In Ox 126 im Juni 2016 gab es ein erstes Interview mit ÜBERGANG aus Göttingen, deren Thrashcore mit deutschen Texten damals Helge begeisterte, obwohl noch keine Platte erschienen war. Mit „Zeichen der Zeit“ ist nun auf Demons Run Amok das erste Album der Band erschienen – Zeit für ein weiteres Interview mit Sänger Cliff.
Du versteckst zwar nicht gerade, dass es einerseits Sebi und STOMPER 98 gibt und zum anderen Cliff Nastii und ÜBERGANG, aber mir scheinst, du trennst die beiden Welten durchaus.
Damit liegst du gar nicht so falsch. Allerdings ist das anfangs eher aus internen Späßen entstanden. Wir lieben die Klassiker aus den Achtzigern, als es Gang und Gebe war, sich die absurdesten Pseudonyme zu geben, und so entstand mein Alter Ego Cliff Nastii. Die Trennung von ÜBERGANG und STOMPER 98 ist an manchen Punkten rigoros, mir ist es vor allem wichtig, ÜBERGANG als eigenständige Band zu betrachten. Es ist kein Projekt von mir, sondern nimmt mittlerweile einen großen Teil meines Lebens ein. Wir proben dreimal die Woche und S98 findet im Gegensatz dazu temporär über das Jahr verteilt statt.
„Zeichen der Zeit“ ist ein beeindruckend kraftvoll produziertes Album. Wie habt ihr dieses Ziel erreicht?
Zuerst wollten wir das Album in Eigenregie im Proberaum aufnehmen, stellten allerdings schnell fest, dort können wir nie alles einfangen, was die Songs hergeben. Wir kamen in Kontakt mit Dennis, dem Drummer von GUANO APES, und Godi Hildman und haben dann im Katzbach Studio begonnen, das Album aufzunehmen. Es war uns von Anfang an wichtig, eine klare, starke Produktion zu haben, und das haben wir akribisch bis zum Ende so beibehalten. Zwei erste Grundmixe wurden verworfen und wir fingen noch mal von vorne an, weil es einfach noch nicht so klang, wie die Songs sich im Kopf schon manifestiert hatten. Mit viel Eifer und auch Selbstdisziplin haben wir nach dem Aufnahmeprozess die Nächte im Studio verbracht und die Scheibe gemixt. Ich selbst war so gut wie immer dabei und regelrecht besessen davon, die Platte in dem Licht erscheinen zu lassen, wie ich sie hören möchte. Mit der ersten Platte wollten wir uns nicht hinter Produktionen, verstecken die aktuell ihren Weg in die Gehörgänge der Leute finden, und vor allem nicht aus missverstandenem Retro-Chic irgendetwas veröffentlichen, was nach Proberaum und fake oldschool klingt. Zum Mastern sind wir nach Dänemark zu Jacob Hansen gefahren und haben dort vor Ort die letzten Feinheiten festgelegt und die Scheibe fertiggestellt. Und wenn ich die Platte heute höre, dann bin ich froh, dass wir den aufwendigen Weg gegangen sind.
Klassischer Oi! einerseits, Oldschool Thrash andererseits verbindet – schlagen in deiner Brust zwei Herzen?
Mein Musikgeschmack ist sehr breitgefächert und seit früher Jugend begleiten mich Thrash/Crossover/Hardcore. Und für mich lag das alles nie sehr weit auseinander, weder musikalisch noch in dem, was transportiert wird. Zwischen „Bonded By Blood“ von EXODUS und „Voice Of A Generation“ von BLITZ liegen DISCHARGE und GBH. Und da ich mit Bands wie D.R.I., CRO-MAGS, KREATOR, NUCLEAR ASSAULT genauso groß geworden bin wie mit Punk und Oi!, habe ich nie drüber nachgedacht, was daran „anders“ ist. Roh, wild, ungestüm, antisocial, zügellos ... alles Dinge, die mein Herz aufgehen lassen, wenn ich Musik höre.
Wie bekommst du zwei Bands unter einen Hut, die ja sicher auch beide touren wollen, und das auch noch mit einem Job und Familie?
STOMPER 98 finden nicht in der Regelmäßigkeit statt wie ÜBERGANG. Wir wohnen alle an verschiedenen Orten und kommen zum Proben, Aufnehmen und Touren zusammen. ÜBERGANG begleiten mich hier in Göttingen, da wir alle fünf hier leben. Insofern ist es Teil des Alltags. Die Proben finden dann auch schon mal am Sonntagmorgen um acht statt, wenn es sich nicht anders einrichten lässt. Wir haben zum Glück einen Proberaum, wo wir im Prinzip kommen und gehen können, wie wir lustig sind. Das macht es einfach, viel und ausdauernd zu proben. Touren und Konzerte haben oberste Priorität und ich verzichte dafür eben auf andere Dinge, die Zeit in Anspruch nehmen. Innerhalb der Band haben wir auf jeden Fall festgestellt, mit der Kompromisslosigkeit, mit der wir ÜBERGANG betreiben, würde sicher nicht jeder klarkommen, der Musik macht. Es klappt nur so reibungslos, weil wir alle an einem Strang ziehen.
Im Ox-Interview 2016 berichtest du von deinem neuen Job in der Betreuung junger Geflüchteter. Wie hat sich deren Situation entwickelt, wie hast du die letzten Monate erlebt, zwischen den menschlichen Schicksalen, mit denen du im Beruf zu tun hast, und der rechten Hetze, die zum erschreckenden Abschneiden der AfD führte?
Von jener „Willkommenskultur“, die durch die Politik medial ausgeschlachtet wurde, ist nicht viel zu sehen im Alltag. Die sogenannten UMAs, die wir hier in Göttingen mit der Jugendhilfe betreuen, sind bei Behörden und Ämtern regelmäßig der Willkür einzelner Mitarbeiter ausgesetzt. Es gibt keinen „roten Faden“, was Asylentscheide angeht und teilweise hängen die Kids seit Jahren in der Luft, was ihren Aufenthalt betrifft. Die Jugendämter wollen so schnell es geht die Maßnahmen beenden, um Kosten zu sparen. Dass daran auch eine gelungene Integration scheitern kann beziehungsweise muss, ist in dem Moment zweitrangig. Es ist wie bei so vielen Themen, die wirklich wichtig für eine funktionale Gesellschaft sind. Entscheidungen werden nicht aus der Sichtweise heraus gefällt, was den Menschen, sondern was dem Geldbeutel guttut. In Göttingen haben wir ein Betreuungskonzept, bei dem die Kids übers Stadtgebiet verteilt in WGs untergebracht sind und nicht zentral. Dadurch sind sie nicht permanent unter sich und durch die Schule oder Ausbildung und mit der Betreuung, wie sie durch die Jugendhilfe geleistet wird, haben sie gute Möglichkeiten, einen geregelten Alltag zu führen. Es ist frustrierend zu sehen, wie der alltägliche Rassismus die Menschen im Griff hat. Das sind meine subjektiven Erfahrungen alleine nur aus dem Alltäglichen, wie Wohnungs- und Jobsuche.
Wieso eigentlich Thrash mit deutschen Texten? Der Charme des Genres war ja immer auch irgendwie, dass die in den Achtzigern gegründeten und bald international erfolgreichen deutschen Thrash-Hereon KREATOR, SODOM und DESTRUCTION bei ihren englischen Songs diesen deutschen Akzent hatten.
Die ersten Stücke waren noch nicht so thrashig, die Entwicklung kam nach und nach, als unser Leadgitarrist J.C. Lawless in die Band kam. Die von dir genannten Bands haben mit ihren frühen Werken auch einen großen Einfluss auf ÜBERGANG, allerdings nie in dem Sinne, dass wir wie eine andere Band hätten klingen wollen. Die deutschen Texte standen nie infrage, da es mir erlaubt, alles zu sagen, was meine Gefühlswelt zulässt. Auf Englisch ist mir das bisher nicht gelungen. Ich bin auch kein Fan davon, Dinge zu kopieren oder nachzumachen. KREATOR, SODOM oder DESTRUCTION haben seinerzeit auch Einflüsse und Inspirationen gesammelt und das, was VENOM und so weiter angefangen hatten, aufgegriffen und etwas Eigenes daraus gemacht. Ich kann mir nicht vorstellen, das dort etwas am Reißbrett entstanden ist.
Kannst du uns einen Text nennen und erläutern, der dir auf „Zeichen der Zeit“ besonders wichtig ist?
Es fällt mir unwahrscheinlich schwer, da explizit einen Text rauszupicken, da mir jeder Song sehr viel bedeutet. Grundsätzlich beschäftigen sich die Lyrics mit dem inneren Blick auf die Welt und mit der totalen Vergänglichkeit. Kein Tag ist wie der andere und schon morgen kann alles anders sein. Dieser permanente „Übergang“ ist ein Hauptmotiv unserer Texte. Mir ist es nicht wichtig, eine Botschaft zu vermitteln oder aus einem subkulturellen Kontext heraus Musik zu machen. Es spielt sich alles auf der persönlichen Ebene ab.
Als Cover-Artist habt ihr euch den für einige Thrash-Klassiker verantwortlichen Craig Holloway ausgesucht.
Craig hat schon für STOMPER 98 Tourplakate entworfen, und er war schon meine erste Wahl für das Artwork bei ÜBERGANG. Den Kontakt haben unser Label Demons Run Amok und Marc Nickel von M.A.D. Tourbooking hergestellt. Musik und Artwork gehen für mich Hand in Hand, und dementsprechend wollten wir das einfangen, was sich auch musikalisch bei ÜBERGANG abspielt. Mittlerweile haben wir zwei weitere Motive von Craig, die sich auf das Cover aufbauen beziehungsweise es fortsetzen. Das ÜG-Phantom hat für mich schon ein Eigenleben entwickelt und steht parallel zur Musik für sich selbst.
Was steht für die nächsten Monate für ÜBERGANG auf dem Programm ... und was für STOMPER 98?
Neue Songs sind schon in der Mache und wir wollen natürlich so viel live spielen, wie es möglich ist. Das Booking für Clubgigs, Touren und Festivals dazu ist in vollem Gange. STOMPER 98 haben 2018 ihr zwanzigjähriges Jubiläum und Anfang 2018 kommt der neue Longplayer. Dazu ein paar Touren über das Jahr verteilt und Festivalauftritte. Also ich werde viel unterwegs sein und freue mich sehr auf das, was da vor uns liegt.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #144 Juni/Juli 2019 und Helge Schreiber
© by Fuze - Ausgabe #67 Dezember/Januar 2017 und Georg Büchner
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #135 Dezember/Januar 2017 und Helge Schreiber