Ich habe immer noch Joachim´s eMail vor meinem Auge: "Jau Luitwin, schreib mal was fürs Ox über deine neue Heimat." Die eMail habe ich Ende September bekommen, mittlerweile hat schon das neue Jahr begonnen, und ich mache mich jetzt erst ans Schreiben ran. Ich bin eben einfach ´ne faule Sau. Anyway, als ich diese oben beschriebenen Zeilen gelesen habe, habe ich mir gedacht: "Mensch, Luitwin, dass ist deine Chance! Nach ein paar Plattenkritiken in der Ausgabe #28 bekomme ich endlich die Möglichkeit meinen Feldzug zum Infiltrieren des Ox in Angriff zu nehmen! Bald werde ich alle Führungspositionen innehaben und den Platz vom Ober-Oxe nJoachim besetzen, um somit das gesamte Ox-Imperium als mein Eigentum zu betrachten!" Ja, so war das damals.
Ihr fragt euch jetzt bestimmt worüber ich eigentlich schreiben will? Der Grund für das Angebot von Joachim, ein bisschen was zum internationalen Wert dieses Heftes beizusteuern, liegt einzig und allein darin, dass ich ein Ausstauschüler in Portales, New Mexico, USA, bin und ich ein Jahr meines noch recht jungen Lebens hier drüben in den Vereinigten Staaten verbringen werde. Da kann ich ja nun super an die Berichte von Wolfgang in den letzten paar Ausgaben (keine Ahnung welche Nummern das waren; Grüsse nach Alzheim) und an den Reisebericht von Joachim aus der 28 anknüpfen.
Puh, die Einleitung wäre geschafft! War gar nicht so einfach. Naja, die Hälfte meines Jahres als Austauschüler habe ich jetzt auch schon hinter mich gebracht und eigentlich bin ich recht froh darüber. Nicht dass es mir hier nicht gefällt, aber die Vereinigten Staaten sind echt lange nicht so "cool" und interessant, wie man das so in den Medien vorgegaukelt bekommt. Ich muss aber doch zu meiner Verteidigung sagen, dass ich hier wirklich am Arsch der Welt in einem 12.000 Menschen-Loch in mitten der Wüste sitze. Deshalb werde ich mich bei meinem Schreiben immer nur auf die gegebenen Umstände, sprich Stadt, Umgebung, Leute und soweiter, beziehen können. Vergesst das bloss nicht.
12.000 Einwohner, das mag sich für einige von euch gross anhören, dem ist aber echt nicht so. Ich kann euch versichern, in jedem letzen Kuh-Kaff in D-Land gibt es weitaus mehr Möglichkeiten, sich den Alltag zu versüssen. Ich bezweifle nicht, dass es in einer etwas grösseren und geographisch bevorzugteren Stadt in Amerika doch weitaus lebendiger und wohl auch entsprechend anders zugeht.
Hier gibt es einige Dinge, Sitten und Verhaltensweisen, die mich ziemlich geschockt haben als ich hierher kam, und die mich im Laufe der letzten Monate ins Grübeln gebracht haben. Da wäre zum Beispiel die Sache mit den religiösen Bibel-Fanatikern, zu denen sich ungefähr 95% der Bevölkerung in dieser Stadt zählen können, dann wäre noch der allgemein geduldete und gelebte Rassismus und Faschismus zu nennen, und natürlich die guten alten Cowboys und diverse andere ausgeartete (haha) soziale Gruppen.
Die Religion hier unten, nahe der Grenze zu Texas, im Ausläufer des Bibel Belts, regelt, bestimmt und kontrolliert den gesamten Ablauf der Lebensgewohnheiten eines Jeden. So gut wie jede Familie geht jeden Sonntag morgen und Mittwoch abend gutbürgerlich in eine der 63 Kirchen (das muss man sich mal vors Auge führen: 63 Kirchen auf 12.000 Menschen! Ich glaube Berlin hat sogar weniger Kirchen), um ihren Gott zu verehren, um mit gutem Gewissen ins Bett gehen zu können. Aufgrund des ganzen Bibelgesülzes und Gepredige ist es hier auch sehr schlimm mit Gay-Bashing und allgemeinem Hass gegen Homosexuelle und Andersdenkende. Ich höre immer nur das alte und nichtssagende Argument: "Gott sagt, dass Homosexuelle gegen ihn, die Natur und ihre Eltern rebellieren. Sie werden zur Hölle gehen!".
Ich selbst war vor drei Wochen mal mit einem Freund (übrigens ein Austauschüler aus Madrid, Spanien; seine Gasteltern zwingen ihn eine örtliche Kirche zu besuchen) in einer ziemlich grossen Kirche und war baff. Alle tun so, als wären sie unheimlich froh dich zu sehen, spielen die freundlichen Nachbarn und verstellen sich, um dich als neues Mitglied der Kirchengemeinde willkommen zu heissen, um somit ein weiteres Schaf Gottes für sich und ihre Zwecke zu unterwerfen. Zwei Tage danach habe ich dann einige von den Leuten getroffen, die ich in der Kirche kennengelernt habe, und siehe da, sie kannten mich nicht mehr. Kein Hallo, kein Willkommen, nur ein nichtssagender Blick. Schon komisch, oder? Aber auf die scheisse ich echt! Einen grossen, dicken, braunen, stinkenden Haufen!
Das Predigen und das Missionieren geht sogar so weit, dass mich wildfremde Leute in der Schule (ich besuche eine normale High-School und bin in der 12. Klasse) ansprechen, ob ich nicht Lust habe, mit ihnen am Sonntag in die Kirche zu kommen, um ihre Kirchengemeinde kennenzulernen. "Tschuldigung, aber ich will nicht so sein wie ihr", lautet dann meistens meine Antwort, um mir die Spinner vom Hals zu schaffen. Deswegen ernte ich auch desöfteren immer wieder böse Blicke von einigen sehr engagierten Kirchgängern. Sorry guys, ich werde kein KKKrist! No way.
Eine sehr lustige oder traurige Geschichte (wie man´s nimmt) will ich noch erzählen. Hier läuft so ein Typ herum, den ich an meinem ersten Schultag kennengelernt habe. Er trug ein THE SPECIALS-T-Shirt und sah auch sonst ganz nach Rude Boy aus, also sprach ich ihn an, weil ich mir dachte "Endlich mal einer, der meine Ansichten und musikalischen Vorlieben teilen könnte". Wir haben uns dann über alle möglichen Sachen unterhalten, und es kam heraus, daß er voll der harte Straight Edge-Fanatiker ist. Naja, kein Problem, solange er mich nicht bekehren will, habe ich so bei mir gedacht, obwohl mir ein Straight Edge-Rude Boy schon etwas spanisch vorkam. Am nächsten morgen auf dem Weg zur Schule kam dann die Überraschung: da hockt doch der selbe Kerl in der Wiese vor der Schule mit gefalteten Händen und ´ner Bibel in der Hand und betet! Ich habe ihn später an diesem Tag gefragt, ob ich mich verguckt hätte oder so, aber nö! Er erklärte mir mit aller Schärfe, daß er sein Straightsein und seine "Liebe zu Gott" zu einem "weltverbessernden Weg" verbinden würde. Ich war natürlich reichlich geschockt und verstehe solche Dummheit immer noch nicht. Einige Tage später habe ich dann gemerkt, daß er wohl nicht der einzige Straight-Edger mit einer Bibel im Tornister ist. Da muss ich doch echt überlegen, was hier falschgelaufen ist. Jugendliche, die sich wahlweise als Rude Boys oder S.H.A.R.P.-Skins bezeichnen, mit dicken schwarzen Xen auf den Händen und Kreuzen um den Hals, zwingen mich echt zum verständnislosen Kopfschütteln.
Der andere, sehr ins Auge springende Unterschied zu Deutschland ist die rassische Einteilung und Gliederung von Personen in verschiedene Gruppen. Das läßt sich zum einen an der geographischen Einteilung der Stadt oder des Parkplatzes der Schule sehen, zum anderen aber auch in der sozialen Verhaltensweise und Gruppierung von den meisten Jugendlichen. Die Stadt hat zum Beispiel zwei Teile, die durch die Bahngleise getrennt sind: da wäre das "Ghetto" der Mexican-Americans, auch liebevoll "Taco Town" genannt, und die andere Hälfte für die weissen Steuerzahler, die natürlich immer schön sauber gehalten wird und wo sich der Grossteil aller Restaurants und Geschäfte finden lässt. Wie ihr euch denken könnt, ist es um die Beziehung zwischen den beiden Gruppen nicht sonderlich rosig bestellt. Meine Gastmutter (in der Familie, mit der ich lebe) zum Beispiel haßt alle Mexikaner, weiss aber glaube ich selber nicht warum. Aber diese grundlosen Vorurteile sind doch auch in Deutschland nix neues.
Die soziale Einteilung ist aber noch viel schärfer und noch deutlicher zu sehen. Da gibt es zum einen die "Jocks", hauptsächlich weisse und ziemlich reiche Sportskanonen, die für ihre Football- oder Baseball-Künste in der ganzen Stadt bekannt sind, zu erkennen an allen nur erdenklichen Marken-Klamotten (mindestens je ein Kleidungsstück von Nike, Calvin Klein und Co.) und natürlich an teuren, schniecken Autos.
Dann sind da die "Gangstas", eine echte Attraktion, die man so in Deutschland nicht zu Gesicht bekommt. Wie in zahlreichen Filmen zu sehen und in Rap-Songs zu hören, sind das sehr harte Mexican-Americans in sehr weiten Hosen, die versuchen sehr viele Leuten umzuhauen. Die beiden "Gangs" hier, East-Side und South-Side bekämpfen sich immerzu und wollen die alleinige Herrschaft in Taco Town an sich reissen. Echt verrückt, das mitanzusehen.
Die dritte und mit Sicherheit fürs ausländische Auge am lustigsten anzusehende Gruppe sind die Cowboys, wobei man die Rednecks auch zu dieser Gruppe zählen kann. Ich würde die Cowboys als das amerikanische Äquivalent zu den deutschen Mofarockern bezeichnen. Ihr wisst schon, die langhaarigen Prolls mit Onkelz-Shirts, die dich am Sonntag morgen um 10 aus dem Bett schmeissen, weil sie im Hinterhof an ihren Möfken rumschrauben, um auch noch das letzte Dezibel aus dem Auspuff rauszuholen und dir den letzten Nerv zu rauben. Die Cowboys haben aber keine Möfken, sondern kutschieren ihren Arsch in irgendeinem alten, schrottigen und ebenfalls ziemlich lauten Pick-up-Truck herum. Solche Gesprächsthemen wie die Lautstärke ihrer Trucks oder das T-Bone-Steak, das sie gestern abend hatten, gehören zur Tagesordnung. Sie sind echt lustig anzuschauen mit ihren traditionellen Cowboyhüten, ihren Stiefeln und, wie kann es auch anders sein, alle mit ´nem dicken Klumpen Tabak im Maul. Das sind auch diejenigen, die die meisten Vorurteile und den grössten Hass gegen Schwarze, Homosexuelle oder Punks haben. Fucking Rednecks eben.
Über Amerika gibt es noch so viel zu erzählen, soviel zu hören und zu sehen, dass das an dieser Stelle einfach keinen Platz mehr findet. Ich hoffe, ich habe euch ein bisschen unterhalten und werde bei Gelegenheit mehr von mir geben. Rechnet aber so schnell nicht damit, ich bin eben ´ne faule Sau. Jedoch habe ich meine Hauptintention dieses Artikels erfüllt, denn der erste Schritt ist getan! Das Ox wird mir gehören!
Fragen, Kommentare und Liebesbriefe per eMail an: Lfritz@Pdrpip.com
May the Force be with you,
Luitwin
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #30 I 1998 und