UXB

Foto© by Junelillian

Ausgebombt

Bandintern wird bei UXB aus Los Angeles gerne mal von „U X BOMBS“ gesprochen, was exakt auf den Punkt bringt, worum es sich hier handelt: Um den vernünftigen Teil der Besetzung der legendären LA-Punkband U.S. BOMBS. Dieses Line-up, das sind Kerry Martinez (SHATTERED FAITH, BAD LUCK CHARMS), Wade Walston (SUBURBIA, DI, AGENT ORANGE), Chip Hanna (ONE MAN ARMY, WEIRDOS, TSOL, CHIP HANNA AND THE BERLIN THREE) und Jesse Wagner (THE AGGROLITES), gefühlt 300 Jahre kombinierte LA-Punk-Geschichte, die ich mir von der Band mal ausbreiten ließ.

Habt ihr jemals ausgerechnet, wie viele Jahre „Dienst am Punkrock“ bei UXB zusammenkommen? Bestimmt mehr als ein Jahrhundert, schätze ich ...

Kerry: Es müssen etwa 300 sein, viele davon waren Hundejahre.
Jesse: Ich bin der Neue in der Band. Ich war von Mitte der Neunziger Jahre bis etwa 2002 Schlagzeuger in einer Punkrock-Band und U.S. BOMBS waren für uns ein großer Einfluss. Chip Hanna war der Punkrock-Schlagzeuger, der mich am meisten inspiriert hat. Insofern ist es für mich eine große Ehre, bei Chip, Kerry und Wade mitmachen zu können. Es gibt nichts Besseres als die Erfahrung, sich mit seinen musikalischen Vorbildern zusammenzutun, und, was noch wichtiger ist, sich mit ihnen so sehr anzufreunden.

Euer Label listet folgende UXB-Mitglieder inklusive anderer oder früherer Bands auf: Kerry Martinez – SHATTERED FAITH, BAD LUCK CHARMS. Wade Walston – SUBURBIA, D.I., AGENT ORANGE. Chip Hanna – ONE MAN ARMY, WEIRDOS, T.S.O.L. Jesse Wagner – THE AGGROLITES ... Fehlt was?
Chip: Ja, CHIP HANNA AND THE BERLIN THREE.

Und noch eine fehlt definitiv: Ihr seid bis 2013 Teil der U.S. BOMBS gewesen, bevor ihr Sänger Duane Peters wegen „divergierender politischer Ansichten“, wie es heißt, verlassen habt. In den folgenden Jahren veröffentlichte Duane diverse dumme Posts, die Homophobie und Pro-Trump-Aussagen enthielten. Angeblich hat Duane schon lange vorher fragwürdige Bemerkungen losgelassen. Was war für euch letztendlich der Grund, den Kontakt zu ihm abzubrechen?
Kerry: Es war während unserer Europatournee im Jahr 2013. Irgendwann mittendrin war das für uns erledigt. Als wir wieder in den USA zurück waren, entschieden wir drei, dass es vorbei ist. 2018 war dann ein Label daran interessiert, eine neue U.S. BOMBS-Platte zu veröffentlichen. Wir sprachen kurz darüber, und das war das erste und einzige Mal seit über sechs Jahren. Chip, Wade und ich trafen uns mit dem Label. Wir hatten gerade zwei Lieder für unser neues Projekt UXB aufgenommen. Wir ließen Leute vorsingen, aber das Label stellte eine neues Line-up für U.S. BOMBS und eine neue Platte zusammen.
Chip: Duane hat sich irgendwann politisch für eine bestimmte Seite entschieden. Die Tiraden und Statements kamen erst später. Für mich war das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.

Die Punk- und Hardcore-Szene ist grundsächlich sehr bunt und vielfältig, sie hat prinzipiell eher fortschrittlichere Tendenzen, wobei die Szene in L.A. angeblich von je her auch konservative Züge aufweist. Wie wichtig ist es für euch, mit diesen unterschiedlichen Meinungen umgehen zu können – und wo zieht ihr als Band eine Grenze?
Kerry: Vielfalt ist eine gute Sache. Die Bereitschaft, offen zu sein und das Ego oder den Glauben beiseite zu schieben, um zu wachsen, ist gut. Auch die Fähigkeit, sich anzupassen, sich zu verändern und zu verstehen, ist wichtig, damit Menschen miteinander leben können. Die Menschen hatten schon immer verschiedene Meinungen, das reicht über zwei Millionen Jahre zurück, als wir erstmals auf Erden wandelten, und heute machen wir noch die gleiche Scheiße. Wenn etwas zufällig die Meinung der Mehrheit war, wurde daraus ein Gesetz gemacht, nur um bald wieder abgeschafft zu werden. Wir leben in sehr seltsamen Zeiten, und von anderen Zeitaltern trennt uns immer nur eine verschwommene Linie. Sie existiert nicht einmal für diejenigen, die nichts zu gewinnen oder zu verlieren haben. Wie können wir das also ausgleichen? Wenn dann noch erlernte Verhaltensweisen und eine Fülle an seelischem Leiden dazukommen ... Hass ist Hass und töten ist töten, das muss ein Ende haben.
Chip: Wir werden bewusst gegeneinander aufgehetzt, anstatt dass wir gemeinsam agieren. Mir scheint, dass jene, die für Versöhnung eintreten, immer zurückgedrängt werden. Wir versuchen mit Menschen so umzugehen, wie wir selbst behandelt werden wollen.

UXB sind eine andere Band, ich weiß, und ich weiß auch, dass ihr nicht mit U.S. BOMBS in Verbindung gebracht werden wollt ... aber schon euer Name hat eine offensichtliche Gemeinsamkeit, oder?
Jesse: Ich erinnere mich, dass die Jungs die Gruppe zuerst BOMB CITY ROCKERS genannt hatten, bevor ich dazukam. Ich mochte den Namen, aber ich hatte immer das Gefühl, dass alles mit „City Rocker“ völlig überstrapaziert ist, sogar durch Bands, die ich aus der Ska/Reggae-Szene kenne. Ich habe dann mit einem Freund darüber gesprochen. Er ist ein großer U.S. BOMBS-Fan, und um sich über mich lustig zu machen, meinte er ohne lange nachzudenken: „Also wie wird das Projekt heißen, U-Ex-Bombs?“ Ich fand das ziemlich witzig und dachte, dass UXB eigentlich cool klingt. Ich habe es den Jungs erzählt, und sie dachten dasselbe, also blieben wir dabei. Kurz danach fragte ich unseren guten Freund Tokyo Hiro, ob er ein Logo mit den Buchstaben „UXB“ entwerfen könne. Etwas, das Kinder nachzeichnen und auf ihre Jacken schablonieren können. Wir haben uns sofort in sein Logo verliebt, weil er die Buchstaben „UXB“ wie eine Bombe aussehen ließ. Es blieb so und das war’s. Mehr gibt’s dazu nicht zu sagen.
Wade: Wir werden immer mit den U.S. BOMBS in Verbindung gebracht werden. Ich finde nicht, dass das etwas Schlechtes ist. Wir sind alle stolz auf die Arbeit, die wir mit den Bombs geleistet haben. Alles weitere hat dann einfach seinen Lauf genommen. UXB sind eine neue Band mit neuen Songs. Als Fan würde nicht davon ausgehen, Songs von U.S. BOMBS live zu hören zu bekommen. Vielleicht die Punk-Version eines AGGROLITES-Songs.

Euer Album gefällt mir sehr gut, es ist musikalisch sehr vielfältig. Es hat Surf-Elemente, klassischen L.A.-Punk, Ska und sogar etwas Heartland-Rock à la Bruce Springsteen. Und ihr habt dem Ganzen noch Orgelklänge hinzugefügt. Was war also eure Idee, euer Plan für „Westworld Crisis“?
Kerry: Für mich ging es mehr darum, eine solide Platte zu machen, so eine wie die, mit denen ich aufgewachsen bin. Platten mit Abwechslung, wie die von QUEEN oder THE WHO. Beim Songwriting denke ich nicht wirklich nach, etwa darüber, worum es bei dem Song gehen gehen wird. Ich lasse es einfach fließen. Es dauerte dann aber nicht lange, bis wir die Texte hinzufügten und die Lieder als Demo aufnahmen. Da fingen die Stücke an, zu uns zu sprechen. Wir bauten einfach auf unseren Ideen auf und hatten Spaß daran. Am Anfang von „Night marchers“ gibt es zum Beispiel dieses Windgeräusch von Jesse, der seine Hände als Pfeife benutzt, mit Delay darauf. Dann schneite der Rastafari Micah ins Studio, der ein Freund von Jesse ist, und spielte Trommel zu diesem Lied. Es war wirklich großartig, mit ihm über das Leben und Spiritualität zu sprechen. Wir ließen auch unseren guten Freund Ace von Johnson – L.A. GUNS, FASTER PUSSYCAT, GENERATORS – ein Gitarrenriff im THIN LIZZY-Stil für „Phoenix“ spielen, und Pete Sosa – STREET DOGS, CJ Ramone – kam vorbei und mischte bei einigen Stücken etwas Tamburin darunter. Bei anderen Liedern konnten wir Tonarten hören, noch bevor wir sie hinzugefügt hatten. Zu unserem Glück nahmen wir im Kitten Robot Studio von Paul Roessler auf. Paul ist ein erstaunlicher Toningenieur und Musiker und hat schon mit Leuten wie Nina Hagen und THE SCREAMERS gearbeitet, um ein paar zu nennen. Er hat sein Mojo in die Aufnahmen eingebracht und das war genau das, was wir wollten. Einige der Texte bestanden zuerst aus ein paar Beobachtungen aktueller Ereignisse und daraus ergab sich irgendwie ein Thema.

Apropos, was ist die „Message“, was ist der Hintergrund des Titeltracks „Westworld crisis“?
Kerry: Es ist ein Lied über Hoffnung, Vertrauen und die Überwindung aller Probleme als ein geeintes Volk. Im Laufe der Geschichte haben wir verschiedene Versionen dieses Films gesehen. Die Sache ist kristallklar: Durch Zusammenhalt können wir fast alles schaffen. Ich würde ja gerne glauben, dass die meisten Menschen im Leben das Gleiche wollen. Und ich würde auch gerne glauben, dass die Menschen mehr gemeinsam haben, als sie trennt. Und wie es so schön heißt: „You never know who is going to give you your last cup of water.“ An einem Tag kannst du vielleicht jemanden nicht leiden, und am nächsten Tag stellst du plötzlich fest, dass ihr längst beste Freunde seid. Es geht auch darum, für sich selbst zu denken und zu hinterfragen, was in den Nachrichten kommt. Die Leute nehmen vieles für bare Münze, weil sie vertrauensvoll sind. Im Grunde haben wir immer alles, was uns unsere Eltern und Lehrer uns gesagt haben, als Wahrheit akzeptiert. Dasselbe gilt für die Nachrichten. Was ich sagen will: Wir brauchen einander mehr denn je.

Ein weiterer Song heißt „Elon Musk“. Was habt ihr über diesen neuen Heilsbringer des digitalen Zeitalters zu sagen?
Kerry: Der Typ ist ein Genie. Ich bin mir nicht sicher, ob er der Teufel ist oder der Erlöser. Er behauptet, dass Künstliche Intelligenz die der Menschen überholen wird. Vor allem wegen der schnellen Verarbeitung und des unbegrenzten Speichers, den Maschinen haben. Aber dann behauptet Musk auch, dass K.I. und Menschen eins werden und eine neue Spezies oder einen Hybriden schaffen werden. Es steckt also in den Lyrics ein wenig Sarkasmus, wenn es heißt: „Trust Elon Musk“. Ich möchte glauben, dass er auf der Seite der Guten kämpft, und dass die BrainPath Technology dazu eingesetzt werden könnte, um Menschen mit Hirnschäden, Tetraplegikern und anderen Personen, die in ihren Fähigkeiten eingeschränkt sind, zugute zu kommen. Er sagt auch, dass er oder eine andere Firma an einem Chip arbeitet, der in dein Gehirn implantiert wird und dann Informationen herunterladen und in bestimmten Gehirnregionen speichern kann. Wir müssen es schaffen, miteinander klarzukommen, bevor Maschinen das für uns regeln. Sonst sind wir verloren. Maschinen haben null Emotionen und geben einen Scheiß auf die Gefühle von irgendwem.

Wie ist das Leben im Sommer 2020 in L.A.? Irgendwelche Auftritte, Proben oder ist alles durch den Lockdown ausgesetzt?
Jesse: Für mich ist es eimne gute Gelegenheit, all das nachzuholen, was ich schon immer tun wollte, als ich ständig unterwegs war. Und es ist zwar schön, zu Hause bei meiner Familie zu sein, aber ich bin allmählich wieder bereit für einen Auftritt.
Wade: Jesse und ich sind in Kalifornien. Chip ist in Arizona und Kerry ist in New York. Wir freuen uns darauf, so bald wie möglich zusammenzukommen und die neuen Songs live zu spielen.

Besteht die Chance, dass man euch 2021 in Europa sehen kann, wenn dieser Alptraum vorbei ist?
Jesse: Wir hatten gehofft, euch früher zu sehen. Es war davon die Rede, im Oktober/November zu touren, aber die Pandemie schiebt all dem einen Riegel vor. Sobald die Situation besser ist, kommen wir auf jeden Fall zu euch, ich liebe eure europäische Mentalität. Außerdem kann ich mir endlich wieder einen guten Döner Kebap holen!