Was macht mensch, wenn er neben dem Abhören eines Interviews per Tape nebenbei Musik hören möchte? Ganz einfach, mensch nimmt einfach eine bereits bespielte Kassette, um das Interview aufzuzeichnen. Der Effekt ist klasse. Die übersteuerte Musikaufnahme dröhnt in gleicher Lautstärke wie das Interview aus den Boxen. Der klitzekleine Nachteil ist höchstens der, daß mensch sich unglaublich auf das gesprochene Wort konzentrieren muß. Es geht los mit "Jump in the fire" ...äh, nee. Zur Sache: Nach der Veröffentlichung des Debüts "Everyone´s a winner" war es lange still um die Nachfolgeband der Hamburger NOISE ANNOYS. Mit "Change" liegt nun endlich ein neuer Tonträger in den Regalen. Bei Barde Arne und Basser Sven, fragte ich nach, was sich in den letzen Jahren bei SQUARE THE CIRCLE getan hat.
Ein kurzer Blick in die Vergangenheit. Seit wann gibt´s euch eigentlich unter dem Namen SQUARE THE CIRCLE?
Arne: Uns gibt es mittlerweile seit Sommer ´93. Wir sind aus den Überresten verschiedener Hamburger Bands hervorgegangen, als da wären NOISE ANNOYS, RUBBERMAIDS und SHEEP ON A TREE. Die Bands haben sich damals alle zur gleichen Zeit aufgelöst: Die Überreste wurden in einen großen Topf geworfen, kurz geschüttelt, dann flog die Kohlensäure raus und daraus haben sich wieder verschiedene Bands entwickelt, unter anderem wir.
Geh doch noch mal kurz drauf ein, weshalb es NOISE ANNOYS nicht mehr gibt. Du warst Sänger bei NOISE ANNOYS , die Band hatte mit zwei Alben auch eine gute Basis, ihr hättet doch problemlos eine dritte Platte nachschieben können.
Sven: Erstens wäre es mit der damaligen Besetzung unsere vierte Umbesetzung gewesen, und zweitens hatten wir immer das Problem, die neuen Songs mit neuen Leuten einstudieren zu müssen und mit den alten Songs unterwegs zu sein. Irgendwann gingen uns auch die alten Songs auf die Nerven. Das hatte sich einfach totgeritten, immer dieses "Nananana... noise annoys".
Arne: Die Stones haben wahrscheinlich auch keinen Bock mehr "Satisfaction" zu bringen. Aber wir sind zum Glück nicht die ROLLING STONES, und deshalb haben wir uns die Freiheit genommen, uns umzubenennen. Das lag aber auch ein bißchen daran, daß wir ständig Zoff mit den Gitarristen hatten. Andauernd ist einer ausgestiegen oder rausgeschmissen worden, dann wieder rein, dann doch wieder raus und so weiter. Da dachten wir uns, daß es einfacher sein würde, wenn ich die Gitarre übernehme. Wir haben es dann einfach ausprobiert und es klappte. Von diesem Zeitpunkt war klar, daß etwas anders als bei NOISE ANNOYS rauskommen würde, also haben wir uns umbenannt.
Haken wir die Vergangenheit ab. Wie und wo habt ihr die neue Scheibe aufgenommen?
Arne: Das ist ´ne lange Geschichte. Es ist jetzt schon ein Jahr her, daß wir angefangen haben die Platte aufzunehmen.
Sven: Als wir damals angefangen haben, bei Witte die Platte aufzunehmen - Witte ist mein Bruder - sind drei von uns krank geworden. Deshalb mußten wir erst mal pausieren. Dann war der Raum belegt, weil Witte seine eigene Platte "Wie Du" endlich auf den Markt bringen wollte. Das hat dann statt drei Monaten ein halbes Jahr gedauert. Danach hatten wir völlig den Faden verloren und mußten wieder von vorne anfangen. Außer dem Schlagzeug, welches wir damals aufgenommen hatten, haben wir alles neu einspielen müssen. Im Mai ´98 haben wir dann wieder mit den Aufnahmen begonnen. Irgendwann fiel uns dann auf, daß tonal etwas zwischen Bass und Gitarre nicht stimmt, so daß ich einige Sachen noch mal aufnehmen mußte.
Arne: Dann überlegte sich die Bandmaschine, "Ach ich lauf jetzt mal ´n bißchen langsamer". Dadurch hatten wir natürlich Tonverschiebungen drin, die sich nicht regulieren ließen. So mußte wieder einiges neu aufgenommen werden.
Alles in allem also eine schwere Geburt. Wie seht ihr die Entwicklung von der ersten zur zweiten Platte?
Arne: Die erste Platte war stilistisch noch sehr von NOISE ANNOYS geprägt, da deren allerletzte Besetzung die erste SQUARE THE CIRCLE-Besetzung war. Es prägt schon, wenn du aus einer bestimmten Richtung kommst und dann neue Songs machst - auch trotz der neuen Leute. Der alte Stil bleibt halt doch ´n bißchen erhalten.
Wie würdet ihr euch heute musikalisch definieren?
Arne: In erster Linie durch uns selbst. Wir sind chronische Autodidakten. Ich hab´ noch nie in meinem Leben eine Unterrichtsstunde in Sachen Gitarre, Gesang oder Bass genommen. Ich hab´ höchstens mal bei einigen Leuten auf Griffbrett geguckt. Ich hab mir alles selber beigebracht.
Sven: Das Markante ist, daß der Einfluß von NOISE ANNOYS, der auf der ersten Platte noch da war, jetzt komplett weg ist. Klar, Arnes Stimme ist markant und wird immer mit NOISE ANNOYS in Verbindung gebracht werden, aber musikalisch ist da nichts mehr von übrig geblieben.
Beschreib´ doch mal für alle Unwissenden euren jetzigen Stil.
Arne: Es ist Punk im traditionellen Sinne, nicht unbedingt in Richtung TERRORGRUPPE, vielleicht ´n Stück in Richtung CLASH, äh nee, das paßt alles nicht... sagen wir mal melodiös, gitarrenlastig, schnell, aber kein Hardcore.
Ich finde euer Sound, speziell aufgrund Arnes Stimme, klingt ´n bißchen nach den SEX PISTOLS, vor allem bei dem Song "Last Goodbye".
Arne: Was, Johnny Rotten läßt grüßen? Bei mir? Das hör ich zum ersten Mal. Naja, "Last Goodbye" klingt vielleicht schon ein bißchen so. Die alten Einflüsse kommen halt doch immer wieder durch. Alles kommt wieder, nimm´nur die BACKYARD BABIES. Ich finde derzeit gibt es viel interessante Musik auf dem Markt.
Ihr seht euch aber schon in der ´77-Tradition, oder?
Arne: Tradition kann man das nicht nennen - Tradition in Bewegung wäre besser. Ich habe die Stücke nicht vor 20 Jahren geschrieben, sondern ich schreibe sie jetzt, und die Zeiten sind jetzt einfach anders als vor 20 Jahren. Das könnte man jetzt auch auf den Albumtitel "Change" beziehen. Das hatte ich aber eigentlich weniger im Hinterkopf. Die Texte, die ich in der letzen Zeit geschrieben habe, drehen sich alle um das Thema Veränderung oder reißen es zumindest an. Der Gedanke läßt mich einfach nicht los. Daraufhin wollte ich auch ein Cover machen. Wir haben uns mit dem Fotograf Stefan Malzkorn zusammengesetzt und dann sprudelten die Ideen. Die Texte sind Situationsbeschreibungen. Die besten Texte entstehen aus Momenten. Manchmal geht man die Straße entlang und auf einmal trifft dich ein Blitz mitten hinein ins Kleinhirn und man hat eine vollständige Geschichte im Kopf, die sich im Grunde genommen nur auf eine Millisekunde bezieht. Das Schwierige daran ist, daraus einen Text für einen Song über drei oder vier Minuten zu machen. Das ist dann die Kunst.
Ein Beispiel?
Arne: Ein paar Straßen weiter von hier wohnen einige Hang-Arounds. Da siehst du Leute, die sich die Zeit damit vertreiben, an einer blöden alten roten Backsteinmauer direkt an der Hauptstraße mit ihren Plastiktüten in der Hand und ihren Bierdosen an der Ampel auf einer Bank zu sitzen. Die hängen da den ganzen Tag ab. Sie sehen zu, wie die Ampel von grün auf rot springt, von rot auf grün, und schlagen einfach nur die Zeit tot. Ich hab mich gefragt, was machen die da, was soll das? Wahrscheinlich haben sie vom Leben nichts mehr zu erwarten. Haben aufgegeben, was weiß ich. Ich will hier nicht den großen Sozialapostel spielen. Früher wurden sie gebraucht und auf einmal sind sie für die Gesellschaft angeblich völlig "nutzlos". Daher stammt auch die Textzeile: "Once I was needed, now I´m only doin´ time".
Sprecht ihr in euren Texten vorrangig gesellschaftliche Problematiken an?
Arne: Das ist eigentlich nur so ein menschliches Empfinden. Soziale Themen liegen mir eigentlich eher fern. Das geht immer schnell in politische Richtungen wie "Stand up for your right" und ich mag keine Parolen und auch kein mitleidiges Geseire. Das kann ich beides nicht ab. Allerdings sollte man aber schon für sich selber Stellung beziehen. Ich möchte aber mit unseren Songs ein positives Lebensgefühl rüberbringen, ein leidenschaftliches. Ich lebe einfach gerne. Das ist wichtig.
Hat Punk für euch noch etwas mit Kritik an der Gesellschaft zu tun?
Sven: Bei manchen Gesellen, die du so siehst und als Außenstehender in die Schublade Punk drücken würdest, frage ich mich manchmal, ob die nicht einfach nur hohl sind. Daß Punk früher mal Kritik an der Gesellschaft war, das stimmt auf jeden Fall, keine Frage.
Arne: Früher war es ja auch gefährlich, mit gefärbten Haaren durch die Gegend zu laufen. Es war so gut wie sicher, daß du einmal am Tag auf´s Maul gekriegt hast. Das ist heute natürlich nicht mehr gegeben. Insofern besteht auch nicht mehr so viel Grund sich gegen etwas aufzulehnen. Das Leben ist viel freier geworden in den letzten 20 Jahren, das muß man einfach mal so sehen. Klar, es gibt immer noch Arschlöcher, die einem mal an den Kragen wollen, aber es ist nicht mehr so kraß wie vor 20 Jahren.
Kann Punk euer Meinung nach noch Gesellschaftskritik sein, oder sind wir viel zu sehr mit der Wohlstandsgesellschaft verwachsen?
Arne: Es läuft schon noch genug Scheiße. Man sollte nicht den Fehler begehen, Jugendbewegungen als reine Jungendnarretei abzutun. Es gibt schon triftige Gründe, sich anders zu gebärden als die Masse.
Sven: Jeder demonstriert gegen diese Gesellschaft auf seine Art. Der eine sagt, ich geh´ nicht arbeiten und guck den ganzen Tag Glotze, ihr könnt mich alle mal, und der andere färbt sich die Haare und versucht dadurch den Leuten zu zeigen, daß er gegen die Gesellschaft demonstriert. Kritikwürdig ist diese Gesellschaft auf jeden Fall. Vor 20 Jahren war es aber so, daß von den hundert Leuten, die sich irgendwo für oder gegen etwas getroffen haben, auch 100 gegen die Gesellschaft demonstriert haben. Heute frage ich mich, ob es immer noch so ist. Bei vielen Leuten ist da heute der Hintergrund gar nicht mehr da.
Arne: Naja, aber als das bei dir, Sven, damals anfing mit Punkrock, hattest du auch nicht im Kopf, die große Weltrevolution zu starten. Du hast es gemacht weil es klasse war. Was sich im Laufe der Zeit daraus entwickelt, das ist dann wieder etwas anders. Entweder man kommt auf den Geschmack oder man läßt es nach zwei Jahren sein und macht dann seine Bankkaufmannslehre.
Ihr habt gerade gesagt, daß sich in der Szene viel verändert hat. Wie beurteilt ihr die Hamburger Punkrock-Szene?
Arne: Hamburger Punkszene, was ist das?
Darf ich dieser Antwort entnehmen, daß die Hamburger Punkrock-Szene eurer Meinung nach nicht mehr existent ist?
Arne: Nicht wirklich. Vieles, was an heutigen kleinen Szenen läuft, wäre früher unter dem großen Begriff Punk definiert worden. Das ist heute nicht mehr so. Jeder sucht sich so seine Nische, alle kommen ganz gut miteinander aus und das ist auch alles soweit in Ordnung. Aber für eine echte Szene fehlt es an Zusammenhalt und Leuten, die wirklich was bewegen.
Werfen wir einen Blick in die Zukunft. Wird´s eine Tour geben?
Arne: Wir würden gerne auf Tour gehen. Wir können jetzt hier an dieser Stelle noch mal unser Leid klagen. Wir suchen noch händeringend nach einem Booker und irgend jemanden, der sich unserer annimmt; im Sinne von Management, Verlag, was auch immer. Wir brauchen jemanden, der uns betreut, uns die Händchen hält und uns auf den Arm nimmt.
Wie geht´s weiter, was erhofft ihr euch von der Platte?
Arne: Wir wollen jetzt erstmal raus, sehen was wir wert sind. Die Leute sollen aufhorchen und sich ´n bißchen Mühe geben und den neuen Sachen zuhören. Das wäre der erste Schritt. Was sich dann daraus weiter entwickeln wird, sei mal dahingestellt.
Sven: Es geht nicht um Hop oder Top, sondern wir gucken erstmal. Ich denke, riesige Erwartungen verknüpft keiner mit der CD. Wir hoffen natürlich, ein paar mal auf die Bühne zu gehen. Als Musiker macht man Musik, um Spaß zu haben, unterwegs zu sein, Konzerte zu geben und um morgens mit dickem Kopf aufzuwachen und zu denken: "Scheiße schon wieder 600 km Autobahn" - ...und dann ist da natürlich noch die Raststätte Wildeshausen.
Was hat es mit Wildeshausen auf sich?
Sven: Wenn wir früher auf Tour waren und über Bremen gefahren sind, haben wir irgendwie immer an der Raste Wildeshausen gehalten, und da sind immer total blöde Sachen passiert...
Erzählt doch mal...
Arne: Nee, das kann man eigentlich nicht, aber doch, warte mal. Eine Geschichte kann man schon erzählen. In der Raste sind links und rechts die Toiletten und in der Mitte ist ein Toilettenwärterhäuschen mit ´ner großen Glasscheibe davor. Dahinter saß eine Frau, die glotzte uns an, als ob wir vom anderen Planeten kommen würden. Die gaffte Sven wie blöde an. Dann nahm Sven sich ´n Groschen, schnippte den gegen die Glasscheibe und die Frau versuchte durch die Scheibe nach dem Groschen zu greifen. Total geile Situationskomik.
Mal was anderes, wie alt seid ihr eigentlich?
Arne: Ich bin 35, Sven ist 34, Schütze ist 28 und Thorsten ist 32 geworden.
Ihr seid ja richtig alte Säcke, wie lange kann man Punkrock machen?
Arne: Weiß nicht, ich hoffe bis 95.
Na dann viel Glück.
Doc Brille
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