TENSIDE

Foto© by Pia Boehl

Metal für alle

Längst kein Geheimtipp der modernen Metal- und Core-Szene mehr, haben sich TENSIDE mittlerweile auch zu einer respektablen Größe in der internationalen Musikszene entwickelt. Was es mit dem neuen Album „Come Alive Dying“ auf sich hat und wie die Band sich ihren Status über fast zwanzig Jahre hart erarbeitet hat, erfahre ich im entspannten Gespräch mit Sänger Daniel kurz vor Weihnachten.

Daniel, wenn ich so zurückdenke an eure ersten Shows, ist mir eines immer aufgefallen, und zwar dass ihr schon immer ein sehr gesundes Selbstbewusstsein an den Tag gelegt habt. Vor allem bei eurer Bühnenpräsenz und der Art, wie ihr mit dem Publikum interagiert. Bist du selber mehr so die Rampensau oder genießt du auch die kreative Zeit im Studio?

Also ich glaube, wir genießen es alle irgendwie, live zu spielen. Das ist einfach unser Ding, das macht uns mega Spaß – so wie wahrscheinlich den meisten Bands. Und ja, die Interaktion ist geil, mit den Leuten sprechen, eine Verbindung schaffen auf einer Live-Show, das ist das Beste, was es gibt. Ansonsten kreative Zeit zusammen im Studio zu verbringen ist natürlich auch cool, aber eine ganz andere Sache, das ist irgendwie gar nicht zu vergleichen, finde ich. Du erschaffst da etwas, wo du eigentlich schon im Prozess die ganze Zeit daran denkst, ich will zurück auf Tour oder irgendwie eine Show spielen, wie wird der Song live klingen ... Das ergänzt sich alles auf eine sehr natürliche Art und Weise. Und wenn wir eine Show spielen, dann immer zu hundert Prozent – egal ob da jetzt 20 Leute sind oder 200.000. Ich denke, es hat eben auch jeder verdient, ein gutes Konzert zu sehen!

Werfen wir jetzt mal den Blick ins Studio. Wie gelingt dir der Balanceakt zwischen der Vorfreude auf neu entstehende Kunst/Musik und der oft dazugehörenden inneren Auseinandersetzung mit vielleicht auch schwierigen oder persönlichen Themen, die wiederum Einfluss auf die Musik und die Texte haben?
Der ganze Prozess war eigentlich der längste und schwierigste bisher für uns. Einfach deshalb, weil wir aus einer totalen Unsicherheitssituation rauskamen. Wir hatten den Release von unserer letzten Platte „Glamour & Gloom“ in der ersten Woche des Lockdowns. Alles hat sich ewig gezogen, Corona-Abstandsshows etc. Und zwischendrin haben wir uns mal gedacht, okay, wir müssen anfangen, wieder eine Platte zu schreiben, denn das ganze Live-Ding wird sich so gar nicht mehr ausgehen. Und wir haben uns dann auch deswegen, dass immer noch Pandemie war, sehr viel mehr Zeit gelassen. Endlich mal eine Platte schreiben mit allem, was dazugehört, völlig ausgereift, so lange, bis es gut ist – das war die Devise. Auf der anderen Seite war es so, dass ich auch selbst eine krasse Zeit durchgemacht habe. Während Corona ist mein Dad gestorben. Alles hat sich geändert, ich war selber in einem permanenten Veränderungsprozess. Aber wenn du irgendwo ganz unten ankommst, dann musst du natürlich auch wieder rauskommen aus dem Ganzen.

Nehmt ihr diese erzwungene Entschleunigung auch mit in zukünftige Prozesse?
Wir können natürlich auch einen Song schnell schreiben, wenn das Momentum und das Gefühl da ist. Aber wenn ich halt die Inspiration nicht küsse, wird es einfach schwierig. Zudem sind wir keine Band, die auf Ghostwriter oder Ähnliches zurückgreift. Wir sind ein kleines Team von Leuten, die eng als Band zusammenarbeiten und unser Zeug dementsprechend schreiben und das ist uns auch ganz wichtig. Wir sind keine Fabrik, die alle zehn Wochen irgendwelche Popsongs fertigen muss. Das ist immer noch handgemachte Musik und das halte ich im Metal auch für wichtig.

Was ist der größte Unterschied im Vergleich zur vorherigen Platte?
Ich würde sagen, dass einfach Sound und Songs noch mal fünfzig Prozent mehr ausgecheckter sind. Es ist immer schwierig, sich selbst zu beweihräuchern, aber ich finde tatsächlich es gibt keinen schlechten Refrain auf „Come Alive Dying“. Und na ja, was soll ich sagen? Ich glaube, als Musiker sagst du immer, dass das aktuelle dein bestes Album ist. Das sieht auch jeder anders und das ist mir absolut bewusst.

Wie sehr seid ihr als Bandmitglieder noch in den Produktionsprozess involviert, wenn, wie ich höre, das Mixing und Mastering diesmal sogar in L.A. und Nashville stattgefunden hat?
Eigentlich zu einhundert Prozent. Michi, unser Gitarrist, ist bei uns der Mastermind, was Recording und Writing angeht. Er hat das ganze Album selber aufgenommen, bis auf die Drums. Die haben wir mit Kohle gemacht, in der Nähe von Frankfurt. Ein geiler, echter Drumsound war uns schon immer wichtig. Das ist ja auch so ein Ding, heutzutage macht das nicht mehr jeder, aber eine Platte, die leben soll, die braucht einen echten Drumsound. Und deswegen stecken wir da eben schon sehr mit drin. Und wir haben zum ersten Mal tatsächlich jetzt in Amerika eine Platte gemischt und gemastert. Ich war zum Beispiel dort, da ich eine sehr enge Verbindung mit Amerika habe, weil ich, seit ich 17 bin oder so, fast jedes Jahr, teilweise auch mehrere Male, da bin und mir schon einen ganz guten Freundeskreis aufgebaut habe in L.A. und der näheren Umgebung. Unser ganz alter Schlagzeuger lebt ja auch dort, mit dem ich angefangen habe mit der Band vor x Jahren, und so ist es gekommen. Ich habe mich dann in L.A. mit Joseph getroffen und auch noch mit Jordan, dem alten Bassisten von AS I LAY DYING, der jetzt auch bei SPIRITBOX spielt, die betreiben das Studio zusammen. Und als wir die Platte fertig hatten, haben wir Joseph mal einen Mix machen lassen. Und um ganz ehrlich zu sein, ich wollte schon immer eine Platte in den Staaten mischen, weil der Sound dort einfach besser verstanden wird von den Leuten, die es machen. Amerikanischer Sound ist einfach immer noch mal so ein bisschen mehr drüber, so ein bisschen aufpolierter. Und wir erleben es ganz oft, dass Leute, die TENSIDE das erste Mal sehen, erst nicht glauben, dass wir eine deutsche Band sind. Uns bedeutet das tatsächlich auch als Band immer noch was. Ich weiß, heutzutage gibt es viele Leute, denen ist das alles scheißegal. So unter dem Motto, hey, mach das geil, klingt gut, mir egal, wer das macht. Uns ist es schon wichtig. Wir sind da oldschool. Vom Artwork bis zum Mixing und Mastering. Das sind alles Prozesse, wo Menschen beteiligt sind, und da haben wir noch Bock drauf. Und ich glaube auch, dass sich das auszahlt.

Zuerst wollte ich ja fragen, wie die Zusammenarbeit mit John Henry von DARKEST HOUR zustande kam, und dann habe ich aber weitergelesen im Promotext, dass der Gute jetzt nach München gezogen ist. Was ich schon sehr überraschend fand, weil – und ich bin selber Münchner – die Stadt ja nicht unbedingt als internationale Metal-Hochburg gilt. Seid ihr jetzt quasi Nachbarn?
Es ist tatsächlich so, dass wir uns schon flüchtig kannten. Wir haben natürlich schon mal die eine oder andere Show zusammen gespielt. Michi und ich sind auch totale DARKEST HOUR-Fans. John hat dann eine Frau hier in München kennengelernt, er war immer mal wieder hier und ist auch bei Shows von uns aufgeschlagen. Und als er hier einen Raum als Studiomöglichkeit suchte, haben wir ihm einfach unseren angeboten. Und jetzt ist er fest im Studio bei uns mit drin, mittlerweile auch verheiratet, wohnt hier in München. Und dann haben wir gesagt, hey, jetzt lass uns mal einen Track zusammen machen. Sehr viel mehr ist es gar nicht. Wir haben den Song, „Impending doom“, dann auch als Single gepickt und dazu ein Video gedreht. Ich finde, das ist eine runde Nummer geworden. Der Song ist straight mehr Metal würde ich sagen. Aber es passt irgendwie so total zu dem Song, es fühlt sich organisch an und unsere Stimmen harmonieren auch irgendwie ganz geil.

Ich finde auch, eure Stimmen passen sehr gut zueinander. Hast du irgendwann klassischen Gesangsunterricht genommen, um dein Volumen zu optimieren?
Tatsächlich ist es so, dass ich, als wir auf der KILLSWITCH ENGAGE-Tour waren, von Crew und Band mal so ein Ding mit Melissa Cross geschenkt bekommen habe. Das ist ja diese Vocalcoach-Lady, die das ganze Screaming macht, unter anderem auch mit Randy von LAMB OF GOD und so. Das war so ein Wochenende da, das fand ich ziemlich nice, da habe ich noch mal gut was dazugelernt. Ich habe das früher schon hier und da gemacht, so eine Vocal-Lesson, aber ich hatte nie eine klassische Gesangsausbildung. Und jetzt habe ich zur Platte, einfach um mich in Shape zu bringen, weil ich ja doch noch sehr viel mehr singe als beim Vorgänger, mal wieder ein paar Stunden genommen, um meine Atmung durchzuchecken und Haltung und Stimme zu überprüfen. Das hat Bock gemacht und das sich auch ganz natürlich entwickelt, weil es ja nicht so ist, als würde ich jetzt komplett nur noch singen. Der Singanteil ist einfach in den Refrains sehr viel präsenter geworden. Was aber auch, glaube ich, einfach daran liegt, dass ich das einfach persönlich fühle, und ich finde, dass ein Song, der so entsteht, mit so einem Instrumental das auch einfach braucht.

„Come Alive Dying“ ist eine ziemlich stimmige Platte, deren Konzept sich gut erschließt. Inwiefern sind euch vollwertige Alben wichtig, in einer Zeit, in der Bands zunehmend dem Trend folgen, nur noch Singles oder EPs zu veröffentlichen?
Grundsätzlich finden wir, dass ein Album immer noch eine super Sache ist. Gerade im Metal ist es einfach so, du hast einfach die Möglichkeit, dich breit aufzustellen, ein paar Sachen zu machen, dem Hörer auch ein bisschen was zu bieten. Ich finde, eine Vinylplatte oder eine Box oder eine CD sind immer noch etwas, das wir einfach cool finden, wo wir sehr viel Mühe reinstecken. Wir haben für dieses Album echt ein Mordsartwork gemacht, mit super viel Zeug, um es zu präsentieren, weil so ein Album im Ganzen eine Geschichte erzählt und nicht einfach nur ein schnelllebiges Produkt ist, sondern da steckt ja viel Zeit, viel Liebe, viel Geld, viel Engagement drin. Ich denke, Alben sind im Metal immer noch relevant und werden auch eine Zeit lang immer noch relevant bleiben. Aber man muss natürlich auch immer weiterdenken und die Zukunft wird dahin gehen, dass es viele digitale Releases geben wird. Viele Bands haben ja auch einfach wahnsinnige Probleme, ein Album überhaupt finanziell zu stemmen. Wie wird es mit der Umwelt, wie wird es mit den ganzen Herstellungsgeschichten, wie wird es mit Preis-Leistung-Sachen, wie viel Budget wird es noch geben? Da ist es gerade in der Anfangsphase für neue Acts sehr viel dankbarer, hier und da mal eine Single zu machen, die man dann länger promoten kann.

Gibt es bestimmte Ziele für euch als Band, die ihr noch erreichen möchtet, bestimmte Länder/Venues, die ihr bespielen wollt?
Wir wollen eigentlich noch auf allen Kontinenten spielen, auf denen wir bisher noch nicht waren. Also Afrika, Nordamerika und Australien. Das wäre geil. Ich jedenfalls würde super gerne einmal beim Rock im Rio spielen. Ich finde Brasilien einfach mega, meine Eltern haben einige Jahre dort gelebt. Das wäre so ein Über-Traum von mir!