Kein Tippfehler: Diese Band aus Oslo ist so was wie die Vor-Band von TURBONEGRO, besteht aus Ex-Mitgliedern der Prä-„Ass Cobra“-Phase und spielt ein entsprechendes Set live. Ich ließ mir erklären, wer in der Band ist und was es mit all dem auf sich hat.
Wer sind TURBONECRO, was hattet ihr einst mit TURBONEGRO zu tun?
Vegard: Ich spielte in einem schrecklichen Quartett namens DE DYPE, mit Jakob Straume, Thomas Seltzer und David Gurrik, dem späteren Gründer der ANAL BABES. Wir spielten eine Handvoll Gigs in der Gegend um Oslo. Meistens mussten wir aus dem Veranstaltungsort fliehen, um der Gewalt der Besitzer und des Publikums zu entgehen. Nach der Auflösung der Band begann ich im Winter ’89 mit Rune Grønn in einem besetzten Keller in Oslo zu jammen. Bald kamen TK Jensen und Pål Bøtker dazu. Thomas Seltzer spielte bereits in mehreren Bands und wir wollten ihn eigentlich nicht dabeihaben. Aber da er so ein wunderbarer und talentierter Mensch ist, wurde er unser erster Bassist. Pål Erik Carlin tauchte aus den tiefen Vorstädten von Follo auf und wir waren eine Band. Der erste Gig fand im Sommer 1989 in Kopenhagen statt. Nach einer katastrophalen US-Tournee im Jahr 1990, inklusive mehrerer schlechter Trips und hässlicher Gewaltausbrüche, verließ ich die Band und ging nach Guinea Bissau.
Carlos: Ich spielte mit Pål Pot bei FAAN I HÆLVETE. Wir waren die Ausgestoßenen in der Schule, aus denen später TRBNGR und ANAL BABES werden sollten. Er war von Anfang an dabei, und ich kam nach der „Route Zero“-7“ dazu. Ich wurde wegen Differenzen bezüglich Frisur und Haschisch rausgeschmissen. Ich war gegen lange Haare und für Haschisch.
Harri: Ich wurde 1990 Mitglied von TURBONEGRO, etwa im März/April. Ihr früherer Sänger, Pål Erik Carlin, war zum Militärdienst eingezogen worden und ein Freund von mir stellte mir die Band vor. Ich hatte sie schon ein paar Mal live gesehen und mochte ihre rohe, ungeschliffene Art von Noiserock mit einem Unterton von MC5 und STOOGES. Sie luden mich in ihren Proberaum ein und wir begannen zu spielen. Eine Stunde später hatten wir den Song „Kiss the knife“ fertig und waren der Meinung, dass alles ganz gut lief. Also beschlossen wir, in der örtlichen Rockbar Elm Street zu feiern, die später als Treffpunkt der norwegischen Black-Metal-Szene berüchtigt war. Innerhalb von Sekunden nachdem wir angekommen waren, brach eine riesige Schlägerei aus. Ich dachte: „Das ist schön, wir scheinen von einer Art Dunkelheit umgeben zu sein.“ Zwei Wochen später spielten wir in Trondheim mit mehr oder weniger dem gleichen Ergebnis. Der Abend endete damit, dass unser Soundmann einen der Leute, die uns gebucht hatten, verprügelte. Das führte dazu, dass wir betrunken durch die Gegend fuhren, um unser Hotel zu finden – und um sicherzugehen, dass die Leute am Veranstaltungsort unsere Sachen nicht kaputtmachten ... Ich stieg im April ’93 wieder aus. Aber bis dahin hatte ich meinen Nachfolger, einen gewissen Mr. Hank, schon gefunden, so dass ich sie nicht im Stich gelassen habe.
Bengt: Ich wurde von Happy-Tom, mit dem ich in der Thrash/Speed/Death-Metal-Band BLACK & DECKER gespielt hatte, in die Band geholt, als die Single „Vaya Con Satan“ veröffentlicht wurde. Der Typ, den ich ersetzte und den man liebevoll „Horseface“ nannte, hatte den Fehler gemacht, einem Mädchen im Publikum, das er kannte, von der der Bühne aus zuzuwinken. Also wurde er mehr oder weniger auf der Stelle gefeuert. Von Herbst 1991 bis Dezember 1996 war ich also die tickende Zeitbombe an Deck des mächtigen, wenn auch etwas instabilen Dampfers namens TURBONEGRO.
Wie seid ihr auf die Idee gekommen, diese etwas andere „Tribute-Band“ zu gründen?
Bengt: Harri und ich hatten schon seit Jahren darüber gesprochen, eine einmalige Band unter dem Namen „Turbo-Rejects“ zu gründen, da wir beide der Meinung waren, dass das frühe Material, das TURBONEGRO nicht mehr spielten, zu gut war, um gänzlich in Vergessenheit zu geraten, und auch die Einstellung, mit der es gespielt werden sollte, ließen die späteren Inkarnationen irgendwie missen. Als wir uns also wieder mit Vegard und Carlos trafen und Happy-Toms Junggesellenabschied bevorstand, dachten wir, es wäre ein guter, unsauberer Spaß, ihn mit einem Knaller aus der Vergangenheit zu überraschen.
Harri: Wir haben etwa anderthalb Stunden gebraucht, um vier Songs zu proben: „Route zero“, „Erection“, „Raggare is a bunch of motherfuckers“ und „Prime mover“. Es sollte eine einmalige Sache werden, aber die Dinge liefen aus dem Ruder. Und hier sind wir.
Carlos: Die Idee wurde an mich herangetragen, es war also nicht meine. Meine Skepsis und Verbitterung waren aber verflogen, nachdem wir bei Happy-Toms Party gespielt hatten. Necrobutcher von MAYHEM war auch dort und es schien ihm gefallen zu haben. Meine Logik lautete, wenn ein Typ, der sich seit der Pubertät der extremsten Musik verschrieben hat, etwas daran findet, na okay ... Mit ein paar der wenigen Menschen auf diesem Planeten abzuhängen, die keinen schrecklichen Tod verdient haben, ist auch kein Nachteil. Und außerdem wird das kein Tribut an was auch immer! Ich will nur ein bisschen an den TURBONEGRO-Zitzen nuckeln und ab und zu aus Oslo verschwinden.
Vegard: Nach dreißig Jahren wieder mit Bengt, Carlos und Harri abzuhängen, fühlte sich von der ersten Sekunde an richtig an. Als ob sich nichts geändert hätte. Unser Hass verbindet uns bis heute und für immer.
Was habt ihr in den letzten Jahren musikalisch und im „richtigen Leben“ gemacht?
Vegard: Golf spielen, Safari-Klamotten produzieren im südlichen Afrika, Zentralafrika erkunden, segeln, Taxi fahren, Depressionen und Alkoholismus. Teilzeitmitglied von HUMAN INFERNO sein.
Carlos: Ich habe mit ANAL BABES Verbrechen, Verderben und Tod verbreitet, bis wir uns 1998 aufgelöst haben. In naher Zukunft gibt es noch mehr davon, wenn bei Hærverk Industrier die 4LP-Box erscheint mit allem, was ANAL BABES je gemacht haben. Ich habe auch bei LOS MONGOS gespielt, einer Band, von der noch niemand gehört hat – legendär.
Bengt: Musikalisch nicht viel. Nachdem ich Turbo verlassen hatte, war ich ein paar Jahre lang in der Country/Americana-Band ARNES VERKSTED/ARNES VERDEN, deren Konzept darin bestand, so langsam wie irgend möglich zu spielen und zugleich Gas zu geben wie bei einem Dragster-Rennen. Ich hörte fast zwanzig Jahre lang ganz mit dem Spielen auf, wandte mich dem Fußball-Hooliganismus zu und engagierte mich im Fanclub meines Heimatvereins Vålerengens IF, wo ich einige Jahre lang im Vorstand und später als Fan-Beauftragter des Vereins tätig war. Ich habe viele Jahre lang als Türsteher und Barkeeper gearbeitet, aber auch als Sonderpädagoge an Schulen.
Harri: Ich habe in einigen Bands gespielt – nennen wir sie mal so unter dem Strich. Seit 1987 bin ich beim Radio, und da bin ich immer noch, als DJ. Ich war schon immer ein musikalischer Tyrann. Ich habe als Journalist gearbeitet, Platten- und Konzertkritiken verfasst, ein Buch über norwegischen Black Metal geschrieben, und so weiter.
Euer Motto ist, so wurde mir gesagt, „No glam, no denim, no sailor, no fun“. Warum?
Harri: Der Slogan ist eine Anspielung auf das True-Norwegian-Black-Metal-Motto „No mosh, no core, no trends, no fun“. Und auch eine Erinnerung an die Wurzeln von Turbo: Bis zu „Apocalypse Dudes“ war die Band noch eine ganz andere Nummer. Viel härter, aggressiver, eine Mischung aus POISON IDEA und SLAYER mit einer Prise AmRep-Noise. Das ist es, was wir repräsentieren. Unverblümter In-die-Fresse No-Singalong-Deathpunk. Turbo 2021 ist eine gut geölte Rock’n’Roll-Maschine, die das Leben genießt und umarmt. TURBONECRO sind ein zusammengewürfelter Haufen von Taugenichtsen und Hooligans, die das Leben ablehnen und den Tod umarmen.
Wie ist euer Verhältnis zu euren Ex-Bandkollegen?
Bengt: Happy-Tom ist der Einzige, zu dem ich noch Kontakt habe. Wir kennen uns seit unserem 13. Lebensjahr, trotz einiger Streitigkeiten in den letzten vierzig Jahren sind wir immer noch Freunde.
Harri: Alles ist gut. Wir trinken immer noch ein Bierchen, wenn wir uns treffen. Sie haben kein Problem damit, dass wir die alten Sachen spielen, denn sie haben sich in eine andere Richtung entwickelt. So ist das Leben ... oder in unserem Fall der Tod.
Vegard: Wir waren beim dreißigjährigen Jubiläum in Oslo die Vorband. Wir sind in ihren Backstagebereich eingedrungen und haben ihren kompletten Alkoholvorrat geklaut.
Carlos: Wir treffen uns ab und zu beim Dogging. Das planen wir zwar nie, aber es ist schön.
Im Frühjahr 2022 werdet ihr durch Deutschland touren. Was können wir erwarten, welche Songs von welchen Alben werdet ihr spielen?
Harri: Alles von den ersten Singles bis einschließlich „Ass Cobra“. Das sind die Songs, an denen wir mitgeschrieben und die wir gespielt haben. Damit fühlen wir uns wohl.
Bengt: Es wird keine TURBONEGRO-Karaoke-Party werden. Neben Songs von den Platten, an denen mindestens einer von uns beteiligt war, werden wir auch Stücke von den Bands spielen, die uns in den Anfangsjahren von Turbo inspiriert haben, also den Scheiß, den wir gehört haben.
Carlos: Erwarte nichts und du wirst nicht enttäuscht.
Das N****-Wort ist viel diskutiert worden. Was haltet ihr rückblickend von der Verwendung dieses Wortes?
Carlos: Ich wurde von Pål Erik auf die Idee gebracht, die hinter dem Namen steckt. Sie ging ungefähr so: Die Band sollte wie ein riesiger, schwarzer, verwirrter Mann sein, der mit gerechtem Zorn durch das Land zieht und alles zerstört, was ihm im Weg steht. Das klang wunderschön. Auch Leute damit zu verstören war ein Plus.
Bengt: Wir waren dumme Jungs, die provozieren wollten und zwanzig Jahre, bevor es ein Thema wurde, die Grenzen ausloten. Und wir waren alle Ausgestoßene und Außenseiter, die meisten von uns hingen in schlecht bezahlten Jobs fest, die man „N****er-Arbeit“ nannte. Das war für uns ein Zeichen von Stolz. Als wir den Begriff von TURBONEGER in TURBONEGRO änderten, wollten wir die Bedeutung ein wenig verändern. Es bedeutete etwas Dunkles und Schnelles, etwas Einschüchterndes, anstatt etwas, das mit der Hautfarbe zu tun hat.
Vegard: 1989 waren ganz andere Zeiten, eine Band TURBONEGRO zu nennen, ist heute undenkbar. Abgesehen davon denke ich, dass die westliche Zivilisation im Guten wie im Schlechten den Bach runtergeht. Das Ende der Welt ist nahe. Also wirklich. Ich hoffe, noch zu meiner Zeit.
Harri: Wir schauen niemals zurück. Wir nennen uns TURBONECRO, weil wir das für angemessen halten: Wir sind alt, verwahrlost, klingen grottig und spielen, als wäre jeder Gig unser letzter. Sieh uns zu, wie wir vor deinen Augen verrotten. Sieh uns, bevor wir sterben – das könnte eher früher als später sein.
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