Popkultur kann schon ganz schön komisch aussehen. Da ist eine Band, die schon lange Musik macht und sich eine kleine, aber feine Bandgemeinde zusammengespielt hat und nicht von Musikpresse und Fachpublikum beachtet worden ist, weil die Musik so „gewöhnlich“ klingt- und jeder direkt eine Schublade parat hat. Und dann kommt von dieser Band eine Platte, die plötzlich – von null auf hundert – überall gelobt und gehypt wird. Befindlichkeitsrock Hamburger Prägung heißt die Schublade. Und ich gebe es ehrlich zu, ich gehöre mit zu denen, die jetzt erst auf der Welle schwimmen. Vor zwei Jahren bin ich schreiend davongelaufen, habe „Emokacke“ und „Hamburger Schule“ gebrüllt. Warum? Keine Ahnung. Vielleicht, weil es vorher keine Platte gab, die mich so hätte begeistern können.
Die Texte sind Befindlichkeitskram – klar, aber der ist so dermaßen unprätentiös und ehrlich, bei gleichzeitiger poetischer Raffinesse, dass es mir ein leichtes ist, jetzt „epochales Meisterwerk“ zu rufen. Und deshalb komme ich jetzt auch gar nicht mit irgendwelchen nahe liegenden Bandvergleichen, die Naseweise gern zur Hand haben, sondern sage nur: „Gehe hin in Frieden, kauf diese Platte und werde endlich ein besserer Mensch, Lutscher!“
Ich traf sie anlässlich des „Intro-Intim“-Abends in Köln, wo ein fideler Thees Uhlmann und ein halbtoter Olli Koch mich freundlicherweise mit Freibier erwarteten.
Ihr habt zu eurem neuen Album „Hinter all diesen Fenstern“ Linernotes zu den Texten im Booklet abgedruckt. Wollt ihr damit die Texte erklären?
Thees: Ich glaube, die Leute überinterpretieren das. Das sind keine Erklärungen der Songs, sondern das sind Anekdoten, Geschichten. Wir wollten die CD halt so weit wie möglich von dem Wort ‚Produkt‘ wegholen, wir wollten ein ‚Kunstwerk‘ schaffen. Die Leute sagen, dass ich gut schreiben kann, und deshalb hab ich das dann auch gemacht. Ich weiß auch nicht, welche Band das noch gemacht hat.
Olli: CRASS haben das auch schon gemacht.
Thees: CRASS sind aber so ernst, wir sind lustiger.
Meint ihr nicht, dass ihr dadurch dem geneigten Zuhörer auch ein wenig die eigene Phantasie raubt?
Olli: Als Interpretationshilfe fände ich das allerdings zweifelhaft. Es ist ja auch nicht so, dass jemand einen Roman schreibt und die Sekundärliteratur dazu bereitstellt.
Thees: Scheiß auf die Linernotes! Ich fand das halt immer gut, wenn Bands auch als Personen greifbar waren.
Welche Bands meinst du?
Thees: Bei so was habe ich immer die BOXHAMSTERS im Kopf. Ich konnte zu denen hingehen und mit denen sprechen, und wenn die nicht so greifbar gewesen wären, hätte ich jetzt auch einen ganz anderen Freundeskreis und würde wahrscheinlich ganz andere Musik machen.
Olli: Das wäre ja auch total blöd, wenn man, bevor man überhaupt einen Text schreibt, dabei schon an den Rezipienten denkt, und was der sich wohl so dabei denkt. Man schreibt ja aus einem Bedürfnis, nicht aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus.
Diese Ehrlichkeit gegenüber und innerhalb der Texte finde allerdings bemerkenswert.
Thees: Ich weiß nicht. Ich weiß nur, dass mich die Punkszene total langweilt. Eigentlich mag ich solche Bands wie uns gar nicht. Das sind immer wieder nur so Typen mit Gitarren, die darüber singen, dass sie letztens ungefickt nach Hause mussten – was ist denn das für ein Leben?! Das ist komplett austauschbar! Wenn du einmal bei einem TOMTE-Konzert warst, dann wirst du hinterher die Typen aus der Band immer wieder erkennen, wenn du sie auf der Strasse siehst. Austauschbarkeit ist nicht unsere Aufgabe! Ich finde es wichtig, dass Bands transparent sind, so dass sich ein Vierzehnjähriger auch an so etwas wie Persönlichkeit und Haltung orientieren kann.
Warum habt ihr euer Album auf dem eigenen Label rausgebracht, die Majors lecken sich doch bestimmt die Finger nach euch?
Olli: Majorlabels sind scheiße!
Thees: Im Prinzip ist es genau das. Die KETTCAR-Platte wollte keiner haben. Dann haben wir sie eben selber gemacht. Bei den Majors sitzen Leute in Führungsetagen und verstehen nicht, warum KETTCAR so gut läuft. Die verstehen auch nicht, warum TOMTE in den Trend-Charts sind, obwohl wir ein Marketingbudget haben, das ein Witz im Vergleich zu dem anderer Bands ist.
Würdet ihr, nach allen Erfahrungen mit dem „Bizz“, heute wieder ein Label gründen, zumal die wirtschaftliche Lage im Moment ja nicht gerade berauschend ist?
Thees: Ja, klar!
Olli: Das hat durchaus etwas mit DIY zu tun und damit, dass man möglichst viel Kontrolle über die Musik haben möchte.
Was würdet ihr denn Leuten empfehlen, die sich auch mit dem Gedanken tragen, ein eigenes Label zu machen?
Thees: Das Umfeld muss stimmen. Du brauchst Leute wie Olli, die darauf brennen, das zu machen und nicht sagen: ‚Ich hab jetzt doch mehr Bock auf mein Grafik-Studium.‘ Und ich würde mir einen Jura-Studenten besorgen, der Verträge lesen kann – und dann einfach mal machen. Man muss sich seiner Sache eben auch sicher sein! Ich habe nie das Gefühl, fertig zu sein. Du gehst von der Arbeit, weil du nicht mehr kannst, und dann überlegst du nachts noch, was du am nächsten Tag tun willst. Das ist natürlich Arbeit, die man zusammen mit Freunden macht. Bei uns wird aber auch häufig geschrien – das ist emotionale Wirtschaft!
Olli: Das ist kein Nine-to-five-Job, das hat mit Leidenschaft zu tun!
Es gibt innerhalb der Texte so einen Themenkomplex, der in die Richtung einer Gegenüberstellung weist: Menschliche Wärme gegen eine große, böse Welt dort draußen. Oder?
Thees: Weiß nicht – ich fühle mich geborgen, wenn ich im Bandbus sitze, wenn ich mich auf meine Freunde verlassen kann. Ich hänge mit so vielen Leuten ab, die mir viel bedeuten, ich bin da sozusagen privilegiert. Meine Texte, die ich verfasse, seit ich vierzehn bin, drehen sich eher um eine bestimmte Sorge, um Ruhelosigkeit. Seitdem ich denken kann, befindet sich mein Leben eher in der Krise.
Wie kommt es dann, dass die Platte so freundlich klingt?
Thees: Letztendlich bin ich selber überrascht, dass die Platte so menschenfreundlich geworden ist. Klingt vielleicht blöd, aber wir haben mit TOMTE zwei extrem harte Jahre hinter uns gebracht. Und wenn du in deinem Leben so weit unten bist, dann kann man auch Leute verstehen, die man vorher vielleicht nicht verstanden hat. Ich bin z.B. auf die Aldi-Kassiererin nicht mehr böse, wenn sie schlechte Laune hat. Ich habe eben gemerkt, dass ich nicht mehr nur über mich schreibe, sondern über Situationen, in denen mehrere Menschen stecken – aber dass die Platte so positiv wird, hätte ich nie gedacht. Viele Leute meinten, dass die Platte Trauer, aber auch eine große Hoffnung ausstrahlt. Man kann ja nicht planen, dass Leute beim Hören anfangen zu weinen. Wenn man so was plant, dann ist man ein ziemliches Schwein!
Swen Meier, euer Produzent, war ziemlich wichtig für die Produktion. Worin bestand denn eigentlich seine Arbeit?
Olli: Also mich nervt das, dass die Person Swen Meyer fast wie eine Ikone über uns steht. Es war das erste Mal, dass wir mit einem richtigen Produzenten gearbeitet haben, der aktiv und kreativ eingeschritten ist und auch mal Zweifel angemeldet hat, ohne uns zu beschneiden. Es hat einfach wahnsinnig gut funktioniert.
Thees: Der hat einfach eine gute Atmosphäre geschaffen. Ich habe mich vorher noch nie als Künstler gefühlt, aber im Studio ahnten wir dann schon, dass das was Großes wird.
Olli: Er kann echt gut aufnehmen. Er hat eben auch ein feines Gespür für Krisensituationen. Wenn wir den Glauben verloren hatten, dann hat er uns gesagt, dass alles super wird. Auf den konnten wir uns eben verlassen.
Wie lange hat die Produktion gedauert?
Thees: Aktiv im Studio waren wir seit Oktober. Allerdings mit vielen Pausen zwischendurch. Sechs Wochen Studio am Stück konnten wir uns nicht leisten. Es hat aber auch wirklich lange gedauert.
Es gibt da so ein paar Bands, die im Zusammenhang mit TOMTE immer genannt werden. Bitte gebt mir doch mal kurze Statements dazu. OASIS?
Olli: Spießige Prolls, mit denen wir nichts zu tun haben wollen!
THE SMITHS?
Olli: Super Band. Zärtlichster Typ am Gesang ever.
TOCOTRONIC?
Olli: Ähm ... Das ist immer dieser hanebüchene Vergleich von Leuten, die keine Ahnung von Musik haben. Die Assoziation fällt eben nicht schwer, wenn man weiß, woher die Musik kommt.
BLUMFELD?
Thees: Da gilt das Gleiche wie für TOCOTRONIC. Allerdings muss ich dazu sagen, dass ich nicht die Musik machen würde, wenn es beide Bands nicht geben würde. Das sage ich auch bei OASIS.
SURROGAT?
Thees: Großartiges Lebenswerk vom Sänger ... Musikalisch interessiert mich das genauso wie GONZALES, oder PEACHES – also eher nicht. Wir finden das mit dem letzten Cover auch nicht gut. Grafiker wechseln!
Habt ihr Pläne für die Zukunft?
Thees: Olli will ein dreimonatiges Praktikum machen, was nicht geht, weil er bei uns Pakete packen muss. Zukunftspläne können wir momentan gar nicht machen. Wir wissen im Moment überhaupt nicht, was demnächst passieren wird.
Olli: Deshalb kann ich mir im Moment auch keinen festen Job suchen. Wir sind auf Abruf!
Könnt ihr denn schon davon leben?
Thees: Nein! Ich geh nicht mehr zum Bankautomaten, um meinen Kontostand anzugucken. Und man entwickelt eine ganz komische Angst vorm Briefkasten.
Na ja, jetzt wird wohl alles anders!
Olli: Von wegen, das haben wir schon oft gehört! Ich sage nur: No money, no problems!
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