THROWN

Foto© by Aslak Junttu

Das erste Interview

Wie aus dem Nichts kommend stellen THROWN die Hardcore-Szene auf den Kopf. Die Schweden gelten als die Durchstarter, haben mit nur einer Handvoll Songs die Million monatliche Hörer:innen bei Spotify geknackt. Am 30. August geht ihr Debütalbum „Excessive Guilt“ an den Start. Im allerersten Interview für ihre Band blicken wir mit Buster Odeholm (dr) und Johan Liljeblad (gt) auf den Songwriting- und Produktionsprozess und klären, was THROWN so besonders macht.

Es ist Ende Juni, als sich Buster überpünktlich in unseren Videocall einwählt. Während wir auf Johan warten, stellen wir fest, dass wir den Frontmann seiner Band, Marcus Lundqvist, auf gleiche Weise kennen gelernt haben: vor einigen Jahren in Stockholm im Tattoostudio Sanctum – Marcus war damals Shopmanager, Buster und ich Kunden. Während meine Zeit dort keine weiteren nennenswerten Folgen hatte, markiert Busters Besuch bei Sanctum den Beginn einer Erfolgsgeschichte. Dazu später mehr. Und auch Marcus wird noch Thema in unserem Gespräch sein.
Erst mal erscheint aber Johan im Call, zugeschaltet aus einem schrecklich heißen Van ohne Klimaanlage, gerade unterwegs nach Frankreich zur nächsten Show. Draußen 30 °C, der Kalender eng getaktet und die Hälfte der Band krank. Die Tour läuft dennoch großartig: „Die Crowds werden immer größer, wir immer besser. Es ist absolut irre“, schwärmt Johan. „Uns gibt es erst seit wenigen Jahren, aber selbst in den USA spielen wir ausverkaufte Shows.“ In den kommenden Monaten werden sie noch mit ALPHA WOLF, WAGE WAR und WHILE SHE SLEEPS unterwegs sein. Da packt auch Buster die Lust, mit auf Tour zu kommen, obwohl er aus Zeitgründen meist verzichtet. Er zählt derzeit zu den einflussreichsten Produzenten im Metal (BORN OF OSIRIS, SILENT PLANET) und auch seine anderen Bands (HUMANITY’S LAST BREATH, VILDHJARTA) halten ihn auf Trab. „Ich würde gerne den Gig mit BRING ME THE HORIZON im Dezember spielen“, gesteht er. „Aber die Jungs haben sich gut eingegroovet und fänden es vielleicht stressig, wenn ich plötzlich dabei wäre. In der Zwischenzeit begnüge ich mich damit, aktuelle Konzertmitschnitte auf YouTube zu suchen und so zu verfolgen, was ihr treibt.“

Verlangen nach mehr
Zurück zu Sanctum Tattoo, irgendwann um 2020 herum. Marcus hat gerade THROWN gegründet, gemeinsam mit den Kollegen aus seiner alten Band GRIEVED, Johan und Andreas Malm (gt). Die ersten Songs sind geschrieben, produzieren soll sie nun Buster. „Damals frisch nach Stockholm gezogen, war ich einfach über Anschluss froh“, erinnert der sich. Schon bald aber schreibt er mit Marcus erste eigene Songs, die beiden harmonieren hervorragend. Buster wird fester Bestandteil der Band. Und als die musikalische Richtung klarer wird, beginnt er einfach selbst, Demos zu schreiben.

Und mit eben diesen Songs reißen THROWN in nur wenigen Jahren sämtliche Fans des Genres mit – manche vielleicht auch unfreiwillig. Denn zwischenzeitlich ist es kaum möglich, dem Hardcore-Quartett auf Spotify zu entkommen, nach fast jeder Playlist erklingt einer ihrer Songs. Wieso eigentlich? Ein Faktor: die Kürze der Tracks, im Schnitt zwei Minuten. Dabei ist jeder Takt auf den Punkt, manchmal schon das Intro ein Breakdown. In einem THROWN-Song gibt es keine Lückenfüller. Das Resultat: Hörer:innen bleiben dran – gemessen an der Dauer der Tracks sogar überdurchschnittlich lang. Hinzu kommt die hohe Frequenz an Singles. Es gibt ständig etwas Neues und einen Grund, sich THROWN zuzuwenden.

Sind die Songs bewusst kurz gehalten? Buster lacht: „Eigentlich mache ich nur Demos, aus denen noch ganze Songs entstehen sollen. Aber dann schicke ich sie Marcus und er sagt: ‚Nö, das ist fertig.‘ Es ist definitiv seine Idee, ist ja auch typisch für Hardcore.“ Johan ergänzt: „Wir haben mal probiert, längere Songs zu schreiben, aber das braucht es nicht.“ Nach einem THROWN-Stück bleibt immer das Gefühl, einen Nachschlag zu wollen. Man bekommt nie so viel, wie man eigentlich gerne hätte. „Genau!“, bestätigt Buster. „Ich lese oft Kommentare wie ‚Macht den Track länger, das ist ja nur ein halber Song!‘ Die Leute verstehen einfach nicht, dass das eine bewusste Entscheidung ist.“

Vom Hardcore zum HipHop – oder umkehrt?
Währenddessen überschlagen sich die Lobeshymnen. Da heißt es, THROWN „retten den Metal“ oder sind „die größten Durchstarter des Jahrzehnts“. Johan lacht: „Total verrückt, dass Leute so was sagen.“ Und mit schwedischer Bescheidenheit fügt er hinzu: „Ja, THROWN sind schon jetzt die größte Band, in der ich je gespielt habe, aber manchmal wissen wir doch selbst nicht so recht, was wir tun.“

„Ich finde das spannend“, ergänzt Buster. „Die Songs sind eigentlich total simpel. Das Arrangement so zu gestalten, dass es interessant wird, ist eine Herausforderung. Aber ich liebe es, dass man insbesondere bei der Kürze der Songs auf jedes noch so kleine Detail achten kann. In einem THROWN-Stück zählt jeder Moment. Ich glaube, wir kratzen aber gerade mal an der Oberfläche. Dieser HipHop-Hardcore-Mix ist in der Form noch lange nicht erschöpft.“
Der HipHop-Einfluss, den man insbesondere bei neueren Tracks zunehmend hört, stammt von Marcus. „Er spielt uns immer wieder Trap, Phonk und härteren HipHop vor, wenn wir unterwegs sind im Auto oder zusammen etwas trinken. Marcus trinkt keinen Alkohol, aber wir genehmigen uns ein Bier und er zeigt uns neue Songs.“ Buster grinst und fährt fort: „Sein Flow und seine Vocals sind sehr von diesem Style inspiriert. Ich finde, diese Elemente ergänzen perfekt den Hardcore von THROWN. Ich bin überzeugt, dass sich die Band stilistisch in diesem Bereich noch weiter entwickeln wird.“

Ist es dieser Sound, der THROWN von anderen Bands abhebt? Buster hat dazu eine klare Meinung: „Was uns einzigartig macht, ist die Fähigkeit, HipHop in Hardcore einzubinden, ohne dass es schlecht klingt.“ Er lacht. „Ich meine, so, dass es Sinn ergibt. Es gibt Bands, die denken, dass sie HipHop-Einflüsse haben – aber sie packen einfach Trap auf einen Breakdown. Wir gehen es anders an: Wir wollen einen HipHop-Track heavy instrumentalisieren, den Vibe beibehalten, nicht nur ein Element über ein anderes legen. Dabei spielt Marcus’ Vocal-Flow eine ganz große Rolle, der hält alles zusammen. Unsere Riffs sind ehrlich gesagt nichts Besonderes.“

Haben sich THROWN deswegen gegen einen Bassisten entschieden? „Ja, ich glaube, es ist einfacher für uns zu rechtfertigen, keinen zu haben, weil wir sowieso auf einen Computer zurückgreifen müssen“, erläutert Johan. „Bei unserer ersten Tour hat ein Freund Bass gespielt, aber wenn wir jetzt mehr und mehr Trap-Beats abspielen, ist das überflüssig. THROWN sind wir vier. Ich mag außerdem die Symmetrie auf der Bühne, die sich ohne Bassisten ergibt.“

Schreiben, flüstern, produzieren
Auch der Songwriting-Prozess ist speziell. „Ich finde das super lustig“, gesteht Buster. „Normalerweise bin ich gewöhnt, erst mal alleine zu schreiben, aber Marcus ist manchmal so begeistert von einem Demo, dass er schon ein, zwei Tage später mit den Texten um die Ecke kommt. Und dann schickt er diese ‚Flüster-Videos’. Darin spielt er das Demo ab und filmt dabei seinen Text auf dem PC-Screen. Die Lyrics flüstert er zeitgleich in der Kadenz, dem Rhythmus, wie er sich das vorstellt.“ Text und Flow sind meist schon so gut, dass man sie behält. Nur die Vocals werden noch zu ausgewachsenen Shouts. Manchmal dauert der Prozess aber doch etwas länger, dann wird Version um Version verworfen. Ein Beispiel ist „Nights“, von dem man im Internet alte Varianten findet. Den Track haben THROWN sogar schon live gespielt, bevor sie sich entschieden, ihn noch mal zu verändern. Ist es manchmal schwierig, sich auf eine finale Version zu einigen? Buster hat darauf eine klare Antwort – mit Augenzwinkern: „Was Marcus sagt, zählt. Sein Wort ist Gesetz.“

Buster ist nicht nur der Drummer der Band, sondern auch ihr Produzent. Wie unterscheidet sich eine Produktion für THROWN von anderen Projekten? „Mein genereller Ansatz fürs Mixing ist immer gleich, ich verwende beispielsweise stets die selben Plug-ins für die Drum Parallel Compression. Der ersten Session mit THROWN lagen bereits fertige Songs zugrunde, was etwa den Gitarrensound geprägt hat. Johan nutzt dafür das Boss Heavy Metal Pedal. Speziell für THROWN ist aber zum Beispiel die hohe, klingende Snare, die wir gemeinsam entwickelt haben.“

Schonungslos und ein bisschen mysteriös
Und die Texte? Die sind verdammt düster, erbarmungslos, oft schwer verdaulich, erzählen von inneren Abgründen und Selbsthass, stammen allesamt aus Marcus’ Feder. „Da ist er sehr penibel, davon können Johan und ich ein Lied singen“, grinst Buster. „Er achtet sehr genau auf jedes einzelne Wort, nicht nur auf die Bedeutung und die Gesangstechnik, auch auf die Kadenz, den Flow und vor allem die Emotion, die all das vermitteln soll.“ Und so finden sich seine Bandkollegen gerne mal in Dauerschleifen wieder, in denen Songs stetig optimiert werden, obwohl sie längst die Qualität erreicht haben, um fertig zu sein. „Wir fragen uns manchmal: Wieso machen wir das denn jetzt noch mal?“, gesteht Buster. „Aber Marcus will dann ein ganz bestimmtes Wort in einer ganz bestimmten Art screamen. Wir lassen ihn machen. In THROWN steckt so viel mehr Liebe zum Detail, als man erahnt.“ Und identifizieren sich die Bandkollegen mit den düsteren Inhalten? „Nee, ich nicht“, winkt Buster ab, revidiert kurz darauf aber sein Statement, als Johan einwirft: „Ich denke, schon ein bisschen. Es wirkt so, als würden sich viele Menschen damit identifizieren, auch wenn sie nicht total depressiv sind. Und der Inhalt passt zur Musik.“

Der Titel des Albums „Excessive Guilt“ scheint die logische Fortsetzung der EP „Extended Pain“: Erst der Schmerz, dann das Schuldgefühl. Viele Menschen mögen dazu tendieren, Schuld auf andere zu schieben, anstatt sich selbst zu reflektieren und in die Pflicht zu nehmen. Sind THROWN selbstkritisch? „Definitiv“, bekräftigt Buster. „Ich bin es vor allem durch die Band geworden. Anfangs war ich sehr selbstbewusst, nach dem Motto: ‚Ich bin Buster, ich weiß alles.‘ Die Jungs haben mich schnell auf den Boden der Tatsachen geholt und mir gesagt, was ihnen nicht gefällt. Da war mein Ego erst mal angeknackst. Genau das braucht es aber, um sich zu entwickeln. Ich bin bei meiner Arbeit mit THROWN viel selbstkritischer als bei anderen Projekten. Bei VILDHJARTA und HUMANITY’S LAST BREATH geht es eigentlich nur darum, möglichst verrückt und düster zu sein.“ – „Bei THROWN geht es um den Sound, die Atmosphäre, die Visuals, wie wir performen ...“, wirft Johan ein. „Es geht um den Vibe.“

Durchdacht, reduziert, geradeheraus, auf den Punkt: Wie ihre Musik und ihre Texte, so sind auch die Schweden selbst. Das Quartett wirkt introvertiert, kaum Interviews, kaum Content auf Social Media – weder auf den privaten Kanälen noch auf dem Account der Band. Dennoch explodieren Spotify und YouTube. Johan erklärt sich das so: „Anstatt zehn Posts am Tag abzusetzen, warten wir lieber auf den richtigen Moment, das richtige Bild, die richtige Message. Wir sagen nur etwas, wenn wir etwas zu sagen haben.“ Buster unterstreicht: „Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir sind doch alle gesättigt vom vielen Content. Ich will nicht von meinen Lieblingsmusikern wissen, wie ihre Hunde heißen oder was auch immer. Ich mag es, wenn ein gewisser Mythos gewahrt wird.“ Er hält kurz inne: „Ich habe gut reden, ich bin der am wenigsten mysteriöse Typ von uns. Aber ich weiß den Ansatz der Jungs, nur das zu teilen, was wirklich sinnvoll ist, sehr zu schätzen.“

Und wenn wir doch mal einen Blick hinter die Kulissen werfen? „Wir sind richtig gute Freunde, lachen sehr viel und albern herum“, erzählt Johan. Und Buster ergänzt: „Marcus ist ein bisschen geheimnisvoll und still, aber wir anderen überhaupt nicht!“ Die perfekte Balance also.