TOM VERLAINE

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Televisionary

Erst kürzlich noch bezeichnete Moxie Static von den EPOXIES während ihres Konzertes TELEVISION als "America's most important band". Nun kann man sicher noch ein paar andere US-Bands nennen, die nicht unwichtig sind, aber Fakt ist, dass Tom Verlaine und Richard Lloyd in den Siebzigern bestimmende Größen der Proto-Punk-Szene waren. Verlaine bewegte sich im Umfeld von Patti Smith, schrieb Gedichte, spielte mit Richard Hell zusammen, gab zig Konzerte im CBGB's und veröffentlichte doch erst 1977 mit "Marquee Moon" das erste Album und ein Jahr später mit "Adventure" das zweite, bevor man sich bald darauf auflöste. Lloyd und Verlaine gingen getrennte Wege, veröffentlichten solo, doch 1991 kam es zu einer Reunion und seitdem spielt man immer wieder unter dem alten Namen Konzerte. Aber auch solo ist Verlaine weiterhin aktiv, und just erschienen via Thrill Jockey zwei Platten, das Instrumental-Album "Around" sowie das "normale" Album "Songs And Other Things".


Tom, wo erreiche ich dich?


Ich bin gerade in einem Rehearsal-Studio, bereite mich auf die kommenden Touren vor: Im Mai sind die USA auf dem Plan, und im Juli dann auch Europa.

Wie stramm lässt du es angehen? 50 Konzerte am Stück?

Ja, ich mag auf Tour keine Off-Days.

Und auf was für einem Level bewegt sich das?

Das weiß ich selbst noch nicht, das versucht mein Booker gerade herauszufinden. Wenn du in den letzten Jahren nicht wirklich große Mengen von Platten verkauft hast, fällt die Einschätzung etwas schwer. Und ich war ja auch schon 15 Jahre nicht mehr mit einer eigenen Band auf Tour. Ich freue mich auf jeden Fall auf die Tour, es wird eine andere Erfahrung sein als die, als Begleitmusiker für jemand anderes unterwegs zu sein, denn du musst auf jeden Fall härter arbeiten. Es ist physisch einfach wesentlich anstrengender, nicht nur Gitarre zu spielen, sondern auch zu singen.

Das führt mich direkt zu den beiden Alben, die jetzt auf Thrill Jockey erschienen sind: eines mit Gesang, eines instrumental. Wie bist du eigentlich mit Thrill Jockey in Kontakt gekommen?

Ich arbeite immer an sehr vielen Sachen gleichzeitig, und oft habe ich mehr Ideen und Material, als ich wirklich für neue Songs verwenden kann. Solche Ideen klingen instrumental oft besser, aus denen muss gar kein "richtiger" Song werden. Als ich unlängst die Rechte an meinen Instrumental-Platten aus den Neunzigern zurückbekommen hatte, sprach ich mit Bettina Richards, der Besitzerin von Thrill Jockey, ob sie die neu auflegen wolle, und daraus ergab sich dann auch die Idee zu den beiden neuen Alben. Ich kenne Bettina aber schon seit den Achtzigern. Damals lebte sie in New York, wir liefen uns immer wieder mal über den Weg, und Jahre später sagte mir dann jemand, sie habe jetzt ein Plattenlabel, und diese Information hatte ich dann ganz hinten in meinem Gehirn abgespeichert.

Ich finde an Instrumental-Alben immer wieder interessant, wie man sich daran gewöhnen kann, dass da nichts fehlt, denn irgendwie ist man darauf konditioniert, bei Gitarrenmusik die Stimme als zentralen Punkt wahrzunehmen.

Ja, ohne Stimme ist die Wahrnehmung eine ganz andere, das erinnert dann eher an Jazz oder die Easy Listening-Musik der Fünfziger. Da hat im Laufe der Jahre eine große Verschiebung der Hörgewohnheiten stattgefunden, denn wenn man sich mal die Top 40 aus den Fünfzigern anschaut, dann waren da immer auch Instrumentals vertreten, die waren ganz selbstverständlich Teil amerikanischer Radiokultur. Heute jedoch sind Instrumentals völlig aus den Charts verschwunden. Es gibt im Radio sowieso keine "Mood Music" mehr, da läuft ja fast nur noch Pop-Schund aus dem Computer. Aber dass solche Musik nicht mehr gespielt wird, ist ja nur die eine Seite. Die andere ist, dass ja auch kaum mehr jemand Instrumentals schreiben und spielen kann. Und soweit ich es aus meiner Kenntnis der New Yorker Musikszene der letzten 20 Jahre beurteilen kann, hat sich die Instrumental-Szene auch eher auf höchst experimentelle Musik verlegt. Und vielfach sind es auch Leute, die entweder nicht besonders gut spielen können oder das auch gar nicht wollen. Die machen Lärm und haben daran ihren Spaß, die haben es lieber atonal und interessieren sich nicht für Melodien. Die Clubs in New York sind voll von solcher Musik, aber mich interessiert das nicht besonders. Und gleichzeitig scheint die Zahl derer abzunehmen, die sich wirklich für gute Melodien interessieren.

Du wohnst in New York und interessierst dich auch noch dafür, was in den Clubs abgeht?

Na ja, eher am Rande. Ich bekomme natürlich einiges mit, aber selbst war ich in den letzten zehn Jahren höchstens fünf Mal in einem Club. Irgendwie habe ich immer etwas anderes zu tun, wie mir scheint. Ich arbeite ständig an neuer Musik und schreibe viel. Und ich bin viel auf Reisen.

Wie ist es um TELEVISION bestellt? Ist deine alte Band derzeit aktiv?

Also wir waren seit 1994 jeden Sommer unterwegs, aber wir spielen meist eher dort, wo uns die Leute bislang noch nie gesehen haben, waren in Italien und Griechenland oder letzten Sommer in Brasilien. Das hält die Sache für uns interessant, und wir schreiben auch hier oder da einen neuen Song. Man könnte auch sagen, dass wir sehr unehrgeizig sind. Vielleicht gibt es in ein oder zwei Jahren ein neues Album, wer weiß. Richard Lloyd und ich sehen uns aber nur, wenn wir für ein Konzert proben, denn er wohnt am anderen Ende der Stadt, ist verheiratet und hat ein Kind.

Wie wichtig ist die Vergangenheit für dich?

Ich muss sagen, ich denke da nicht wirklich darüber nach.

Du meinst also, damit hast du nur zu tun, wenn dich mal wieder jemand in einem Interview danach fragt.

Genau. Und dann habe ich womöglich keine Antwort parat und erfinde eben etwas, hahaha.

Aber interessanterweise hat ja sehr viel im Musikbusiness mit der Vergangenheit zu tun, mit dem, was jemand vor 10, 20, 30 Jahren gemacht hat.

Ja, weil die Plattenfirmen etwas zu verkaufen haben und entsprechend darauf aufmerksam machen wollen. Und da zieht die Musikpresse immer mit. Wenn es eine Neuauflage eines TELEVISION-Albums gibt, dann kommt passend auch eine Story zur History der New Yorker Rockszene, und so weiter. Aber das hat dann eben auch damit was zu tun, dass oft die Songrechte dem gleichen Großkonzern wie etwa AOL gehören wie auch die Plattenfirma und der Zeitschriftenverlag, und da geht man dann eben mit vereinten Kräften vor. Aber es gibt natürlich auch Ereignisse, die einfach eine große Aufmerksamkeit erfahren, etwa die New Yorker Musikszene des Jahres 1977, San Francisco im Jahre 1967 oder Memphis in den Fünfzigern, die große Zeit des Blues in Chicago.

Verfolgst du aktiv die aktuellen musikalischen Entwicklungen, kaufst du noch neue Platten?

Also hier in New York macht ein Plattenladen nach dem anderen zu, und die gleiche Entwicklung hast du auch bei den Tonstudios. Und der Plattenmarkt ist total verkorkst, denn wo du früher die Chance hattest, auf dem Flohmarkt für einen Dollar eine Orgelplatte aus den Sechzigern zu kaufen, ist der Markt jetzt leergefegt von irgendwelchen DJs, die auf der Jagd sind nach ein paar Sekunden ungewöhnlicher Sounds. Die zahlen dann $30 für so eine Platte. Das ist echt eine Schande, denn es hat viele Leute der Chance beraubt, für kleines Geld ungewöhnliche Musik zu entdecken. Ich selbst habe aber glaube ich im gesamten letzten Jahr keine einzige CD gekauft, sondern nur ein paar LPs auf einer Plattenbörse. Ich bin überzeugter Vinylkäufer, ich mag den Sound einfach. Ich kaufe nicht nach Genre, sondern bin immer auf der Suche nach Sachen, die interessant sind, die ich noch nie gehört habe. Und ich habe ein paar Platten des Jazzpianisten Ahmad Jamal gekauft, denn ich hatte von dem seit den späten Sechzigern nichts mehr gehört.

Du erwähntest vorhin Plattenfirmen, die alte Platten von Bands neu auflegen. Wie verhält es sich bei dir, hast du Kontrolle über den Katalog von TELEVISION?

Unglücklicherweise nicht. Und es ist schon so gut wie unmöglich, überhaupt mal eine Tantiemenabrechnung zu bekommen. Und auch meine Soloplatten sind in den verschiedensten Ländern erschienen, aber da sehe ich auch nie Geld dafür. Ich habe mal versucht zu rekonstruieren, was sich wo in welcher Stückzahl verkauft, aber das hat mich auch nicht weitergebracht. Als in den Achtzigern der Formatwechsel von der LP zur CD kam, wurde diese ganze Abrechnungssache extrem kompliziert, und dazu kommt, dass CDs nicht immer in dem Land hergestellt werden, wo sie verkauft werden, und so hast du kaum eine Chance zu ergründen, welches Label in welchem Land eine Platte veröffentlicht hat. Mit diesem ganzen Download-Geschäft wird jetzt alles noch komplexer, und im Zweifelsfall kannst du nicht mal beweisen, dass irgendwer überhaupt Downloads deiner Songs verkauft hat. Das ist alles total krank. Aber ich habe da auch keinen Anwalt oder so, denn wenn ich mal jemanden zu dem Thema befragt habe, habe ich nie zufrieden stellende Antworten bekommen. Immerhin gibt es eine sehr bekannte Rockband, die in dem Bereich gerade prozessiert, und ich hoffe, es kommt da zu einem Urteil, das dann als Präzedenzfall gilt. Aber das Thema kommt auch nur alle paar Monate mal auf, es ist nicht so, dass mich das ständig umtreibt. Ich bin mir aber sicher, dass es in den nächsten fünf Jahren zu einem großen Prozess kommt, in dem es darin geht, wie Künstler Auskunft darüber bekommen können, wie oft ihre Musik per Download verkauft wurde.

Wenn 2006 eine Band wie die STROKES, die letztlich immer wieder mit TELEVISION verglichen werden, das tolle, große Ding sein sollen, dann fragt man sich schon, ob Musik wirklich so langweilig geworden ist. Wo ist die Innovation, was ist neu und aufregend?

Schon Ende der 80er war eigentlich alle Musik irgendwie gemacht worden, und das hat zur Folge, dass ich diverse Leute, die wirklich sehr gut waren, komplett von der Musik abgewendet haben. Ein Typ etwa war ein wirklich exzellenter Gitarrist, aber er hat sein Instrument schon vor Jahren beiseite gelegt und macht heute was ganz anderes. Als ich ihn nach den Gründen fragte, meinte er, es habe keinen Reiz für ihn, dass auf der Gitarre schon alles gemacht worden sei, da könne er nichts neues zu beitragen. Und dann ist da noch die Tatsache, dass es extrem hart ist, mit Musik seinen Lebensunterhalt zu verdienen, ständig unterwegs zu sein und irgendwo auf dem Fußboden schlafen zu müssen. Da geben die Meisten schon wieder mit Anfang zwanzig auf, oder sie bleiben zu Hause und machen ihre Musik mit dem Computer. Dieses ganze Homerecording-Ding ist deshalb für viele sehr reizvoll geworden.

Auch für dich?

Nein, nicht wirklich. Ich habe damit bei der neuen Platte zwar experimentiert, einen Teil bei einem Bekannten zu Hause aufgenommen, um mal zu sehen, wie das klingt, und ich muss sagen, es macht schon Spaß, von zu Hause aus zu arbeiten. Aber versuch mal dort das Schlagzeug aufzunehmen ... Ich habe das mal gemacht, und sofort hatte ich die Polizei vor der Tür. Wenn ich ein Haus auf dem Land hätte, oder eine Garage irgendwo, dann wäre das für mich interessant, aber ich sehe nicht, dass ich mit Samples und Collagentechnik arbeiten würde. Ich finde das einfach nicht interessant.