Der Mann, der mir da gegenübersitzt, hat graue Haare und erinnert mich an einen Lehrer, den ich früher mal hatte. Der freilich war nicht mal halb so cool wie TV Smith, ein Londoner Punk der ersten Stunde, der einst Kopf der UK-Punk-Legende THE ADVERTS war: gibt es da draussen etwa jemanden, der "Gary Gilmore´s Eyes" nicht kennt? TV Smith ist heute weit über 40, aber der Musik treu geblieben und hat unlängst auf JKP, dem Label der TOTEN HOSEN, ein neu eingespieltes "Best Of..."-Album herausgebracht, bei dem ihn die Labelchefs selbst als Backing-Band dienten. Sein Besuch im Düsseldorfer JKP-Büro war eine gute Chance, sich mit Mr. Smith mal zu unterhalten - auf Deutsch.
Du erzähltest eben schon von deiner letzten Tour in England: kleine Kneipen, deineOne-Man-Show, bei anderen Leuten auf dem Fußboden schlafen.
Haha, ja, was für ein Leben nach 25 Jahren. Aber weisst du, es lohnt sich irgendwie, obwohl mir mit meinen 44 Jahren ein eigenes Bett doch ganz lieb ist. Aber es ging mir auch schon schlechter als heute: die ganzen Achtziger hindurch habe ich nur Konzerte gespielt, wo die ganze Band hinterher auf dem Boden schlafen musste.
Da ist das hier ein ziemlicher Gegensatz: die TOTEN HOSEN, Freunde von dir, haben es mit Punkrock zu Millionären gebracht.
Naja, die Hosen sind eben sehr geschickt gewesen. Sie sind berühmt, sie sind eine Stadionrock-Band, aber trotzdem haben sie mir das Geschenk gemacht, sie für diese neue Platte als Backing-Band zu haben. Deshalb sind sie mir auch sympathisch: sie geben der Szene immer etwas zurück von ihrem Erfolg, holen sich etwa unbekannte, kleine Bands als Vorband und nehmen sie mit auf Tour. Ich habe mit vielen von diesen Bands gesprochen, die davon auch im Nachhinein begeistert waren und denen das was gebracht hat. Meine erste Erfahrung war, dass sie mich damals eingeladen haben, für "Learning English" mit ihnen ein Lied aufzunehmen. Bis dahin kannte ich die gar nicht, ich wusste nicht, dass die in Deutschland so berühmt sind, und als mir das dann jemand erzählte, fand ich ihre Idee, die Roots von Punkrock mal wieder vor Augen zu führen, noch viel besser. Sehr oft vergessen Bands, wenn sie groß und berühmt sind, ihre Wurzeln.
Diese "Learning English"-Aktion Anfang der Neunziger war also euer erster Kontakt. Wie ging´s dann weiter? Dein letztes Solo-Album kam ja auch über JKP.
Seit damals waren wir ständig in Kontakt, sind gute Freunde geworden und haben uns immer wieder getroffen. Campino hat mir immer wieder angeboten, mir zu helfen, und so hat sich das dann ergeben. Ich habe ihnen aber auch geholfen und die Texte der Hosen ins Englisch übersetzt. Im letzten Jahr haben wir dann diese "Best of..."-CD in Angriff genommen.
Da sind zum einen alte Klassiker von dir enthalten, aber etwa mit "It´s expensive being poor" auch Songs von deiner letzten Solo-Platte.
Ja, und ich fand es einfach gut, meine Sachen alle nochmal so gebündelt aufzunehmen. Weisst du, ich hatte sehr lange kein richtiges Label mehr, habe nie regelmäßig mit einer Band im Studio gearbeitet, und so klang jede Platte anders, woran es auch nichts auszusetzen gibt. Diesmal aber hatte ich die Möglichkeit zu zeigen, wie meine Sachen klingen, wenn man sie mal mit einer Band einspielt. Das ist alles durchgängiger, und ich kann damit zeigen, dass Sachen aus einem Zeitraum von 15 bis 20 Jahren zwar auf Platte sehr verschieden klingen, wenn sie aber von einer Band am Stück gespielt werden eigentlich viel mehr gemeimsam haben.
Normalerweise erkennt man die TOTEN HOSEN sofort, sowohl an Campinos Gesang wie auch an der Musik. Bei dieser Platte mit dir merkt man zwar auch, dass da die Hosen beteiligt sind, aber es fällt gar nicht so stark auf.
Ja, das stimmt, und es lief einfach sehr gut im Studio. Ich wusste ja auch nicht, worauf ich mich da einlasse. Als Campino mit der Idee ankam, dachte ich zuerst, ich müsse jetzt die ganzen alten ADVERTS-Sachen mit ihnen spielen und dürfe keine neuen Sachen anbringen. Ich sagte ihm das, und er meinte nur, ich dürfe natürlich alles machen, was ich will, nicht nur die punkrockigen Sachen. Das hätte mich auch echt nicht zufriedengestellt, denn ich kann viel mehr als nur das. Als wir uns dann im Proberaum eingespielt haben, war ich echt beeindruckt, wie gut das mit den Hosen klappt, gerade auch mit den verschiedenen Musikstilen. Ich denke, die Platte zeigt deshalb auch eine andere Seite der TOTEN HOSEN. Wir waren zwar auch etwas gestresst bei der ganzen Sache, andererseits aber auch sehr motiviert, gerade ich freute mich, mal wieder mit einer Band arbeiten zu können, und ich denke, das hört man der Platte auch an. Die Hosen waren schließlich auch sehr locker bei der Arbeit, denn sie mussten sich nicht ums Songwriting kümmern, denn es war ja schon alles da.
Und der Erwartungsdruck, der bei einem Hosen-Album von Seiten der Fans und der Medien auf der Band liegt, war ja wohl auch nicht vorhanden. Was erwartet ihr denn eigentlich von dem neuen Album? Für die Massen ist das ja wohl eher nichts, oder?
Warum nicht, wäre meine Gegenfrage, aber du hast schon recht, das Musikbusiness ist komisch und Erfolg hat nicht unbedingt was mit guter Musik zu tun. Man kann also nicht sagen, wie das laufen wird.
Wie verkaufen sich denn deine alte Sachen? Verschiedene ADVERTS-Compilations sind ja noch erhältlich, etwa die Singles-Collection auf Anagram.
Ich habe keine Ahnung. Die Alben sind jedenfalls derzeit nicht zu bekommen, und auch bei den EXPLORERS, meiner zweiten Band, sieht es schlecht aus. Fast alle meine Platten sind also derzeit nicht zu bekommen. Kommerziell läuft´s für mich also nicht so gut, haha.
Von was lebst du dann, wenn ich fragen darf?
Ich gehe viel auf Tour, und es gibt ja doch einige Compilations, auf denen die ADVERTS-Sachen enthalten sind, da kommt von Zeit zu Zeit ein Scheck. Dazu kommt die Arbeit für die Hosen, und alles zusammen reicht dann irgendwie.
Du hast schon Musik gemacht, als die Hosen wahrscheinlich gerade erst anfingen Musik zu hören. Du gehörst damit einer anderen Generation an - spielt das denn eine Rolle, macht sich das irgendwie bemerkbar, wenn man zusammen spielt?
Ich denke, es ist völlig egal, wie alt man ist oder zu welcher Generation man gehört. Nein, wichtig ist, dass man die gleiche Auffassung davon hat, was ein guter Song und was ein guter Text ist. Und die Energie muss stimmen: da ist es dann egal, ob da ein neunzehnjähriger Punk auf der Bühne steht oder Iggy Pop mit beinahe sechzig. Und ich sehe derzeit auch in England, dass sich wieder mehr Kids für Punkrock interessieren: die kaufen sich die ganzen Klassiker. Die wollen was "Echtes" kaufen, nicht die ganzen künstlichen Bands. Das kann man aber nicht erzwingen, die müssen selber die Schnauze voll haben von dem ganzen falschen Industrie-Kram.
Was war damals deine Motivation eine Band zu gründen, wie ging es seinerzeit los mit den ADVERTS?
Wie kam ich zu Punkrock? Als ich anfing Musik zu machen, gab es keinen Punkrock! Die ganze Sache hatte noch keinen Namen, als ich in London im Januar 1977 im Roxy auf mein erstes Konzert ging. Das war damals ein neuer Club, und es war der Club, wo Punkrock in England seinen Anfang nahm. Von Punkrock redete anfangs keiner, es waren einfach neue Bands mit einer Menge Energie, die dort spielten, Bands, die nichts mit der Musikindustrie und den Plattenfirmen am Hut hatten. Erst ein paar Monate später merkten die Medien, dass da irgendwas Neues passiert, und dafür brauchten sie einen Namen. Plötzlich hiess das dann Punkrock, aber wir selbst hatten anfangs dafür keinen Namen. Mit meiner Band THE ADVERTS haben wir damals viermal im Roxy gespielt, und nach dem zweiten oder dritten Konzert kam ein Typ von Stiff Records auf uns zu und fragte, ob wir nicht eine Single mit ihnen machen wollten. Wir wussten gar nicht, wie uns geschieht, wie wir nach gerade mal ein paar Wochen schon eine Platte beim seinerzeit berühmtesten englischen Indie-Label machen können. So kam dann die "One chord wonders"-7" raus und der Song entwickelte sich zu einem Kultsong. Zwei Monate später waren wir dann mit "Gary Gilmore´s Eyes" im Fernsehen und es wurde ein Riesenhit - und das nur ein paar Monate, nachdem wir die Band gegründet hatten. Damals konnten wir kaum unsere Instrumente spielen, es war echt Wahnsinn. Ja, so war das, zufälligerweise waren wir bei den Anfängen von Punkrock dabei.
Wie ging es mit den ADVERTS dann weiter? Ich meine, Anfang der Achtziger hatten sich die meisten Punkbands der ersten Stunde entweder wieder aufgelöst oder spielten schlechte Rockmusik.
Für mich waren die Achtziger sehr, sehr schlimm. Aber die ADVERTS hatten schon nach dem ersten Album ein Problem, denn meine Lieder waren nicht das, was von Punkrock erwartet wurde. Weisst du, wir waren anfangs nur ein paar Kids, die Musik gemacht haben, dann kamen die Medien und sagten, das ist Punkrock. Punkrock musste dann sehr schnell, aggressiv und direkt sein, aber das war nicht meine Meinung, und als wir dann das zweite Album machten, klang das irgendwie anders als das, was andere Leute als Punkrock bezeichnet haben. Die Platte war ein völliger Flop, und dann krachte es auch in der Band. Ich meine, wir waren ein paar junge Leute, die plötzlich so viele Konzerte spielten und ständig unterwegs waren. Die Konsequenz war, dass wir die Band auflösten. Ich hatte dann eine neue Band namens THE EXPLORERS, die keinen Punkrock spielte und auch kommerziell keinen Erfolg hatte. Nach einem Jahr war auch da wieder Schluss. Zu dieser Zeit war die Musik allgemein sehr schlecht, ich konnte damit nichts anfangen: entweder war es Oi!, aber ich konnte noch nie was damit anfangen, oder eben total schlechter verpoppter Punk, dieses ganze New Wave- und New Romantic-Zeug. Ich habe mein eigenes Ding gemacht, aber das hat keine Plattenfirma interessiert. Ich weiss noch, wie ich mal bei einem Label im Büro war, um ihnen meine Songs vorzuspielen, und sie meinten nur "TV, vergiss es... Such dir lieber einen richtigen Job". Ehrlich, viermal haben mir Anfang der Achtziger Leute von Plattenfirmen gesagt, ich wäre sicher glücklicher, wenn ich mir einen richtigen Job suchen würde und das mit der Musik bleiben liesse. Meine Antwort war natürlich "Fuck you! Ihr bringt DURAN DURAN-Platten raus und sagt mir, ich solle aufhören Musik zu machen!?!" Ja, es war eine schwierige Zeit, und ich habe einige Jahre zwar Songs geschrieben, aber keine neuen Platten gemacht.
Und von was hast du gelebt?
Naja, Sozialhilfe, Arbeitslosengeld. Beinahe zehn Jahre lang. Für mich war es sehr frustrierend, nicht live spielen zu können, und so habe ich irgendwann Mitte der Achtziger mit ein paar Freunden beschlossen, wieder eine Band zu gründen. Nur zum Spaß, ohne jede Erwartung und ohne Druck. Mit drei Bekannten gründeten ich dann CHEAP. Wir haben überall in England in kleinen Läden gespielt, sehr oft auch Benefizkonzerte, und es hat Spaß gemacht. Platten haben wir nicht gemacht, aber es war egal, denn wir hatten zwar keinen Erfolg und haben kein Geld verdient, aber dafür hatten wir viel Spaß und haben viel Bier getrunken. Schließlich haben wir dann doch eine Platte aufgenommen, aber kein Label dafür gefunden, und das war´s dann mit CHEAP. In der Spätphase der Band hatte ich aber schon öfters Solokonzerte nur mit Gitarre und Gesang gespielt, und so hat sich daraus dann meine Solokarriere entwickelt. Es war übrigens Attila The Stockbroker, ein guter Freund von mir, der mich auf diese Idee brachte, denn er meinte, ich würde doch sowieso meine Songs allein auf der Gitarre schreiben, da könne ich mich ja auch gleich auf die Bühne stellen damit.
Atilla The Stockbroker? Was für ein Zufall: ich wollte gerade sagen, dass mich deine Solo-Sachen immer wieder an seine Sachen erinnern.
Ja, manches schon, da hast du Recht. Er bot mir jedenfalls an, für mich Solokonzerte zu buchen. Ich ließ mich darauf ein, und es war anfangs echt Horror, so allein auf einer Bühne zu stehen, ganz ohne Band. Alles hängt zu 100% von mir ab. Aber so zu spielen gibt einen umheimlichen Kick, es war wie eine neue Droge, es war ein Gefühl, das ich seit meinem ersten Auftritt mit den ADVERTS nicht mehr erlebt hatte. Du weisst nicht, was auf der Bühne passieren wird, und selbst jetzt, nach zehn Jahren, ist jeder Abend auf der Bühne anders. Mit einer Band hast du eine Setlist, spulst immer das gleiche Programm von einer knappen Stunde ab. Aber allein auf der Bühne kann ich jeden Abend was anderes spielen, kann mir aus 25 Jahren eigener Musikgeschichte Lieder aussuchen. Jeden Abend habe ich ein anderes Publikum, jeden Abend andere Reaktionen.
Und vor allem kein Stress mit anderen Bandmitgliedern.
Richtig. Wenn mich am Abend nach dem Konzert jemand zu einem Konzert einlädt, kann ich sofort zusagen, ich bin sehr flexibel.
Was für Leute kommen zu deinen Konzerten?
Das ist ganz unterschiedlich: von jungen Leuten, die mich gar nicht kennen, bis zu alten Punks, die nur "Gary Gilmore´s Eyes" kennen, ist alles dabei. Mal spiele ich vor zehn Leuten, dann im Vorprogramm einer großen Band auch mal vor ein paar tausend. Für mich ist beides okay.
Wird es denn auch Konzerte mit den Hosen als Backing-Band geben?
Es wäre schön, aber ich glaube nicht, denn sie haben sehr viel zu tun. Und dann ist da noch dieser Campino-Typ, ich weiss auch nicht... Vielleicht sollten wir ihn beseitigen lassen, hehe. Dann steige ich bei den Hosen als Sänger ein. "Hey Jungs, habt ihr Campino gesehen? Äh, braucht ihr vielleicht ´nen neuen Sänger?".
Was hältst du denn von diesen ganzen alten Bands, die einmal im Jahr auf dem "Holidays In The Sun"-Festival spielen?
Punkrock sind die meisten von denen nur noch vom Namen her. Meistens ist da nur noch einer von der Originalbesetzung dabei und das soll dann den "großen" Namen rechtfertigen. Ich weiss nicht so recht, aber ich sollte da nicht meckern, denn ich werde dieses Jahr selbst solo dort spielen, nur mit meiner akustischen Gitarre unter unzähligen lauten Punkbands. Aber vor ein paar Jahren in Blackpool hat das auch gut funktioniert.
Deine textlichen Aussagen sind doch ziemlich politisch.
Ja, ich halte die Texte von Liedern für sehr wichtig. Wenn man die Gelegenheit hat etwas zu sagen und sie nicht nutzt, dann ist das Verschwendung. Ein Lied besteht aus Musik und Text, beides ist gleich wichtig, und es gibt in dieser Welt verdammt viel zu sagen. Aufgabe der Kunst ist es, über diese Welt etwas zu sagen. Für mich sind die Texte sehr wichtig. Ich fing schon als Kind an Gedichte zu schreiben, und ein Lied ist für mich die Fortsetzung des Gedichteschreibens. Klar, man kann auch singen "Baby baby I love you", aber wen kümmert´s?
Das scheint mit aber der Gegentrend der Neunziger zu sein, mit Bands wie HELLACOPTERS oder GLUECIFER, die ich durchaus mag, die aber nichts zu sagen haben.
Das sind doch alles nur Klischees. Ich weiss, dass viele Leute keine Lust haben auf eine Message, aber der Trick ist ja, die Message in eine Form zu bringen, dass sie gut klingt. Das ist möglich, und das ist gut. Wenn du aber nur eine Message rüberbringen willst, dann mache nicht Musik, sondern schreibe für eine Zeitung oder werde Politiker. Lieder sind Kunst und ein Weg, etwas über die Welt zu sagen, und das ist der Grund, weshalb die Menschen Lieder machen, schon seit Tausenden von Jahren.
Danke für das Interview.
Gern geschehen.
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