STEPHAN GLIETSCH

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Künstler hinter den Kulissen

Es mag sein, dass der Name Stephan Glietsch nicht vielen Ox-Lesern bekannt ist. Dennoch hat wahrscheinlich ein ebenso großer Teil schon Sachen von ihm gelesen. Früher war sein Name vorwiegend im Impressum größerer Musikmagazine wie Spex oder Intro unter „Chefredakteur“ zu finden. Heute ist er Übersetzer und hat unter anderem die Bücher von John Niven ins Deutsche übertragen. Das allein wäre schon Grund genug für ein Gespräch. Ein anderer, ganz persönlicher Grund ist, dass ich ungefähr 1987 mein allererstes Interview mit den GOLDENEN ZITRONEN für sein Fanzine gemacht habe. So bin ich quasi indirekt durch ihn selbst zum Schreiben gekommen.

Stephan, bevor wir über deine heutige Arbeit als Übersetzer sprechen: angefangen hat alles mit einem kleinen Fanzine. Wie war der Werdegang?


Mein erstes Fanzine in den späten Achtzigern war eigentlich auf absoluter Low-Budget-und Bastelebene, selbst kopiert und den Comicteil anschließend handkoloriert. Aber tatsächlich kam mein erster Kontakt dadurch auf den sogenannten Berlin Independent Days zustande. Dort sprach mich der Bassist von LÜDE & DIE ASTROS auf meine Comics an, weil die jemanden suchten, der ein Plattencover für sie zeichnet. Das habe ich gemacht und daraufhin konnte ich mich die nächsten paar Jahre mit Coverartwork über Wasser halten.

Ich erinnere mich, dass du erstaunlicherweise eines für Rudi Protrudi gemacht hattest, der ja seine FUZZTONES-Cover sonst alle selbst gestaltet.

Das hatte ich ihm bei einem Interview zugesteckt, eigentlich als Fan. Tatsächlich tauchte das dann später für ein Link Protrudi-Album als Cover auf. Lustig, aber damals fühlte ich mich wirklich geehrt. Leider reichte das Geld für Coverzeichnungen nicht wirklich, weswegen ich als Promoter für Volume Eleven angefangen habe, die damals ausschließlich Sub Pop promotet haben. Das war ein angenehmer Job, weil ich nur Bands bekam, die ich mochte, und daher genau wusste, wem ich die anbiete, ohne den Staubsaugervertreter zu spielen. Als Glitterhouse später Sub Pop verloren hat, änderte sich das leider und nach ein paar Monaten habe ich dort aufgehört. Zu dem Zeitpunkt hatte ich parallel schon für das Intro geschrieben, das damals noch sehr klein war. Die suchten einen Chefredakteur und ich dachte, wenn ich etwas habe, dann ist es mein Musikwissen, also habe ich mich darauf beworben und wurde nach einem Jahr vom Schreiber zum Chefredakteur. Das Problem des Heftes war jedoch, dass es sich als Gratis-Magazin nicht davon lösen konnte, Hofberichterstattung zu leisten. Das lebte alles sehr von den Anzeigen, so dass nie klar war, was eigentlich noch frei geschrieben wird. Ich habe dann angefangen, Platten besprechen zu lassen, für die es keine Anzeigen gab, und im Gegenzug andere rauszuwerfen. Unangenehm war dabei, dass ich den Großteil der Redaktion und der Schreiber austauschen musste. Da waren sehr viele dabei, die im Gegenzug, dass sie das Heft verteilten, darin schreiben durften, es aber im Grunde nicht beherrschten. Ich habe dann Mode und Bücher mit ins Heft genommen und dadurch kamen dann schließlich Anzeigen von sogenannten Markenartikeln, denen man eben nicht nach dem Mund schreiben musste.

Von welchem Zeitraum sprechen wir?

1994 bis 2000. Meiner Meinung nach hatte das Intro dadurch eine gewisse Glaubwürdigkeit erlangt, haderte aber immer noch damit, ein Gratis-Magazin zu sein. Zu der Zeit hat mich Uwe Viehmann von der Spex angesprochen und mich abgeworben. Dabei ging es zwar nicht um die Chefredaktion, was mich trotzdem nicht hat lange zögern lassen, weil ich die Spex lese, seit ich 13 bin, und da ging dann so was wie ein Traum in Erfüllung. Mein Job dort war, das Heft wieder hoch zu bringen, ohne es zu verraten. Ob das gelungen ist, mag natürlich dahin gestellt sein, haha. Das ging bis 2006. Zu dem Zeitpunkt kam der Verleger auf die Idee, dass alles nur noch in Berlin funktioniert. Uns wurde zwar vermittelt, wir können mit umziehen, aber wegen diverser Bedingungen sind wir geschlossen ausgestiegen.

Wie gestaltete sich danach der Weg vom Redakteur zum Übersetzer?

Ein früherer Fanzine-Kollege, Markus Naegele, der mittlerweile Lektor bei Heyne war, fragte mich, ob ich ein Buch übersetzen könne, das in der Musikindustrie spielt. Ich habe zunächst dreißig Probeseiten gemacht und weil die wohl gut waren, habe ich dann „Kill Your Friends“ von John Niven übersetzt.

Das war also auch deine erste Übersetzung?

Genau. Dafür hatte ich sogar viel Zeit bekommen, was heute nicht mehr selbstverständlich ist und mir durchaus die Möglichkeit gab, mich während der Arbeit zu verbessern. Heute bin ich mit dieser ersten Arbeit nicht ganz so glücklich, glaube aber trotzdem, dass ich einiges richtig gemacht habe, was andere Übersetzer so nicht gemacht hätten.

Das ist ein Punkt, der mich sowieso interessiert. Ich selbst lese eigentlich nie im Original, denke mir aber oftmals bei manchen Formulierungen, dass der Übersetzer da schon sehr eingedeutscht hat. Wie gehst du an deine Arbeit heran, wie viel individuelle Note ist da mit drin?

Es gibt reichlich Wortspiele, die man einfach nicht übersetzen kann. Ich versuche dann eine Alternative zu finden, oder das Wortspiel an anderer Stelle, wo es im Deutschen besser passt, einzusetzen. Manchmal bekomme ich das hin, aber manchmal muss ich es auch einfach weglassen und nur den Dialog durchlaufen lassen. Es gibt Kollegen, die versuchen an diesen Stellen einen anderen Witz reinzukriegen. Das liest sich dann wie übers Knie gebrochen, finde ich. Das sollte man eigentlich vermeiden. Ich vergleiche das gerne mit Rätsel lösen. Es gibt viele Möglichkeiten, etwas zu übersetzen und man muss sich entscheiden. Bei Trivialliteratur ist das viel stärker ausgeprägt als bei ernsthafterer Literatur. Oftmals wird man aber auch vom Verlag angehalten, freier zu übersetzen, um eventuelle Schwächen eines Autors zu kaschieren. Das läuft dann auch schon mal auf eine Diskussion mit dem Lektor hinaus, wenn so was in meinen Augen ein bewusstes Stilmittel des Autors ist.

Würdest du sagen, eine Übersetzung ist so was wie eine Coverversion?

Das ist ein ganz guter Vergleich. Mal näher am Original, mal mehr eigener Stil. Ich habe Ewigkeiten nach einer Möglichkeit gesucht, wie man das benennen kann, und das trifft es tatsächlich ganz gut.

Ich nehme mal an, du suchst den Austausch mit dem Autor?

Ja, auf jeden Fall, wenn das möglich ist. Bei John Niven habe ich den Vorteil, dass wir uns schon lange kennen. Wenn er erreichbar ist und nicht gerade Drehbücher für Hollywood schreibt, kann ich ihn anrufen und Fragen direkt klären. In „Kill Your Friends“ hatte er beispielsweise in einer Beschreibung des Innencovers des ersten PRODIGY-Albums etwas versehentlich vertauscht, was mir auffiel. So etwas würde ich jedoch keinesfalls eigenmächtig abändern, daher ist es immer wertvoll, wenn man die Möglichkeit hat, mit dem Autor zu sprechen. Mit John ist es schon ein sehr freundschaftliches Verhältnis. Wenn er hier Lesungen hält, die dann parallel mit Nagel und Bela B auf Deutsch stattfinden, freut er sich, wenn die Leute an den gleichen Stellen lachen wie im Original. Das ist für ihn nicht selbstverständlich. Da gibt es auch andere Autoren, die so was erwarten.

Als du „Coma“ übersetzt hast, war es da schwierig, den Protagonisten, der am Tourette-Syndrom leidet, entsprechend zu übersetzen?

„Coma“ war schon sehr schwierig, aber aus einem anderen Grund, nämlich weil es um Golfspielen ging. Ich kannte mich als Nichtgolfer überhaupt nicht aus. Mit dem Wissen, dass dieses Buch jedoch auch von Golfern gelesen wird, musste ich mir also erst mal deren ganzes Latein aneignen. Woher sollte ich sonst wissen, dass man im Golf nicht den Ball schlägt, sondern den Schläger? Ich hatte tatsächlich stapelweise Bücher über Golf hier liegen. So was bringt manchmal schon skurrile Sachen mit sich. John Niven habe ich übrigens auch zu verdanken, dass ich Slang-Wörterbücher sammele, weil bei ihm ja sehr viel Urban Language vorkommt. Sei das jetzt der Slang eines albanischen Bauarbeiters oder der eines irischen Taxifahrers. Um so was zu übersetzen, habe ich mich etwas an der Sprache Hamburger HipHopper orientiert und dann mit bestimmten Satzkonstruktionen versucht, den Originaldialekt ins Deutsche zu retten. So was macht mir viel Spaß. Ich mag auf jeden Fall keine Apostrophierungen, was früher viel benutzt wurde. Eine weitere Schwierigkeit war die, dass John dazu neigt, eigene Schimpfwörter zu kreieren. Schotten sind ja, was das angeht, ganz weit vorne, der deutsche Wortschatz ist dagegen eher arm an Schmähungen. Gerade wenn es darum geht, Minderheiten zu beschimpfen, haben die Schotten ein viel größeres Repertoire. Nicht nur John, sondern beispielsweise auch Irvine Welsh, dessen neues Buch ich gerade übersetze. Bei solchen Sachen muss man aber gut aufpassen. In Schottland kann es normal sein, dass man zu seinem besten Freund „my cunt“ sagt, da so was in Deutschland jedoch nicht üblich ist, muss man eben eine adäquate Übersetzung finden.

Du hast auch „Skunk“ von Justin Courter übersetzt. Dessen Protagonist hält sich Stinktiere, weil er süchtig nach deren Moschus ist. Eine extrem skurrile Geschichte.

Das ist sogar eines meiner Lieblingsbücher. Nicht nur, weil ich das Buch toll fand, sondern auch weil ich das Menschenfeindliche darin sehr gut nachvollziehen konnte. Das Wundervolle an dem Buch ist eigentlich, dass Courter damit eine überaus originelle Mischung aus Selbstversorger-Utopie, Gesellschaftskritik, urkomischer Charakterstudie, misanthropischer Schrulle, Tragikkomödie und Schelmenroman gelungen ist, die vor beißender Ironie nur so trieft, ohne auch nur einen Augenblick zynisch zu sein. Er ist seinem eigentlich schrecklich bigotten Helden so voller Liebe zugetan, dass man gar nicht anders kann, als mit diesem zu leiden. Ich war und bin von diesem Buch so begeistert, dass ich mich extrem freue, wenn es anderen auch so geht. Wie zum Beispiel Bela und Rod. Als Bela mir im Januar 2012 schrieb, das Buch sei der absolute Wahnsinn, und es hätte ihm den Jahreswechsel versüßt, hat mich das so berührt, als hätte ich es selbst geschrieben. Vielleicht ist genau das der entscheidende Punkt. Ich arbeite seit geraumer Zeit selbst an einem Roman, und beim Übersetzen von „Skunk“ dachte ich immerzu: Das ist es. Das ist genau das Buch, was ich am liebsten selbst geschrienen hätte. Jeder einzelne Satz darin sprach mir aus der Seele. Es ist sehr schade, dass dieses Buch nur in einem sehr kleinen Verlag erschienen ist, weil es dadurch eben nur wenig Leser erreicht.

Das hätte mit Niven ja auch passieren können.

Stimmt. Allerdings ist Deutschland mittlerweile, sogar mit Abstand, der größte Markt für seine Bücher. „Gott bewahre“ war sogar in der Spiegel-Bestsellerliste. Danach ging es aber wieder etwas runter. John ist ja etwas eigen. Nach einem sehr humorvollen Buch schreibt er plötzlich einen brutalen Thriller wie „Gebot der Rache“. So was verwirrt die Leser schon mal.

Wie hoch schätzt du deinen eigenen Anteil an seinem Erfolg in Deutschland ein?

Das kann ich wirklich nicht sagen. Eventuell liegt den Deutschen ja auch sein Humor mehr als den Engländern. Dort ist nämlich „Kill Your Friends“ noch sein am besten verkauftes Buch.

Aber eben auch der Humor ist ja Teil deiner Übersetzung.

Ich mag da einen Anteil haben, aber wie hoch der ist, kann ich nicht beurteilen. Ich schreibe sehr rhythmisch, das macht den Lesefluss eventuell einfacher. John baut viele Stopper in seine Geschichten oder fügt Klammersätze ein. Ich baue das in ein logisches Satzgefüge um, wozu mich einerseits das Lektorat anhält und was andererseits auch mit ihm so abgesprochen ist. Mein Beitrag war allerdings, dass ich damals „Kill Your Friends“ an meine ganzen Kontakte in der Musikszene weitergegeben habe. Leute, von denen ich wusste, dass sie das Buch mögen werden. Die haben es ebenfalls weitergegeben und dadurch wurde das Buch so was wie eine Pflichtlektüre in diesem Umfeld, auch weil wohl jeder gerne in sich ein kleines bisschen Steven Stelfox sehen wollte. Insofern mag mein Anteil als Promoter da höher sein als der des Übersetzers, haha.

Aber es gibt ja nun viele Leser wie mich, die nicht im Original lesen. Findest du nicht, dass man die Arbeit des Übersetzers mehr würdigen müsste?

Doch. Ich bin Mitglied im Verband deutscher Literaturübersetzer, und wir fordern zum Beispiel, dass der Übersetzer immer genannt wird. Das ist nicht Standard, es gibt Gedichtbände, in denen nicht steht, wer sie übersetzt hat. Das geht nicht. Ein zweiter Schritt ist der, dass Übersetzer auf dem Buchumschlag erwähnt werden sollten. Und bei Buchbesprechungen sollte auch der jeweilige Übersetzer genannt werden. Schließlich wird ja nicht das Original besprochen, was sowohl dem Schreiber als auch dem Leser einer Literaturkritik klar sein sollte.

 


Übersetzungen

• John Niven „Kill Your Friends“ (Heyne, 2008)

• Joseph D’Lacey „Meat“ (Heyne, 2009)

• Barney Hoskyns „Tom Waits.

Ein Leben am Straßenrand“ (Heyne, 2009)

• John Niven „Coma“ (Heyne, 2009)

• Joseph D’Lacey „Entsorgt“ (Heyne, 2010)

• Steve Blame „Getting Lost is Part

of the Journey“ (Lübbe, 2011)

• Justin Courter „Skunk“ (Hablizel, 2011)

• John Niven „Gott bewahre“ (Heyne, 2011)

• John Niven „Music from Big Pink“ (Heyne, 2012)

• John Niven „Das Gebot der Rache“

(Heyne, 2013)

• John Niven „Straight White Male“ (Heyne, 2014)

• Jess Walter „Die finanziellen Abenteuer

des talentierten Poeten“ (Blessing, 2014)