Nach dem ersten Teil des Tiki-Artikels in Ox #79 folgt nun die Fortsetzung, in der es um die europäische Seite des Phänomens in Spanien und Deutschland geht. Ergänzt wird diese um ein Interview mit Moritz R (einst bei DER PLAN), der neben dem in Ox #79 interviewten Sven Kirsten zu den Ersten in Deutschland gehörte, der sich in popkultureller Hinsicht mit dem Tiki-Phänomen beschäftigte.
„Es gibt Pflanzen, Tiere und Fische, die sich vervielfachen. Das Einzige, was fehlte, war der Mensch. Darum schuf Tangaloa dann Tiki.“ (Te-Jho-tee-Pange, Priester aus Raronia)
Zuerst ein wenig zur Geschichte: Der erste Europäer, der den Pazifischen Ozean gesehen hatte, war anno 1513 der Spanier Vasco Núñez de Balboa. Die Marquesas-Inseln wurden 1595 von dem spanischen Entdecker Alvaro de Mendaña zuerst gefunden: Ihr Name ist eine Hommage an den Vizekönig von Peru, García Hurtado de Mendoza, Marquis de Cañete. Im Laufe des 16. Jahrhunderts kontrollierten die Spanier den gesamten Pazifik. Daher kommt der berühmte Ausdruck „Spanische See“. Mit ihren Schiffen segelten sie zu den Philippinen, Neuguinea und den Salomonen, ebenso zu den Marquesas, der letzten Heimat von Paul Gauguin und der Ort, der Herman Melville dazu inspirierte, seine Romane über das Mar Sud zu schreiben. Trotz dieser illustren Geschichte wurden in der Fantasie der Spanier die exotischen Tropen eher mit der Karibik gleichgesetzt und das Bild eines Moai von Rapa Nui ist, laut der Bücher von Erich von Däniken und anderen, gleichbedeutend mit „Spuren einer außerirdischen Zivilisation“ ...
In Spanien ist das Interesse an der Kultur der pazifischen Völker in den 50er und 60er Jahren auf die beiden Bücher von Thor Heyerdahl, „Die Expedition der Kon-Tiki“ (Jugend,1951) und „Aku-Aku. Das Geheimnis der Osterinsel“ (Jugend, 1965), zurückzuführen. Diese enorme Popularität hatte auch später ihre Auswirkungen auf die bekannte Gastfreundschaft der Spanier. Ein gutes Beispiel aus dieser Zeit ist das Keramikwandbild in dem Bierlokal „Kon-Tiki“ in Madrid, welches heute noch existiert. Die Spanier haben sogar ihren „eigenen“ Thor Heyerdahl: Kitín Munoz versuchte am 5. Mai 1997 den berühmten Weltumsegler zu imitieren, indem er von Tahiti aus die Osterinseln in einem selbstgebauten Balsaholzschiff mit dem Namen „Mata-Rangi“ erreichen wollte. Am 16. Tag musste er wegen eines Lecks die Reise aber frühzeitig abbrechen ...
Die exotischen Nächte von Madrid
Ab Mitte der 60er Jahre eröffneten in Madrid die ersten hawaiianischen und polynesischen Bars und Restaurants. Wahrscheinlich war das legendäre „House of Ming“ die erste Tiki-Bar in Spanien überhaupt. Von Anfang an wurde das Lokal von einer Künstlerclique besucht, die sich um Diktator Franco gruppierte: es handelte sich um Stierkämpfer, Folk-Sänger und Komiker aus dem spanischen Fernsehen. Das Lokal sollte noch lange danach ein Ort für Glamour und gehobene Cocktails bleiben. Es wurde von einer chinesisch-amerikanischen Familie geführt und orientierte sich an dem Vorbild amerikanischer Tiki-Lokale. Cocktails und Exotisches, sprich: chinesische Gerichte, waren für das faschistische Spanien, welches innerhalb Europas mehrheitlich isoliert war, neu und ein profitables Geschäft. Das „House of Ming“ unterschied sich durch die amerikanische Tiki-Inneneinrichtung stark vom Rest der danach eröffneten spanischen „Bars Hawaiianos“. Diese verwendeten viele Keramikwandbilder und -böden, die damals in Spanien groß in Mode waren, und erhielten so ihre unverwechselbare spanische Prägung. Dieser „marae“ (heiliger Ort) Madrids hat jedoch seine Türen im Jahr 2007 für immer geschlossen.
Ein weiteres ehrwürdiges Relikt, das heute leider auch verschwunden ist, war die Tiki-Bar „Bali Hai“ mit ihrem polynesischen Dekor, die sich in einem Ballsaal in der Grand Via von Madrid befand. Beides unersetzbare Verluste und zwar nicht nur für die Tiki-Gemeinde Spaniens. Aber lassen wir uns nicht unterkriegen, es gibt immer noch ein paar gute Cocktails in den übrig gebliebenen Tiki-Bars der Hauptstadt. 1975 eröffnete das „Mauna Loa“, benannt nach dem heute noch aktiven Vulkan auf Hawaii, an der Plaza de Santa Ana. Hier wird der „Volcan“, eine Mischung aus tropischen Säften und Rum serviert. Im populären „Bora Bora“ an der Ventura Rodríguez gibt es köstliche Cocktails mit Namen wie „Testament“, „Kalu“, „Choco-Boa“, „Matasuegras“, „Scorpion“, „Dream Of Love“ und „Temple Of Fire“...
Barcelona, die verbotene Insel
Während der 70er Jahre gab es in Barcelona und seiner Umgebung über zwei Dutzend Tiki-Lokalitäten. Heute ist noch rund die Hälfte davon erhalten. Das „Kahala“ war 1971 das erste Tiki-Lokal und ist bis heute populär geblieben. Fünf Jahre danach eröffneten drei Barmänner die wohl heute noch schönste Tiki-Bar Barcelonas, das „Aloha“. Diese wurde vor allem dadurch berühmt, dass ein Affe die Gäste unterhielt. 1977 öffnete nahe der Universität noch das „Kahiki“. Heute sind in den drei genannten Bars die Musik (billiger Discoschrott) und die Cocktails (vorfabriziert) für einen wahren Tiki- und Cocktailliebhaber eher im unteren Segment anzusiedeln, und falls sich nicht bald etwas ändert, stehen die Überlebenschancen für die Lokale schlecht. 15 Kilometer außerhalb Barcelonas, in Viladecans, befindet sich das „Manao’s“ und in in der Altstadt von Sitges, 35 Kilometer von Barcelona entfernt, steht die Chiringuito-Bar „Pay Pay“. Noch ein wenig weiter entfernt, Richtung Tarragona, in Calafell, befindet sich das „Bora Bora“ und im Nordwesten, im kleinen Ort Terrassa, zirka 30 Kilometer außerhalb Barcelonas, der „Tahiti Polynesian Pub“. 1973 öffnete im berühmten Touristenort Lloret de Mar die wunderschöne Tiki-Bar „Hula Hula“. Seit mehr als 35 Jahren werden die Touristen an der Costa Brava durch Getränke wie „Coco Pae Pae“, „Planter’s Punch“ oder „Pearl Vice“ in Träume über abgelegene Inseln in der Südsee entführt ...
In keinem Land in Europas gab es von den 60ern bis in die 80er Jahre eine solch große Anzahl von Tiki-Lokalen. Wir sprechen somit von drei Generationen von Tiki-Lokalitäten in Spanien. Ehemalige Angestellte der ersten Bars eröffneten, ebenfalls in den Städten Madrid und Barcelona, ihre eigenen Lokale. Zum Ziel der dritten Generation wurde die Mittelmeerküste, dort wurden vor allem die in- und ausländischen Touristen bedient. Auch heute noch sind im ganzen Land Begriffe wie „Aloha“, „Waikiki“, „Kon Tiki“, „Bora Bora“ oder „Hawaii“ in Kombination mit Hotel- und Campinganlagen, Restaurants, Bars, Eisdielen, Diskotheken, Golfplätzen, Stränden, Apartmentkomplexen und Themenparks weit verbreitet.
Spanish Village
1965 veröffentlichte der „Godfather of Exotica“, Martin Denny, das Album „Spanish Village“, worauf auch eines der berühmtesten spanischen Volkslieder, „La paloma“, verewigt ist. Ein Jahr darauf zog Arthur Lyman mit seinem Album „Aloha, Amigo“ nach. Neben „La paloma“ ist darauf auch ein Song mit dem Titel „España“ enthalten. Doch ebenso wie im restlichen Europa hat sich diese Musikrichtung auch in Spanien schwer getan, obwohl in den 70er Jahren hawaiianische Medleys vom 101 STRINGS ORCHESTRA auf den spanischen Labels Gra Music und Yupy veröffentlicht wurden. Roy Ellis, der Leadsänger der legendären englischen Ska-Gruppe SYMARIP („Skinhead Moonstomp“) erinnert sich daran, in den 70er Jahren in Benidorm (Alicante) und in Cullera (Valencia) in Lokalen mit hawaiianischer Atmosphäre gespielt zu haben. Reggae in einer Tiki-Bar? Nun, letzten Endes ist auch Rum in der Karibik beheimatet und ohne Rum keine exotischen Tiki-Cocktails ... Bei den Cocktails, die in Spanien serviert werden, geht man übrigens großzügiger mit dem Alkohol um, als dies in den USA oder im Rest von Europa üblich ist, und somit sind die Drinks auch stärker. Kreationen wie „Wahine“, „Coco Pae Pae“, „Hula Hula“, „Dream Of Summer“, „Ruiseñor“ werden in Bars wie zum Beispiel „Konga“, „The Dragon Cave“ oder „Tangaroa“ in Krügen serviert, welche die Form einer Kokosnuss, einer Ananas, eines Vulkans, eines Moai oder der Maske eines Zauberers aufweisen. Diese wurden ab 1978 in einer Porzellanmanufaktur in der Nähe von Toledo hergestellt, die heute noch alle Tiki-Lokale in Spanien beliefert und über 150 verschiedene Tiki-Mugs in ihrem Sortiment führt, welche bei Sammlern weltweit gesucht sind.
Ist Spanien auch Polynesien?
Ich schrieb einmal, dass die spanischen Tiki-Enthusiasten inzwischen in zwei Taxis Platz hätten, doch so schlimm steht es heutzutage nicht mehr. Es scheint so, dass in den letzten Jahren dieser bizarre Kult wieder auf dem Vormarsch ist. Die iberische Tiki-Community kann sich über die beiden Blogs „Tiki Lounge“ von Lady Eve und Mr. Ivan (bastardosaffrin.blogspot.com) und „Nächte von Bora Bora“ (nochesdeborabora.blogspot.com) des illustren Herrn Castaway informieren. Beide Blogs sind allerdings komplett auf Spanisch und die darin präsentierten Nachrichten, Diskussionen und Bewertungen lassen noch zu wünschen übrig. Doch was nicht ist, kann ja noch werden. Die Tiki-Surfer LOS TIKI PHANTOMS (lostikiphantoms.com) aus Barcelona wurden in einem Interview zum Beispiel gefragt: „Was ist eurer Beitrag als Botschafter des Tiki für die aktuelle spanische Musikszene?“ Und die Phantome antworteten: „Das Heil der Seele! Diese Welt ist ein Chaos, da gibt es nur die eine Möglichkeit, mit uns zu tanzen, so dass wir gemeinsam den Verstand verlieren. Dies ist der Wille des großen Gottes Tiki ...“ Das sagt, glaube ich, alles. Mauruuru!
Óscar Mariscal, Lurker Grand
Tiki Germany
Es gibt kein Bier auf Hawaii
Ab Mitte der 50er Jahre tauchten in Deutschland die Themen Hawaii und Südsee verstärkt in der Musik auf. 1954 gründete Frank „Palani“ Baum, inspiriert durch die Sendung „Hawaii Calls“ auf Radio AFN (der Rundfunksender des US-amerikanischen Militärs) die MAUNA LOS HAWAIIANS und tourte mit ihnen durch die Clubs der europäischen U.S.-Militärbasen. Paul Kuhns mit den HAWAIIANOS eingespielte Single aus dem Jahre 1957 hieß „Du weißes Traumboot / Ein Maori-Mädchen aus Manila“ und zwei Jahre später veröffentlichte er mit den HANSEN BOYS den Song „Eltibadabo Puka Puka“. .Brian Hyland erreichte mit seinem Hit „Itsy Bitsy Teenie Weenie Yellow Polkadot Bikini“ am 8. August 1960 nicht nur Platz 1 der US-amerikanischen Charts, sondern auch die Top 10 in Großbritannien und in Deutschland. Caterina Valente und ihr Bruder Silvio traten zu diesem Zeitpunkt schon öfter gemeinsam in Filmen und im Fernsehen auf. Sie bildeten das Duo CLUB HONOLULU und veröffentlichten die deutsche Version des Songs als „Itsy Bitsy Teenie Weenie Honolulu-Strand-Bikini“, dieser Song belegte im September 1960 Platz 1 der deutschen Hitparade. Schließlich wurde der berühmteste deutsche Hawaiisong, „Es gibt kein Bier auf Hawaii“, von 1963 an vom PAUL KUHN ORCHESTER im ganzen Land endlos rauf und runter gespielt und ist bis heute ein Baller-Knaller geblieben: „Es gibt kein Bier auf Hawaii / Es gibt kein Bier. / Drum fahr’ ich nicht nach Hawaii, / Drum bleib’ ich hier. / Es ist so heiß auf Hawaii, / Kein kühler Fleck / Und nur vom Hula-Hula / Geht der Durst nicht weg.“
Zu dieser Zeit war das Südseelied das Thema in Deutschland schlechthin. 1962 brachte Freddy Quinn mehrere Lieder dazu heraus: „Alo Ahe“, „Und das weite Meer“, „In Hongkong, da hat er ’ne Kleine“ und das „Lied der Südsee“, welches gleichzeitig auch der Titelsong eines auf Tahiti spielenden Schlagerfilms war. Zwischen 1963 und 1964 nahm die erste deutsche Frauenband des Genres, DIE TAHITI TAMOURÉS (abgeleitet von einem gleichnamigen Tanz auf Tahiti), vier Singles bei Polydor auf. Ihr berühmtestes Lied, „Wini Wini“, hielt sich vier Wochen auf Platz 1 der deutschen Singlecharts. Das Original stammte von TEROROTUA AND HIS TAHITIANS, es wurde von Yves Hugues Roche komponiert und 1958 unter dem Titel „Vini Vini“ veröffentlicht. TAHITI TAMOURÉS’ weitere Lieder hießen: „Bye Bye Samoa“, „Tahiti Mafatu“, „Blue Flamingo“, „Trommeln der Südsee“ oder „Ukulele-Melodie“. Die BLAUEN JUNGS sangen im gleichen Jahr „Kleine Venus von Hawaii“, DIE HAWAIIANOS „Twist auf Hawaii“, „Märchen auf Hawaii“ oder „Hawaiian Bossa-Nova“ und die WICKY-WACKYS „Hula Hula“ und „Aloha Honolulu“. Mit dem Komponisten und Arrangeur Willy Ullrich gründete Frank „Palani“ Baum nun die KALUA HAWAIIANS, eine Studioband, die bis 1995 bestand und viele Alben veröffentlichte. Er gehört bis heute auf dem „Aloha Week“-Festival in Honolulu zu den Stargästen (palani-music.de).
Heute sind COCONAMI, die ehemaligen TIKI TIKI BAMBOOS, die dienstälteste „Neo Tiki“-Band Deutschlands. Sie bestehen aus zwei Japanern, die in München hängen geblieben sind und sich mit der Ukulele ihre eigene Südseemusik ausgedacht haben, welche sich aus hawaiianischen Standards, bayrischer Stubenmusik und Stücken aus dem Punkrock-Repertoire zusammensetzt. Ihre neue CD ist gerade auf dem Münchner Label Trikont erschienen (siehe Kritik in diesem Heft), welches sich unter anderem auch mit Südseemusik auseinander setzt. Auf eine Anfrage des Clubs „Atomic Café“ hin und aus einer Laune heraus wurde im Frühjahr 2006 aus der Rock’n’Roll-Band THE BELAIRS eine Exotica-Band. Hawaiianische Klänge gemischt mit Calypso, Ska, Swing und Rock’n’Roll ergeben den „Exotic Sound“ von HONOLULU SIXPACK. Und seit kurzem ist mit ATOMIC BIKINI eine weitere Exotica-Band in der Isar-Metropole am Start.
Die ersten Tikitempel
1974 eröffnete zur Fußball-WM in München die erste „Trader Vic’s“-Bar im Untergeschoss des Nobelhotels Bayrischer Hof. Dieses wunderschöne und riesengroße Tiki-Lokal ist bis heute noch eines der authentischsten in Europa. Ein Jahr nach der Eröffnung von „Trader Vic’s“ etablierte man in der Maxvorstadt von München das „Waikiki“. Asiatisches Essen und Cocktails gab es zu der Zeit noch fast nirgends in München und dies war das Erste einer Reihe von exotischen Lokalen, die vom damaligen „Waikiki“-Besitzer eröffnet wurden. Der heutige Besitzer, Alfred Seurre, arbeitete davor in der Londoner und Münchner Filiale von „Trader Vic’s“. In dem kleinen, 70 Personen fassenden Restaurant waren schon damals das asiatische Essen und die Cocktails um einiges billiger als im „Trader Vic’s“ und somit eine echte Alternative. Das Dekor ist mit Tapas, Bamboo, Wicker-Stühlen und Tiki-Masken ausgestattet, in dem abgedunkelten Raum wird authentische hawaiianische Musik gespielt, und auf der Cocktailkarte steht eine große Anzahl von Drinks, die klar nach den Vorlagen von „Trader Vic’s“ gemixt werden. Da jedoch heutzutage, auch in München, asiatisches Essen und Cocktails an jeder Ecke zu finden sind, hat das „Waikiki“ viel von seiner Popularität eingebüßt. Alfred Seurre hat, wie nicht anders zu erwarten, von der ganzen „Neo Tiki“-Welle noch nichts mitgekriegt.
Von Ende der 70er bis Anfang der 90er Jahre entstanden vereinzelt weitere Tiki-Lokale. Im Hotel Breidenbacher Hof in Düsseldorf war bis 1999 eine kleine „Trader Vic’s“-Bar zu finden, die aber geschlossen werden musste, nachdem das Hotel verkauft wurde, und Mitte der 80er Jahre öffnete in der Altstadt das „Mai Tai“. Dort soll es eine Cocktailkarte mit bis zu 250 verschiedenen Variationen geben. Hamburg erhielt 1990 im Hotel Radison und Berlin im Hotel Hilton im Jahr 2003 je ein weiteres „Trader Vic’s“.
Tiki in Buch, Film und Verkauf
Im Jahr 2000 veröffentlichte schließlich der gebürtige Hamburger Sven Kirsten beim Taschen Verlag „The Book Of Tiki“ (alles darüber in Ox #79). Dieses Buch gilt schlechthin als die „Bibel“ für alle Tiki-Liebhaber weltweit und hat auch in Deutschland eine Neo-Tiki-Welle größeren Ausmaßes in Bewegung gesetzt. Hawaii-Partys, „Mai Tai“-Cocktails, Bands, die sich auf Tiki beziehen, Tiki-Lokale und -Accessoires in allen nur erdenklichen Facetten und Formen sind nun überall zu finden. Der Blog von „Tiki Tamba“ (dietikilounge.blogspot.com) ist einer der wenigen, wo man sich wirklich mit der Tiki-Kultur auseinander setzten kann. In den Städten München und Berlin gibt es heute – wie schon vierzig Jahre zuvor – einiges in Sachen Tiki zu erleben, sehen und hören.
Der Filmemacher Jochen Hirschfeld reiste drei Jahre rund um den Globus, um unter anderem auf diversen Inseln in der Südsee, auf Hawaii, in Kalifornien oder auch Florida exklusives Filmmaterial für seinen Tiki-Film zusammenzutragen. „Paradise Found“ erzählt in drei Kapiteln von dem Ursprung des Südseemythos sowie der Blütezeit und dem Untergang des Tiki-Styles, als Südsee-Pop Mainstream war. Der zweite Teil behandelt schließlich das heutige Tiki-Revival. Wann die DVDs erscheinen sollen, wissen aber nur die Tiki Götter (armchair-travelling.com).
Seit 2001 ist DJ Lemon Squeezer aus der deutschen Tiki-Szene nicht mehr wegzudenken. Er hat eine große Passion für Exotica, Tiki, Polynesian Culture und Polynesian Pop. Einmal im Jahr organisiert er die Party „Swing and Sway in Hawaii“ und steckt auch hinter der „Carnival Hawaii“-Party im Münchener „Atomic Café“. Auch die Online-Plattform alohawaii.de, besser bekannt unter dem Namen Klang und Kleid, hat seit dem Jahr 2000 ihren Sitz in München. Diese hat sich speziell auf die Tiki- und Surf-Kultur spezialisiert und war für das „Wassermusikfestival“ diesen Sommer in Berlin (siehe Liveberichte) als Medienpartner sowie in beratender Funktion tätig.
In Regensburg sitzt Forbidden Paradise, 2005 gegründet von Michael Hanauer und Kai Sarnes (forbidden-paradise.com). Sie haben sich auf die Herstellung von Südsee-Artefakten spezialisiert, sprich: Tikis und Polynesian Pop, und sind rund um das Jahr in fast schon missionarischer Art und Weise für die Tiki-Szene weltweit unterwegs. Des weiteren ist die „Haifischbar“ in Augsburg zu erwähnen (myspace.com/haifischbar), diese Neo-Tiki-Bar und Konzertlocation ist Anlaufstelle für ein breites musikalisches Angebot in der Region.
Berlin: Second Life of Tiki
Mit Moritz R. von der früheren Düsseldorfer Band DER PLAN lebt der dienstälteste und international bekannte Exotica- und Tiki-Liebhaber sowie Maler heute in Berlin (siehe Interview). 2004 reformierte sich DER PLAN nochmals kurz mit Moritz R. und dem Künstler Achim Treu. Treu moderiert eine Radioshow unter dem Namen „U.F.O. Hawaii“, die auf den Sendern FRS sowie byte.fm ausgestrahlt wird, und legt manchmal auch mal als Exotica-DJ in Berliner Klubs auf. Der aus Hamburg stammende und heute in Berlin lebende Kahuna Kawentzmann (aka Sebastian Hartmann) ist ebenfalls über die europäischen Tiki-Grenzen hinaus bekannt. Seit 1988 als Surf- und Exotica-DJ tätig und Gründer der von 1993 bis 1998 bestehenden Surfband LOONEY TUNES, hat er nun Jochen Hirschfelds Film „Paradise Found“ musikalisch vertont. Ebenfalls in Berlin lebt der gebürtige Hamburger Andreas Michalke, der bei Reprodukt Comics zum Thema Tiki veröffentlichte und auch das Logo und den Mug für den „Tabou Tiki Room“ entwarf.
Kulinarisch gibt es zwei außergewöhnliche Orte mit noch außergewöhnlicheren Besitzern. Die im September 2007 von Don Sling eröffnete, zirka 12 Quadratmeter kleine Tiki-Bar „Aloha-Luau“ an der Oranienstraße in Kreuzberg serviert zu absolut fairen Preisen die besten Cocktails, die in einer Neo-Tiki-Bar in Deutschland momentan zu bekommen sind. Dazu erfährt man alles über die Cocktailkultur und noch vieles mehr. Der umtriebige Kanadier und Tiki-Enthusiast Gordon W. führt an der Kastanienallee im Bezirk Prenzlauer Berg das kleine Lokal „W – Der Imbiss“. Er und einige weitere Kanadier, darunter die Künstlerin Laura Kikauka, bringen damit einen „Touch of Tiki“ aus einer anderen Welt nach Berlin. Leckere und spezielle kleine Gerichte, serviert zu Exotica-Musik in einem Lokal, das mit Tiki-Memorabilia ausgeschmückt ist, machen einen Besuch unvergesslich.
2004 wurde schließlich das dem Punkrock-Club „Wild At Heart“ angeschlossene, „Tiki Heart“ auf der Wiener Straße in Kreuzberg eröffnet und 2008 das „Tiki Brett“ auf der Straßburger Straße in Mitte. Diese beiden Lokale sind jedoch eher für die Hot-Rod-Hula-Hoop-Punk-Rock-Billy-Bob-Fraktion gedacht.
Schon 1976...
...eröffnete Hans Schröder den „Rum Trader“ an der Fasanenstraße in Berlin-Charlottenburg. Die Geschichte begann 1943, als der 14-jährige Hans Schröder als Page im berühmten Berliner Hotel Adlon arbeitete und nach Feierabend vom damaligen Barchef Bielemann regelmäßig ein Soda mit einem Schuss Grenadine vorgesetzt bekam. Das genügte, um in ihm den Traum von einer eigenen Bar zu wecken, und so arbeitete Schröder nach Kriegsende in so berühmten Hotels wie dem Pariser Meurice und dem Avenida Palace in Madrid. Seinen letzten Schliff bekam er dann im legendären „Trader Vic’s“ in San Francisco – von keinem Geringeren als dem Gründungsvater Victor Bergeron persönlich. Im „Trader Vic’s“ sollte Hans Schröder auch Ian Fleming kennen lernen, den Autor der „James Bond“-Romane. Dieser widmete ihm, zum Dank für seine vortrefflichen Drinks, eine Passage in seinem Buch „Thrilling Cities“, der Vorlage für den Film „Octopussy“. Bis zum Ende seiner Karriere, als er 2001 altersbedingt seine Bar übergeben musste, setzte Hans Schröder nur auf die allerbesten Zutaten. Heute führt Gregor Scholl, der ehemalige Barchef der „Paris Bar“ den „Rum Trader“ ganz im Sinne seines Vorgängers. Auch die Einrichtung der nur 28 Quadratmetern kleinen Bar hat sich in all den Jahren kaum verändert und einige Erinnerungstücke von Hans Schröders „Trader Vic’s“-Zeiten sind auch noch zu entdecken. In dem dunkel gehaltenen Lokal läuft im Hintergrund Tanzmusik aus den 30er und 40er Jahren und man wird umgehend in ein Gespräch mit Herrn Scholl und den anwesenden Gästen verwickelt. Obwohl der „Rum Trader“ keine Tiki-Bar im eigentlichen Sinne ist, ist er einer der wenigen Orte in Deutschland, wo in einer authentischen Atmosphäre so was wie der Geist der Tiki-Kultur zu erfahren ist.
Seit einigen Jahren kann man unter tikieurope.com auf Deutsch, Englisch, Spanisch und Französisch Informationen über die europäische Tiki-Kultur erhalten oder auch selbst mitteilen. Es gibt in Europa noch so vieles in Sachen Tiki zu entdecken, falls du dich also nach dem Lesen dieser beiden Tiki-Europe-Artikel angesprochen fühlst, melde dich doch einfach bei jemanden von uns.
Mahalo, Lurker Grand
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #79 August/September 2008 und Lurker Grand
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #81 Dezember 2008/Januar 2009 und