TV SMITH

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Von Freunden und Feinden

Tim "TV" Smith, Jahrgang 1956, trat erstmals mit den ADVERTS musikalisch in Erscheinung, und deren Song "Gary Gilmore's eyes" von 1977 ist einer der ganz großen englischen Punk-Klassiker. 1979 waren die ADVERTS in Wolfgang Bülds ZDF-Fernsehfilm "Brennende Langweile" (kürzlich von Sunny Bastards als DVD veröffentlicht) zu sehen, doch die Achtziger meinten es nicht gut mit ihm. Mit den TOTEN HOSEN und deren "Learning English, Lesson 1"-Album wendete sich dann das Blatt, eine erfolgreiche Zusammenarbeit begann, und seit Ende der Neunziger ist Smith ständiger Gast auf hiesigen Bühnen - mal solo, nur mit Gitarre, mal mit Band. Mit Vom Ritchie, dem Drummer der Hosen, verbindet ihn schon lange eine enge Freundschaft, und nachdem sein letztes Album noch auf dem Label von Ex-Hosen-Drummer Wöllie erschienen war, ist "In The Arms Of My Enemy" nun auf Voms (und Romans) Label Drumming Monkey raus.



Tim, wie war die letzte Tour?

Anstrengend: Drei Wochen, nur ein Off-Day. Aber ich bin hartnäckig.

Und klüger als früher, was das Verhalten auf Tour anbelangt?

Nein! Eigentlich bin ich heute noch viel unvernünftiger als früher, was das Trinken auf Tour anbelangt. Wenn du auf dem Level tourst, wie wir das tun, musst du eben darauf vorbereitet sein, auch mal auf stinkenden Matratzen zu pennen. Du musst einfach viel Bier trinken, um da schlafen zu können, haha, denn wer viel trinkt, hat einen guten Schlaf. Aber ich übertreibe es nie, ich achte immer darauf, am nächsten Tag ein gutes Konzert bieten zu können. Und ich halte mich auf Tour vom Schnaps fern, trinke nur Bier. Ich kenne eben mein Limit und bin ja hier um zu spielen.

Auf jeden Fall hast du heute mehr Spaß am Touren in Deutschland als vor 30 Jahren. Jüngst wurde Wolfgang Bülds Film "Brennende Langeweile" veröffentlicht, ein teildokumentarischer Spielfilm über die in Deutschland tourenden ADVERTS, und da fandet ihr Deutschland ganz schrecklich.

Die ganzen Dreharbeiten waren keine Erfahrung, die wir genossen haben. Wir mochten die Story nicht mit diesem Teenagerpaar, das uns von Konzert zu Konzert nachreist, und Wolfgangs ursprüngliche Idee, dass das Mädchen am Schluss des Films an Gayes Stelle die neue Bassistin der Band wird. Also musste Wolfgang das Drehbuch ändern. Abgesehen davon waren wir natürlich keine Schauspieler, und das führte zu weiteren Konflikten.

Und wie stehst du heute zu dem Film?

Ich halte ihn für ein gutes historisches Dokument. Damals hat er die Leute wirklich geschockt. Ich habe allerdings seit mindestens zehn Jahren nicht mehr gewagt ihn anzuschauen, ich ertrage das einfach nicht, es ist mir peinlich. Wir waren jung, wir waren verrückt, und die ganzen Dreharbeiten waren so langwierig und nervtötend. Wir mussten früh aufstehen, wurden irgendwo hingefahren, standen 30 Sekunden vor der Kamera und saßen dann den ganzen Tag nur rum - mit reichlich Alkohol in Reichweite. Die ganze Band war während der Dreharbeiten ständig besoffen, und das war unserem Wohlbefinden auch nicht gerade zuträglich. Ehrlich, das Schauspielern hasse ich. Die Konzertszenen im Film sind allerdings nicht gespielt, die sind echt, das war gut.

Aus heutiger Sicht ist es aber dennoch ein beeindruckender Film, allein wegen des bedrückenden, düsteren Bildes von Deutschland Ende der Siebziger ist er es wert gesehen zu werden.

Da hast du schon recht, ich wollte den Film auch nicht runtermachen und denke, dass es Wolfgang geglückt ist, dieses Gefühl jener Zeit einzufangen. Und das England jener Zeit war ja ganz ähnlich, jene deprimierende Umgebung, die Punkrock hervorbrachte.

Das waren damals also keine guten Voraussetzungen für eine engere Bindung an Deutschland - doch es kam anders: Du bist in keinem anderen Land mehr auf Tour, sprichst die Sprache, hast hier viele Freunde. Wie kam das?

Es ging ja noch mies weiter: Ich war später mit meiner Band EXPLORERS auf Tour in Deutschland, es war eine Katastrophe, keiner kam, und nach der Hälfte der Tour verließ uns auch noch der Mann mit der PA. Keine Auftritte, keine PA - da nahmen wir den Van des deutschen Veranstalters als "Geisel" und fuhren damit nach England zurück. Er musste ihn sich dann abholen - das Sonnendach fehlte und drinnen lagen unzählige Strafzettel für falsches Parken, haha. Besser wurde es mit "Learning English" von den TOTEN HOSEN. Die spielten meinen Song "Gary Gilmore's eyes", ich fing an, für sie zu arbeiten, und übersetzte ihre Texte für "Pushed Again". Ich ging dann auch mal wieder auf Tour, spielte vor kleinem Publikum, aber lernte die deutsche Punkrock-Szene kennen. Ich hatte Spaß daran, die Sprache zu lernen, und fand so im Laufe der Zeit meinen Platz in der alternativen Musikszene hier. Und so habe ich heute eine stärkere Beziehung zu Deutschland als zu den anderen Ländern, in denen ich spiele. Besonders gut ist hier in Deutschland die starke, vielfältige Clubszene, die viel besser ist als in England. Dort gibt es kaum noch kleine Clubs, da spielst du entweder in riesigen Hallen oder in Pubs, wo keiner kommt. Eine Alternativ-Szene mit Clubs, die von Musikfans betrieben werden, gibt es kaum noch. Klar, ich gehe auch in England auf Tour, ich habe auch da meine Anhängerschaft, aber das ist nicht vergleichbar.

Wie kommt das? England war mal das Mekka für Punkrock und andere spannende Musik.

Damals, mit Punkrock, gab es den Versuch auszubrechen, aber seitdem haben die großen Medien und die großen Plattenfirmen wieder die Kontrolle übernommen und überfluten alles mit ihrer langweiligen Musik. Dabei wollen die Leute "andere" Musik hören, es gibt ein paar hundert wirklich alternativer Bands, aber deren Aktivitäten beschränken sich auf die Hinterzimmer von Kneipen. Die Leute sind hungrig nach echter Musik, aber die bekommen sie kaum noch irgendwo. Das sind heute die Effekte des Thatcherismus, das Land ist so gierig und kommerziell geworden, und das spiegelt sich auch in der Musikszene wider.

Und in Deutschland ist das anders?

Ja, hier gibt es noch Alternativen, Kids veranstalten selbst Konzerte, ich kann mich selbst um meine Konzerte kümmern, D.I.Y. funktioniert, das ist für mich Punkrock. Für mich passt das bestens, und wenn mich Leute ansprechen, wieso ich denn schon wieder in Deutschland auf Tour gehe, dann antworte ich, dass Leute zu meinen Konzerten kommen, die mich sehen wollen - mehr als nur einmal im Jahr. Und bei jeder Tour gewinne ich neue Freunde, mehr Leute kennen meine Songs, mehr Platten sind im Umlauf.

Hattest du denn auch mal den Gedanken aufzugeben?

Ja, in den Achtzigern, als es fast unmöglich war, in England Konzerte zu bekommen, und ich keinen Plattenvertrag mehr hatte. Ich wusste damals echt nicht, was ich tun soll, und die deutsche Verbindung gab es auch noch nicht.

Bis dahin hattest du ja auch noch eine Band.

Ja, und erst ohne Band kam meine Freiheit. Allein kann ich auch noch das kleinste Konzert spielen, ich muss keine hohen Garantiegagen verlangen, damit alle in der Band bezahlt werden können, ich brauche keinen Bandbus. Und dann kam die Sache mit den Hosen, man nahm mich wieder wahr, als den Typen von den ADVERTS mit "Gary Gilmore's eyes". Heute gibt es also keinen Grund für mich, verbittert zu sein, auch wenn eine lange Zeit in den Achtzigern für mich ein echtes Desaster waren. Das gab mir aber auch viel Kraft zu erkennen, dass, selbst wenn nur zwei Leute bei einem Konzert sind und mit mir Spaß haben, das schon bedeutet, dass doppelt so viele Leute im Publikum sind als auf der Bühne und da ja schon was geht.

In was für einer Tradition siehst du dich denn? Als Nachfolger der mittelalterlichen Sänger, die von Stadt zu Stadt, von Hof zu Hof zogen und ihre Geschichten erzählten?

Ja klar, ich bin die 2008er-Punkversion genau davon. Ich ziehe herum und erzähle, was in der Welt vor sich geht und was die Medien so nicht verbreiten. Und bei meinen Konzerte versammeln sich die verschiedensten Gruppen von Kultanhängern, die im weitesten Sinne einer Meinung sind, die eine ähnliche Einstellung zu dem Mist haben, mit dem sie ständig konfrontiert werden - auch deshalb kommen sie zu den Konzerten.

Fragst du dich manchmal, warum du immer noch so wütend bist?

Wie könnte ich nicht wütend sein!? So vieles läuft falsch, wir werden von den Mächtigen benutzt, beuten Menschen in anderen Ländern aus, die für ihre Arbeit kaum Lohn erhalten und hungern müssen. Und wir sollen hier sitzen und uns wohl fühlen?

Im Laufe der Jahre hattest du in Deutschland verschiedenste Backing-Bands, etwa die GARDEN GANG aus München. Wer ist deine aktuelle Band?

Da ist zum einen Vom als Drummer, und wenn du mal mit ihm zusammen gespielt hast, willst du mit niemand anderem mehr zusammenarbeiten. Gitarre habe ich bislang immer selbst gespielt, es war ein ziemlich rockiger Gitarrensound, und das wollte ich etwas ändern. Und so stieß ich auf meinen alten Freund Tim Renwick, mit dem ich in den Achtzigern schon zusammengearbeitet hatte. So schafften wir es, dem Album einen akustischeren Sound zu geben, dafür zu sorgen, dass die Platte nicht wie ein normales Rock-Album klingt, sondern abwechslungsreicher. Und verschiedene andere Freunde waren hier und da auch noch beteiligt, für Percussion, Mundharmonika und so weiter. Es ist also kein geradliniges Punk-Album geworden, wer also auf eine simple Streetpunk-Attacke aus ist, sollte sich den Kauf gut überlegen.

Mit Vom und Tim dürfte es aber schwer sein, auf Tour zu gehen, oder?

Das habe ich auch nicht vor. Vom hat mit den TOTEN HOSEN genug zu tun, und Tim, der schon mit PINK FLOYD und Eric Clapton gearbeitet hat, ist auch nicht der Richtige für eine Punk-Tour in meiner Art. Aktuell mach es mir Spaß, alleine zu spielen, und meine Lieder sind auch alle auf der akustischen Gitarre geschrieben, die funktionieren so.

Und der Input deiner Mitmusiker?

Die bekamen im Vorfeld ein Demo der Songs zu hören, und dann haben wir aufgenommen. Meist war beim ersten Take der Song schon im Kasten, spätestens aber beim zweiten. Das sind alles wirklich gute Musiker. Und: Sie haben mich noch nie nach Geld gefragt, haha. Na ja, sie würden ja sowieso keins bekommen, hehe.