. Einzig meine Liebe zu Singles ist ungebrochen, ein besseres Medium, um eine Band anzutesten, gibt es einfach nicht. Aufgrund der natürlichen Grenzen (Platzprobleme) kann ich mir langsam, aber sicher gar nicht mehr jeden Mist kaufen, und ich will es auch nicht.
Casi: Meine Kaufgewohnheiten sind eigentlich immer noch dieselben: Ich kaufe und vor allem höre die Musik, die mir gefällt, egal, was andere Menschen und so manche selbst ernannten Fachleute dazu sagen. Dazu nutze ich alle erreichbaren Quellen. Was früher die Mailorderkataloge waren, sind heute die Internet-Shops. Das Prinzip ist dasselbe. Ich klappere immer noch alle Schallplattenläden meiner Heimatstadt und Umgebung ab, wühle in dreckigen Kisten auf Konzerten, besuche Flohmärkte, Plattenbörsen oder tausche mit Freunden. Oh ja, meine Sammelgebiete haben sich verändert, das hat zum einen damit zu tun, dass ich die mir extrem wichtigen, primären Gebiete schon abgeklappert habe und fast vollständig besitze. Zweitens wird Mann über die Jahre immer schrulliger. Ich sammle Sachen teilweise auch nur, weil sie einfach keiner sammelt. Was einen Vorteil hat, da man die Sachen am Anfang sehr billig bekommt und bei der Wertsteigerung dann gemütlich zusehen kann. Andererseits entdecke ich manche Musik erst heute, und das ist eine Entwicklung, weil man einfach immer tiefer in die Materie an sich eintaucht und Spezialgebiete dann auch ein-/abgrenzen kann. Heute kann eine Schlagerplatte für mich genauso abgefahren und rebellisch sein wie eine Punkplatte. Manche Musikrichtungen hätte ich früher nicht mit der Kneifzange angepackt, aber so ist das Leben, nur eins ist geblieben: Ich hasse Ska und Reggae. Meine Hörgewohnheiten haben sich wie alle anderen Gewohnheiten mit meiner Lebenserfahrung ver- und geändert. Ich höre aber immer noch jede Platte oder CD, bevor ich sie einordne. Mir geht es also immer noch und nur um die Musik, nicht um die „laufenden Meter“. In letzter Zeit höre ich viel Musik und sehr intensiv beim Autofahren, diese Kombination gefällt mir doch sehr. Bevor ich es vergesse: Musik muss immer richtig laut gehört werden, alles andere ist nur was für Spießer! Bitte nie vergessen, egal, was immer andere euch auch erzählen wollen, vergesst es. Rein technisch haben sich meine Hörgewohnheiten auch geändert, dank finanzieller Unabhängigkeit kann ich mir eine High-End-Anlage nach meinen klanglichen und ästhetischen Wünschen zusammenstellen.
Welche schrullige Eigenheit im Umgang mit Vinyl beobachtest du bei dir?
Kalle: Jede Platte bekommt einen Namen, wird getauft und ... Nein, da gibt es keine Schrulligkeiten. Platten holt man nicht mit Marmeladenfingern aus der Hülle, und man lässt sie nicht offen herumliegen, das war’s. Beschissene Platten und CDs wandern gleichermaßen in den trockenen Keller, aus reinen Platzgründen.
Casi: Ich hasse Aufkleber jeder Art auf den Covern, seien es Preisetiketten, Sonderangebotsaufkleber oder dumme Hinweise, wie toll und limitiert diese Platte nun ist. Bemalte Cover gehen überhaupt nicht! Das muss einfach runter, egal wie. Das große Geheimnis, wie man das macht, ohne das Cover zu beschädigen, werde ich aber mit ins Grab nehmen. Bei CDs ist das einfacher, da tausche ich konsequent alle Plastikhüllen aus. Ich hasse abgegriffenes und zerkratztes Plexiglas. Sonst braucht man bei Vinyl eigentlich nur die allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Handhabung und Aufbewahrung zu beachten, die im Musikzimmer aushängen. Es hat lange gedauert, aber auch meine Frau hat es gelernt. Das ist eine reine Gewohnheits- und Übungssache. Ist es schlimm, wenn man die Cover vor dem Einsortieren abwäscht und trocknet? Ich sortiere meine Platten und CDs nach dem Alphabet und im Alphabet immer weiter exakt runter. Das hat den Vorteil, dass ich wirklich jeden Interpreten sofort finden kann. Das ist rein praktisch, aber manche Menschen verstehen es nicht, dass wenn sie eine Platte oder CD bei mir aus dem Regal ziehen, was an sich schon eine große Ehre ist, auch wieder genau an ihren Platz zu stellen haben und dabei auch darauf zu achten haben, dass sie die Schutzhülle nicht verknicken! Ach ja, einmal im Jahr opfere ich ein aus jungfräulichem Vinyl geformtes Püppchen dem Gott Highervieh.
Wie groß ist deine Plattensammlung, wie ist das Verhältnis LP/7“/CD?
Kalle: Etwa 15.000 Platten, davon circa 6.500 LPs (12“s/10“s), 3.500 CDs und 5.000 7“s.
Casi: Ein Zimmer bis unter die Decke voll, was sicher jedem Statiker unruhige Nächte bereiten würde. Und so langsam überwuchere ich die ganze Wohnung. Die nüchternen Zahlen sind leider nur Circa-Angaben, da ich es schon relativ früh aufgegeben habe, meine Platten zu nummerieren (Was ja auch eine Beschädigung des Covers wäre; Stichwort: Aufkleber, siehe oben.) und zu katalogisieren. LP/Maxi 12“: 8.000; CD: 5.000; 7“: 5.000. Außerdem besitze ich noch etwa 4.000 Kassetten/Tapes, die ja früher auch ein offizielles und gleichwertiges Musikmedium waren. Nicht zu vergessen die circa 300 Schellackplatten, die eines meiner neuen Sammelgebiete repräsentieren.
Wie wichtig ist der technische Aspekt beim Musikhören für dich, und da natürlich speziell in Bezug auf Vinyl. Was für eine Anlage hast du im Einsatz?
Kalle: Die beste Platte (Vinyl und CD!) hört sich über eine schlechte Anlage immer so an wie das schwächste Glied in der Kette (eine miese Platte klingt dafür auch über eine supertolle Anlage immer noch scheiße). Plattenspieler: Thorens TD280 MKII mit einem CMB 10-Tonabnehmer, JVC AX A342 Verstärker (einer der letzten mit gutem Phonoverstärker und sechs Quellen), die Boxen sind ein Bose-Nachbau für ein Drittel des Originalpreises mit minimalen Klangeinbußen und der CD-Spieler ist ein Sony 297.
Casi: Sehr wichtig, das wird man schon aus den vorherigen Antworten erkennen können. Die Anlagen, mit denen ich zurzeit Musik konsumiere, sind wild zusammen gewürfelte Anlagen verschiedenster Hersteller, mit beliebig austauschbaren Komponenten, die einfach nur funktionieren müssen. Halt die typischen Japaner, die es beim Elektro-Discounter gibt. Ich bin gerade dabei, meine endgültige Anlage, die ich bis an mein Lebensende nutzen werde, zusammenzustellen. Das Laufwerk habe ich schon: Transrotor AC. Das ist genau der Plattenspieler, vor dem ich als kleiner Knirps stundenlang mit offenem Mund gestanden habe. Und als ich ihn in einem HiFi-Geschäft im Schaufenster sah, habe ich ihn mir direkt gekauft. Danach war ich zwar pleite, aber da hatte ich nun was fürs Leben und der erste Schritt in Richtung High-End war getan. Tonarm und System haben noch einmal soviel wie das gebrauchte Laufwerk gekostet. Als Verstärker habe ich mir den zusätzlich modifizierten Röhrenvollverstärker LEBEN CS 300 ausgesucht und damit ist auch schon wieder Schluss, denn Kabel und vor allem die passenden Boxen werden wohl erst in ein paar Jahren oder bei Auszahlung des Bausparvertrages zur Diskussion stehen.
Inwieweit kannst du die „Freakigkeit“ anderer Sammler nachvollziehen, etwa was Nassabspielung, „Pure Virgin Vinyl“ und so weiter betrifft? Was gibt es da für Abartigkeiten?
Kalle: Ich glaube, da gibt es, von der Raumgestaltung extra für eine Anlage bis hin zur Anschaffung eines Plattenspielers für einen fünfstelligen Betrag, so gut wie alles, was man sich nur vorstellen kann (sicher auch Leute, die sich ihre Platten ausschließlich in einem Ganzkörper-Latexkondom anhören). Allerdings ist das nur dann sinnvoll, wenn die Musik zur jeweiligen Marotte passt und die Vinylmasterung auch der Sorgfalt entspricht, die beim Zeremoniell zur Anwendung kommt. Einen Menschen, der eine FATALS-7“ auf einer 10.000-Euro-Anlage nass abspielt, würde ich jedenfalls umgehend einweisen lassen. Völlig unverständlich sind mir Leute, die 2005 „ungespielte“ oder „originalverschweißte“ Platten von 1980 verticken. Die verstehe ich ebenso wenig wie diejenigen, die handnummerierte Platten nur dann kaufen, wenn die Nummer unter hundert ist.
Casi: Nachvollziehen kann ich eigentlich alles, denn wenn Menschen ein Hobby haben, ist das toll und sie haben was zu tun, treffen andere Menschen, pflegen also ihre sozialen Kontakte und kommen nicht auf solche dummen Gedanken wie Krieg etc. ... Allerdings: Nassabspielung ist was für Idioten, die absolut keine Ahnung haben. Da gibt es auch keine Diskussion, diese „Schmierlappen“ aus dem Aldi-Regal sollte man unter Androhung der Todesstrafe da hängen lassen! Eine Reinigung mit einer Schallplattenwaschmaschine ist komplett was anderes und damit nicht zu verwechseln! „Pure Virgin Vinyl“ – wer es bezahlt, wird es auch brauchen! Jeder noch so kleine Faktor kann, könnte, wird vielleicht zur Klangverbesserung beitragen, nur ob man das dann auch wirklich hört oder es sich einfach nur einbildet, weil man es ja bezahlt hat, ist eine andere Frage. In der High-End-Szene gibt es so viele verschiedene Philosophien, wie es Hersteller gibt. Braucht man Resonanzmatten? Braucht man einen Raum-Animator, der die Schall-Leitfähigkeit der Luft verbessert? Was ist mit speziellen Steckdosen zur gleichmäßigen Stromversorgung? Was ist mit den Plattentellerauflagen und Ansaugsystemen für ab 400 Euro? Braucht man spezielle Bohrer, um das Mittelloch aufzubohren? Was ist mit dem „Plattenbügler“? Wohin und vor allem worauf darf ich mein Laufwerk überhaupt noch stellen? Wollt ihr noch mehr? Allerdings sind das ja zwei total verschiedene Welten. Auf der einen Seite die Technikfreaks und auf der anderen Seite die verrückten Schallplattensammler. Konsens sollte allerdings immer sein, dass man seine Platten ordentlich behandelt und seine Gerätschaften pflegt. Ein Sammler wird auch immer eine normale, mittelmäßige Anlage haben, die seine Platten gut abspielt und seinen Hörgewohnheiten entspricht. Bei den Sammlern gibt es einige Menschen, die sehr eigenartige Sammelgebiete haben. Der eine sammelt Italo-Disco-Maxis, was gerade in der Mixer-Szene super angesagt ist. Ein anderer nur Cover mit nackten Frauen aus den 60ern. Robert Crumb, der Comiczeichner, sammelt nur Schellackplatten, weil alle danach gemachten Aufnahmen keine „Seele“ mehr besitzen. Ich sammle jede verfügbare NDW-Coverversion und da gibt es einige dokumentierte Verbrechen! Ein Freund kauft sich jede Platte zweimal und schweißt eine davon immer direkt luftdicht ein, damit sie auch ja ungespielt bleibt. Eine Freundin sammelt Schallplatten, speziell Cover, vom Flohmarkt, die von ihrem Vorbesitzern bemalt, beklebt oder anderswie kreativ verändert wurden.
Welche Pflege bekommen deine Schallplatten von dir?
Kalle: Schutzhüllen gegen abgestoßene Ecken und gefütterte Innenhüllen. Und für die Singles baue ich mir seit Jahren selber Holzkisten, weil es auf dem verdammten Markt jeden Dreck, aber keine passenden Boxen in Singlegröße gibt. Wenn eine Platte verstaubt ist, dann wird sie auch mal geputzt oder in die Spülmaschine geschmissen.
Casi: Sie werden zärtlich geputzt und gebürstet, ehrfürchtig behandelt und am Ende immer wieder liebevoll verpackt. Manche wirklich raren Sachen lasse ich mit einer Schallplattenwaschmaschine reinigen, aber das kommt eher selten vor. Sonst befolge ich die üblichen, allgemeingültigen Verhaltensweisen und Gesetze zum Umgang mit Schallplatten, wie aufrechte Lagerung, Fettfinger vermeiden und immer vorsichtig aus der Hülle befreien und so weiter ... Was ganz wichtig ist: Katzen und andere Nagetiere sind strikt von Schallplatten fernzuhalten oder direkt zu erschießen.
Was beobachtest du auf Seiten der Labels im Umgang mit Vinyl?
Kalle: Vinyl ist für größere Label (in erster Linie Major-Indies und waschechte Majors) ein Prestigeobjekt, mit dem einerseits das schöne Märchen von der „Indie-Single-Band“ (vorwiegend in England zu beobachten) gehegt und gepflegt wird. Die Major-Vinylausgabe aktueller CDs auf 220g-Vinyl ist ein überteuerter Spaß für Leute, die zuviel Geld und eine Stereozeitschrift im Abonnement haben. Selbst für viele richtige Indie-, Punk- und Hardcore-Labels ist Vinyl zum reinen Hobby geworden, das sich kaum rechnet. Bewundernswert, dass es immer noch Labels gibt, die ausschließlich oder bevorzugt auf Vinyl setzen und damit aber auch vor allem jüngere Leute ohne Plattenspieler außen vor lassen. Dafür gehen andere Labels aber auch heute Kompromisse ein, wie wellige Platten, schlechte labberige Cover und miese Pressungen, die nicht zu entschuldigen sind. Wer wirklich Qualität und gerade Platten will, der fängt bei 180g-Vinyl an und leistet sich auch eine richtige Cover-Druckerei. Hut ab vor jedem Label, das sich da noch richtig Mühe macht, ein geeignetes Presswerk und einen guten Cutter zu finden. Die Nase gerümpft bei all denen, die mir bereits vor dem ersten Nadelkontakt knuspernde, konkave Scheiben untergejubelt haben. Richtig mies stoßen mir Vinylversionen von CDs auf, bei denen das Artwork offensichtlich nicht für das Vinyl, sondern für die CD gemacht wurde und das Beiblatt (sofern nicht eingespart) vier Booklet-Seiten nebeneinander zeigt. Einige Labels machen da immer noch richtig gute Arbeit, während es bei vielen offensichtlich ist, dass sie sich besser auf eine Sache konzentrieren sollten.
Casi: Im Allgemeinen wird Vinyl aus Kostengründen vernachlässigt. Ja, ich weiß auch, dass es im Moment einen Anstieg der Vinylproduktion und des Verkaufs gibt, was sich aber irgendwann auf ein konstantes Niveau einpendeln wird. Die Masse von Menschen wird sich mit Vinyl einfach nicht mehr beschäftigen, da sie die Vorzüge und den Bedienkomfort von mp3 und Internet nicht mehr missen wollen. Auch die DJ-Kultur wird sich sehr bald vom Vinyl verabschieden, da sind die bösen Computer extrem auf dem Vormarsch. Somit sind auch die Labels, die ja Geld verdienen wollen, gezwungen, diesen Markt entsprechend zu bedienen. Da die Veröffentlichungen nun auch erstmal verkauft werden müssen, werden die Labels sich also ganz genau überlegen, welche Medien sie zuerst produzieren. Natürlich wird es immer noch einige Labels geben, die ausschließlich Vinyl produzieren und vertreiben, aber diese Auflagen kann man vernachlässigen. Selbst Majors pressen ja nur noch eine kleine Erstauflage, die meistens bei Veröffentlichung schon wieder gestrichen ist. Manche Musikgruppen machen sich für das Vinyl stark und dann wird bei entsprechender Größe der Band vielleicht eine Sonderauflage zu Werbezwecken und wegen der Attitüde gepresst.
Wie wird die Zukunft in Sachen Vinyl aussehen?
Kalle: Ich denke, Vinyl wird als Nischenprodukt weiterhin überleben, vielleicht sogar wieder etwas wachsen, denn die ersten Plattenspieler tauchen dort wieder auf, wo vor einigen Jahren zur Vernichtung der Rille angetreten wurde. Sie haben es bis jetzt mit der CD nicht geschafft, Vinyl komplett zu verdrängen, dann wird es auch in den nächsten Jahren nichts damit werden.
Casi: Schwarz ...
Wie steht’s um Vinyl auf Seiten der Mailorder und der kleinen Labels? Weil das Ox eine klassische Vetternwirtschaft ist, stellten wir die Fragen dazu zwei Leuten aus unserem engsten Umfeld, Lutz Räuber von Soundflat Mailorder und Ritchie von Screaming Apple Records.
Bitte stell dich und deine Firma mal kurz vor, beschreibe deine Tätigkeit.
Lutz: Mein Name ist Lutz Räuber, ich bin 41 Jahre alt, 1,72m groß und viel zu schwer. Meine Firma ist der Soundflat Mailorder, den ich 1989 begonnen habe. Damals als Ein-Mann-Betrieb mit Schwerpunkt Mod, Sixties und Garage, woran sich an für sich nicht sonderlich viel geändert hat. Nun gut, die Firma hat inzwischen einen festen Mitarbeiter und eine gelungene Kooperation mit dem Ox-Fanzine. Meine Tätigkeit liegt vor allem darin, die einkommenden Bestellungen zu bearbeiten, neue Artikel aufzustöbern und in die Warenwirtschaft aufzunehmen, telefonieren, E-Mails beantworten, den Onlineshop pflegen, und, und, und ... Kurz kann man alle Tätigkeiten wohl nicht auflisten, ein Mailorder bringt massig viel Arbeit mit sich, das würde hier wohl den Rahmen sprengen.
Ritchie: Mein Name ist Ritchie und ich bin so etwas wie die graue Eminenz bei Screaming Apple Records. Unser musikalischer Schwerpunkt liegt im Bereich Garage und Powerpop, und es sei zu erwähnen, dass circa 80 Prozent unserer Veröffentlichungen noch immer „Vinyl only“ sind.
Wie und wann und wo kamst du das erste Mal mit einer Schallplatte in Kontakt, und welche Platte war das?
Lutz: Die erste Schallplatte, an die ich mich jetzt noch erinnere, war das Hörspiel vom kleinen Muck, die war prima. Meine erste „richtige“ Scheibe war natürlich eine von den BEATLES, so eine „Best Of“-Bücherclub-LP meiner Eltern. Die habe ich so oft abgespielt, dass sie irgendwann so dünn war wie eine Flexi. Natürlich auf einem dieser 70er-Jahre-Plattenfräser – wunderbar.
Ritchie: Meine Eltern hatten natürlich eine Stereoanlage, um in den Siebzigern ihre Partys zu beschallen und Weihnachten akustisch einzuläuten, und so durfte ich dann auch mal ihre „20 Power-Hits“-Kollektion von K-Tel bestaunen und auflegen. Meine erste Single war „Blockbuster“ von SWEET und mein erstes richtiges Album war „Billion Dollar Babies“ von ALICE COOPER.
Was macht für dich den Reiz von Vinyl aus?
Lutz: Ich habe schon immer eine große Liebe für Vinyl gehabt. Eine Platte, die kratzt, wurde häufig abgespielt, also mag man sie. Eine Schallplatte ist ein Gesamtkunstwerk, das Cover, das schwarze Vinyl – farbiges Vinyl geht mir am Arsch vorbei und Picture-Discs sind eine stillose Erfindung von Sammlern, die sich so etwas womöglich an die Wand hängen wie ein Bild. Klar ist man auch irgendwie am Vinyl hängen geblieben, da ja zu der Zeit, als ich selbst am meisten Schallplatten gekauft habe, noch keine CDs produziert wurden.
Ritchie: Vinyl hat etwas Erhabenes. Es weckt Entdeckerinstinkte und Erinnerungen. Musik und Vinyl sind für mich für alle Zeiten untrennbar miteinander verbunden.
Wie stehst du zur angeblichen klanglichen Überlegenheit von Vinyl?
Lutz: Also bei der Frage klinke ich mich mal aus. Ich bin da eher einer, der da wirklich keine großen Unterschiede hört. Das ist für mich das Gleiche wie Mac- gegen PC-User. Da werden Unterschiede aufgezeigt, die letztendlich so minimal sind, dass es der geneigte Hörer gar nicht mitbekommt. Bei der Art von Musik, die ich höre, fällt das wohl weniger ins Gewicht, dafür rumpelt und kracht es beim Garage- und Sixties-Punk doch zu sehr. Eventuell denken Menschen, die sich abends beim Rotwein auf einem 20.000 Euro teuren High-End-Plattenspieler Klassikplatten anhören, ganz anders. Ich habe an meinem aktuellen Technics seit zwölf Jahren die Nadel nicht gewechselt, geht doch!
Ritchie: Gerade die 7“-Single in all ihrer klanglichen Ausdrucksstärke lässt den Sound einer CD zu steril wirken und somit um Längen hinter sich.
Sammelst du Schallplatten oder CDs?
Lutz: Das Sammeln von Schallplatten habe ich schon lange aufgehört. Der Job bringt es mit sich, dass man täglich immer wieder neue Platten zu hören bekommt, man den ganzen Tag mit Musik zu tun hat. So nehme ich mir wirklich nur die Sachen für meinen Privatschrank mit, die mir wirklich gut gefallen. Großer Sammler war ich eh nie, hat mich immer an Briefmarkensammeln erinnert. Warum soll ich mir von einem Label wirklich alles kaufen, wenn die eine oder andere Band wirklicher Mist ist? Dafür sind mir mein Geld und meine Zeit zu schade. CDs machen es mir natürlich einfacher, aber wenn ich eine Platte wirklich spitze finde, versuche ich sie auch auf Vinyl zu bekommen.
Ritchie: Na klar, seit über 25 Jahren und ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Drang einmal enden wird.
Welche Veränderungen in deinen Kauf-, Sammel- beziehungsweise Hörgewohnheiten hast du über die letzten Jahre beobachtet?
Lutz: Es kommt bei mir immer auf meine Stimmung an, ob ich privat nur eben nebenbei eine CD höre, um Hintergrundmusik zu haben, oder ob ich mich durch einen Berg neu erstandener Singles wühle und die zur Freude meiner Nachbarn bis spät nachts abspiele. Ich kaufe nur noch das Nötigste, auch bei einem Mailorder-Mogul sitzt das Geld nicht mehr so locker. Ich kann mich aber bestimmt nicht beschweren, Langeweile kommt selten vor bei meiner zur Verfügung stehenden Auswahl.
Ritchie: Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muss ich sagen, dass ich in den letzten Jahren bevorzugt CDs gekauft habe, was allerdings in erster Linie auf die mittlerweile sehr begrenzten Unterbringungsmöglichkeiten von Schallplatten in meinen vier Wänden zurückzuführen ist. Doch all meine Vorsätze, weniger Vinyl kaufen zu wollen, enden spätestens beim Sichten der neusten 7“-Releases. Da muss dann doch noch ein Eckchen im Plattenregal freigeschaufelt werden.
Welche schrullige Eigenheit im Umgang mit Vinyl beobachtest du bei dir?
Lutz: Seltsame Frage. Ich muss gestehen, dass ich nicht sonderlich pingelig im Umgang mit Platten bin, meist steht immer ein großer Stapel vor meinem Home-Entertainment-Center und das Einsortieren nach Alphabet habe ich schon lange aufgegeben. Daher muss ich auch manchmal nachts, wenn ich eben genau das Stück von den Soundso hören möchte, schon mal lange suchen, bis ich die Scheibe gefunden habe. Also, keine Besonderheit zu erkennen.
Ritchie: Ich habe im Büro meine Lieblingsplatten in Klarsichthüllen an die Wand gehängt. Das wäre mit CDs für mich nicht vorstellbar!
Lutz, wie haben sich die Vinylverkaufszahlen im Mailorderbereich in der Zeit entwickelt, in der du Soundflat betreibst?
Lutz: Ich denke, die Verkaufszahlen bewegen sich auf einem stetigen Niveau. Zu meinen Anfangszeiten haben wir ja fast gar keine CDs im Programm gehabt, nun werden es immer mehr. Es kommt sehr auf die Stilrichtung an. Garage & Sixties, Soul oder Punkrock verkauft sich meist im Verhältnis 5:1 als Vinyl, bei Powerpop und melodischeren Sachen ist die CD fast gleich auf. Je älter die Kunden, umso mehr CDs werden gekauft, das ist so meine Erfahrung.
Ritchie, wie haben sich die Vinylverkaufszahlen bei deinem Label über die Jahre entwickelt?
Ritchie: Vinyl verkauft sich immer schlechter und das ist nicht nur bei uns der Fall. Da können die Pressesprecher der Majors erzählen, was sich wollen.
Wie haben sich die Schallplattenpreise über die Jahre entwickelt?
Lutz: Ich denke, die Vinylpreise sind unglaublich stabil. Wenn ich daran denke, dass in meiner Jugend LPs immer für um die 20 DM im Laden zu erstehen waren und heute eine Platte auch meist um den adäquaten Euro-Kurs zu haben ist, ist das schon eine Entwicklung, die genau gegensätzlich zu den ansonsten in fast allen Bereichen gestiegenen Preisen läuft. Lediglich Singles werden leider immer teurer, da die Auflagen immer kleiner werden. Ein weiterer Vorteil ist auch der seit längerem gute Euro-Kurs. In den 80ern kostete eine CHESTERFIELD KINGS-LP bei meinem Lieblingshändler mal eben 36 DM, da US-Import. Heute kostet sie um die 12 Euro. Das liegt aber auch daran, dass die Vertriebssituation heute bei weitem besser ist als damals.
Ritchie: Das ist einfach zu beantworten. Platten werden immer teurer, in der Produktion wie auch im Preis für den Endkonsumenten. Gerade die Preise für Majorlabel-Vinyl haben erschreckende Dimensionen angenommen.
Wie wichtig ist den Bands heute das Format, welche Veränderungen haben sich da ergeben?
Ritchie: Glücklicherweise ist es allen Bands, mit denen wir arbeiten, noch immer wichtig, ihre Veröffentlichungen auch als Vinyl in Umlauf zu bringen. Einige möchten ihr Album sogar nur als LP veröffentlicht sehen. Das finde ich sehr mutig und unterstütze das dann auch.
Welche Bedeutung hat die Kostenentwicklung in der Vinylherstellung bei der Entscheidung, ein Album als LP oder CD oder LP und CD zu veröffentlichen?
Ritchie: Die Kosten spielen natürlich eine Rolle, gerade bei den ständig steigenden Preisen für Vinylpressungen, was uns aber nicht davon abhält, der LP höchste Priorität einzuräumen. Bei uns wird so ziemlich jedes Album auf Vinyl erscheinen, und wenn es die Band möchte, schieben wir noch eine CD-Version hinterher. Damit schwimmen wir gegen den Strom der VÖ-Philosophien der großen Labels, und schon das alleine gefällt mir sehr.
Welche Chancen bieten Sonderformate wie farbiges Vinyl, 220g-Vinyl und so weiter?
Ritchie: Ich bin kein großer Freund von Sonderformaten. Das hat für mich immer was von Verzweiflung. Wie kriege ich meine LP-Auflage am besten für teuer Geld unters Volk? Klar, farbiges 220g-Vinyl wird die Sammler schon aus ihren Löchern locken. Da wird die LP dann wegen der „Extras“ gekauft und nicht wegen der Musik, die aber meines Erachtens beim Kauf in jedem Fall im Vordergrund stehen sollte. Das finde ich etwas befremdlich.
Lutz, wie hat sich das Verhalten der Käufer entwickelt?
Lutz: In Zeiten wie den heutigen, wo alles teurer wird, mehr und mehr Leute ihren Job verlieren oder erst gar keinen bekommen, ist natürlich das Geld für ein Luxusgut wie Schallplatten etwas knapper bemessen. Das merkt man schon, es kommen zwar täglich neue Kunden dazu, die Bestellungen sind aber im Schnitt nicht mehr so groß und beschränken sich auf eher bekanntere Bands. Natürlich haben die Kunden durch das Internet auch viel mehr Möglichkeiten, sich Stücke von Bands vorab anzuhören und damit den Fehlkauf, den wohl jeder von uns schon allzu häufig erlebt hat, auf ein Minimum zu beschränken. Zum Glück haben wir einen sehr, sehr großen Anteil an Kunden aus dem Ausland, die schon auf Grund der höheren Portokosten gerne mal einen größeren Posten erstehen.
Inwieweit besteht ein Zusammenhang zwischen dem Anteil der Vinylverkäufe und dem Genre? Sprich: Kaufen beispielsweise Garage-Fans eher Vinyl als Hardcore-Fans?
Lutz: Das habe ich im Prinzip schon weiter oben beantwortet. Bei Soundflat werden fast nur Garage-, Sixties- und Punkrock-Scheiben verkauft, kein Hardcore, daher kann ich da wenig zu sagen. Bei uns kaufen viele Sammler, die vor allem Singles und LPs in Mikroauflagen kaufen möchten. Und Garage wird nun mal meist auf Vinyl gehört.
Was beobachtest du auf Seiten der Labels und Großhändler im Umgang mit Vinyl?
Lutz: In Zeiten knapper Kassen werden immer weniger Veröffentlichungen auf beiden Formaten angeboten. Kleinstlabel, die nur aus Hobbygründen Platten veröffentlichen, überschwemmen den Markt mit leider auch meist unnötigen Releases und verunsichern die Käufer, die meist gar nicht mehr wissen, was sie denn nun kaufen sollen und können. Größere und etablierte Labels verzichten immer mehr auf Vinyl und belassen es bei CDs, die sind billiger in der Herstellung und das Risiko, auf einer Auflage sitzen zu bleiben, ist geringer. Vinyl wird hauptsächlich in Deutschland und Spanien verkauft. Der Vertrieb von CDs ist weniger kompliziert, die Gefahr von Mängelretouren ist weitaus geringer als bei Vinylveröffentlichungen, wo schon mal gerne eine ganze Lieferung beim Transport zerstört wird, zerknickte Cover, ja manchmal sogar Bruchschäden. Leider arbeiten bei Speditionsfirmen Metzger, die nicht gerade zimperlich mit Paketen umgehen. Ich denke, dass sich in absehbarer Zeit der Markt von selbst bereinigen wird. Kleine Labels werden schnell einsehen, dass es nicht gerade leicht und lukrativ ist, Schallplatten zu verkaufen.
Ritchie: Die Vertriebe fragen immer weniger Vinyl nach, während der Einzelhandel bei uns fast ausschließlich Vinyl ordert. Viele Labels bieten gerade in den letzten Jahren – im Zuge der Veröffentlichung ihrer neuen Alben – auch limitierte Vinylversionen an, was einmal mehr unterstreicht, dass die LP einfach nicht tot zu kriegen ist.
Wie wird die Zukunft in Sachen Vinyl aussehen?
Lutz: Ich bin bester Hoffnung, dass sich die Vinylplatte noch eine lange Zeit behaupten wird, gerade in unserer Kundschaft. Eine CD, oder noch schlimmer eine selbst gebrannte Kopie, kann eine Vinylscheibe nicht ersetzen. Gerade eine selbst gebrannte CD, womöglich noch mit Einsen und Nullen aus dem World Wide Web zusammengestellt, ist nichts anderes als ein billiges Stück Plastik ohne Seele und Daseinsberechtigung. Und das hat die Musikindustrie mal wieder viel zu spät erkannt: Eine CD kann man ohne Beschränkung in den meisten Fällen vervielfältigen und an Bekannte weitergeben. Das Brennen einer Vinylscheibe sollte aber auch dem findigsten Hobbybastler schwer fallen. In diesem Sinne: Viva la Vinyl!
Ritchie: Solange es Rock’n’Roll gibt, wird Vinyl einen Platz im Musikgeschäft haben. Das wird auch weiterhin nur der Sperrsitz sein, doch es gibt ja schließlich eine Menge Leute, die bevorzugt die billigen Plätze belegen.
www.soundflat.de
www.creaming-apple-records.de
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