Stephan Eicher

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Der Weg zu zweit ist halb so weit

Es gibt nur eine Handvoll Bands, die dich ein Leben lang begleiten. GRAUZONE gehören für mich zu diesen Bands, trotz oder gerade wegen ihres recht überschaubaren Werks. Als der „Eisbär“ 1981 das erste Mal im Radio lief, war ich umgehend infiziert und es dauerte es keine zwei Tage, bis die Single ihren Weg aus der Großstadt zu mir gefunden hatte. Es war „Ich lieb sie“, die Rückseite, die mir schon kurz darauf wertvolle Dienste leistete, als ich das erste Mal wirklich unglücklich verliebt war. Keine Band davor klang wie diese, und wenn ich ehrlich sein soll, tut das bis ins Jahr 2019 immer noch keine.

Dass eine Schweizer Band von der NDW assimiliert wurde, irritierte mich selbst als Teenager schon, noch mehr irritierte mich aber, dass es im Gegensatz zu all den anderen Bands dieser Vermarktungsmaschinerie kein Pressematerial, keine Starschnitte, keine Interviews, keine Konzerte und nur wenige greifbare Informationen gab. Das machte GRAUZONE umso interessanter und geheimnisvoller. Die paar Veröffentlichungen, die gerade einmal drei Singles und eine LP umfassen, waren so klar, so knapp und eindeutig formuliert, mit Texten, die ohne die damals üblichen Floskeln auskamen. Missverständnisse bei der Textinterpretation waren nicht möglich und die Musik so präzise strukturiert wie ein Uhrwerk. Selbst mit meinen damals 15 Jahren war mir glasklar, dass diese Band einzigartig ist. Elektronik mit Wurzeln im Punk und dessen Verweigerungshaltung, mit einer Bandgeschichte, die gerade einmal zweieinhalb Jahre andauerte, aber so hell glühte, dass das Leuchten bis heute anhält. Anlässlich der im April erscheinenden Werkschau, nach 38 Jahren mit Stephan Eicher ein Interview zu GRAUZONE führen zu können, ist die Erfüllung eines Jugendtraums und ein Kreis, der sich schließt.

Stephan, wie geht es dir?

Ich bin viel auf Reisen, hatte eine blöde Rückengeschichte, die mich aufgehalten hat, aber ich bin wieder auf Tour. Voilà, kein Problem. Und jetzt sprechen wir für dein Fanzine über GRAUZONE.

Wie geht es deinem Bruder?

Meinem Bruder? Das ist eine schwierige Frage, denn wir haben sehr wenig Kontakt. Wir haben zwar Kontakt, aber der ist sehr, sehr sporadisch. Mein Bruder hat sich nach GRAUZONE sehr bald zurückgezogen und sehr abgelegen gelebt. Ich habe ihn hin und wieder besucht, immer tolle Musik bei ihm gehört und gehofft, dass er das mal veröffentlichen wird, ob sich daraus nun Filmmusik oder die surrealistische Vorstellung eines zweiten GRAUZONE-Albums ergeben wird. Ich hoffe immer noch darauf. Er hat mein Studio in der Camargue, wo ich lebe, im Oktober besucht, leider zu einer Zeit, als ich gerade in der Schweiz war. Er hat mir gesagt, dass es ein toller Raum ist und er gerne im April zu mir kommen würde, um ein bisschen was zu machen. Mal schauen, was passiert. Ich muss zu dem ganzen Gespräch, das wir jetzt führen, auch sagen, dass Martin Eicher die Hauptstimme von GRAUZONE ist. Ich habe zwei, drei Lieder gesungen, und das bedeutend schlechter als die, die er gesungen hat. Er hat auch die meisten Texte geschrieben. Er war das Mastermind, zusammen mit Marco Repetto.

Vor knapp 16 Jahren bei einem Interview in genau diesem Heft war es deine Hoffnung, dass er aus seiner Berghütte herunterkommen würde, damit ihr zusammen vielleicht wieder als GRAUZONE auf einer Bühne stehen könntet.

Alles braucht seine Zeit, er hat immerhin schon mein Studio besucht. Ich hatte ein Konzert mit Marco Repetto als Gast. Ich habe eine Perfomance-Band, die heißt POLSTERGRUPPE, die kümmert sich wirklich um performale Musik. Es geht mehr um Ideen, weniger um Songs. Wir haben Marco eingeladen und eine Version von „Eisbär“ gespielt. Ich habe dem Publikum gesagt: „So nah werdet ihr nicht bald wieder an einer GRAUZONE-Reunion teilhaben können“. Wir nehmen das alles ein bisschen mit Humor, in der Hoffnung, dass Martin plötzlich dasteht und wieder mit seiner ganz klar definierten emotionalen, minimalen Poesie und Musik begeistert, wie er das immer gemacht hat.

Eine greifbare Chance für eine Reunion oder Tour gibt es nicht?

Das fände ich auch ein bisschen seltsam. Wir waren 18, 19 bis 21 und haben nie eine Tour gespielt. Wir haben zwei Handvoll Konzerte gegeben, auch immer mit diesem Performance-Gedanken dahinter. Ich habe immer ein bisschen Schwierigkeiten, diesen übergewichtigen, grauschläfrigen Jungs und Mädchen zuzuschauen, die Musik aus ihrer Kindheit spielen. Wenn es passiert, dann müsste sich das ein wenig weiterentwickeln, um die inzwischen vergangene Zeit sichtbar zu machen. Vielleicht neue Aufnahmen, das kann ich mir noch eher vorstellen. Keine Ahnung, ob das passiert, aber man wird immer wieder überrascht.

Das Reissue des GRAUZONE-Werks erscheint nicht zum vierzigsten Geburtstag der Platten, sondern zum Bandjubiläum. Reichte der mital-U-Rerelease nicht, und lohnt sich der immense Aufwand, den du betreibst? Du kennst ja den Markt.

Es ist immer gut, wenn man Kleider an einem Bügel aufhängt. Der Bügel ist dabei nicht so wichtig, nur dass die Kleider hängen. Die vierzig Jahre als Bügel, das ist die Band, die sich 1979 in Bern gefunden und begonnen hat, an diesem Sound zu feilen, ich bin ja erst ganz am Schluss des Jahres dazugestoßen. Es war so, dass die Originalbänder plötzlich zum Verkauf angeboten wurden, was für mich, der nun seit sechs Jahren mit Universal vor Gericht mit der Fragestellung beschäftigt ist, wem Musik außer dem Publikum eigentlich gehört, der Anlass war. Ich denke, dass sie zuerst dem Publikum gehört. Der Disput hat mich sechs Jahre gekostet, und vielleicht wurde ich auch deswegen krank. Ich habe mich in dieser Zeit mit Verträgen auseinandergesetzt, was sie sagen, wie sie strukturiert sind, und was die Industrie für eine Macht hat. Als ich dann gehört hatte, dass Off Course diese Bänder anboten, nachdem sie schon das ganze grafische Werk – Verzeihung für den Ausdruck – auf eBay „verscherbelt“ hatten, habe ich Marco und Martin gefragt, ob wir das Ganze nicht für einen völlig überzogenen Preis kaufen wollen? Ich habe das dann gemacht, haha. Ich habe das gekauft, wie ein Kunstwerk. Vom Preis her ergibt das keinen Sinn, aber ich habe mir gedacht, dass man von einem modernen Künstler ein Werk in einer kleinen Edition oder ein Bild kaufen kann, um es an die Wand zu hängen. Oder man kann die GRAUZONE-Bänder zurück in die Nähe der Band bringen und sie so rahmen und ausstellen, dass sie mehr der Band entsprechen, als das bisher der Fall war. Die mital-U-Ausgabe fand ich nicht so toll, auch wegen der Überkomprimierung, die heute gerne gemacht wird. Es war eine tolle Arbeit, dass die Originalbänder ausfindig gemacht wurden und dass es überhaupt gemacht wurde, aber ich hatte das Gefühl, dass man das gegenüber den Tapes, der Grafik und letztendlich der Haltung der Band gegenüber etwas respektvoller hätte gestalten können. Vor allem der Haltung gegenüber, die für mich heute immer noch existiert. Also habe ich mich entschieden, mich mit We Release Whatever The Fuck We Want – dem Label mit dem tollen Namen aus Genf – und Lurker Grand zusammenzusetzen und das zu machen. Lurker war ziemlich ausschlaggebend, wie er diese ganze Vergangenheit respektvoll archiviert, zusammenträgt und verwaltet. Ich habe mir seine zwei in der Edition Patrick Frey erschienenen Bücher über die Schweizer Szene ein bisschen als Vorbild genommen. Das fand ich schon toll und sie sind als Nachschlagewerk spannend. Gerade heute, wo wir miteinander sprechen, gibt es immer noch junge Bands, die sich gerade eine Gitarre, einen Bass umhängen und hinter ein Schlagzeug setzen, um zu versuchen, in irgendeiner Garage eine Version von „Eisbär“ zu spielen. Damit solche Bands Zugriff darauf haben, so wie wir uns das damals vorgestellt hatten, denke ich, dass ich da eine Verantwortung trage.

Bisher gibt es keine Werbung, keine große Vorankündigung, wie das sonst üblich ist.

Nein, bisher nicht. Ich wollte zunächst einmal, dass die erste Maxi in einer tollen Version unentgeltlich für alle zugänglich ist, die streamen wollen. Wir haben die bis hin zu den Masters renoviert, sehr dezent remastert, das Cover angepasst und stellen das so frei ins Netz. Das Album wird schon noch Werbung bekommen, denn es ist ein ziemlich aufwändiges Werk. Ich denke schon, dass es über Blogs, Lurker und Fanzines, wie das Ox, seine Kreise ziehen wird. Es gibt genug Leute auf dieser Erde, um eine kleine, saubere, schöne Edition verkaufen zu können, da bin ich mir sicher. Werbung ist vielleicht übertrieben, aber es wird entsprechend Aufmerksamkeit erzeugt werden.

Als Live-Band wart ihr, was man ja jetzt dank dem Live-Mitschnitt aus dem Gaskessel hören kann, eine Punk- beziehungsweise Post-Punk-Band. Ich nehme an, du kennst die Platte? Im Studio wart ihr eine völlig andere Band, und bis auf „Moskau“ hat es auch keiner dieser Songs auf Platte geschafft.

Die Platte kenne ich nicht, aber ich kenne die Bänder, schließlich habe ich sie ja aufgenommen. Aber ja, sicher waren wir eine Punkband. Das „anders klingen“ war auch die Haltung. Wenn wir etwas aufnehmen, kann man das nicht mehr spielen, wenn man etwas spielt, hat man es nicht aufgenommen. Deswegen gibt es auch nur diese zehn Konzerte, da war es schon hart, das durchzuhalten. Es gibt noch weitere Aufnahmen, ich habe noch etwas aufgenommen, das ist aus dem Übungsraum. Das Tape schwirrt auch irgendwo rum. Es enthält zwei, drei Stücke, bei denen ich mir dachte, das könnte man aufnehmen. Ich würde sie meinem Bruder vorspielen, weil sie eine ganz tolle Haltung haben. Die Idee dazu war, dass man ein altes Drehbuch gefunden hat, in dem steht, dass der junge Robert de Niro vom Barhocker aufsteht und zur Tür hinausgeht. Nur ist Robert de Niro heute nicht mehr jung, also kann man den Film so nicht mehr drehen. Aber es gibt ja viele junge Bands, die Fans sind, und möglich, dass diese jungen Bands diese Stücke aufnehmen, so wie ich es mit Bonaparte, einem jungen Schweizer Musiker, bereits durchgespielt habe. Es gibt schon noch ein paar unveröffentlichte Sachen.

Von den insgesamt zehn Konzerten habt ihr keins außerhalb der Schweiz gespielt, es hätte ein elftes in der Stuttgarter Mausefalle geben sollen, was dann doch irgendwie anders kam. MOTHER’S RUIN, Stephan Eicher und GRAUZONE. Das GRAUZONE-Set hast du dann alleine gespielt.

Ich muss zugeben, dass ich mich fast nicht mehr daran erinnern kann, es ist bald vierzig Jahre her und wir haben auch immer viel Alkohol getrunken. Ich denke, dass ich das alleine gespielt habe, es könnte aber auch sein, dass Bayer von MOTHER’S RUIN bei ein, zwei Stücken am Schlagzeug mitgespielt hat. Es gibt Fotos, wo Bayer am Schlagzeug sitzt, daneben stehen Marco und mein Bruder, bei denen ich gefragt habe: Wo war das denn? Es gibt immerhin ein Interview, das ich nach dem Gig in der Mausefalle gegeben habe, das 2003, 2004 wieder aufgetaucht ist. Das war damals alles im Jetzt. Wir haben seinerzeit nie daran gedacht, dass das später noch jemanden interessieren könnte. Es gab keine kleinen Handys, um etwas zu dokumentieren, da musste man schon eine schwere 4-Spur-Teac mit in den Übungsraum nehmen, um etwas aufzunehmen. Es gab ja noch nicht einmal diese kleinen Walkmans. Aber das ist ja auch toll, deswegen sprechen wir jetzt darüber und erinnern uns nicht mehr so ganz.

Man kann im Nachhinein so auch ein paar Dinge schönreden.

Genau, das war ein tolles Konzert, damals in der Mausefalle, ein super Gig! Haha.

Der letzte Auftritt Anfang 1981 bedeutet auch, dass ihr von der LP nie etwas live gespielt habt. Wolltet oder konntet ihr die Sachen live nicht spielen?

Vielleicht hätten wir das gar nicht gekonnt, ich weiß es nicht. Wenn man das Gaskessel-Konzert hört, dann war es vom Timing her nicht so steady, aber von der Energie her war es sehr gut. Erst unter dem Mikroskop eines Studios hat uns jemand gesagt, dass wir nicht so tight sind, auch weil wir nicht so gut waren. Daher kam dann auch die Idee des Tontechnikers Etienne Connod, komm, wir machen einen Drumloop, was dann auch die Grundlage für diesen Erfolg des hypnotischen „Eisbär“-Songs gelegt hat. Das Timing ist wie ein Uhrwerk, wie ein Loop von James Brown in Slow Motion, und das war extrem tight. Ohne diesen Loop wäre das Stück nie zu diesem Hit geworden, glaube ich. Ich kenne eine Menge junger Bands, die heute versuchen, im guten Sinne, so schlecht zu klingen, wie wir damals. Die kommen zu mir und fragen: „Wie habt ihr das gemacht?“ Wir haben nicht geübt! Dann braucht es einen charismatischen Sänger, wie meinen Bruder Martin. Je mehr es flattert, desto aufregender ist das Zentrum der Ruhe im Sturm.

Für mich scheint es rückblickend, als hättet ihr im Studio einen Reset gemacht.

Auf jeden Fall. Mein Vater spielte da eine nicht unwesentliche Rolle. Er hat schon früh Oszillatoren umgebaut, Drumcomputer gebastelt, uns aus einem alten Röhrenradio einen Gitarrenverstärker gebaut, wir waren da schon sehr sensibilisiert. Ich wusste sehr früh, was ein 4-Track ist, wusste, dass man Tempi verändern kann, dass man Tapes drehen und schneiden kann, das habe ich alles gewusst und damit auch schon selber experimentiert. Das hört man auch bei „Film 1“, das ist eine Manipulation. Martin hatte einen Gitarrensynthesizer, mit dem er bereits fast RESIDENTS-mäßige Klänge entwickelt hat, bevor wir überhaupt wussten, dass es solche elektronische Musik gibt. Und dann war Etienne Connod ein wichtiger Teil, er hat uns noch ein paar Tricks beigebracht. Er hatte diesen Background, diesen ganzen Krautrock, wie GURU GURU, Heiner Goebbels und solche Sachen, die er in diesem Schweizer Dorf aufgenommen hat. So kamen Tape-Manipulationen dazu, die wir uns so vorher noch nicht vorstellen konnten. Die schon angesprochenen POLSTERGRUPPE arbeiten auch noch immer in dieser Philosophie. Bei mir ist dann mehr Popmusik daraus geworden. Das Studio ist nicht die Bühne, wir haben das ganz klar getrennt. Und es ging sogar noch einen Schritt weiter, da gab es dieses unsägliche Walche-Konzert in Zürich, wo das Publikum eigentlich schon den „Eisbär“ und solche Sachen hören wollte. [Das Konzert am 31. Januar 1981 in der Walche, einem alten Züricher Porno-Kino, war der zehnte und letzte Auftritt von GRAUZONE, das Publikum wollte die bis dahin veröffentlichten Stücke vom „Swiss Wave“-Sampler und der „Moskau“-EP so wie auf Platte hören, die Band sie aber so nicht spielen, folgerichtig kam es bei diesem Gig zum Eklat zwischen Zuschauern und Band. khs] Wir haben immer das Gegenteil von dem gemacht, was andere von uns erwartet haben. Für uns war das extrem amüsant. Bis zu diesem Konzert hatte es keine Probleme gegeben, die Leute sind dann eben einfach gegangen, und das war unser Ziel. Das Gaskessel-Konzert beginnt ja mit diesem E-Griff. Wir haben uns vorher gesagt, den spielen wir einfach mal so lange, bis alle Leute, die gehen wollen, gegangen sind, haha. Da ist auch wirklich die Hälfte aufgestanden und rausgegangen. Die Betrunkenen, die Eingeschlafenen sind geblieben und die Leute, die mit auf eine etwas ruppigere Reise gehen wollten. Aber das war unser Ziel, wir haben uns gesagt, wir kämmen das mal durch.

Beeindruckend war für mich von Anfang an die grafische Qualität, die von dir kam. In der Schweiz gab es ja eine besondere Verbindung zwischen der frühen Punk- und Kunstszene.

Diese Affinität gab es wirklich. Ich habe im Copy-Quick gearbeitet, einer Xerox-Druckerei, dorthin kamen nach Feierabend bald die ganzen Bands zu mir. Wir haben dann experimentiert, Farbe reingeleert, den Toner verdünnt, Doppelbelichtungen gemacht, das war immer ein ziemliches Happening. Ich war damals an der F+F-Kunstschule, wo man sich getroffen hat. Es gab KLEENEX/LILIPUT, die mit den Künstlern David Fischli und Peter Weiss arbeiteten, die später eine Riesenkarriere gemacht haben. Es gibt in Genf John Armleder und Sylvie Fleury, die später als Contemporary Artists Erfolge feierten und damals mit uns zusammen Flyer gebastelt haben. Dieser Zusammenhang kommt auch im Fanzine zum Rerelease deutlich heraus. Das Fanzine ist neu und ein Pluspunkt. Wir haben dazu extra eine alte gepimpte Xerox-Maschine gekauft, um alles in alter Schwarzweiß-Xerox-Optik herzustellen. Es gibt einige Künstler, die dazu etwas beigetragen haben. Ich kann noch nicht alle im Detail nennen, weil diese Künstler alle sehr launisch sind, aber es gibt ein paar sehr bekannte und einflussreiche Künstler, die sich wegen dieses Releases an die Arbeit gemacht haben, um das mit uns zusammen neu zu rahmen. Da sind viele dabei, die bildende Künstler wurden, mit denen man damals zusammen getrunken hat und auf Konzerte ging. Sie alle haben so kleine Hommagen angefertigt, die mich sehr glücklich machen. Es gibt sogar etwas von Maurizio Cattelan, der, glaube ich, einer der teuersten lebenden Künstler ist. Sie hat auch in der Kunst Spuren hinterlassen, diese klare grafische Linie von GRAUZONE.

Das war auch etwas, das mir bei den Rereleases von Play It Again Sam und mital-U nicht so gefallen hat, diese fehlende grafische Linie, das fand ich wenig respektvoll. Hast du jemals Designs für andere gemacht?

Für Off Course? Doch, ich habe ein paar Sachen gemacht, wie MOTHER’S RUIN, ja. Nicht alles immer unter meinem Namen, weil das die Leute verwirrt hätte, als ich dann etwas bekannter geworden bin. Ist das jetzt der Sänger von der Platte „Déjeuner En Paix“, macht der jetzt auch Cover und Grafik? Das ist wie bei den elektronischen Bands, bei denen ich mitgemacht habe, da tauche ich nicht als Stephan Eicher auf. Das waren oft Fotos, Cover und solche Sachen, unter anderem auch für CORONER, eine Züricher Speed-Metal-Band. Ich erzähle dir keinen Bullshit, es war damals eine wilde Zeit. Ich war auch nicht alleine, da gab es noch Dan Affolter, der hatte auch eine tolle Band namens LAWMAKER, die habe ich dann produziert. Er hatte das mit den Xerox-Maschinen ziemlich drauf. Die Bands kamen, wir haben Plakate gemacht, Flyer, Cover, und wir haben Videos gedreht mit Super-8. Ob die allerdings noch auffindbar sind? Es gibt da diesen Film „Punk Cocktail“ von René Uhlmann, Clips davon findest du auf YouTube. Da sind auch Sachen dabei, die wir mit KLEENEX und Klaudia Schifferle gemacht haben.

Ihr habt selber mit „Film 2“ auch schon früh mit Video experimentiert, zu einem Zeitpunkt, als Videos noch nirgends gespielt werden konnten.

In der Kunstschule stand einfach dieses Material herum und ich habe damit minimalistische Videos gedreht. Für den Rerelease gäbe es drei Videos, die ich gemacht habe, die kann man aber leider nicht mehr lesen, alle wie „Film 2“, in diesem klaren Stil, mit einer Idee, die einfach umgesetzt wurde, leider gibt es für die keine Maschinen mehr, die es abspielen können. Ich bin gerade am Drehen, ich mache noch ein Video zu „Raum“, daran arbeite ich gerade.

Die GRAUZONE-Texte behandeln, bis auf einzelne Ausnahmen, die Themen Tod und Liebe, fast immer mit unglücklicher Note. Woher kam die Faszination für beides?

Bei mir hat mehr das Euphorische im Vordergrund gestanden, wie bei „Ich lieb sie“. Mein Bruder hingegen trägt schon eine große Melancholie in sich, was auch der Grund war, warum er sich zurückgezogen hat. Mein Bruder lebt in einer überromantischen Idee der Liebe, das ist auch heute noch so. In der wenigen Zeit, die ich mit ihm verbringe, um über solche Themen zu sprechen, spüre ich immer noch eine absolute Einstellung. Die Dichtung Eichendorffs ist geradezu eine schwächliche Variante seiner Vorstellung von romantischer Liebe und der Tragik, die darin steckt. Die hat er auch gelebt, die lebt er jetzt noch. Diese Einsamkeit ist nicht aufgesetzt, da ist ein Schmerz aus tiefster Seele, das war keine Attitüde. Ich hatte ein bisschen mehr Glück, dass ich ein eher offener Mensch bin, ein bisschen neugieriger darauf, was vor der Tür ist. Aber diese Tendenz ist bei mir grundsätzlich auch vorhanden. Es ist schwierig, darüber zu sprechen, ich hoffe nur, dass Martin das irgendwann wieder in Lieder umsetzt, die er dann auch selber singt.

Von euch gibt es drei oder vier frühe Fanzine-Beiträge, aber keine Interviews, kaum Pressematerial oder Fotos. Im Zeitalter von Social Media ist das für die meisten nahezu unvorstellbar.

Wir hatten einfach keinen Bock darauf. Es gibt einen tollen Journalisten namens François Mürner, „FM“, der uns damals interviewt hat. Das Interview wollte ich auch rausgeben, denn wir hatten einen russischen Störsender ins Radiostudio mitgenommen. Davon gibt es eine Kassettenaufnahme, die mein Vater mitgeschnitten hatte, und die ich in seinem Nachlass auf der Suche nach alten Bändern wiedergefunden habe. Das Schweizer Radio ist damals durchgedreht, denn wir haben den Sender zum Mikrofon gestellt. In diesem Interview verweigert sich Martin total, während ich ein wenig den Charmeur spiele, der versucht, ein paar Standardantworten zu geben, „warum dieser Name, diese Kälte in den Texten ...“ Man sieht, wir nahmen es nicht so ernst. Einem tollen Moderator wie FM gegenüber ist das nicht sehr freundlich gewesen. Aber seien wir ehrlich, Martins Haltung ist die Richtige. Die Lieder zu singen und dann zu schweigen, darum geht es ja eigentlich. Ich habe auch das Gefühl, dass das wieder zurückkommen wird. Ich bin nicht davon überzeugt, dass Karrieren, die darauf gegründet sind, dass man sich breitbeinig und nackt auf dem Seziertisch zur Schau stellt, das Publikum nicht allzu lange interessieren werden. Aber vielleicht täusche ich mich auch.

Musik sollte man nicht erklären müssen.

Das ist wie Kunst, bei der man noch eine Gebrauchsanweisung braucht. Es gibt technische Geräte, da ist eine Gebrauchsanweisung toll, wenn ich sie nicht gleich verstehe. Es braucht eine gewisse Intelligenz, Verständnis für die Konstruktion. Aber bei Musik? Nein, entweder bringt sie einen zum Weinen oder zum Tanzen, der Rest interessiert mich eigentlich nicht groß. Ich hatte ja auch das Glück, mit MOONDOG arbeiten zu können. Da gibt es ja auch ganz, ganz wenig drumherum. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass allein durch die Musik täglich tausend neue Fans dazukommen. Das ist eine Lawine, die sich da auf die Länge hin ausbreitet. Aber wer bin ich, der hier mit sechzig Jahren beschreiben will, wie sich Facebook und Instagram weiterentwickeln werden? Ich bin da gerne naiv und sage: Das wird schon gut! Aber es wird wohl nicht gut ausgehen, haha.

Gab es rückblickend Entscheidungen, die nicht so gut waren? Zum Beispiel hätte euch ja sicher jede normale Plattenfirma nahegelegt, den „Eisbär“ mit auf die LP zu packen, um mehr Platten zu verkaufen.

Sicher! Ich habe einiges für die Band abgefedert und mit der Industrie gesprochen, das hat mir auch ziemlich zugesetzt. Wie heute, als ich mit Universal vor Gericht gehen musste und sich in der Folge der Belastung meine Rückenwirbel verschoben haben. Diesen Druck hatte ich schon damals, aber ich finde, es lohnt sich, sich dagegen zu stemmen, auch wenn es völlig klar ist, dass Goliath stärker ist als David. Es ist Bullshit zu erzählen, dass David stärker ist als Goliath. Würden sich fünfzig Davids solidarisch zusammentun, müsste Goliath davonrennen. Nur, solange wir nicht mindestens fünfzig sind, verlieren wir immer. Ich habe das Ganze der Band damals ziemlich abgenommen. Ich konnte wirklich ziemlich überzeugend sagen: Fällt für uns doch eine schlechte Marketingentscheidung. So eine habe ich auch wieder für mich gefällt, als ich jetzt eine Tournee zugesagt habe, die finanziell überhaupt keinen Sinn ergibt, dafür aber künstlerisch. Diese Haltung habe ich immer noch.

War der „Eisbär“ eine Hypothek, eine Bürde, die sich letzten Endes beschleunigend auf den Bandzyklus ausgewirkt hat? Ein sensibler Künstler hadert ja oft mit der Last, dass er vielleicht nie wieder etwas derart Erfolgreiches kreieren kann.

Als Last? Mir ist das später ja noch mal passiert, mit „Déjeuner en paix“, das im französischsprachigen Raum eine Art „Eisbär“ wurde. Es war uns ganz klar, dass das ein einsamer, einzelner Moment ist, den man nicht rekreieren kann, vor allem weil er musikalisch so perfekt war. Aber vielleicht bin ich jetzt nicht ganz ehrlich, vielleicht versucht man doch unbewusst jedes Mal, wenn man ein Lied schreibt, den Hörer so zu berühren, wie man es bei solchen Songs gemacht hat. Wenn ich dann überlege, wie GRAUZONE weitergearbeitet haben, wenn man „Träume mit mir“ oder schon „Moskau“ hört, ist der Wunsch, sich weiterzuentwickeln und weitere künstlerische Ideen zu verarbeiten, bei den Eichers immer stärker gewesen, als nochmals denselben Apfel auf den Kopf des Kindes zu pressen.

Als die „Träume mit mir“-12“ erschien, war zu lesen, dass neue LP-Aufnahmen anstehen und die Band sogar wieder live spielen wollte, nur dann kam nie wieder etwas. Was ist da passiert?

Haha, dann warte mal bis April! Manches dauert eben ein wenig länger. Brüder-Bands sind schwierige Bands. Sie sind extrem spannend, weil Brüder Formen von Kommunikation haben, die das sprachlich Intellektuelle übersteigen, was es wiederum auch alles sehr kompliziert macht. Wegen damals, da musst du Martin fragen. Es sah so aus, wenn ich mich recht erinnere, dass er die Band weiter alleine für sich haben wollte. Das war eigentlich auch ganz klar bei den Anmeldungen bei der GEMA und SUISA. Das war auch ein bisschen ein schwieriger Punkt für G.T., Marco und auch für mich, dass wir gesagt haben, die Texte sind von Martin, aber die Musik machen wir immer alle zusammen. Also Komponist, das ist die Band und der Texter, das ist Martin. Das wurde von Martin ein bisschen umgangen. Er hat dann gesagt, dass alles, was GRAUZONE ist, auch er sei. Das verursachte ziemliche Spannungen, auch mit mir, denn ich fand, es war nicht das, was abgemacht war. So was vergisst man aber mit den Jahren. Er wollte dann selber weitermachen. Er kam zu mir nach Zürich, und ich habe ihm mein Equipment ausgeliehen. Zu der Zeit hatte ich schon so was wie ein kleines Studio mit Drumbox und all den Sachen, und er hat das Ergebnis dann als Martin Eicher veröffentlicht. Ich fand das nicht so intelligent, denn Stephan Eicher war parallel dazu bekannt geworden. Ich habe ihm gesagt: „Bring das doch als GRAUZONE heraus, auch wenn du englisch singst“, aber so ist es dann nicht gekommen. „Spellbound Lovers“ ist schon eine tolle 4-Song-12“ mit brillanter Musik, sehr selten zu finden. Doch es als Martin Eicher zu versuchen, während Stephan Eicher in Frankreich und den frankophonen Ländern schon einen gewissen Namen hatte, war vielleicht ein bisschen zu kompliziert. Sollte Martin noch einmal etwas machen wollen, werde ich versuchen, ihn zu überzeugen, dass er das GRAUZONE nennt, auch wenn die anderen Jungs und ich ausgeklammert sind. Ich fände es gut, wenn er auch selber was machen möchte, nur würde ich es als GRAUZONE herausgeben, es ist seine Band.

Eine Bandauflösung im eigentlichen Sinne gab es also nie?

Nein, wir haben uns nie aufgelöst.

Bei dir ging es nach GRAUZONE ja dann nahtlos weiter, in Frankreich und dem französischsprachigen Raum, weniger in Deutschland. Was hast du dir von damals aus der GRAUZONE-Zeit bewahrt?

Ich werde oft von jungen, von tollen Bands angesprochen: „Sie ...“, weil ich werde ja oft gesiezt, „Sie waren doch bei GRAUZONE?“ Ja, da war ich mal, es war eine tolle, eine extrem intensive Zeit, denn das Ganze ist alles innerhalb von nur knapp zwei Jahren passiert. In dieser Zeit wurde meine DNA geformt. Wie man damals ins Studio ging, wie man mit Sounds umgeht, wie man versucht, eine Emotion zu einer Skulptur zu formen, auch wenn es ein Musikstück ist. Mein Traum ist immer, dass das Publikum quasi um die Struktur herumgehen und sie berühren kann, das macht einen tollen Song aus. Sich hinzuknien, mit Hammer und Meißel, mit Loops und Harmonizern, um zu versuchen, dieses unbestimmbare Gefühl zu fixieren, mit vielen Tränen in der Nacht, manchmal nur mit Zufall. Der Glaube, dass man auch so zu einem Resultat kommen kann, das hat für immer meine DNA beeinflusst. Wie bei Jackson Pollocks Action-Painting, da wurde gemacht, gemacht, gemacht. Sagen wir mal so, ich habe ein ziemlich großes Vertrauen in Kreativität, weniger in Marketing.

Einer der Urgedanken von Punk: „einfach machen“.

Genau, einfach machen. Es gab viele Momente in meiner Karriere, wo ich bis heute noch versuche, Leute zu ärgern und das Gegenteil von dem zu machen, was die Erwartung ist. Manchmal entstehen sehr populäre Musikstücke daraus, auf die die Leute positiv reagieren. Ich begann 1989 auf „My Place“, auf Schweizerdeutsch zu singen. Das war aus meiner Sicht ein Stinkefinger an alle, denn das darf man nicht, man kann heute keine Schweizer Volkslieder singen, da wird man zerfetzt. Heute singe ich das „Guggisberglied“ immer noch und bin jedes Mal davon berührt. Damals wollte ich allen sagen: Fuck you! Hat aber nicht geklappt.

Seit sechs Jahren gibt es von dir bis auf das „Song Book“ mit Martin Suter nichts Neues. Abgesehen von den „Homeless Songs“ bei dem Buch zur Ausstellung „Urlaub im Urban“ des Künstlers Gregor Hildebrandt, wo das Cover aus einer geschnittenen Vinylschallplatte besteht, bei der immerhin das letzte Stück, „Broken“, abspielbar ist.

Als ich nach Frankreich kam, mit meinem Akzent, mit meiner Vergangenheit bei GRAUZONE, die Erfolg hatten, und plötzlich auf Französisch gesungen habe, weil mich meine damalige Freundin für Paris verlassen hatte, woraufhin ich ein, zwei Stinkefinger-Songs geschrieben habe, die dann aber vom Publikum gut aufgenommen wurden, weil sie mich missverstanden haben, in der Annahme, ich hätte das zärtlich gemeint und nicht aggressiv, da gab es dort Leute, die haben Zeit, Geld und Energie investiert, um aus mir das zu machen, was ich geworden bin. Also jemand, der im französischsprachigen Raum einen Platz in der Musik hat. Das habe ich sehr respektiert, da gab es wunderbare Leute, zu denen ich gesagt habe: „Seid ihr wahnsinnig?“ Drei Alben sind gefloppt, bis sich „Engelberg“, das vierte, richtig gut verkaufte. Das gibt es heute nicht mehr. Da wird eine EP gemacht, und wenn die floppt, dann ist Schluss. Bei mir gab es drei Alben, damit habe ich viel Respekt von meiner damaligen Plattenfirma bekommen. Als dann die Krise mit dem mp3-„Eisberg“ kam, auf den die Titanic draufgefahren ist, und ich bemerkte, wie sich die Passagiere aus der ersten Klasse das Silberbesteck in die Taschen schoben und andere Leute vom Rettungsboot schubsten, damit sie selber wieder Land sehen, habe ich gedacht: Jetzt reicht es, ihr seid doch unanständig! An sich finde ich Streaming genial, ich suche gerne seltene Musik und habe sofort Zugriff dazu. Aber wie die Einnahmen verteilt werden, wie es von der Industrie gemanagt wird, das finde ich unanständig. Machen wir ein kleines Quiz: Welche zwei europäischen Länder haben als die ersten und einzigen zwei Anti-Piraten-Gesetze für Musik eingeleitet?

Finnland und Schweden?

Frankreich und Schweden! In Schweden hat das Spotify ermöglicht und in Frankreich Deezer. Es gibt ganz enge Verbindungen zwischen politischem Einfluss und den Möglichkeiten, wirklich viel Geld mit Streaming und mit unseren Mastertapes zu machen. Ich täusche mich sicher bei vielen Fragen, aber da täusche ich mich nicht. Wem gehörte Spotify? Es gehört bis zum 3. April großteils Sony, Warner und Universal – über Aktienanteile, die Sony und Warner beim Börsengang 2018 mit Teilverkäufen für knapp 1,2 Milliarden zu Geld machten. Die Anteile gab es für wenig Geld, denn Spotify benötigte damals die Backkataloge. Sie sagten damals: „Gebt uns das Wasser, wir sorgen für den Wasserhahn, dafür bekommt ihr Teile der Idee des Wassers, das aus dem Wasserhahn sprudelt.“ Bis zum 3. April 2018 hat das kein Journalist groß thematisiert, aber irgendwann wurde es brenzlig für die Jungs, denn es fiel auf, sie bezahlen ihre Künstler nicht. Wenn man gesucht hätte, wer sie nicht bezahlt, wäre es die eigene Plattenfirma gewesen, und das geht dann halt nicht. Auf der einen Seite gibt es dann die Sony, die am 3. April einen Teil ihrer Anteile verkauft hat, um es dann mit einer komischen Abrechnung mit ihren Künstlern zu teilen. Freunde von mir sind bei Sony, die bekamen richtig viel Geld, weil Sony gesagt hat, dass sie Anteile verkauft haben, die sie nur hatten, weil sie ihre Aufnahmen zur Verfügung stellten, also schulden wir euch Geld. Universal hat sich nie darum gekümmert, denselben Schritt zu machen. Das ist die eine Geschichte. Die andere ist, dass ich einen Plattenvertrag habe, in dem steht, dass ich ein Budget mit, sagen wir, dem Betrag „100“ habe. Dann kam die Krise und sie sagten „80“. Ich frage: „Seid ihr sicher, Jungs“? – „Doch, doch, Stephan, wir haben nicht mehr so viel Geld, hilf uns“. „Okay, 80.“ Vorher gab es dort hundert Leute, die dort gearbeitet haben, dann waren da nur noch sechzig, also habe ich gefragt: „Schafft ihr denn die ganze Arbeit?“ – „Mach dir keine Sorgen, wir schaffen das.“ Dann gehe ich ins Studio und als ich 60 ausgegeben habe, haben sie gesagt: „Stop, keinen Euro mehr“. „Aber wir haben doch 80 ausgemacht?“ – „Nein, nein, es sind nur noch 60!“ Daraufhin habe ich gesagt, dass das langsam nicht mehr geht, denn ich möchte das gerne noch mischen, gut mastern und ein vernünftiges Cover haben. Und dann sagte mir einer: „Wenn da so ist, dann hast du zukünftig nur noch 40.“ Das wiederum sollte man einem Eicher nicht sagen. Also bin ich zu einem Anwalt gegangen, damit der sich das ansieht, ob, wie im Vertrag ausgemacht, 100 gezahlt werden müssen oder 40. Weil Universal ziemlich viel Macht hat, haben sie das fertige Album, das noch in meinem Vertrag stand, dann nicht rausgebracht. Das verstehe ich auch, denn ich habe sie angepisst. Zu diesem Album muss man noch sagen, dass in meinem Vertrag steht: „Ein Album beinhaltet zwölf Songs.“ Mittlerweile kenne ich die Verträge sehr genau, ich habe sie studiert. Ich bin inzwischen Spezialist für die Frage, was geistiges Eigentum ist, also wenn du mal was wissen willst, ich kenne die Antwort auf Französisch, Deutsch und Englisch. Da steht also, ein Album hat zwölf Songs, es steht aber nirgends, wie lang sie sein müssen. Im selben Vertrag steht „100“ und sie sagen, du musst es für 40 machen. Also habe ich gerechnet: Wenn der volle Etat dreißig Minuten ergibt, sind es bei 40% noch zwölf Minuten Musik. Also habe ich ein 12-Track-Album gemacht, mit zwölf Minuten und das mit einem fünfzigköpfigen Orchester aufgenommen. Damit kein Richter behaupten kann, ich würde der Plattenfirma den Mittelfinger zeigen. Künstlerisch habe ich wieder einmal gesagt, leckt mich am Arsch, also es ist ein interessantes, kreatives tolles Album geworden, das ich zu einer normalen dreißigminütigen Platte umgearbeitet habe. Die kommt jetzt im Juni bei Universal raus.

Bei Universal?

Bei der Tochter Polydor, nicht mehr bei Barclay, dem anderen Unterlabel von Universal, denn mit denen möchte ich wirklich nichts mehr zu tun haben. Bei Polydor gab es einen neuen Chef, der zu mir sagte: „Gib mir eine Chance, wir können das auch respektvoll machen.“ Im Februar erscheint dort „Hüh!“, zusammen mit TRAKTORKESTAR, das ist eine Balkan-Blaskapelle, und im Juni kommt noch die „Homeless Songs“-LP. Dann schau ich mal, ob ich noch weitermache mit der Industrie. Dieses „Song Book“ mit Martin Suter im Diogenes Verlag ist ja extrem gut gelaufen. Die haben davon dreimal so viele Exemplare verkauft wie die Plattenfirma vom letzten Album. Da stellt man sich schon die Frage, ob das noch Sinn macht, die Plattenkanäle zu benutzen, statt lieber Bücher zu machen, Kunsteditionen oder weiß der Kuckuck was.

Wohin führt dich dein Weg?

Also ich habe einen 19-jährigen Sohn, der gerade in Montpellier sein Studium in Sounddesign begonnen hat. Es war vor vier, fünf Jahren, als mein Sohn noch nicht wusste, was er studieren will, dass ich in die Camargue gekommen bin, aber heute? Das heißt, ich könnte eigentlich irgendwo hin und muss nicht mehr die ganze Zeit zu Hause sein, um mich um Kinder zu kümmern, die jetzt junge Erwachsene sind. Ich bin noch am überlegen, ich weiß noch nicht genau. Im Moment arbeite ich noch mit SUPERPOST, das ist ein junger Elektronikmusiker und ebenfalls GRAUZONE-Fan. Mit ihm habe ich ein Album begonnen, vielleicht kommt das ja als Nächstes raus. Zuerst wollte ich nach Berlin, wie alle, aber das ist mir inzwischen zu teuer. Ich finde es auch mal wieder toll, einfach den Koffer zu packen und nicht zu wissen, wie es weitergeht. Das hatte ich ein paar Mal in meinem Leben, und es war immer aufregend. Aber hey, ich behalte das Studio, solange ich es finanziell kann, vielleicht kommt mein Bruder im April ja wirklich vorbei.