Ich stehe dem ganzen „Gedrone“ ja seit langem eher skeptisch gegenüber, und auch musikalisch konnten mich die meisten Veröffentlichungen, die diesen Stempel trugen, nicht überzeugen. Was liegt da näher, als jemanden zu fragen, der es wissen muss, um hinter das Geheimnis der allmächtigen Drones zu kommen. Stefan Knappe aus Leer in Ostfriesland, jetzt wohnhaft in Bremen, ist in der experimentell orientierten Musik-Szene seit Mitte der Achtziger eine feste Größe und ist außer als Betreiber von Drone Records & Mailorder in der Band TROUM aktiv, die aus MAEROR TRI hervorgegangen sind. Wir kennen uns schon länger, und immer wenn wir uns begegnen, sind wir schnell beim Thema „pro und contra Drones“. Dabei fand ich schon immer die Philosophie und die Ansätze dahinter wesentlich spannender als das, was letztendlich aus den Boxen in mein Ohr zu dringen versuchte. Eine Annäherung der anderen Art.
Menschen, die mit Drone-Sounds nichts anfangen können, behaupten oft, dass vor allem bewusstseinserweiternde Drogen verantwortlich für diese komische kosmische Musik sind, die du über deinem Mailorder verbreitest. Wie war das bei dir, bist du selbst auch dadurch auf irgendeinem speziellen Ton „hängengeblieben“?
Was ich mit Drone Records vertreibe oder rausbringe, hat für mich mit „kosmisch“ nur am Rande etwas zu tun. Das wären ja eher analoge Synthesizersounds der Siebziger. Es gibt durchaus einige heutige Acts, die davon beeinflusst sind, aber das ist nur ein kleiner Teil. Drone bedeutet für mich etwas ganz anderes. Drone muss immer auch „Dreck“ beinhalten, Rauheit und Energie, etwas Abgründiges. Ein Drone kann sehr viele verschiedene Gestalten haben und auch sehr noisig sein, manchmal sogar Harsh-Noise mit „tonalem Zentrum“, so wie zum Beispiel bei den alten Aufnahmen von Daniel Menche.
In der heutigen Zeit beziehen sich ja viele Musiker wieder auf den Krautrock der frühen Siebziger, und ein Schreiberkollege behauptet sogar, dass man manche Spielarten der Drone-Musik gar nicht ernsthaft bewerten kann, ohne mal eine Note von Manuel Göttsching von ASH RA TEMPEL gehört zu haben. Ich würde dir da auch sofort widersprechen, denn was ich auf deinem Label überwiegend höre, sind lange fließende Tracks, die dort nahtlos anknüpfen – bewusst oder unbewusst.
Von ASH RA TEMPEL kenne ich zu wenig, um das beurteilen zu können. Das mit dem „nahtlos anknüpfen“ halte ich aber für großen Quatsch. Die meisten der von mir veröffentlichten Drone-Singles seit 1993 sind vor allem von Post-Industrial und experimenteller Geräuschemusik beeinflusst. Dass „Drones“ eher fließend sind, liegt in der Natur der Sache. Und sicher gibt es da sehr ruhige und meditative Sounds, aber genauso auch düstere, aufwühlende, experimentelle, krachige, überraschende Klänge. Ich habe vor einiger Zeit mal versucht, verschiedene „Spielarten“ von Drones zu beschreiben, das mag den Variantenreichtum vielleicht verdeutlichen und neugierig machen.
Dann schieß mal los ...
Da ist einmal der statisch-minimale, harmonisch-tonale Drone, meist ruhig und meditativ erhaben. Der erzeugt Empfindungen von Zeitlosigkeit und Transzendenz. Die „klassische“ Form der Minimalisten der Sechziger und Siebziger ist eher eine „innerliche“ Form. Der kosmisch-esoterische Drone, oft mit elektronischen Klangquellen, erzeugt Schwerelosigkeit und Spiritualität, also eher eine Form, die nach „außen“ ins Unendliche strebt. Der abgründige, depressive Drone ist dunkel, lichtschluckend und emotional. Der wuchtig-monumentale tieffrequente „Erdbeben“-Drone löst Assoziationen von übermächtigen Naturgewalten, von erdnahen Prozessen, Erfahrbarkeit der vier Elemente aus. Der „naturale“ Drone, oft mit Field-Recordings oder konkreten Klangquellen kreiert, lauscht in die Mikroprozesse hinein, ins Vibrieren der Atome, das „Geheimnis“ der Hörens offenbarend. Der Licht-Drone besteht aus hell schimmernden, „positive“ Assoziationen weckenden Flächen, die eher einen intermediären Raum schaffen zwischen Realität und Fantasie. Schwungvoll und betörend, nicht meditativ. Der Power-Drone, der reine Energie auszustrahlen scheint, wirkt wie eine direkte Umsetzung von energetischen Prozessen. Kraftvoll und bezwingend, man kann sich dem nicht entziehen. Der surrealistisch-experimentelle Drone, in dem viele Elemente verschmelzen können, schafft eher eine filmische, obskure, fremdartige Atmosphäre, kann verstören oder „aufbrechend“ wirken.
Ich finde aber, dass deine Musik eher dafür geeignet ist, eine Balance zu finden beziehungsweise sich verführen zu lassen abzudriften, wegzugleiten und zu entspannen.
Das ist ein Klischee, das nur für einen Teilbereich von Drone-Muzak zutrifft. Mich begeistert, wie gesagt, solche Musik am meisten, die mich aufwühlt, und das trifft auch auf Drones zu. Andererseits weiß ich nicht, was gegen „Balance finden“ spricht. Stichwort „Entschleunigung“. Ich halte das eher für eine Notwendigkeit in Zeiten des Informations-Overkills. Und was das „Kreativ sein“ betrifft, da gibt es für jeden Menschen sicherlich eigene beziehungsweise verschiedene Wege, das herauszulassen oder zu fördern.
Was genau ist ein Drone?
Das kann man auf verschiedenen Ebenen beantworten. Von der akustischen Gestalt her ist ein Drone grundsätzlich ein langgezogener Halteton. klassischerweise zur Begleitung einer Harmonie. Im Spektrum der neueren experimentellen Geräuschmusik erweitert sich das. Hier geht es um langgezogene Sounds jedweder Art – Brummen, Dröhnen, Summen, Rauschen –, die bestimmte Töne, Akkorde, oder Ton-Cluster enthalten. Ich würde so weit gehen, von „drone-artigen“ Klängen oder Musik zu sprechen. Das sind für mich geräuschhafte Klänge mit einem fließend-atmosphärischen Charakter. So hab ich das auch bei der 7“-Reihe für Drone-Records gesehen, wobei es mitunter gewisse Grenzüberschreitungen zu anderen Genres gab. Abseits von der akustisch erfahrbaren Ebene ist ein Drone aber viel mehr und bietet Raum für kulturphilosophische, psychologische oder gar metaphysische Spekulationen. Ein Drone ist auch eine Möglichkeit, die Welt zu betrachten, sozusagen „durch den Drone hindurch“. Der Drone in Reinform ist die reinste Schwingung von Klang, reine Vibration gewissermaßen, ohne sonstige störende Parameter wie Melodie, Rhythmus, Gesang. Als solcher Klang kann er von unserer Ratio oftmals kaum bewusst wahrgenommen oder „fixiert“ werden, er schleicht sich vielmehr am Analyseapparat vorbei und kann auf tieferer, unbewusster Ebene wirken. Er impliziert durch seine Länge und Ursprünglichkeit auch Empfindungen von Zeitlosigkeit und Unbegrenztheit, und vermag wohlmöglich frühkindliche Zustände der Psyche zu reaktualisieren, eventuell mit therapeutischen Wirkungen. Das wäre die individuelle, psychologische Dimension.
Wo findet man Drones?
Drones sind in unserer Welt omnipräsent. Sowohl die Erde selbst als auch andere Planeten und selbst der Kosmos „dronen“, das hat man messen können, in für uns nicht hörbaren Frequenzen. Das Wetter und die Natur dronen, Regen, Wind, Ozeanrauschen, jeder Mensch und jedes Tier, zum Beispiel Blutfluss, das Innenohr, aber auch jede einzelne Zelle im Organismus und natürlich die diversen anderen menschengemachten Alltagsphänomene, wie Maschinen, Kraftwerke, Lüftungen und so weiter. Das geht bis hin zur molekularen Ebene. Das wäre jetzt die physikalische Betrachtungsweise, also das, was sich mit wissenschaftlichen Methoden messen lässt. „Dronen“ ist also ein Grundprinzip der Natur, und wenn man die Welt sensibel-akustisch wahrnimmt, hört man vor allen Dingen eins: Drones. Philosophisch ist man dann schnell bei der lang angenommenen „Sphärenmusik“ und der harmonischen Ordnung der Dinge. Aber da wird’s dann auch schnell esoterisch. Jedenfalls verweist der Drone auf den Ur-Anfang des Universums – seit dem Urknall dronet es –, auf Allergrößtes und Allerkleinstes, auf die Wellenhaftigkeit aller „Dinge“ sowie auf die menschliche Dimension und verbindet das alles miteinander. Von daher kann man sagen: Der Drone ist überall, und wir sind letztlich auch nur Drones!
Was will der Drone uns also sagen?
Wir sind nicht abtrennbar vom Rest der Welt, weder von anderen Lebewesen noch von der Erde oder dem Kosmos als ganzen, wir schwingen selbst mit und bestehen daraus, der Drone symbolisiert die rätselhafte ewige Energie, die alles mit allem verbindet. Oder was auch immer das ist. Wer jetzt immer noch meinen wirren Gedanken folgen mag, dem sei gesagt, dass ich seit längerer Zeit versuche, zum Thema einen möglichst schlauen, zusammenfassenden Artikel zu verfertigen, aber es ist so komplex, dass ich einfach nicht fertig werde. Gute Ausrede, denn auch hier zeigt sich also die Grenzenlosigkeit des Drones!
Du hast auch deine Diplomarbeit zu dem Thema geschrieben.
Ja, „Das Unbewusste und der Klang: Psychoanalyse und experimentelle Geräuschmusik“ ist der Titel, wobei es nicht um Drone im Speziellen ging, eher um geräuschhafte Musik an sich. Das überschneidet sich natürlich mit den Drones. Also grundsätzlich ging es hier um die Frage, wieso Musik im Allgemeinen und Experimentalmusik im Speziellen solch eine ungeheure Wirkung auf den Menschen haben kann. Da passiert etwas mit einem und man versteht es nicht wirklich, es ist rational nicht zugänglich. Und es geht um die psychoanalytische Theorie des Unbewussten, und wie sie mit der Musikwirkung zusammenhängen könnte. Das nur als grober Rahmen. Wer sich dafür interessiert, kann sich den Text auf meiner Website komplett durchlesen.
Kommen wir mal zu deinem Label: Du hast ja bis vor kurzem ausschließlich auf Vinyl veröffentlicht. Ist Vinyl eine Gewissensentscheidung?
Im Grunde ja, obwohl „Gewissensentscheidung“ für mich etwas zu stark nach Moral klingt. Es ist zumindest eine bewusste Entscheidung, sich mit einem umständlicheren und schwerer zu lagernden Format abzugeben. Um damit anzuerkennen, dass ein bestimmtes Format auch ein entscheidender Teil eines künstlerischen Produkts ist. Die Industrie hat sich eben vor einigen Jahren entschieden, Vinyl durch CDs zu ersetzen. Die sind billiger in der Herstellung und versprechen größeren Gewinn. Die ästhetischen und klanglichen Vorteile von Vinyl wurden einfach ignoriert. Musik ist ein Produkt, welches Gewinn abwerfen soll, alles andere ist egal. Dagegen haben sich die vielen kleinen unabhängigen Vinyl-Labels damals gewehrt – und hatten Erfolg. Vinyl ist nicht verschwunden, auch die großen Labels bringen wieder Vinyl-Pressungen raus. Abseits von der Formatfrage ist es aber noch wichtiger, wen wir mit unserem Geld, sofern überhaupt fürs Musik kaufen etwas übrig bleibt, unterstützen. Wer keine Lust auf Retortenmusik hat, sollte kleine unabhängige Labels und entsprechende Musikprojekte fördern.
Aber rein technisch gesehen, ist Vinyl das schlechteste Medium.
Also technisch mag sich da vieles relativieren, das mag sein, aber entscheidend ist doch, was im Hirn ankommt. Und selbst wenn man es sich nur einbildet, dass es besser klingt, weil es so schön ästhetisch aussieht beim Auflegen, reicht das doch. „Objektiv“ technisch hören, kann sowieso niemand, das ist was für Maschinen.
Wahrscheinlich ist es auch eine rein persönliche Sache, was an Musik auf den ganzen Drone Records-Sublabels wie und wo veröffentlicht wird. Kannst du mal die verschiedenen Ansätze und Beweggründe der Aufteilungen skizzieren? Mit einer 7“-Serie hat alles begonnen, die meines Wissens nach abgeschlossen ist, aber dafür gibt es ja jetzt quasi die Fortführung als Drone-Mind//Mind-Drone. Auf das 10“-Format stürzt du dich mit Substantia-Innominata und als Transgredient Records machst du sogar vor der bösen CD nicht mehr Halt.
Mit der 7“-Serie fing alles an, ja. Es gab 100 Veröffentlichungen von 1993 bis 2010, alle von verschiedenen Projekten aus den verschiedensten Ländern, die Cover jeweils hand- oder selfmade von den Künstlern. Auflagen von 200 bis 300 Stück, meist farbiges Vinyl, von diversen gab’s auch eine zweite Auflage. Das Ganze stets zum Selbstkostenpreis. Drone-Mind//Mind-Drone ist die Fortführung der Serie auf LP, jeweils vier Acts auf einer LP. Höhere Auflage, 500 Stück, um mehr Leute zu erreichen. Substantia-Innominata ist eine 2005 gestartete 10“-Reihe, bei der es nicht so speziell um „Drones“ geht, sondern um eine Annäherung an das Thema „das Unbekannte/Unergründliche“, sowohl akustisch als auch durch die Artworks. Transgredient Records schließlich ist das Label, auf dem wir mit TROUM einiges veröffentlichen, das muss man eigentlich von Drone Records trennen.
Du hast ja auch einen wirklich recht hohen Output an Tonträgern. Wie schwer ist es heute, einen Mailorder für solche Sparten-Musik zu betreiben und seinen Lebensunterhalt damit zu bestreiten?
Es ist nicht einfach, aber auch nicht unmöglich. Möglich wird es in der Tat durch die Option, viel zu tauschen. Also indem man eigene Sachen rausbringt, die andere Vertriebe oder Labels gerne hätten.
Was hat sich über die Jahre verändert? Ist es als Label in Zeiten des Internets einfacher, seine Käuferschicht zu finden?
Ja und nein, das ist sehr ambivalent zu bewerten. Es ist sicher leichter, als Hörer an die Sachen ranzukommen. Und wohl auch als Label beziehungsweise Vertrieb leichter, die „richtigen“ Sparten-Hörer und potenziellen Käufer irgendwo da draußen zu finden. Andererseits ist es aber auch leichter, sich alles irgendwie per Download umsonst zu beschaffen. Das „physische“ Produkt besitzt aber einen unschätzbaren Vorteil: Man kann es zu einem „subjektiven Objekt“ machen, zu einem Fetisch, zu einem persönlichen Kultgegenstand. Das ist mit einer „Datei“, die sich auf dem Rechner befindet, nicht möglich. Ich denke, es wird immer Hörer geben, die unbedingt „The Real Thing“ haben wollen. Die Frage ist eher, ob sie in Zukunft auch das nötige Kleingeld zum Kauf übrig haben.
Was ist inspirierender, die Provinz oder die Großstadt?
Ich bin ja in der glücklichen Lage, beides kennen gelernt zu haben. Ich habe damals die Erfahrung gemacht, dass die Leute aus der Provinz eher gezwungen waren, selber kreativ zu werden und sich was auszudenken, weil eben sonst nix los ist. In der Großstadt bist du eher damit beschäftigt, das bereits vorhandene kulturelle Angebot zu nutzen, was aber natürlich auch inspirierend sein kann. Von daher ist das echt schwer zu sagen: Je mehr Informationsflut, desto mehr kann das die eigene Kreativität behindern, andererseits ist eine reichhaltige Umgebung ja auch wichtig und inspirierend. In jungen Jahren dachte ich natürlich: Von der Provinz in die Großstadt, das muss sein, bloß weg hier! Inzwischen weiß ich aber auch: Um gute Ideen zu haben und kreativ zu sein, braucht man auch Abstand, Ruhe, inneren Fokus. Bremen, wo ich jetzt lebe, ist ein „Dorf mit Straßenbahn“, wie wir hier sagen. Eigentlich die perfekte Mischung aus Provinz und Stadt.
Was sagen die Brüder und deine Eltern heute zu deinem Lebensweg?
Meine Brüder sind und waren ja selbst begeisterte Musikfans. Meine Eltern – R.I.P. – hielten mich immer für wahnsinnig, nach dem Motto: „Lern was Vernünftiges“. Aber sie konnten’s mir sowieso nicht austreiben.
Du lebst sozusagen deinen „Traum“, auch mit deiner aktuellen Band TROUM, was ein altdeutsches Wort dafür ist. Was treibt dich beziehungsweise euch immer wieder, an Musik zu machen? Denn euer Output ist schon gigantisch und dann spielt ihr ja auch noch regelmäßig und weltweit live.
Gigantischer Output?! Na ja, das sind maximal zwei wirklich neue CDs oder Alben pro Jahr, momentan eher weniger. Da wir seit 1989 veröffentlichen, damals noch Tapes mit MAEROR TRI, ist aber natürlich einiges zusammengekommen. Ja, man könnte schon sagen, dass ich meinen Traum lebe, obwohl ich früher mit 16 eher von einem Plattenladen geträumt habe, übrigens nachdem ich bei Pure Freude in Düsseldorf war. Das eigene Musikmachen war dann so ab 16 bis 17 einfach immer dabei, zunächst draußen rumlärmend und ja, ich meine wirklich „draußen“! Danach verbrachte ich meine Zeit zunehmend in Proberäumen und mit Home-Recording in den eigenen vier Wänden. Eigene Musik zu machen, aufzunehmen, ein Stück zu machen, das man auch noch gut findet, das löst unfassbare Glücksgefühle aus. Erst einmal ist es auch völlig egal, ob oder wer sich das anhört. Die „Kreation“ an sich ist entscheidend, das ist nach wie vor so, auch wenn man inzwischen natürlich selbstkritischer geworden ist.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #109 August/September 2013 und Carsten Vollmer