1983 erschien auf Aggressive Rockproduktionen (AGR) das legendäre selbstbetitelte TOXOPLASMA-Debütalbum, das zu den wichtigsten deutschen Punk-Platten dieser Zeit zählt und bis heute kaum etwas an Aktualität und Relevanz eingebüßt hat. Dreißig Jahre später melden sich die Neuwieder mit ihrem neuen Album „Köter“ zurück. Die Metal-Phase der Band in den Neunziger Jahren ist überwunden, und die Messlatte liegt hoch, denn die Band hat in den letzten drei Jahrzehnten Jahren viele Songs veröffentlicht, die im Bereich des deutschen Polit-Punks Klassikerstatus haben. Aus der Gründungsbesetzung von 1980 sind noch Sänger Wally und Bassist Stefan mit dabei, die Band ergänzen heute Schlagzeuger Hermann und Gitarrist Sascha. Im Ox-Interview erläutern die vier, wie man in Würde alt werden, sich weiterentwickeln und dabei trotzdem authentisch und sich selbst treu bleiben kann.
Vor dreißig Jahren erschien euer Debütalbum. Was habt ihr euch von eurer Radikalität über die ganzen Jahre erhalten?
Wally: Man kann nicht leugnen, dass man allein aufgrund von physischen Gegebenheiten schon in einigen Dingen bequemer geworden ist. Tatsache ist aber auch, dass ich heute mit fünfzig Jahren Dinge nicht grundlegend anders sehe oder bewerte als mit zwanzig oder dreißig, und heute auch nicht anders handle als früher. Ich bereue nichts, ich habe mein Ding durchgezogen mit all den damit verbundenen Widrigkeiten und komme damit gut klar.
Ihr seid euch und euren Idealen also treu geblieben?
Stefan: Wenn man von jemandem sagt, dass er sich treu geblieben ist, ist das immer so eine Sache. Das klingt dann auch nach „die haben sich nicht weiterentwickelt“ oder „die machen immer noch die gleiche Scheiße wie vor dreißig Jahren“. Wir haben unsere Sache konsequent durchgezogen, haben uns gleichzeitig aber auch musikalisch weiterentwickelt.
Könnt ihr euch noch an eure Anfänge erinnern, das liegt ja inzwischen auch schon 33 Jahre zurück?
Stefan: Dilettanten olé! Einiges verklärt sich natürlich schon über die Jahre, aber ein paar prägende Erlebnisse hat man aber immer noch vor Augen. Wir kamen alle aus Feldkirchen, einem Stadtteil von Neuwied. Wir hingen zusammen rum und waren alle vom Punk-Virus infiziert. Musikalisch waren wir totale Anfänger. Wir haben uns eine Marshall-Box gekauft, neben der haben wir nachts sogar geschlafen und uns immer gefreut, wenn wir aufgewacht sind und sie gesehen haben. Die hat echt eine Riesenausstrahlung gehabt.
Euer erster Gitarrist ist nach kurzer Zeit wieder ausgestiegen.
Stefan: Der hat schnell eingesehen, dass es keinen Sinn macht. Daraufhin wurde uns Uwe empfohlen. Ich weiß noch ganz genau, wie Wally und ich zu ihm nach Hause sind, um ihn für die Band zu gewinnen. Uwe war damals hippiemäßig drauf, mit langen Haaren und Parka. Als er die Tür aufmachte, hatte er keine Chance, nein zu sagen. Wally und ich müssen ausgesehen haben wie die Henker. Und Uwe hat nur gedacht: „Oh nein, jetzt haben sie dich!“
Und wie seid ihr dann zu eurem Label AGR gekommen?
Wally: 1981 haben wir unser erstes Demotape mit acht Songs aufgenommen, im Proberaum mit Tonbandmaschine und einem Mischpult, das wir von der Kirche ausgeliehen hatten. Von dem Tape haben wir 15 Stück hergestellt und die dann für sechs DM verkauft, auch in Berlin. Auf Umwegen muss dann wohl ein Tape bei Walterbach von AGR gelandet sein. Nach ein paar Wochen kam auf alle Fälle ein Brief von ihm, in dem er das Label vorstellte und uns erklärte, dass er uns gerne mit zwei Songs auf einem Sampler haben möchte.
Walterbach wird vorgeworfen, die Bands des Labels finanziell ordentlich über den Tisch gezogen zu haben. Wie seht ihr heute mit einigem zeitlichen Abstand die Situation?
Stefan: Das war ein klarer Deal. Wir haben damals den Vertrag unterzeichnet, ohne uns im Klaren über das mögliche Ausmaß des Vertrags zu sein. Walterbach war geschätzt 15 Jahre älter als wir und von der Reife und der Geschäftstüchtigkeit her weit überlegen. Er kannte sich aus, und wir waren unerfahren. Uns ging es nicht um Kohle. Wir hatten unser Ziel erreicht, auf einem großen, überregional bekannten und erfolgreichen Label zu landen, mehr interessierte uns nicht. Und man muss auch wirklich sagen, dass es damals kaum einer so gut wie er verstand, neue Bands zu pushen. Letztlich hat er auch das geschäftliche Risiko getragen. Und er muss auch was von Musik verstanden haben, wenn du siehst, welche Bands er aus den USA an Land gezogen hat.
Wally: Er hatte keine bunt gefärbten Haare, war aber in der Szene unterwegs und kannte sich aus. Er hatte viele gute Kontakte, über die er sich schlau gemacht hat. Er hatte Stil, viele Ideen und verfolgte einen festen Plan.
Stefan: Er wusste, was er wollte. Auf die Texte und ihre Zielsetzung hat er großen Wert gelegt. Er gab auch immer die Parole aus: „Ein Sauflied pro Platte reicht.“ Daran wurde sich dann auch gehalten. Ich wage mal die Einschätzung, dass viele der heutigen platten Ramtamtam-Bands nicht den Hauch einer Chance gehabt hätten, auf sein Label zu kommen. Und klar hat er richtig Kohle verdient, während die Bands in die Röhre geguckt haben. Aber er hat sich strikt an Absprachen und die Verträge gehalten, da kann man ihm nichts vorwerfen. Sein Ruf ist sicher nicht gut, aber da gibt es in der Szene viele, die deutlich schlimmer sind.
Und Walterbach hat auch immer darauf hingewiesen, dass er es war, der die Bands groß gemacht hat.
Stefan: Da ist was dran. Ich glaube, dass du uns heute hier nicht interviewen würdest, wenn wir nicht durch AGR eine gewisse Bekanntheit erfahren hätten. Nicht schlecht für eine Band, die sich weigert, professionell zu arbeiten.
Das war ein Punkt, den euch Walterbach im Ox-Interview vor einem Jahr vorgeworfen hat. Die Aussage scheint dich ja getroffen zu haben.
Stefan: Ja, irgendwie schon. Wer lässt sich schon gerne sagen, dass er nicht professionell arbeitet.
Wally: Mir war das egal. Für mich waren die Band und unsere Musik immer auch eine Sache der Selbstverwirklichung. Das, was wir gemacht haben, haben wir auch immer aus Spaß und mit Spaß gemacht. Die Band war für uns kein Beruf. Deshalb trifft mich der Vorwurf auch nicht.
Wenn man heute Leute, die in den Achtziger Jahren in der deutschen Punk-Szene unterwegs waren, nach ihren damaligen Lieblingsalben befragt, wird ganz häufig euer Debütalbum genannt. Wie wichtig ist das für euch?
Wally: Das gibt einem schon ein gutes Gefühl, etwas Wichtiges hinterlassen zu haben. Es freut einen, dass nicht alles umsonst war.
Stefan: Es cremt natürlich schon das Ego. Es erfüllt einen auch mit einem gewissen Stolz, gerade wenn man sieht, wie wir damals dilettiert haben, während gleichzeitig in den USA wirklich handwerklich geradezu geniale Alben erschienen sind. Hör dir unser Album an und dann Platten wie von den F.U.’s, dazwischen liegen musikalisch Welten.
Wenn ihr nach eigenen Angaben musikalisch doch ziemlich begrenzte Fähigkeiten hattet, wo liegen dann die Gründe für den damaligen Erfolg?
Wally: Ich denke, dass es wichtig war, dass wir eine Einstellung transportiert haben und Attitüde vermitteln konnten. Musikalisch starke Bands, denen das nicht gelingt, vergisst man recht schnell wieder. Ich glaube schon, dass damals Authentizität und Glaubwürdigkeit eine große Rolle gespielt haben. Wir lieferten Identifikationsmusik, man konnte sich mit uns und dem Album identifizieren.
Stefan: Ein einschneidendes Erlebnis war für mich unsere Tour mit den BAD BRAINS im März und April 1983, unser erster direkter Kontakt mit einer amerikanischen Band. Das war für mich total merkwürdig, dass die ihre Auftritte als Shows bezeichneten. Ich fragte mich, ob wir hier beim Zirkus oder auf der Kirmes sind. Für uns waren es Auftritte, es waren Punk-Konzerte und wir wollten niemandem etwas vorspielen und konnten das auch nicht. Die BAD BRAINS waren echte Profis, die ihre Auftritte nicht nur Shows nannten, sondern wirklich auch als Shows verstanden und zelebrierten.
Und wie sieht das heute aus?
Wally: Das gilt auch heute noch. Wir wollen uns nicht verstellen. Ansonsten könnten wir ja auch gleich Tanzmusik machen.
Stefan: Wobei man aber auch ganz klar sagen muss, dass es auch Grenzen gibt. Wenn wir auf einem großen Open Air spielen, dann unterschreibt man viele Monate vorher einen Vertrag und dann hat man auf Knopfdruck zum vereinbarten Termin da zu sein. Dann kannst du es dir nicht erlauben, dich auf die Bühne zu stellen und zu lamentieren, dass du heute keinen Bock hast. Wenn man dazu nicht bereit ist, dann sollte man es gleich sein lassen.
Gegen AGR gab es nach der Startphase auch erhebliche Kommerzvorwürfe. Wart ihr davon auch betroffen?
Wally: Die Vorwürfe gegen das Label gab es, klar. Und wir hatten dann auch das Stigma, eine Walterbach-Band zu sein und wurden dadurch natürlich auch mit den Vorwürfen konfrontiert. Wir haben das aber nicht so eng gesehen. Wir waren schließlich keine Ariola-Band. Wir wussten selbst, dass wir mit unserer Musik nicht reich werden, deshalb sind die Vorwürfe auch an uns abgeprallt.
Und das Geld blieb bei Walterbach?
Wally: Ich habe noch genau vor Augen, wie Walterbach nach dem BAD BRAINS-Konzert mit zwei prall gefüllten Plastiktüten voll mit 20-DM-Scheinen aus dem Loft rausspaziert ist und wir mussten um einen Kasten Bier betteln.
Wisst ihr eigentlich, wie viele Exemplare von eurem Debütalbum verkauft wurden?
Wally: Exakte Zahlen gibt es nicht. Das Album ist ja auch weltweit verkauft worden. Es gibt Schätzungen, die bis zu einer Verkaufszahl von 100.000 Stück hochgehen. Eine Zahl von 80.000 Stück ist nicht unrealistisch.
Euer neues Album geht in einer Auflage von 1.000 LPs und 1.000 CDs an den Start. Kriegt man da nicht auch manchmal Zorn auf die jungen Leute, dass die es anscheinend nicht mehr ordentlich schätzen, ein gutes Album zu kaufen?
Stefan: Das sicher nicht. Man muss einfach sehen, dass Tonträger heute fast nur noch reine Promo-Artikel sind. Sie sollen dafür sorgen, dass die Leute zu den Konzerten kommen.
Hermann: Und dass man im Gespräch bleibt und mal wieder interviewt wird. Trotzdem bleibt es dabei, dass CDs den Charme von Einwegfeuerzeugen haben.
Mit den Verkaufszahlen von damals würdet ihr heute locker in die Charts einsteigen und wahrscheinlich eine Goldene Schallplatte abholen. Ist das nicht frustrierend?
Stefan: Man muss hier differenzieren, deutlich geringere Verkaufszahlen bedeuten nicht automatisch, dass die Songs weniger oft gehört werden. Durch das Internet hast du heute die Möglichkeit, dass immer mehr Leute die Songs hören, ohne dass sie das Album kaufen müssen. Und Zorn habe ich nur bei den Leuten, die sich über angeblich zu hohe Konzertpreise aufregen. Leute, denen acht oder zwölf Euro für drei Bands an einem Abend zu viel sind, sich dann aber am Abend zehn Bier für 2,50 Euro und zwei Bandshirts für jeweils 25 Euro kaufen. Leute, die einfach nicht sehen, dass die Bands heute mit Tonträgern kein Geld mehr verdienen und auch ihre Kosten für den Proberaum decken müssen. Wobei sich in den letzten Jahren die Relationen bei Konzertpreisen schon stark verschoben haben. Kürzlich haben wir bei BLACK FLAG 28 Euro für die Karte abgedrückt. Was haben wir uns 1979 aufgeregt, als wir für THE CLASH in Wiesbaden 18 DM bezahlt haben.
Die Zeiten ändern sich, aber eure Songs haben bis heute nichts an Aktualität eingebüßt, oder?
Wally: Einen Song gibt es, zu dem stehen wir heute nicht mehr, den spielen wir auch nicht mehr. In „Heile Welt“ haben wir damals gesungen, dass man kein Geld braucht. Das lässt sich leicht sagen, wenn man in jugendlichen Jahren nach Hause zu den Eltern kommt und der Kühlschrank voll ist. Da holt einen doch die Realität irgendwann mal ein.
Vor ein paar Jahren gab es einen SLIME-Tribute-Sampler. SLIME waren damals eure Labelkollegen, dennoch wart ihr nicht mit dabei.
Wally: So richtig enge Kontakte zu den anderen AGR-Bands hat es eigentlich nie gegeben. Unser Verhältnis zu SLIME war auch relativ neutral. Es gibt keine Antipathien, aber auch keine Brücken. Wenn es hoch kommt, habe ich bisher um die zehn Wörtern mit den Leuten von SLIME gewechselt. Irgendwie stand das nie zur Diskussion, beim SLIME-Tribute mitzumachen.
Gab es schon mal Päne für ein TOXOPLASMA-Tribute-Album?
Wally: Ein Tribute-Sampler wollte bisher noch keiner machen. Es gibt aber schon zahlreiche Coverversionen unserer Songs. Auf YouTube findest du reichlich Songs. Allein mit den Versionen von „Asozial“ könntest du ein ganzes Album füllen. Darunter übrigens auch wirklich abgedrehte Songs bis hin zu Techno-Versionen.
Neuwied war früher ein ganz heißes Pflaster und regelmäßig in der bundesweiten Kriminalitätsstatistik ganz weit oben. Eine standesgemäße Heimat für euch?
Wally: In Neuwied ging es früher tatsächlich heiß her, es gab ein umfangreiches Rotlichtmilieu, hier war ein bekannter Drogenumschlagsplatz mit einer großen Rockerszene. Dies hatte aber keinen größeren Einfluss auf die Punk-Szene. Die war aber tatsächlich schon sehr früh sehr groß, deutlich größer als im benachbarten großen Koblenz. Es gab eine gemeinsame Szene, und das war gut für uns. Es gab viele Leute, die uns mochten, uns weiterempfohlen und uns vielfältig unterstützt haben.
Stefan: Trotzdem war alles sehr übersichtlich. Was haben wir gelacht, als unser Gitarrist Uwe beim Einkaufen durch den halben Laden lauthals von einer älteren Frau mit den Worten „Ihr seid dran schuld, ihr habt meinen Jungen verdorben!“ angepöbelt wurde. So was konnte einem in Neuwied dann auch passieren.
Wie sieht es mit euren Konzertaktivitäten aus?
Wally: Insgesamt kommen wir vermutlich schon an eine vierstellige Konzertzahl ran, wobei der Schwerpunkt eindeutig in den Neunzigern lag. 1994 oder 1995 haben wir allein 200 Auftritte in einem Jahr gehabt und uns wirklich den Arsch abgetourt. In diesem Jahr kommen wir erst auf zwei Auftritte, das haben wir ganz bewusst runtergefahren, um das Album einspielen zu können. Die Live-Aktivitäten werden aber wieder zunehmen, wenn das Album draußen ist. Drei bis vier Wochen am Stück zu touren, ist aber definitiv nicht drin, es wird eher auf die Wochenenden rauslaufen. Erwarten kann man viele Songs vom ersten Album, einige Songs noch vom „Leben Verboten“-Album sowie natürlich die ganzen neuen Songs, die wir schon komplett seit zwei Jahren live im Programm haben.
Stefan: Hart war, wie wir damals vor den DEAD KENNEDYS in Bad Honnef gespielt haben. Nachmittags rief Walterbach bei uns an: „Ihr wohnt doch in der Nähe von Bonn. Heute Abend spielen die DEAD KENNEDYS im Kursaal in Bad Honnef, die brauchen noch eine Vorband.“ Wir hatten schon Karten für das Konzert, die haben wir kurzerhand an Freunde weitergegeben. Wir also abends nach Bad Honnef, doch ein paar üble Rocker als Security wussten natürlich von nichts und ließen uns draußen stehen. Zeltinger hat dann dafür gesorgt, dass wir doch reingekommen sind. Und dann ging es ab. Der Kursaal, zu Beginn noch ganz stilecht mit Butler und edlen Vorhängen, wurde völlig verwüstet. Und der Butler lag am Ende blutend in der Ecke. Meines Wissens war das übrigens das erste und letzte Punk-Konzert im Kursaal.
Und wie lange wollt ihr noch durchhalten?
Wally: Da denkt man eigentlich so konkret gar nicht drüber nach. Allerdings kann ich es mir kaum vorstellen, noch einmal dreißig Jahre durchzuhalten, auch wenn die letzten dreißig wirklich wie im Fluge vergangen sind. Prognosen, wie lange das noch gut geht, sind natürlich schwer. Und wenn man dann alte Fotos sieht, merkt man schon, dass man über die Jahre ganz schön Federn gelassen hat. Wir spielen zur Zeit bei Konzerten ungefähr zwanzig Songs, davon zehn neue, ohne dass ein Einbruch im Programm festgestellt werden kann. Solange es noch so gut läuft, gibt es keinen Grund aufzuhören. Ich fühle mich heute mit fünfzig teilweise deutlich fitter als mit zwanzig.
Stefan: Es gibt durchaus eine ganze Menge Bands, die deutlich jünger sind als wir und die längst nicht so viel Luft haben. Auf der Bühne geben wir eine Stunde Vollgas und das läuft problemlos.
Hermann: Live spielen ist wie Marathon laufen, ohne Training läuft da nichts. Wie beim Sport muss man dranbleiben und kontinuierlich proben. Wenn wir vier Wochen lang nicht proben, dann wird uns schwindelig und wir hängen in den Seilen. Letzte Woche haben wir in Bonn gespielt, auf der Bühne war es megaheiß, und wir haben geschwitzt wie die Schweine. Totale Sauna, gefühlte achtzig Grad. Am Anfang haben wir noch geflucht, dass man in dem Laden nicht rauchen darf, hinterher waren wir echt froh darüber. Ohne ausreichende Fitness kannst du dich hinterher unters Sauerstoffzelt legen. Nach dem Auftritt war ich total ausgelaugt und habe zwei ganze Tage gebraucht, um wieder fit zu werden.
Seit ein paar Tagen ist „Köter“ von der Leine. Wie lange habt ihr an dem Album gearbeitet?
Wally: Seit den ersten Ideen für die neuen Songs bis heute sind sicherlich sechs bis sieben Jahre vergangen. Wobei es zum Schluss deutlich schneller ging, da haben wir einen richtigen Flow gehabt. Das Problem war, dass wir am Anfang keine oder wirklich schwache Texte hatten. Eine Verzögerung gab es auch dadurch, dass wir das Album zweimal eingespielt haben.
Stefan: Wie unser erstes Album übrigens auch.
Hermann: Das neue Album haben wir im März 2012 das erste Mal eingespielt mit zahlreichen Stücken, die erst kurz zuvor entstanden sind. Die Songs haben wir mit Klick, also mit Metronom, eingespielt, aber irgendwie hat uns das alles nicht umgehauen.
Wally: Und mit etwas zeitlichem Abstand haben wir dann einen Song neu ohne Metronom eingespielt, und der klang wesentlich frischer und druckvoller, der hat richtig gerappelt. Dann war schnell die Entscheidung da, das gesamte Album neu einzuspielen. Inzwischen hatten wir die Songs auch mehrfach live gespielt, wir hatten sie leicht umarrangiert und sie waren insgesamt weiter gereift. Und als wir uns dann noch mit dem Label auf eine Deadline geeinigt hatten, ging es am Ende richtig schnell.
Was hat es mit dem Titel „Köter“ auf sich?
Wally: Für uns ist es ein passender Titel. Auf dem Album gibt es auch einen Song mit identischem Titel, ein guter Song, der auch diese Aggressivität vermittelt, die entsteht, wenn man in die Enge getrieben wird. Dazu noch das passende Cover für das Album, ein zähnefletschender Hund, richtig schön plakativ, provokativ und aggressiv. Leider gab es aber auch hier eine Verzögerung. Wir hatten bereits ein Foto für das Cover ausgewählt. Als wir dann das Foto vorab auf Facebook eingestellt hatten, erhielten wir innerhalb kurzer Zeit zwei Rückmeldungen, dass genau dieses Foto schon für zwei andere Alben als Cover benutzt wurde. Dank Matze von unserem Label haben wir dann aber schnell gleichwertigen Ersatz gefunden.
Eure Abneigung gegen Uniformen habt ihr über die gesamten letzten Jahre nicht abgelegt, gleich in zwei Songs auf dem neuen Album greift ihr das Thema auf.
Wally: Richtig, mit „ZackZackZack“ und „Uniform“ haben wir zwei Songs dazu. Wobei es uns dabei vor allem um den Kadavergehorsam geht, der mit Uniformen einhergeht.
Bei eurem neuen Song „CDU“ droht nicht die Gefahr, dass er wie „Tage wie diese“ von den TOTEN HOSEN auf CDU-Wahlkampfveranstaltungen gespielt wird, oder?
Hermann: In einem Blog habe ich dazu eine sehr passende Einschätzung gelesen. Wer Lieder für Abi-Abschlussfeiern und Kirmesveranstaltungen schreibt, darf sich nicht beklagen, wenn das am Ende rauskommt.
Wally: Schreibt jetzt eigentlich Nena für die TOTEN HOSEN die Texte? Das Gefühl werde ich irgendwie nicht los.
Stefan: Kürzlich habe ich in einem Artikel über uns gelesen, dass es sich bei uns um eine der wenigen Bands handelt, bei denen man sicher sein kann, dass niemand in der Band die CDU wählt. Diese Entwicklung finde ich sehr bedenklich, Punk ist für mich immer eine linke Sache gewesen. Und die Vorstellung, in einer Punkband zu spielen und gleichzeitig CDU zu wählen, ist schon sehr befremdlich für mich. Aber wenn unser Song auf einer CDU-Wahlkampfveranstaltung laufen und dann unter lauten Buh-Rufen offiziell verboten würde, würde mich das echt freuen, das wäre eine perfekte PR für uns. Aber diese Chance ist wohl sehr gering, allein aufgrund des Einspielers von Uwe Barschel und der Textstelle „Einigkeit, Unrecht, Unfreiheit“. Ich weiß übrigens bis heute nicht, warum eine so nahe liegende Zeile bisher noch niemandem eingefallen ist.
Der neue Song „Kontrollautomat“ ist vermutlich lange vor NSA und Prism geschrieben worden. Eigentlich erschreckend, wie schnell man von der Realität eingeholt wird, oder?
Wally: Es ist leider ein zeitloses Thema. Überwachung, Gestapo, Stasi, Spitzel, das hat es zu jeder Zeit gegeben.
Stefan: Und wie sich zeigt, ist es sogar noch viel schlimmer, als wir es uns alle vorgestellt haben.
Hermann: Auf jeden Fall sind wir mit dem Song nicht auf einen aktuellen Zug aufgesprungen, der Song ist auch schon über zwei Jahre alt. Und das Schlimmste daran ist, dass es bisher keinen Widerstand gegen diese Entwicklung gab. Vieles wird einfach so hingenommen.
Der letzte Song des Albums fällt etwas aus dem Rahmen. Musste ein Song mit dem Titel „FickenFickenFicken“ wirklich sein?
Wally: Nun ja, der erste Song des Albums ist „ZackZackZack“, da dachten wir, dass es nur konsequent ist, wenn das Album mit „FickenFickenFicken“ endet.
Stefan: Das ist mit Abstand der schwächste Song der Platte und wir standen vor der Frage, wie geplant ein Album mit zwölf Songs abzuliefern oder den Song zu streichen.
Wally: Live spielen wir den Song schon nicht mehr.
Stefan: Es sei denn, die CDU würde uns zu einer Wahlkampfveranstaltung einladen, dann würden wir den Song selbstverständlich wieder spielen.
Euer Debütalbum erschien bei Aggressive Rockproduktionen, das neue Album erscheint bei Aggressive Punk Produktionen.
Wally: Zuerst hatten wir überlegt, das neue Album selbst rauszubringen, wir mussten dann aber erkennen, dass wir das von den Finanzen und dem Arbeitsaufwand her nicht stemmen konnten. Tobbe von APP hat uns vor einiger Zeit mal angeschrieben. Wir haben uns mit dem Label getroffen, das hat alles gepasst. Man hört in der Szene auch nichts Schlechtes über APP. Und in der Zusammenarbeit hat bis jetzt auch alles problemlos funktioniert.
Das Label schreibt zu „Köter“, dass die Messlatte hoch liegt, da eure alten Alben Liedgut beinhalten, das Generationen überdauerte. Druck oder Ansporn für euch?
Stefan: Ich bin jetzt knapp fünfzig und nicht abhängig von der Meinung anderer. Das Album muss uns gefallen und zu dem Album müssen wir stehen können, das ist gegeben. Deshalb haben wir auch kein großes Problem damit, wenn das Album verrissen werden sollte. Trotz dieser Gelassenheit empfinden wir es aber tatsächlich so, dass die Messlatte für uns hoch liegt. Ich selbst fühle beides, Druck und Ansporn. Leute, die große Erwartungen an das neue Album haben, möchte man natürlich nicht enttäuschen.
Wally: Die neuen Songs reihen sich nahtlos in unser Programm ein, wenn wir sie live präsentieren. Die Reaktionen im Publikum sind richtig gut, nach den Konzerten bekommen wir regelmäßig Anfragen zu den neuen Songs. Allerdings hat auch schon mal jemand angemerkt, dass das Lied mit dem Ficken hoffentlich nicht auf das neue Album kommt.
Sascha: Ich bin auch schon auf die Reaktionen auf das neue Album gespannt. Die Songs haben richtig viel Energie und Rotzigkeit. Das wird vielen gefallen und es gibt bestimmt auch einige, die uns dieses Ergebnis nicht zugetraut haben. Comeback-Platten können auch gehörig in die Hose gehen, „Köter“ ist aber eine Platte, die richtig knallt. Und das ist unabhängig von der Einschätzung, ob wir uns weiterentwickelt haben oder nicht.
Wie kann man verhindern, dass man als Band zur Karikatur seiner selbst wird?
Stefan: Es gibt heute eine ganze Reihe alter Bands, die auch nach vielen Jahren noch echt geile Mucke machen. Dann gibt es aber auch die Bands, die heute wirklich nur noch ein lächerliches Bild abgeben. Schau dir BLACK FLAG an, die haben wir kürzlich live gesehen, lahm und erbärmlich. Da hilft nur eins, du musst ehrlich zu dir selbst sein und erkennen, wann es Zeit wird aufzuhören. So lange du noch Spaß hast, ist das in Ordnung. Wenn du das Programm aber nur noch abspulst und zur eigenen Coverband verkommst, dann ist es höchste Zeit, die Segel zu streichen.
Was war oder wäre euch peinlich? Gibt es etwas, das ihr heute komplett anders machen würdet?
Stefan: Ein Song mit dem Titel „FickenFickenFicken, Oi, Oi, Oi!“ wäre mir wirklich extrem peinlich.
Wally: Hinterher ist man ja oft schlauer. Ich würde allenfalls eine Sache anders machen: Den einen oder anderen Vertrag würde ich etwas genauer durchlesen, bevor ich ihn unterschreibe.
Junge Punkbands, die heute an den Start gehen, sind nicht zu beneiden. In den frühen Achtziger Jahren war es doch mit Sicherheit einfacher, aufzufallen und sich einen Namen zu machen.
Wally: Tatsächlich ist es heute schwierig, die Leute umzuhauen. Mit unserem ersten Album würden wir jetzt wohl dermaßen baden gehen. Ich sehe das schon als großen Vorteil an, dass wir unser neues Album als bekannte Band rausbringen können.
Hermann: Trotzdem haben wir keinen Freibrief.
Sascha: Und das Album wird nicht automatisch zum Selbstläufer, man kann sich als Band auch sehr schnell selbst demontieren, wenn man mies abliefert.
Wollt ihr am Ende noch etwas loswerden?
Hermann: Ungefähr einen halben Liter Urin, haha!
Stefan: Ein kleiner Ausblick noch, wir arbeiten bereits am Nachfolgealbum. Den Albumtitel haben wir schon, „Bullenfrisöse“, mit Ö geschrieben, genau wie „Köter“.
© by - Ausgabe # und 12. Januar 2022
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #82 Februar/März 2009 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #111 Dezember 2013/Januar 2014 und Axel M. Gundlach
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #157 August/September 2021 und Triebi Instabil
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #21 III 1995 und Alex von Streit
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #100 Februar/März 2012 und Kalle Stille
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #111 Dezember 2013/Januar 2014 und Axel M. Gundlach
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #113 April/Mai 2014 und Axel M. Gundlach