Spotify-Playlist-Revolution

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Mixtapes waren einmal

Vom Streamingdienst Spotify kann man halten, was man will, aber eines kann man ihm nicht übelnehmen: die unglaublich große und verrückte Auswahl an merkwürdig spezifischen Playlists, die schon lange die neue und bessere Version von Mixtapes sind.

Es spricht so einiges gegen Spotify – schlechte Bezahlung der Künstler:innen, Joe Rogan, der mit seinem Podcast „The Joe Rogan Experience“ Falschinformationen über Corona verbreiten soll, immer wieder Verschwörungsanhänger als Gäste einlädt und trotzdem oder gerade deswegen im Jahr 2021 der meist gehörte Podcast auf Spotify war.

Das Unternehmen zeigt sich an anderer, weniger kontroverser Stelle aber auch einsichtig. So äußerte Adele den Wunsch, dass für ihr im November erschienenes Album „30“ die „Shuffle“-Funktion abgeschafft werden solle. Spotify reagiert und schafft die Zufallswiedergabe als Standardeinstellung bei der Albumansicht ab. Davon abgesehen beschert uns Spotify außerdem eine noch nie dagewesene, digitale Auswahl an unendlich vielen Mixtapes – in Form von Playlists. Längst muss man sich nicht mehr mühsam abquälen, Mixtapes zu erstellen, um die perfekte Zusammenstellung von aktuellen Lieblingssongs im Auto hören zu können. Stattdessen gibt es unzählige, verschiedene Playlists auf Spotify – eine für jede Stimmung, für jeden Lebensumstand, für jedes Kopfkino. Und vielleicht sind Playlists auch gar nicht so schlecht für kleinere Bands, wenn sie in großen, populären oder eben Meme-Potenzial-Playlists mit tausenden von Likes landen.

Vor allem TikTok dürfte den Playlist-Trend auf ein neues Level gebracht haben, denn zu fast jedem neuen TikTok-Trend gibt es den passenden Soundtrack auf Spotify zu hören. So gab es vor einiger Zeit einen Hype rund um misogyne Songs, die trotz ihrer vermeintlich sexistischen Botschaft laut vieler TikTok-User:innen ziemlich abgehen. Natürlich gibt es dazu auch die passende Playlist – „Women can have a little misogyny ... as a treat“ –, die mal eben über 37.000 Likes hat. Am häufigsten genannt wurden auf TikTok dabei die Songs „Everywhere I go“ von HOLLYWOOD UNDEAD und „Donttrustme“ von 3OH!3. Aber auch Szene-Klassiker wie „Misery business“ von PARAMORE oder „Scotty doesn’t know“ von LUSTRA sind, neben Boybands wie ONE DIRECTION und 5 SECONDS OF SUMMER, auf der Playlist zu finden.

Der Einfluss von TikTok auf die musikalische Sozialisation junger Leute zeigt sich demnach nicht nur in den Charts. Durch einen weiteren TikTok-Trend ist der Song „Meant to be yours“ aus dem Musical „Heathers“, gesungen von Jamie Muscato, viral gegangen. Eine Vielzahl an User:innen hat in Videos betont, wie sehr sie auf weinerlichen Männergesang stehen, also muss auch dafür eine Playlist her. „Veronica open the door (men whining like JD)“ hat auf Spotify ebenfalls über 37.000 „Gefällt mir“-Angaben und ist vor allem geprägt durch Bands wie THE FRONT BOTTOMS, PIERCE THE VEIL, LA DISPUTE, CITIZEN, SAY ANYTHING, MODERN BASEBALL oder AVENGED SEVENFOLD.

Aber auch als Nicht-TikTok-User:in wird man auf Spotify fündig. Beispielsweise wenn man an vergangene Club-Tage erinnert werden will. „White girl anthems“ bietet – wie der Name schon sagt – über 100 Stunden Songs, zu denen (stereotypisch) vor allem weiße Menschen abgehen. Es dürfen bei dieser Playlist natürlich auch Klassiker wie „Mr. Brightside“ von den KILLERS nicht fehlen, oder „Wonderwall“ von OASIS, „Livin’ on a prayer“ von BON JOVI oder auch Bryan Adams’ „Summer of ’69“. Alles Hits für die nächste Silvesterparty, und wenn der Pegel stimmt, werden auch die härtesten Punks ein Mitgegröle nicht unterdrücken können. Wem 100 Stunden Spielzeit zu lang sind, für den gibt es auch noch die Playlist „Songs white people get lit to“ mit ähnlichem Tanz- und Klassikerpotenzial, aber nur knapp zehn Stunden Laufzeit.

Natürlich bedarf es nicht nur Party-Playlists, schließlich geht es auch schon mal ins Gym. Den perfekten Soundtrack zum elendigen Workout gibt es für alle Emos mit der Playlist „I just wanna lift: Emo & Pop Punk workout“. Der Titel – eindeutige Anspielung auf „I just wanna live“ von GOOD CHARLOTTE – verrät auch schon, was es hier auf die Ohren gibt. Nämlich Bands für alle die, die in den frühen Zweitausendern niemals ohne Eyeliner vor die Tür gegangen sind. MY CHEMICAL ROMANCE, THE USED, SUM 41, THE OFFSPRING und AFI sollen wohl dabei helfen, beim Sport nicht das Ziel aus den Augen zu verlieren – nach zwei Jahren Moshpit-Pause will man im nächsten Pit ja nicht schon nach der ersten Runde erschöpft zur Bar kriechen.

Wer seine Freizeit lieber mit Tagträumen und imaginären Szenarien füllt, darf das nicht ohne die passende Playlist tun. Auf Spotify gibt es eine Vielzahl an „pov“-Playlists – Playlists, die eine bestimmte Situation, einen bestimmten „point of view“ beschreiben. Fühlst du dich gerade ein bisschen down, weil MGK den Song „Emo girl“ veröffentlicht hat und du jetzt deine Szenezugehörigkeit infrage gestellt hast? Die Playlist „Pov: ur the badass female villain“ sorgt für gesteigertes Selbstwertgefühl mit BIKINI KILL, JOAN JETT & THE BLACKHEARTS, MUSE, MOTHER MOTHER oder auch THE STOOGES.

Wer es bis hierhin geschafft hat, dem dürfte aufgefallen sein, dass viele Playlists auf Internet-Phänomene, Memes oder Gen Z-Slang anspielen. Aber keine Angst – auch die Älteren werden auf Spotify fündig. Die Playlist „Old people songs that don’t suck“ gibt euch die Möglichkeit, euch 55 Stunden lang in die „gute alte Zeit“, in der „alles besser“ war, zu versetzen und in Erinnerungen zu schwelgen – mit Bands wie GENESIS, THE POLICE, RED HOT CHILI PEPPERS, TOM PETTY AND THE HEARTBREAKERS, THE WHO, BLONDIE, BLACK SABBATH und den ROLLING STONES.

Und wem emo zu emo ist und TikTok-Trends zu suspekt, für den gibt es ganz klassisch und ohne viel drumrum die Playlist „Linksversiffte Punkrotze“, mit der auch der oder die letzte Leser:in von Spotify-Playlists überzeugt werden dürfte. 30 Stunden und über 658 Songs pure „Punkrotze“. Und wenn die 30 Stunden dann um sind, das Bier ordentlich kickt, der letzte Moshpit zu Ende geht und einer der Mosher plötzlich auf dem Boden liegt, macht ihr einfach die Playlist „Songs you can give cpr to“ an – 131 Songs, die 100-120 Beats pro Minute haben sollen und sich daher perfekt für eine Herzdruckmassage eignen. Nach Punkmusik dürften aber Songs wie „This ain’t a scene, it’s an arms race“ von FALL OUT BOY, „Can’t stop partying“ von WEEZER oder „Teenagers“ von MY CHEMICAL ROMANCE eher semi-gut ankommen.

Playlists haben aber trotz ihrer Vorteile – keine riesige CD-Sammlung mehr auf Partys/ins Auto/zur Freundin mitschleppen, perfekte Songauswahl für jede Stimmung und zu jeder Zeit und an jedem Ort verfügbar – auch einen Haken. Denn Spotify wäre nicht Spotify und Playlist nicht Playlist, wenn man nicht auch noch Geld damit verdienen und Bands ausnutzen könnte.

Grundsätzlich gibt es drei Wege, um mit einer Spotify-Playlist Geld zu verdienen. Der erste und zweite Weg sind gegen die Spotify-Richtlinien – man lässt sich von der Band/dem Label/dem Management direkt Geld dafür zahlen, dass man einen Song auf der eigenen Playlist platziert. Man könnte aber auch gleich seine ganze Playlist verkaufen, und so zu Geld kommen. Der dritte Weg führt über Drittanbieter – vor allem die Firma PlaylistPush. Hat man mindestens 1.000 Follower bei einer Playlist, kann man bei dieser Firma als so genannter „Playlist Curator“ anfangen. Die Aufgabe besteht darin, Song-Einsendungen zu reviewen und zu entscheiden, ob der Song auf der eigenen Playlist landet oder nicht. Für jeden angehörten und bewerteten Song erhält man als „Playlist Curator“ Geld.

So weit, so gut. Weniger gut ist es allerdings für die Bands. Die Firma PlaylistPush gibt auf ihrer Website an, dass Musiker:innen zwischen 300 und 1.000 Dollar pro Kampagne, also pro promoteten Song, bezahlen müssen. Die durchschnittliche Spotify-Kampagne liegt, laut Unternehmen, bei 450 Dollar. Dabei gibt es außerdem Genre-Unterschiede, sprich je mehr „Playlist Curators“ es in einem Genre gibt, desto mehr kostet eine entsprechende Kampagne. Denn je mehr „Playlist Curators“ es jeweils sind, desto mehr mögliche Playlists stehen zur Verfügung, auf denen der Song landen könnte. Eine Kampagne ist aber noch keine Garantie dafür, dass der Song auch auf den Playlists landet – das entscheiden am Ende immer noch die „Playlist Curators“. Es wäre ja auch langweilig, wenn sich die moderne Version von Mixtapes nicht auch kommerzialisieren lassen würde.