Tom Withers ist ein Mann mit zwei Identitäten: Zum einen ist da Tommy Stupid, der Kopf der Mitte der 80er aktiven UK-Hardcore-Band STUPIDS, die sich jüngst wieder zusammenfand, zum anderen Tom Klute, ein international aktiver und erfolgreicher Drum & Bass-DJ. Nachdem in jüngster Zeit die alten Platten der Band auf Visible Noise und Boss Tuneage neu aufgelegt wurden, kommt jetzt auch noch ein neues Album hinzu, so dass ich mich entschloss, selbst zu ergründen, wie man beide Musikrichtungen in einer Person verbinden kann. Ich unterhielt mich mit Tom via Skype, als der das heimische Ipswich für eine Neuseeland-DJ-Tour verlassen hatte.
Tom, wenn man etwas über dich recherchiert, stößt man auf diese DJ-Sache. Wie wurdest du vom Sänger einer Hardcore-Band zum Drum & Bass-DJ?
Ende der 80er war ich ziemlich gelangweilt von der Entwicklung, die Hardcore genommen hatte. Zum einen ging das über Crossover hin zu Metal, oder es war mieser Straight Edge-Hardcore der zweiten oder dritten Generation. Oder es ging Richtung Indie-Rock, und mir hat nichts davon gefallen. Also begab ich mich auf eine lange musikalische Reise und gelangte schließlich wieder zu englischer Musik, die ich als Kid nicht gemocht hatte, Sachen wie HAPPY MONDAYS und 808 STATE. Da ich aber schon immer auf härtere Sachen aus dem Underground stand, fand ich mich damals in der Jungle-Szene wieder. Das zog mich an, es war alles ganz simpel und total D.I.Y., du musstest du nur für wenig Geld einen Sampler kaufen und konntest mit dem Musikmachen loslegen. Ich begeisterte mich dafür, und von da an lief alles wie von allein. Mitte der Neunziger war ich soweit, dass ich mir nicht vorstellen konnte, jemals wieder eine Gitarre anzufassen – was ich dann auch jahrelang nicht tat.
Ich erinnere mich, wie ich Anfang der Neunziger einen Freund in London besuchte und er der einzige aus seinem Punk-Squatter-Freundeskreis war, der noch auf Konzerte ging – alle anderen gingen zu Raves.
Damals herrschte einfach eine gute Stimmung, die Leute hatten das Gefühl, da bewegt sich mal wieder was. Auf den Partys stimmte die Energie, da war ein Zusammenghörigkeitsgefühl, das heute längst verloren gegangen ist. Heute geht es überall nur ums Geld, die Clubs wollen möglichst viel Geld mit Alkoholverkauf machen, und so weiter. Damals war es anders, es war ein positives Gefühl des Wandels: Du bliebst die ganze Nacht wach, das war cool, das war was anders als die Konzerte, die in England damals um 23, 24 Uhr zu Ende sein mussten. Heute ist das leider anders, da ist das wieder wie 1977, als die Disco-Welle herrschte. Langweilig.
Und Drogen ...?
Ich selbst habe damit nie was am Hut gehabt, ich habe hier und da mal einen Joint geraucht. Wenn du geraucht hast, empfindest du die Bässe anders, das hat das ganze Erleben der Musik noch gesteigert. Aber du hast schon Recht, bei dieser Musik spielten Drogen eine extrem große Rolle, in den frühen 90er drehte sich alles darum. Ja, ich habe hier und da mal was ausprobiert, aber es hat mich einfach nicht interessiert, und ich war Mitte der Achtziger ja auch straight edge gewesen, war militant gegen jede Art des Rausches, so eine Einstellung wirft man nicht einfach über den Haufen.
Letztes Jahr kamen eure alten Platten neu raus, jetzt ein neues Album. Wie kam es zur Wiederbelebung der STUPIDS?
Das war das Ergebnis einer langen Entwicklung. Zum einen war ich in Kontakt mit Aston von Boss Tuneage, der unsere Platten neu auflegen wollte, zum anderen hatte mich Marty Tuff angerufen, der alte STUPIDS-Gitarrist, der sagte, er wolle wieder mit mir zusammen Musik machen. Ich sagte, ich habe keine Lust mehr auf die STUPIDS, was ihm aber nichts ausmachte, und so sagte ich ja. Mit Rossi fanden wir dann einen Bassisten, und na ja, bei der ersten Probe spielten wir dann aus Bequemlichkeit STUPIDS-Songs, begonnen aber auch neue Stücke zu schreiben. Aber nach sechs Monaten gaben wir wieder auf. In der Zeit danach hatte sich aber die Sache mit den Reissues weiterentwickelt, und als ich mit Aston mein STUPIDS-Archiv durchforstete, stieß ich auf Demo-Aufnahmen für ein letztes STUPIDS-Album, das Ende der 80er nie erschienen war. Und dann kam eins zum anderen, und plötzlich war da der Plan, ein neues Album zu machen – und jetzt hatten wir einen Grund, die Band wieder unter dem Namen STUPIDS zu machen. Wir hatten keine Lust darauf, nur eine Band von gestern zu sein, die ihre glorreiche Vergangenheit feiert. Klar, es wäre vielleicht sauberer gewesen, sich einen neuen Namen zu suchen und wieder ganz von vorne anzufangen, aber andererseits gibt es da draußen nicht wirklich viele Leute, die sich überhaupt noch an die STUPIDS erinnern. Es ist nur ein kleiner Startvorteil.
Dann bin ich wohl eine Ausnahme.
Na ja, es gibt viele Bands aus jener Zeit, die heute noch geläufig sind, aber warum auch immer, wir gehören nicht dazu. Wir existierten nicht lange, und dann sind wir einfach wieder verschwunden. Immerhin haben wir für die kurze Zeit relativ viele Platten gemacht: Es gab drei Alben und ein paar EPs ...
... die in der relativ kurzen Zeit zwischen 1984 und 1987 erschienen sind.
Im Detail kann ich mich nicht genau erinnern, wann das letzte Album „Jesus Meets The Stupids“ erschienen ist. Wirklich gut waren rückblickend ja sowieso nur die beiden Alben „Peruvian Vacation“ und „Retard Picnic“. Danach wurden wir immer schlechter, und zum Glück war es dann vorbei, bevor es ganz schlecht wurde.
Was waren damals eure Einflüsse?
Meinen ersten Kontakt mit Underground-Musik hatte ich 1980 mit Bands wie UK SUBS, THE DAMNED, THE EXPLOITED, und so weiter. Damals hatten ich und alle, die ich kannte, große Vorurteile gegen Punkbands, die nicht aus England kamen, denn da stammte dieses Musik doch her! Die einzige akzeptierte Ausnahme waren die DEAD KENNEDYS. Meine persönliche Revolution kam dann über meine Schwester zustande. Die war in den USA und besuchte alte Freunde der Familie, und mit deren Sohn war ich einst zusammen in den Kindergarten gegangen. John hörte auch Punkrock, und er gab meiner Schwester als Geschenk für mich das „Fresh Fruit For Rotting Vegetables“-Album der DEAD KENNEDYS mit. Die Platte kannte ich natürlich schon, aber in der Folge fingen wir an per Brief Tapes auszutauschen. Ich nahm ihm VICE SQUAD, CHRON GEN und so weiter auf, und im Tausch bekam ich SS DECONTROL, GANG GREEN und all diese anderen verrückten Bands, die einen ganz anderen Sound machten als all die plötzlich ganz langweiligen englischen Bands. Die US-Bands waren so unglaublich tight, so voller Energie, sie sangen über Dinge, die viel mehr mit mir zu tun hatten als der ganze Kriegsscheiß der englischen Bands. Die Crusties hatten doch immer nur Texte über den Zweiten Weltkrieg oder den Kalten Krieg, aber das interessierte mich nicht. Mit dem Kennenlernen dieses US-Bands begann für mich eine neue Zeitrechnung, da gab es keinen Weg zurück mehr. Zu der Zeit lernte ich mein späteres Bandmitglied Wolfie Retard kennen, er stand auf die RAMONES und die DEAD KENNEDYS, und wir waren uns sehr ähnlich, eben verpeilte Teenager ohne Freundin, die keiner verstand. Und so gründeten wir unsere Band, ohne darüber nachzudenken, was andere davon halten könnten. Mit unserem Sound schockten wir dann viele, denn wir waren unglaublich schnell, hatten aber trotzdem Melodien, und solche Bands gab es sonst nicht.
Und ihr hattet Humor und Spaß, denn auf euren Platten gibt es immer wieder unterhaltsame gesprochene Parts, und textlich, ja schon allein von den Songtiteln her, war das was anderes als die betroffenen Texte der Crustbands.
Oh ja! Wir wollten, dass unsere Platten so klingen wie die der Bands, die uns gefallen. Aber bei unserem Versuch, das nachzuahmen, kamen wir etwas vom Weg ab und entwickelten so unseren ganz eigenen Stil. Ehrlich gesagt bin ich aber eher ein Fan von ernster Musik, und ich frage mich manchmal, ob dieser ganze Blödsinn, den wir damals gemacht haben, sich negativ auf die Zeitlosigkeit unserer Platten ausgewirkt hat, ob man uns deshalb nicht ernst nimmt. Dabei ist unsere Musik ja auch ernst: Wir versuchten gute Songs zu machen.
Jetzt seid ihr mit „The Kids Don’t Like It“ zurück.
Der Titel ist eine Art von Protest, aber ehrlich gesagt kann ich nicht genau erklären, was er bedeutet. Die Kinder von Marty mögen die Platte übrigens.
Wenn man sich die Songtitel mal anschaut, sind die heute auch nicht wirklich ernst: „Drumshop arsehole“, „Feel the suck“, „Remember me, dismember you“, „Beach dick“ ...
Wir haben auch heute noch ein starkes Gefühl von Lebensangst in uns, ein ganz ursprüngliches Gefühl, und daraus resultierend steckt auch viel Wut in dieser Platte. Man muss sich einfach die Texte zu den Songtiteln durchlesen, dann wird das etwas klarer. Und als Erwachsener empfindet man Entfremdung ja auch ganz anders als ein Dreizehnjähriger. In den Texten steckt sicher Humor, aber auch viel von dem, was man im Englischen mit dem deutschen Wort „Angst“ bezeichnet. Es ist zum Beispiel ein Problem, über das Alter zu reden, gerade in der Musikszene: Da dreht sich so viel um Jugend, Bands müssen immer jung und sexy sein, und das beschäftigt mich. Warum aber müssen Bands unbedingt jung sein? Ich denke nicht in solchen Kategorien, wenn ich eine Band sehe, gilt nicht mein erste Gedanke ihrem Alter oder dass ich mir wünsche, sie wäre jünger. Ansonsten drehen sich meine Gedanken und Texte logischerweise weniger darum, in der Schule nachsitzen zu müssen, als um so Dinge wie das Ende einer langjährigen Beziehung oder mal wieder einen Strafzettel für zu schnelles Fahren bekommen zu haben. Oder darüber, dass ich mich heute mehr denn je von der Gesellschaft bedroht fühle.
Wie meinst du das?
Als Kind fühlte ich mich einfach nur von der Gesellschaft entfremdet, heute vom System an sich, so wie das von jeher von Punkbands thematisiert wird. Das ist doch alles nur eine Fassade, wir sind nur die Sklaven des Finanzsystems. Und das ist heute schlimmer denn je, in einer wirklichen finsteren Weise, so dass die Menschen zwar das Gefühl haben, frei zu sein, es aber in Wirklichkeit nicht sind – wir haben nur die Freiheit, Geld auszugeben für irgendwelches Zeugs. Die Meinungsfreiheit dagegen wird permanent eingeschränkt. Vor ein paar Monaten war ich auf DJ-Tour in den USA, und aus Spaß beschloss ich, sie die „Fuck you America“-Tour zu nennen – und musste feststellen, dass die Leute sich echt angegriffen fühlten! Von meinem Hintergrund her kam ich da gar nicht darauf, in den Kreisen, in denen ich mich bewege, zuckt wegen so was keiner mit der Augenbraue. „Fuck you America“ ist übrigens der Titel eines 7 SECONDS-Songs. Und deshalb halte ich es heute für wichtiger denn je, Dinge in Frage zu stellen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #84 Juni/Juli 2009 und Joachim Hiller
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