Es fällt schwer durch die Indie-Musiklandschaft zu laufen, ohne zwangsläufig über den Namen Steve Albini zu stolpern. Unzählige Bands hat er in seinem Chicagoer Studio Electrical Audio produziert beziehungsweise aufgenommen, denn Mr. Albini versteht sich selbst eher als "Recording Engineer", denn als Produzent. Abgesehen davon hat Albini als Mitglied von RAPEMEN, BIG BLACK und SHELLAC auch nebenbei ein wenig die Musikgeschichte beeinflusst und einen Haufen Bands maßgeblich geprägt. So fing Albini 1978 klein an, mit einer geliehenen Vierspur-Bandmaschine. Seither strömen die Bands zu ihm, wie die Motten zum Licht und ließen so manches Album unter den Händen des Meisters zu einem wahren Schatz aufwerten - darunter "In Utero" von NIRVANA, " Fragile" von den NINE INCH NAILS, oder PJ Harveys "Rid Of Me".
Steve ist ein Experte der Schlagzeugarrangements, nicht viele Techniker haben die Gabe, dieses Instrument so naturgetreu in eine Studioaufnahme einzuarbeiten. Wohl auch nicht umsonst stehen oft eher geräuschlastige Bands wie NEUROSIS und WHITEHOUSE, die hektischen Noise-Veteranen MELT-BANANA oder die Italiener ZU immer wieder in dem Chicagoer Aufnahmestudio auf der Matte. Der studierte Journalist und eloquente Kritiker der Majorlabels schrieb seinerzeit den Artikel "The Problem With Music", welcher immer noch als ultimative Anprangerung der verkommerzialisierten Musik gilt. Diese Ablehnung ging so weit, dass er sich sogar mit langjährigen Freunden wie SONIC YOUTH überwarf, als die zu einem Major wechselten. Steve blieb mit SHELLAC dagegen seinen Freunden beim Indielabel Touch and Go über die Jahre treu. Viele Mythen und Legenden ranken sich um Mr. Albini: Interviews soll er scheuen, wie der Teufel das Weihwasser, und auch generell würde er nicht viel von Musikjournalisten halten. Leider wurden die SHELLAC nach einem wohl sehr traumatischen Konzerterlebnis am 11. September 2001 in Berlin nicht mehr in deutschen Gefilden gesichtet - daher begab ich mich Anfang Juni nach Italien und schnappte mir Mr. Steve Albini im Garten des Circolo degli Artisti, eines der größten alternativen Clubs in Rom.
Du hältst nicht viel von Promotion, wie man hört. So war es der Berliner Promo-Agentur eures Label Touch and Go strikt verboten, in irgendeiner Weise Promotion für SHELLAC zu machen. Und über eure neue Platte "Excellent Italian Greyhound" hört und liest man ja nicht gerade viel in den Magazinen.
Wir verschicken keine CDs an Magazine oder so etwas in der Art. Unsere Platten sind in Plattenläden erhältlich. Da sollen die Leute hingehen und hoffentlich nicht nur unsere Platten kaufen. Das ist auch der Grund, warum wir nicht unsere Platten verkaufen, wenn wir auf Tour sind. Ich finde es heutzutage wirklich schade, dass die Leute nicht mehr in Plattenläden gehen. Dort kannst du einen ganzen Haufen netter Platten hören, mit den Leuten reden, vielleicht noch zusätzlich den einen oder anderen Kram anhören, und dann auswählen. Ich finde es wirklich bedauerlich, dass die Leute diese Kultur nicht mehr pflegen. Sicher, ich mag die Idee, dass die Bands ihre CDs direkt an ihre Fans auf den Konzerten verkaufen. Das ist eine nette Art, CDs an Fans zu verkaufen, wenn die Band keinen Mailorderversand hat. Aber ich denke, unsere CDs werden vernünftig an die Plattenläden verteilt, wir sind nicht darauf aus, unsere Verkaufszahlen zu steigern. Das ist unsere Art, die Leute zu ermutigen, in die Plattenläden zu gehen.
Ist das deine Art, die Szene zu unterstützen?
Ich bin ein Teil dieser Szene. Immer wenn man an einer Sache beteiligt ist, dann möchte man doch, dass diese Sache am Leben bleibt. Ich bin ein kleiner Teil in einer großen Gemeinschaft von Bands - ein losgelöster Teil von dieser Gemeinschaft behauptet sich seit dreißig, fast vierzig Jahren. Solange die Menschen in dieser Szene zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstützen, solange kann diese Szene überhaupt existieren. Aufstrebende Bands können diese Ressourcen nutzen und von der Gemeinschaft profitieren. Wenn du dich aus dieser Gemeinschaft herausnimmst, dich in eine Superstar-Position rückst und dich benimmst, als ob alle etwas für dich machen müssten, aber du machst umgekehrt nichts für die Gemeinschaft und die Kunst der anderen, dann bist du eben nichts anderes als ein Parasit, der sich an einer Kultur labt, die schon längst vor dir existiert hat. Die Szene braucht mehr Mitwirkende und weniger Berühmtheiten und Superstars. Das hält die Szene am Leben. Nimm einen Club wie diesen hier oder jeden anderen Club auf der Welt: Diese Läden leben davon, dass die Bands kommen und bei ihnen spielen, und dass das Publikum kommt, um sich diese Bands anzuschauen. All diese Bands, die dort spielen, sorgen dafür, dass diese Szene existiert. Ich bin froh, ein Teil davon zu sein. Es ist nicht wichtig für mich, erfolgreich zu sein, ich brauche nicht mehr Geld, ich brauche nicht mehr Aufmerksamkeit und ich brauche keine Berühmtheit zu sein. Meine Band verkauft genügend Platten, ich bin damit total zufrieden.
Du hast ein nicht gerade unbekanntes Aufnahmestudio und ich habe viele Menschen getroffen, die SHELLAC sehr mögen und euch schon fast verehren.
Ja, ich leite ein Aufnahmestudio. Das ist mein eigentlicher Job. Ich sehe meine Band als Passion, wie ein Liebhaber oder jemand, der gerne und begeistert Ski fährt. Aber ich glaube, es ist gefährlich, an andere Leute zu denken, wenn du Musik machst. Unsere Musik bedeutet mir persönlich sehr viel. Aber es ist nicht mein Ziel, meine Musik bedeutungsvoll für andere Menschen zu machen, aber wenn meine Musik wichtig für andere Menschen ist, ist sie das sicher auch, weil diese Musik sehr wertvoll für mich ist.
Wo setzt du beim Sound für SHELLAC oder dem anderer Bands Prioritäten? Ist da etwas, was deinen Sound besonders macht?
Mit SHELLAC gehen wir einfach durch einen Prozess, wir bauen meist eine kleine Idee aus und dieses Aufeinanderaufbauen lässt irgendwann einen Song entstehen. Die fertigen Songs passen dann vielleicht so zusammen, dass sie dann eine ganze Show ergeben. An einem Abend begeistert uns vielleicht besonders der Bass, an einem anderen Abend sind wir total begeistert vom Gesang. So arbeiten wir die Songs aus. Wir gleichen uns in unserer Art, die Dinge anzugehen, und stehen fest als Band zusammen. Bob Weston und ich sind beide Toningenieure und können auftretende Probleme schnell lösen. Wenn jemand eine verrückte Idee hat, die er weiterverfolgen will, dann sind wir alle glücklich, wenn wir diese Idee umsetzen können.
Ich denke, du bekommst eine Menge Aufnahmen von Bands, die sie zum Beispiel im Proberaum aufgenommen haben. Was sind deines Erachtens die größten Fehler, die sie dabei machen?
Der größte Fehler überhaupt ist es, mir ein Demotape oder eine CD zu geben, wenn ich gerade auf Tour bin. Ich versuche die Kontrolle über den Kram zu behalten, aber viele davon gehen verloren oder sie enden irgendwo im Van, bis niemand mehr weiß, wem sie überhaupt gehören. Viele Leute versuchen auch, mich mit ihren Sound-Arrangements zu beeindrucken, anstatt sich darauf konzentrieren, ihren eigenen Sound zu entwickeln. Ich denke, das tun sie, weil ich Toningenieur bin. Viele wollen mich anscheinend mit ihren technischen Fähigkeiten oder was auch immer beeindrucken, und versuchen, die Welt mit ihrem Killer-Snare-Sound zu zermalmen. Das ist für mich wie ein Betrug am Hörer. So etwas bedeutet für mich, diese Musik an sich ist nicht interessant genug, also muss sie interessanter gemacht werden. Ich finde, im Endeffekt zerstören sie damit alles. Es verleitet mich eher dazu, diesen Special-Effects zuzuhören, anstatt auf die Musik zu achten. Wenn du dir Aufnahmen anhörst, die aus dem Proberaum stammen, reichen diese qualitativ vollkommen aus, um einen Eindruck von einer Band zu bekommen. Ich höre die Aufnahmen ja nicht zu meinem eigenem Vergnügen, ich versuche, die Bands zufrieden zu stellen, wenn ich an ihrem Album arbeite, und versuche, ihren Sound am Ende so zu arrangieren, dass alles ihren speziellen Anforderungen gerecht wird.
Was zeichnet dein Aufnahmestudio aus?
Es ist schwer, das in ein paar Sätzen zu beschreiben. Als wir es bauten, wollten wir eine schöne aktive Akustik der Räume, fernab der 70er- und 80er-Jahre-Bauweise, als alles sehr neutral, statisch und so leblos wie möglich war. Die verschieden Räume sollten mit dazu beitragen, den Sound eines Albums zu gestalten. Du kannst dir bei uns verschiedene Räume aussuchen. Das Studio wurde so gebaut, dass man darin handgemachte Musik spielt, und es wurde sicherlich nicht gebaut, um ein Sampler- und Synthesizer-Paradies zu sein. Wir haben zum Beispiel einen Raum mit einer sehr hohen Decke. Der dazugehörige Kontrollraum ist auf der zweiten Etage, sodass man auf die Band herunter schaut. Den besten Eindruck bekommt man, wenn man sich das Ganze auf unserer Homepage anschaut.
Du wohnst auch in diesem Gebäude?
Ja, dort ist auch meine Wohnung. Ich lebe dort mit meiner Freundin, aber es ist hauptsächlich ein Aufnahmestudio. Es ist vor allem ein Ort, an dem die Bands ihr Equipment aufbauen und einfach normal spielen können.
Suchst du dir die Bands aus, die bei dir aufnehmen?
Nein. Hoffentlich suchen sie mich aus. Wesentlich ist: Wann auch immer das Telefon klingelt und eine Band dran ist, die eine Platte aufnehmen will, dann ist es die Band, mit der ich zusammenarbeite.
Also ist es eigentlich nur eine Frage der Zeit und des Geldes? Ich habe gehört, die Bands bezahlen dich nach deren Bekanntheitsgrad. Größeren Bands knöpfst du da schon mal etwas mehr ab.
Nein, wir haben einen normalen Tagessatz, den 99 Prozent der Bands bezahlen. Aber es gibt Sachen, die bei manchen Bands viel Zeit in Anspruch nehmen. Wenn ich zum Beispiel statt mit der Band, mit dem Label kommunizieren muss, oder tausend bürokratische Formulare auszufüllen sind, um an mein Geld zu kommen. Wenn die Angelegenheiten so unangenehm werden, dass sie den Ablauf im Studio extrem stören, dann berechne ich dafür extra. Jede Band, die bei uns aufnehmen möchte, ist herzlich willkommen. Mich interessiert es nicht, wer sie sind und warum sie kommen. Die Tagessätze sind auf unserer Homepage zu finden, eine normale Band kann sich das ganz locker ausrechnen.
Würdest du sagen, dass man den Sound für Tapes, LPs oder CDs unterschiedlich aufnehmen sollte? Sollte man auch schon bei den Aufnahmen etwas beachten?
Du solltest die Aufmerksamkeit nicht zu sehr auf das Material lenken. Wichtig ist, dass sich der Sound für dich gut anhört. Niemand hört so wie du und du musst mit deinem Sound absolut zufrieden sein, dann ist es auch egal, von welchem Medium das gerade abgespielt wird. Viele Leute fragen mich: "Und was ist mit iPod, was ist mit dem Radio?", und so weiter, aber du kannst einfach nicht auf alles Rücksicht nehmen. Den perfekten Sound für jedes Medium kann es nicht geben.
Du bist ja schon lang genug im Geschäft und kannst gut zwischen dem analogen Zeitalter und dem digitalen vergleichen. Was bevorzugst du?
Analoge Aufnahmen sind die einzigen wirklich permanenten Tonaufnahmen. Digitale Aufnahmen sind eher provisorische Werkzeuge, die einem die Arbeit erleichtern können. Ich arbeite von jeher im analogen Bereich, da kenne ich mich aus, da fühle ich mich wohl und ich kann alles im analogen Bereich machen, was ich mir vorstelle. Ich mag auch die Tatsache, dass die analogen Aufnahmen über Jahre beständig sind, was bei den digitalen Aufnahmen nicht der Fall ist.
In dieser Hinsicht bist du ja schon ziemlich konservativ ... Findest du nicht auch, dass Punk mittlerweile sehr konservativ und verstaubt ist, eine Szene, in der viel Schubladendenken vorherrscht?
In Bezug auf Äußerlichkeiten und Klamotten vielleicht, aber insgesamt war Punk doch immer eine offene Szene mit vielen Möglichkeiten. Es gab einen Moment in der Geschichte, in der die Ideologie des Punkrock sehr wichtig und bewegend war. Entweder warst du zu diesem Zeitpunkt davon infiziert, oder du warst total ignorant. Ich bin davon beeinflusst und es hat mich geprägt.
Als ich kürzlich mal mit THE EX sprach, eine Band, die du produziert hast und mit der du befreundet bist, sagten die auch, dass Punk an sich sehr konservativ ist und THE EX deshalb nicht wirklich dort hineinpassen.
THE EX sind einige der wenigen Bands, die ich sehr schätze. Eine großartige Band und wundervolle Menschen. Sie sind sehr offen zu den Leuten und ich habe die Erlebnisse mit ihnen sehr genossen. Ich denke schon, dass sie auch irgendwo Punks sind, sie sind mit der ursprünglichen Idee von Punk vertraut und das hat auch sie geprägt. Aber ich finde, man sollte nicht zu viel auf diesen Begriffen herumreiten.
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