Wenn man Frontmann bei CURSIVE und THE GOOD LIFE ist, füllt das voll und ganz aus. Sollte man meinen. Aber weit gefehlt – Tim Kasher bleibt rastlos. Als Musiker bringt er sein mittlerweile drittes Soloalbum heraus, ausgiebiges Touren inklusive, und auch privat kommt Kasher nicht zur Ruhe: Nach Stationen in LA, Whitefish und Atlanta hat er sich nun in Chicago niedergelassen. Seine Beweggründe? Gute Frage ...
Tim, du bist ja inzwischen mehrfach umgezogen, was ist los?
Ja, ich bin ein bisschen rumgekommen. Jetzt habe ich gerade einen Zeitpunkt in meinem Leben erreicht, an dem ich das tun kann. Ich kann mir das erlauben, weil ich keine Familie habe. Ich bin in Omaha, Nebraska aufgewachsen und es ist wirklich wundervoll dort, aber ich wurde auch dazu erzogen, neugierig zu bleiben und neue Orte zu erkunden, neue Dinge zu lernen. Und ich hatte das Gefühl, dass die Zeit das zu tun jetzt gekommen ist. Ich habe in LA gelebt, bin dann nach Whitefish, Montana gezogen, wieder zurück nach Omaha, dann nach Atlanta und jetzt bin ich in Chicago gelandet. Das war eine gute Erfahrung für mich und ist auch gut für das, was ich mache. Ich habe viele Freunde in Omaha, weiß, was da los ist und kenne dort jeden. Wenn ich dort bin, fühle ich mich gut, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich es auf die Reihe bekomme, da zu leben. Wenn ich dort bin, gehe ich immer aus, betrinke mich viel zu sehr und habe dann fast pausenlos einen Kater. Und wenn ich woanders lebe, bin ich ein wenig isolierter und schaffe es auch, viel mehr zu schreiben. Das ist toll. Dort gehe ich auch gerne an den Wochenenden aus, checke die verschiedenen Gegenden aus oder genieße einfach nur die Landschaft. Auch da knüpfe ich natürlich neue Freundschaften.
Whitefish, Montana – davon hat sicher kaum jemand mal was gehört.
Whitefish war wohl der großartigste Ort, an dem ich jemals gelebt habe. Es ist eine Kleinstadt mit etwa 8.000 Einwohnern, nur etwa 40 Minuten von der kanadischen Grenze entfernt, also wirklich weit ab vom Schuss. Für mich hat es sich ungefähr angefühlt, als wäre ich nach Alaska gezogen. Es war eine Chance, so abgeschieden wie möglich zu leben, ohne ein Visum beantragen zu müssen. Ich habe mich wirklich vom Rest des Landes abgeschnitten gefühlt, auf eine positive Art und Weise. Vielleicht war ich auch nur von der Gegend, aus der ich stamme, abgeschnitten. Ich habe viel geschrieben, einige Freunde gefunden, es ist wirklich eine bezaubernde kleine Stadt. Eine Art Skiort, der Lift war nur etwa zwei Blocks entfernt und alles sehr erschwinglich. Auch die kleine Innenstadt war nur etwa zwei Blocks entfernt, ich hatte ein knuffiges, kleines zweistöckiges Haus, in dem ich mir mein Studio aufgebaut hatte. Dort habe ich mein erstes Soloalbum „The Game Of Monogamy“ von 2010 geschrieben und aufgenommen.
Haben Umgebung und Landschaft dieses Album irgendwie beeinflusst?
Ich weiß nicht so genau, wie viel Umgebung und Landschaft dazu beigetragen haben. Ich weiß, dass sie sich natürlich auch zwangsläufig auf mein Schreiben ausgewirkt haben, weil alles, was wir tun, sich auf alles auswirkt. Aber da gibt es für mich einfach keine klare Trennung. Manchmal frage ich mich, ob wir nicht erst mindestens ein Jahr später damit anfangen, über unsere Erfahrungen zu schreiben. Wenn sie schon Nostalgie werden. In den ersten Momenten, in denen sie zu Nostalgie werden. Dann fangen wir an, darüber zu schreiben und nach ihnen zu greifen. Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt über etwas in der Gegenwart schreibe. Vielleicht schon, auf jeden Fall aber nicht so viel, wie über das, was schon passiert ist.
Also stehst du eigentlich noch in direkter Verbindung zu Saddle Creek und Omaha.
Ja, genau. Und ich komme auch immer wieder dorthin zurück. Die Mehrzahl der Musiker, mit denen ich gerne spiele ist noch immer dort.
Älter werden ist ja offensichtlich eines der großen Themen auf „Adult Film“.
Das ist für mich persönlich im Moment einfach allgegenwärtig. Das geht mir so nahe, dass ich das Gefühl habe, das müsste bei jedem in meinem Alter so sein. Ich bin jetzt in meinen späten Dreißigern, werde bald 40, manche Leute nimmt das vielleicht nicht so mit, mich hat das zu Beginn vielleicht auch nicht so mitgenommen, aber wenn ich mir mal anschaue, wie viel ich noch immer darüber schreibe... Ich denke wohl schon sehr viel darüber nach. Das scheint die schwerwiegendste, deprimierendste Sache für mich zu sein. Vielleicht versuche ich auch nur, es greifbar zu machen und damit klar zu kommen, indem ich darüber schreibe. Ich versuche, mir zu sagen, es bleibt immer noch eine Menge Zeit, aber davon kann ich mich selbst nicht so richtig überzeugen. Ich fühle mich einfach nicht mehr so, wie ich mich mit 20 gefühlt habe. Als ich 20 war, wusste ich, dass ich nicht ewig leben würde, aber ich hatte noch dieses abstrakte Konzept der Unendlichkeit. Du hast das Gefühl, alle Zeit der Welt zu haben. Und jetzt hast du einfach 25 Prozent weniger. Manchmal kann ich das nicht ertragen, es macht mich verrückt. Älter sein ist so weit weg, wenn du jung bist, es ist dir einfach egal. Aber, tja, hier sind wir, haha.
Du scheinst auf deinem neuen Album auch ein wenig mit neuen Sounds zu experimentieren.
Es gibt viele Instrumente auf der Welt, mit denen du arbeiten kannst. Es ist immer eine Herausforderung für mich, Platten zu schreiben, die eine andere Herangehensweise verlangen. Ich kann, glaube ich, sagen, dass ich mich diesbezüglich recht jung fühle – trotz allem, was ich vorhin gesagt habe. Es gibt einfach so viele Möglichkeiten, ein Album zu machen, so viele unterschiedliche Herangehensweisen, so viele Instrumente. Es fühlt sich gut an, nach diesen Dingen zu suchen.
Habe ich da tatsächlich auch eine singende Säge gehört?
Ja, die habe ich zum ersten Mal benutzt. Das war ein großer Spaß. Auf „Game Of Monogamy“ habe ich zum ersten Mal eine Harfe benutzt, das war richtig aufregend! Ein Stück für eine Harfe zu schreiben und dann auch noch die Möglichkeit zu haben, das wirklich auch aufzunehmen: Unglaublich! Und die Säge wollte ich auch unbedingt mal aufnehmen. Ich wusste zwar nicht, wie man dafür schreibt, also habe ich einfach ein paar Grundmelodien festgehalten. Die Musikerin, die ich dann in Chicago dafür gefunden habe, war einfach fantastisch. Sie hat mich echt umgehauen. Das Instrument wirkte da einfach so natürlich, sie war so gut.
Das war also tatsächlich eine echte Säge, kein Synth-Sound?
Nein, das war eine echte Säge. Sie wurde in meiner Küche aufgestellt, ich hatte ein bisschen Vakuumfolie um meinen Kühlschrank gepackt, damit es ruhig war, weil der sonst ein wenig summt. Und sie hat das echt toll gemacht. Das war irgendwie auch inspirierend, weil sie die Art Musikerin ist, die einfach fast alles in die Hand nehmen und darauf spielen kann. Den Eindruck hatte ich zumindest.
Hast du noch immer Probleme mit deiner Stimme?
Das ist wieder ein frustrierender Teil des Älterwerdens. Ich bin gerade zwei Wochen mit Akustik-Shows durch den Mittleren Westen der USA getourt, so was ähnliches werde ich auch in Europa machen. Das hat wirklich prima funktioniert. Ich muss länger im Voraus planen, was ich auch tatsächlich singen kann. Das musste ich nicht, als ich jünger war. Aber das ist okay. Ich habe mich lange genug darüber geärgert, schon seit fünf Jahren, aber ich finde mich langsam damit ab. Manchmal ist es schlimmer, manchmal weniger schlimm. Ich lerne, mich an das Älterwerden anzupassen, als eine ältere Person zu singen. Wenn ich 60 bin, muss ich wohl noch einmal nachjustieren.
Auf dem „Adult Film“ Frontcover bist du ja in seltsamer Pose zu sehen.
Ja, das war eine recht ungewöhnliche Idee: Nachdem ich den Titel „Adult Film“ ins Spiel gebracht hatte, kam mir dieses Bild dazu in den Sinn. Der Fotograf, John Sturdy, hat da wirklich gute Arbeit geleistet. Wir haben zusammen daran gearbeitet. Ich musste mich dafür selbst mit Vaseline einreiben, mit seltsamer grüner Farbe und einer Menge Dreck, das war ein lustiger Tag. Ich hatte zu der Zeit einen richtig dicken Bart und ich bin bei dem Fotoshooting mit langen Haaren und diesem buschigen Bart aufgetaucht. Die erste Hälfte haben wir mit Bart gemacht und für die zweite Hälfte habe ich mich komplett abgewaschen, den Bart abrasiert, die Haare geschnitten. Dann haben wir noch einmal von vorne angefangen.
Bitte nenne uns ein paar gute Gründe, ein Tim Kasher-Album zu kaufen.
Wenn du auf der Suche nach etwas bist, das anders ist ... Aber das hängt natürlich auch immer davon ab, mit welcher Musik du dich befasst. Ich bin nie davon ausgegangen, dass meine Musik etwas für jeden ist. Vielen Leuten würde ich wohl sagen, dass sie meine Sachen wahrscheinlich nicht mögen werden. Aber wenn du an Geschichten interessiert bist, daran, was gesagt wird über das Innerste menschlicher Befindlichkeiten, dann könnte das was für dich sein. Wenn du an Popmusik interessiert bist und Poesie magst. Wenn du es magst, dass Dinge ein wenig düsterer und realistischer dargestellt werden. Wenn es dir nichts ausmacht, ein wenig niedergeschlagen zu sein und du die Katharsis wahrnimmst, dann könnte es das Richtige für dich sein.
Also schreibst du in erster Linie für dich selbst und weniger für andere?
Ich schreibe über meine eigenen Erfahrungen mit der Ahnung, dass diese eine Resonanz bei anderen auslösen. Wenn ich meine eigenen Erfahrungen dokumentiere, ist meine Hoffnung, dass ich damit bei anderen Menschen Assoziationen zu ihren eigenen Erfahrungen hervorrufen kann. Dass sie es verstehen und es auch in irgendeiner Form nutzen können.
Willst du mit deiner Musik auch etwas verändern?
Nein, nicht wirklich. Ich finde nicht, dass wir das alle machen müssen. Manche Leute möchten diese Rolle übernehmen, das finde ich schön. Ich fühle mich da viel kleiner in meinem Tun. Ich hoffe, über mein Schreiben an anderen Menschen andocken zu können. Dass sie an das Gesagte anknüpfen können, das ist mir wirklich wichtig. Meiner Meinung nach ist das eine gute Rolle für Künstler und Schriftsteller, weil das genau das ist, wonach man sucht. Zumindest ist es das, wonach ich suche, wenn ich Musik höre, mir einen Film anschaue oder etwas lese.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #114 Juni/Juli 2014 und Anke Kalau
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #111 Dezember 2013/Januar 2014 und Julia Brummert
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #99 Dezember 2011/Januar 2012 und Julia Brummert
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #131 April/Mai 2017 und Julia Brummert
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #93 Dezember 2010/Januar 2011 und Julia Brummert