Die Quintessenz meines Interviews mit Rob Miller könnte lauten wie die Überschrift dieses Interviews. Mit besagter Band war Miller in den Achtzigern dem Zeitgeist weit voraus war und beeinflusste Heerscharen anderer Musiker. AMEBIX waren die Mitbegründer von Crust, veröffentlichten einige Meilensteine des Genres, verglühten aber 1987 knapp zehn Jahre nach ihrer Gründung. Nach einer überraschenden Reunion 2009 und einem bärenstarken Album zwei Jahre später, kam 2012 das neuerliche Ende von AMEBIX. Nun kehrt Rob mit seiner neuen Allstar-Band TAU CROSS stärker denn je zurück und hat sich einiges vorgenommen für die Zukunft.
Rob, bereits nach dem ersten Durchlauf des TAU CROSS-Debüts war ich mir sicher, dass ich einen Meilenstein vor mir habe.
Ich denke, es ist das schönste Kompliment, das man als Musiker bekommen kann, wenn Menschen es genießen, eine Platte immer und immer wieder zu hören, denn es bedeutet nichts anderes, als dass man als Künstler offenbar etwas von Bestand geschaffen hat. Als wir 2011 das AMEBIX-Album „Sonic Mass“ fertiggestellt hatten, war ich sehr glücklich mit der Platte. Ich habe sie mir selbst diverse Mal angehört und es jedes Mal sehr genossen. Mit dem TAU CROSS-Album habe ich mich jetzt ebenfalls sehr viel und in Ruhe beschäftigt. Ich habe immer mit irgendeinem Song angefangen und bin dann wie selbstverständlich beim Rest des Albums gelandet. Ich finde es regelrecht amüsant, dass ich das Album ebenfalls sehr mag. Es ist vielleicht nicht so komplex wie „Sonic Mass“ und möglicherweise auch nicht so gut produziert, aber die Platte besitzt etwas Unverfälschtes, auf das ich sehr stolz bin.
Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Drummer Michel „Away“ Langevin von VOIVOD und den Gitarristen Jon Greenslit, MISERY, und Andy Lefton, WAR//PLAGUE? Meines Wissens lebst du auf den Hebriden, Michel irgendwo in Kanada und Jon und Andy im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten.
Ich habe über einen längeren Zeitraum versucht, verschiedene Musiker für die Idee von TAU CROSS zu begeistern, zunächst leider völlig erfolglos. Nach ungefähr einem Jahr verzweifelter Bemühungen, war ich kurz davor, das Ganze aufzugeben. Dann traf ich ziemlich unvermittelt auf Andy und plötzlich kam das Ganze ins Rollen. Michel war dann recht schnell an Bord, eins kam zum anderen und plötzlich hatte ich wie aus dem Nichts eine Band zusammen. Es war irgendwie, als hätte ich erst in diese Krise geraten müssen, um dann unvermittelt alle Dämme brechen zu lassen.
Wie sind unter diesen Umständen die Songs für euer Debüt entstanden? Habt ihr zusammen im Proberaum gehockt und die Songs gemeinsam entwickelt oder schickt man sich heutzutage eher Ideen via Internet zu und jeder arbeitet sie dann für sich aus?
Ich habe nach „Sonic Mass“ eine Menge neues Material geschrieben – immer in der Hoffnung, ein weiteres AMEBIX-Album zu machen. Doch mit der Zeit wurde immer deutlicher, dass wir als Band nicht mehr funktionierten. Ich versuchte dann einfach, das Beste aus der Situation zu machen. Das bedeutete letztlich, AMEBIX zu begraben und unter neuem Namen noch mal von vorne anfangen zu müssen. Ich habe mich erst mal mit mir selbst auseinandergesetzt und versucht, mich als Songwriter und Musiker neu zu finden. Ich wollte wissen, was genau es war, was ich zu AMEBIX beigetragen hatte. Als ich das herausgefunden hatte, war ich bereit für einen Neustart. Ich spielte also den anderen Jungs erste Versionen meiner Songs vor und schlug ihnen vor, gemeinsam neue Demoversionen aufzunehmen, in die jeder seine Ideen einbringen sollte. Ich wollte die Songs völlig frei entstehen lassen, ohne selbst allzu viel Kontrolle zu haben. Michel war als Erster im Studio und hat in Montreal seine Schlagzeugparts aufgenommen. Über Dropbox haben wir die Dateien dann ausgetauscht, ich habe meine Basstakes gemacht, danach ging alles zurück über den Atlantik nach Minneapolis, wo Jon und Andy sich um die Aufnahme der Gitarren kümmerten. Danach war ich wieder dran und habe die Songs eingesungen. Am Ende mussten die fertigen Tracks nur noch einen kleinen Weg auf der Isle of Skye zurücklegen, auf der neben mir glücklicherweise auch mein Freund James Adams wohnt, mit dem ich schließlich alles zusammengemischt habe. Michel, John, Andy und ich haben die ganze Zeit über versucht, so gut es geht über Skype in Kontakt zu bleiben und dabei sehr offen diskutiert, wie wir uns mit der Band fühlen. Ich hatte durch das Ende von AMEBIX sehr viel Geld verloren und konnte finanziell daher nur wenig zu TAU CROSS beitragen. Um ehrlich zu sein, hing die Fertigstellung der Platte lange am seidenen Faden. Umso befriedigter und glücklicher fühle ich mich nun mit dem finalen Produkt und der Erkenntnis, dass wir es tatsächlich geschafft haben, das Album zu veröffentlichen.
Du hast gesagt, die Platte sei nicht so gut produziert wie „Sonic Mass“. Ich finde, das Album klingt unglaublich vielschichtig, es passiert unheimlich viel in den Songs, sodass man auch nach dem zehnten Hören noch neue Facetten entdeckt. Wie lange habt ihr an den Aufnahmen gearbeitet?
Nun ja, die Fertigstellung des Albums hat nicht viel Zeit in Anspruch genommen. Unser Produzent James Adams war früher genau wie ich Schwertschmied und Musiker. Er hat sich vor einiger Zeit ein kleines Aufnahmestudio eingerichtet, brauchte aber erst mal ein wenig Zeit, sich mit unserer Art von Musik, die ihm bis dato völlig fremd war, vertraut zu machen. Während der Produktion saß ich dann bei ihm im Studio, schlug hier und da ein paar kleine Änderungen vor, aber irgendwie passte ohnehin alles recht einfach zusammen. Mein oberstes Ziel war es, ein möglichst vielfältiges Hörerlebnis mit verschiedenen Stimmungen zu erreichen. Um noch einmal auf die prägenden Alben meiner Jugend zurückzukommen: Ich liebe Platten mit kleinen, fast versteckten Details, die man erst entdeckt, wenn man sie wieder und wieder hört. Das wollte ich auch für das TAU CROSS-Debüt hinbekommen.
Besonders beeindruckend finde ich, dass deine Stimme immer noch nahezu genauso klingt wie zu AMEBIX-Zeiten in den Achtzigern. Falls du ein paar Tips zur Stimmkonservierung hast, würde ich sie gern weitergeben.
Mein Tip zur Stimmerhaltung? Sing einfach zwanzig Jahre lang nicht. Aber im Ernst, vielen Dank für das Kompliment. Ich versuche gerade, mein gesangliches Spektrum zu erweitern, TAU CROSS sind hierfür perfekt geeignet. Die anderen Jungs in der Band freuen sich immer für mich, wenn ich es nach vielen Versuchen endlich geschafft habe, etwas so zu singen, dass es irgendwie passt. Aber ich lerne immer hinzu, zum Beispiel wie ich meine Stimme besser kontrolliere. In den Achtzigern habe ich einfach so laut geschrien, wie ich konnte, bis ich eine blutige Kehle hatte. Mehr als drei bis vier Shows am Stück waren so unmöglich machbar. Ich hatte einfach keine Ahnung vom Singen.
Man hat deine Gesangstimme schon mit der von MOTÖRHEAD-Lemmy verglichen.
Ja, der alte Lemmy-Vergleich ... Ich erinnere mich daran, dass ich vor langer Zeit mal BBC-Moderator Tommy Vance im Radio gehört habe. Er spielte zunächst AMEBIX und direkt danach „Orgasmatron“ von MOTÖRHEAD und sagte im Anschluss: „Ich frage mich, wer hier wen beeinflusst hat.“ Das war, als Lemmy anfing, so wie ich bei AMEBIX zu singen, haha. Nun ja, meine Stimme wird eben gern entweder mit der von Lemmy oder mit Jaz Coleman von KILLING JOKE verglichen. Beides nette Vergleiche, ich finde dennoch, dass meine Gesangstimme anders klingt.
Konnte man in den Achtzigern mit AMEBIX Geld verdienen? Und wird euer Backkatalog heute noch nennenswert verkauft?
Nun ja, für „Monolith“, unser zweites Album von 1987, haben wir in den vergangenen 25 Jahren insgesamt 250 britische Pfund erhalten. Wobei das nicht ganz stimmt: Tatsächlich sind wir in CDs bezahlt worden, die die Plattenfirma mit jeweils zehn Pfund veranschlagt hat. Wir haben also 25 CDs bekommen, haha. AMEBIX sind wirklich von jedem nach Strich und Faden beschissen worden, mit Ausnahme von Alternative Tentacles, die sich immer korrekt verhalten haben. Selbst Spiderleg Recordings beziehungsweise John Loder haben sich unsere Tantiemen einfach selbst ausgezahlt. Wenn ich darüber nachdenke, auf welch unverschämte Weise wir abgezogen worden sind, werde ich auch heute noch sauer. Im Vorfeld von „Sonic Mass“ haben wir innerhalb eines Jahres dreimal das Label gewechselt – immer dann, als offensichtlich wurde, dass wir die gleichen Probleme wie früher haben würden. Erst als wir uns auf einen alten Freund und sein kleines Independentlabel Easy Action einließen, kamen wir zur Ruhe und „Sonic Mass“ wurde schließlich ein ziemlich erfolgreiches Album. „Monolith“, „Arise“ und „No Sanctuary“ sind inzwischen übrigens alle von Easy Action neu aufgelegt worden – jeweils versehen mit Live- und Demomaterial, welches wir von diversen unserer früheren Labels zusammengetragen haben. Das bedeutet, dass wir nun endlich und zum ersten Mal die totale Kontrolle über den gesamten AMEBIX-Katalog haben. Jetzt mit TAU CROSS bin ich im Übrigen wirklich glücklich, mit Relapse zusammenzuarbeiten. Es ist das erste Mal in meiner Karriere als Musiker, dass ich nicht alles auf eigene Faust erledigen muss.
Relapse ist ein gutes Stichwort: Euer Label hat auf der Vinylversion des Albums mit „Stonecracker“ und „Hangmans Hyll“ zwei Songs weggelassen.
Wir mussten leider wegen der begrenzten Kapazität von Vinyl ein paar Songs für die LP-Version opfern. Aber die „gestrichenen“ Lieder sind ja zumindest auf CD und per Download erhältlich. Wirklich schwierig war indes die Auswahl der betreffenden Songs. Wir haben uns dann am Ende auf diese beiden Tracks geeinigt, weil „Stonecracker“ ziemlich typisch und geradlinig und „Hangmans Hyll“ sehr linear und wenig dynamisch ist. Ich muss allerdings zugeben, dass „Hangmans Hyll“ tatsächlich einer meiner persönlichen Favoriten ist. Die Entscheidung, ihn auszusortieren, war also keine leichte. Ich habe ganz offensichtlich zu viele Songs für das Album geschrieben, haha.
Gibt es für AMEBIX nach eigentlich noch eine denkbare Zukunft?
AMEBIX werden als Band nicht mehr funktionieren, das habe ich inzwischen erkannt. Die Bandkonstellation war immer ein Wagnis, über diverse Jahre erfolgreich, hat aber auch viele unangenehme Dinge zutage gefördert. Ich bin ehrlich froh, AMEBIX auf anständige und gerechte Weise beendet zu haben. TAU CROSS ist der würdige Nachfolger von AMEBIX und unser Debüt das beste Album, das AMEBIX niemals aufgenommen haben.
Was hast du all die Jahre nach dem Ende von AMEBIX 1987 bis zur Reunion 2008 gemacht?
Ich habe mich 1990 auf eine abgelegene schottische Insel abgesetzt und völlig zurückgezogen gelebt. Die Musikszene und alte Kontakte habe ich völlig hinter mir gelassen und mich stattdessen selbst zum Schwertschmied ausgebildet. Ich habe viele Wanderungen in den schottischen Bergen und Mooren unternommen und mich wieder mit der unberührten Natur verbunden. Nach 25 Jahren Berufserfahrung schätzt man mich inzwischen als einen der besseren Schwertschmiede auf der Welt. Ich habe mich also bereits einmal „neu erfunden“ und dies mit TAU CROSS nun noch einmal getan. Und dieses Mal weigere ich mich, erneut abzutreten ... Lazarus, haha.
Textlich, so mein Eindruck, hast du das AMEBIX-Konzept, antike, mittelalterliche und Endzeitsymbolik mit aktueller Gesellschaftskritik zu mischen, weiter verfolgt. Liege ich da richtig?
Die Grundphilosophie ist bei AMEBIX und TAU CROSS dieselbe. Ich empfinde die „Naturgötter“ als jene Kräfte, die Kontrolle über die Menschheit ausüben. Sie können als eine Art Wächter in einem Gefängnis bezeichnet werden, daher der Song „Prison“. Die Suche nach Wahrheit und Befreiung ist ein zentrales Thema bei TAU CROSS und AMEBIX. Darüber hinaus waren AMEBIX immer eine geerdete und esoterisch motivierte Band. Diese Suche nach Wahrheit und Befreiung ist etwas, das sowohl mein Bruder Stig, Gitarrist bei AMEBIX, als auch ich immer als unser elementares „Geburtsrecht“ angesehen haben.
Habt ihr vor, mit TAU CROSS zu touren, oder bleibt es bei einem Projektcharakter? Und plant ihr ein längeres Bestehen der Band, wird es in Zukunft gar weitere Veröffentlichungen geben?
Für mich geht es bei TAU CROSS im Wesentlichen darum, live aufzutreten. Ich kann mir gut vorstellen, dass die neuen Songs in der Live-Situation wunderbar funktionieren werden und ich freue mich unheimlich darauf, Konzerte und Touren wahr werden zu lassen. TAU CROSS sind also kein Projekt, wir sind definitiv eine Band. Wir müssen uns nur noch abstimmen, wann wir alle die Zeit dazu finden. Die Shows mit AMEBIX habe ich immer sehr genossen, sie haben mich vieles gelehrt, was ich künftig gut gebrauchen kann, wenn wir mit TAU CROSS unterwegs sein werden.
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