SWEAT

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Die Essenz des Rock’n’Roll

Mit zunehmendem Alter und wachsendem Musikkonsum fällt es oft schwerer, sich für neue Musik noch bis in die letzte Haarspitze zu begeistern. Vieles ist die x-te Variante von schon Gehörtem, die Klassiker sind rauf und runter gespielt. SWEAT beweisen gerade in Los Angeles in Gestalt einer Wrestlerin, eines Jazz-Schlagzeugers und eines Grindcore-Gitarristen, dass Punkrock nicht tot, sondern wandlungsfähig ist. Und mächtig Arsch tritt. Per Zoom unterhielten wir uns mit Sängerin Tuna und Gitarrist Justin unter anderem über zu große Plattenhüllen und den Geist des Punkrock in den neuen Medien.

Meinen ersten Eindruck eure Musik betreffend würde ich so beschreiben: Suzi Quatro auf Speed singt bei einer Mischung aus den CIRCLE JERKS und THIN LIZZY. Wie nah bin ich damit dran?

Tuna: Hell yeah! Gekauft! Ich finde zwar nicht, dass ich wie Suzi Quatro klinge, aber ich nehme das als Kompliment gerne an. Ich mag ihre Stimme.
Justin: Gefällt mir sehr gut! Respekt!

Ihr hattet vor zwei Tagen die Release-Show für „Gotta Give It Up“, euer erstes Album. Wie lief es für euch?
Tuna: Sehr gut! DAISY CHAIN waren dabei, die Energie im Club war gut, die Leute nehmen das neue Material super auf. Und hey, wir hatten eine Piñata als Showeffekt. Was will man mehr?

Justin: Wir können in den Staaten schon seit August wieder Konzerte spielen, nachdem die Welt bekanntlich vorher kollabiert ist. Daher ist es etwas Besonderes, überhaupt auftreten zu können. Ich weiß nicht, wie es im Rest der Welt gerade läuft, aber wir bewegen uns gefühlt gerade wieder auf einem Weg in die Normalität.

Ihr habt euch 2019 in Los Angeles gegründet. Ist L.A. nicht der undankbarste Ort, um eine Band zu gründen und bekannt zu machen? Das dortige Publikum gilt als sehr launisch.
Tuna: Auf geht’s mit dem L.A.-Bashing, haha! Nein, ich glaube nicht. Unser Vorteil ist, dass Justin vorher etliche Bands hatte und wir alle schon länger in unterschiedlicher Form in L.A. aktiv sind. Wir sind zwar eine neue Band, aber bekannte Gesichter. Was den Underground betrifft, stimme ich dir daher nicht zu. Wohl aber, was die größeren, kommerzielleren Shows betrifft. Als ich zum Beispiel zum ersten Mal SHEER MAG gesehen habe, kannte ich niemanden im Publikum, obwohl der Club ausverkauft war. Und es hat auch niemand getanzt. Das war schon seltsam. Mir schien es so, als ob mehr Journalist:innen und Computernerds als Musikfans da waren. Leute, die nur zum Konzert gehen, um die Band mal live gesehen zu haben. Und diese Seite der L.A.-Musikszene ist die Ursache für diesen schlechten Ruf.
Justin: Stimmt. Die großen Club-Shows sind oft ähnlich wie Festivals. Es wird mehr abgehangen. Allein die räumliche Distanz zwischen Bands und Publikum ist abnorm. Das passiert dir bei kleinen DIY-Shows nicht. Wir sind gut vernetzt mit anderen Bands, dadurch wecken wir mit jedem neuen Projekt automatisch Interesse. Und die Reaktionen auf SWEAT waren bislang sogar noch positiver und vielversprechender als bei unseren vorherigen Sachen. SWEAT klingen auch komplett anders. Bei der Sache mit dem Publikum in L.A. gebe ich dir teilweise recht. Es ist nun mal so, dass jede tourende Band nach Kalifornien kommt, jede möchte in L.A. spielen. Daher sehen es viele Leute hier als selbstverständlich an, ständig gute Bands zu sehen, ohne sich dafür wegbewegen zu müssen. Aber das hat sich während der Pandemie verändert. Außerdem hängt es auch immer davon ab, wo in L.A. du spielst. Im kompletten Großraum der Stadt gibt es locker acht unterschiedliche Szenen, die alle relativ autark funktionieren.

Sprechen wir über euer Debütalbum. Kritikpunkt: Das Cover passt nicht in eine Standardhülle hinein, so dass ich mir aus zwei Hüllen selber eine basteln musste.
Tuna: Ja, das haben wir schon gemerkt. Es war keine Absicht. Es passt nicht nur nicht in die Standardhüllen, sondern auch nicht richtig in die Mailorder-Kartons, haha.

Ist das generell euer Anspruch mit der Band? Grenzen austesten, sich vom Standard abheben?
Tuna: Es geht nicht darum, uns nirgendwo einzuordnen zu können. Aber allein unser Drummer Anthony ist so verdammt gut, dass es ein Geschenk ist, überhaupt mit so einem talentierten Musiker spielen zu können. Er könnte mühelos alle möglichen Musikstile spielen, es ist der Wahnsinn. Er kommt aber ursprünglich aus der Punk/Hardcore-Ecke und manchmal fühlt es sich an, als ob wir seine Energie in unserer Band richtig von der Kette lassen können. Oder nimm Justin. Er kann praktisch alles spielen, und manchmal denke ich, dass er mit Punk und Hardcore technisch weit unter seinen musikalischen Möglichkeiten bleibt. Aber wir alle wollten eine Punkrock-Band haben. Unsere Songs haben keinen standardmäßigen Aufbau, sind kein klassischer Rock-Shit. Nimm zum Beispiel alten Soul oder Disco-Zeug aus den Sechziger und Siebziger Jahren. Es gibt darin so viele Soundebenen zu entdecken. Und je nachdem, worauf du dich konzentrierst, ändert sich die Stimmung des Songs beim Hören. Ein Stück kann ein schnelles Tempo, aber gleichzeitig einen relaxten Groove haben. So wie in unseren Songs. Aber das ist bei den Proben organisch gewachsen, es gab keinen Plan dazu oder Ähnliches. Aufnahmetechnisch gab es ein paar Vorüberlegungen, oder Justin?
Justin: Wir haben vorher ein paar Sachen mit den Amps ausprobiert, mit Distortion und Overdrive. Den klassischen THIN LIZZY-Sound der Siebziger und den modernen Hardcore. Beim Mixen des Albums haben wir dann zwischen den beiden hin und her gewechselt. Das ergab diese durchgehende Crunchyness mit verschiedenen Härtegraden. Die einzige bewusste Entscheidung von mir war es, mit SWEAT in einem Standard-Tuning zu spielen. In meinen anderen Bands verwende ich ein tieferes, um es härter und brutaler zu machen. Außerdem wollte ich die typischen Merkmale härterer Sounds weglassen – Chuggs, Breakdowns und so weiter. Verzichtest du auf diese Mittel, musst du die Härte und Aggression aus der Dynamik des Songs entwickeln. Das reizt mich daran. Plus die Möglichkeit, mehr Raum für Melodien zu haben. Ich glaube, das lässt uns neu, aber irgendwie vertraut klingen.

Eure erste Single kam auf Vitriol raus, Justins eigenem Label. Das Album erschien jetzt auf Pirates Press Records. Habt ihr auf traditionelle Art und Weise Demos eurer Single an größere Labels verschickt oder sind Pirates Press auf euch zugekommen?
Justin: Ich habe das Label im Jahr 2009 gegründet und meinen Vertrieb seitdem über Revelation Records gemacht, da ein alter Highschool-Freund und Mitbewohner von mir dort arbeitete. Und dieser Freund wechselte dann 2006 zu Pirates Press. Darüber hatte ich einen Kontakt. Unsere Single habe ich über Vitriol einen Monat nach Beginn der Pandemie veröffentlicht. Es lief so gut, dass wir den nächsten Schritt machen wollten. Vitriol ist ein sehr kleines DIY-Label, im Prinzip besteht es nur aus mir. Damit erreiche ich immer den gleichen Personenkreis, der meine Platten regelmäßig kauft. Wir wollten sehen, wie weit man diesen limitierten Radius vergrößern kann. Uns ist klar, dass wir auf Pirates Press aus dem Rahmen fallen, deren Schwerpunkt liegt ja eher auf Streetpunk.

Offiziell gibt es drei Mitglieder bei SWEAT, in den Videos bei YouTube sind aber weitere Musiker zu sehen. Sind die beiden eure dauerhafte Live-Unterstützung oder mittlerweile feste Mitglieder?
Justin: Wir drei sind der Kern der Band und nehmen im Studio auch alles auf. Es gibt momentan vier zusätzliche Mitglieder, die sich live abwechseln, darunter auch ein Mitglied einer meiner anderen Bands, GHOST LIMB. Ich kenne die Jungs schon seit mehr als 15 Jahren, wir sind alle gut aufeinander abgestimmt. Das ermöglicht uns auch, flexibler Auftritte zu spielen. Wenn der eine nicht kann, springt der andere ein.
Tuna: Nicht jeder kann einfach so seinen Job kündigen, um auf Tour zu gehen. Privat sind Kinder und Familien zu versorgen. Alle Beteiligten haben einen ziemlich vollen Alltag, aber mit der Vorgehensweise findet man immer die Möglichkeit, die Band zu vervollständigen und auch mal länger unterwegs zu sein.
Justin: Außerdem hasse ich das Bassspielen, daher bin ich froh, dass jemand das für mich macht. Mir reicht es schon, den Bass im Studio einspielen zu müssen.

Eure Mischung aus Oldschool-Hardcore, Classic Rock und diesen WIPERS-mäßigen Gitarren ist sehr einzigartig. Wie ist eure musikalische Entwicklung verlaufen? Habt ihr als Hardcore-Kids begonnen und dann später die klassischen Sachen für euch entdeckt oder andersherum?
Justin: Die Grundessenz von Rockmusik ist immer die gleiche. Als Kind mochte ich als Erstes die BEACH BOYS. Dann kam ein kleiner Ausrutscher mit MC Hammer, aber direkt danach BLACK SABBATH. Mit elf Jahren fing ich an, Gitarre zu spielen und MISFITS, DANZIG und METALLICA zu entdecken. Damit war der Grundstein für Metal und Punk gelegt. In letzter Zeit orientiere ich mich viel an älteren Sachen, die ich damals übersehen oder verpasst habe, und versuche, mein Wissen über Musik zu erweitern und Stile in ihren Zusammenhängen zu verstehen.
Tuna: Zu Hause war um mich herum immer Musik, viel Dance-Music wie TECHNOTRONIC und Madonna. Später dann HipHop. Mein Einstieg in die Gitarrenmusik waren SOUNDGARDEN. In der Highschool kamen dann die CRO-MAGS dazu, die bis heute eine meiner ewigen Lieblingsbands sind. Ein Freund meiner Mutter zeigte mir Alice Cooper und damals verstand ich gar nicht, welchen Einfluss Leute wie er auf die Musik der Achtziger und Neunziger Jahre gehabt haben. Ich fand ihn irgendwie cool, aber auch aus der Zeit gefallen. Hey, er war der Typ, den ich als Kind in der „Muppets Show“ gesehen hatte. Mich interessierten DISCHARGE und FLUX OF PINK INDIANS mehr. Mit 19 Jahren fing ich dann an, in einem Plattenladen zu arbeiten. Und da fügten sich die einzelnen Puzzleteile für mich zusammen.

Heutzutage können sich Bands quasi komplett eigenständig über Social Media präsentieren. Wozu braucht man das klassische Plattenlabel heute noch? Sind Social Media nicht der wahr gewordene Traum vom DIY?
Justin: Viele Follower auf Instagram zu haben, bedeutet nicht, dass auch viele Platten gekauft werden. Es hilft dir, Leute auf dem Laufenden über deine Veröffentlichungen zu halten. Aber: soziale Medien werden niemals Vinyl ersetzen. Und irgendjemand muss dieses Zeug schließlich herstellen. Soziale Medien sind ein nützliches Werkzeug, mehr nicht.

Tuna: Justin kann das als Musiker und Labelbetreiber natürlich aus beiden Perspektiven einschätzen. Ich habe für meine Band vor SWEAT eine Single selbst veröffentlicht und dabei die Erfahrung gemacht, dass viele Leute sich zwar über Social Media informieren und willens sind, Platten zu kaufen. Leider vergessen sie es aber auch genau so schnell wieder. Während der Pandemie hat sich das kurioserweise ein wenig verbessert, wahrscheinlich, weil jeder auf Online-Bestellungen fokussiert war. Ohne Label bekommst du deine Platten aber schwierig in die Plattenläden oder auf die Playlisten von College-Radios, die nach wie vor ein sehr gutes Medium sind, um eine Band bekannter zu machen. Andererseits hast du das Phänomen, dass Bands ohne Social-Media-Präsenz nicht ernst genommen werden. Von uns gibt es zum Beispiel ein Bandfoto mit dem Logo der Plattform Brooklyn Vegan, weil wir über sie unser Album angekündigt haben. Ich hatte schon öfter den Eindruck, dass allein dieses Labelling schon mehr Leute auf uns aufmerksam gemacht hat, jedenfalls bin ich bereits mehrfach darauf angesprochen worden. Das ist eine seltsame Erfahrung. Wir machen den gleichen Scheiß wie vorher – aber jetzt hat halt jemand aus New York über uns geschrieben und das wird dann schon als Qualitätsmerkmal wahrgenommen. Ich möchte damit nicht Brooklyn Vegan dissen, es ist einfach ein Medienphänomen.

Tuna, du bist Wrestlerin bei der KnokX Pro Wrestling Academy. Ist das Auftreten als Frontfrau damit vergleichbar?
Tuna: Beim Wrestling stehe ich viel mehr als künstliche Figur auf der Bühne, und diese Figuren haben natürlich keine inhaltliche Tiefe. Eine Parallele zwischen meinen Rollen als Sängerin und Wrestlerin besteht darin, dass du die Situationen gewissermaßen leitest oder dirigierst, ohne sie aber vollständig im Griff zu haben. Es wäre aber verrückt, mit einer geplanten Choreografie in eine Show zu gehen, weil du die Wechselwirkung mit dem Publikum nicht vorhersehen kannst. Das wirkt dann auch albern auf die Leute.

Haben eurer Meinung nach Hardcore und Punkrock heutzutage noch subversives Potenzial?
Justin: Ich glaube, dass jedes Genre Bereiche hat, in denen es subversiv ist, abhängig von den beteiligten Leuten. Natürlich nicht, wenn du für Sony arbeitest. Abgesehen von RAGE AGAINST THE MACHINE, die öffentlich Fahnen verbrennen. Und es hängt von dem politischen Klima ab. Nimm die Punk-Voter-Aktion von NOFX zum Beispiel, die viele junge Leute dazu gebracht hat, sich als Wähler:innen registrieren zu lassen, was in den USA die Voraussetzung dafür ist, dass du überhaupt wählen kannst. Und wenn du siehst, wer auf lokaler Ebene in seiner Stadt Dinge auf die Beine stellt, nicht nur im Bereich Musik, dann sind das häufig Menschen mit einem Bezug zu Punk. Hilf dabei, eine Tour zu buchen, bring eine Platte raus! Hilfe und Unterstützung als Wert an sich kann heute schon subversiv sein, weil es außerhalb einer kommerziellen Verwertungslogik stattfindet. Das ist mir jedenfalls wichtig.
Tuna: Ich sehe hier einen Zusammenhang zu dem, worüber wir eben zum Thema Social Media gesprochen haben. Ich kann mich heute in Los Angeles von den Anfängen des Punk in New York 1976 inspirieren lassen. Was war damals subversiv, funktioniert das heute noch? Die ROLLING STONES waren damals schon dadurch subversiv, dass sie verrückte Klamotten getragen haben. Aber dieser reine Rock’n’Roll-Aspekt reichte für Punk und Hardcore nicht mehr. Da stellte sich die Frage, was man dauerhaft verändern möchte und welche Rolle man selber dabei spielen kann.
Justin: Das hat mich auch vom Metal in die Punk- und Hardcore-Szene gebracht, weil es inhaltlich um etwas ging. Nimm SLAYER und ihre technischen Skills im Vergleich zu CRASS. Die sind technisch scheiße, aber sie transportieren Inhalt. Ich höre immer noch gerne Metal. Aber die Szene ist teilweise einfach ein Witz – Hoodies, die zum Teil für 75 Dollar verkauft werden. Unabhängig von der Musik geht es immer um die Frage, wie ich in meinem direkten Umfeld das Leben der Leute ein bisschen besser machen kann.