SPIRITWORLD

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Weder Götter noch Dämonen

Was macht Rock’n’Roll gefährlich? Das Spiel mit dem, was anderen heilig ist. Mit dem was, von religiösen Eiferern jenen unterstellt wird, die nicht in ihren engen Kategorien denken. Entsprechend hat Stu Folsom aus Las Vegas das Album seines Bandprojekts SPIRITWORLD „Pagan Rhythms“ betitelt – heidnische Rhythmen ... Darauf zu hören: metallischer, düsterer, growly Hardcore, der schon 2020 für Aufsehen sorgte, als das Album in Eigenregie erschien. Nun gibt es via Century Media eine Neuauflage, die Stus Projekt noch etwas mehr Aufmerksamkeit bescheren dürfte.

Stu, deine musikalische Biografie begann schon lange vor SPIRITWORLD. Wie ging es los?

Ich bin in der Punk- und Hardcore-Szene von Las Vegas großgeworden und war Sänger in einer Band namens FOLSOM. Wir brachten ein paar Alben heraus, tourten mehrmals durch die USA und waren auch ein paar Mal in Europa, waren auf dem Ieper Fest und Teil der Persistence Tour. Auch nachdem bei FOLSOM Schluss war, habe ich eigentlich nie aufgehört, Songs zu schreiben und Ideen für Alben zu entwickeln. Ich habe das nur nicht mehr mit Leuten außerhalb meines engeren Umfelds geteilt. Ich konzentrierte mich auf meine berufliche Karriere im Bereich Technik/Telekommunikation und hatte einige Jahre lang nicht wirklich die Zeit oder Energie, mich der Musik zu widmen. Als einer meiner besten Freunde, Matt Schrum, nach Las Vegas zog, fingen wir an, zusammen an einigen Songs zu arbeiten, die ich geschrieben hatte. Dabei stolperten wir über diesen coolen frühen L.A.-Punkrock mit Roots-Rockabilly-Einflüssen von X, THE GUN CLUB oder Dwight Yoakam und ergänzten das mit dem aggressiven Gesangsstil und Gangshouts von Oi!- oder Hardcore-Bands. Schließlich habe ich mir den Namen SPIRITWORLD ausgedacht und zwischen 2017 und 2019 erschien ein Demo, eine Split-7“ und eine Single. Ungefähr zu dieser Zeit fing ich auch viel Zeit darauf zu verwenden zu lernen, wie man aufnimmt, und richtete ein Studio in meinem Haus ein. Sobald ich diese Voraussetzungen geschaffen hatte, konnte ich mich in einem Raum in meinem Haus komplett meiner Kreativität widmen kann, schrieb ich einen Band mit Kurzgeschichten namens „Godlessness“, woraus später „Pagan Rhythms“ wurde.

Welche Bands haben den Sound auf dem Album inspiriert?
Mit „Pagan Rhythms“ wollte ich dasselbe Gefühl erzeugen, wie es meinen liebsten Metal, Thrash- und Hardcore-Punk-Platten bei mir getan hatten, als ich jünger war. Bis heute kann ich bei Bands wie SLAYER, OBITUARY, BOLT THROWER, INTEGRITY, ALL OUT WAR und ENTOMBED komplett in die Riffs und Screams eintauchen. Sie waren meine Zuflucht und Erlösung. Oft habe ich nächtelang „Master Killer“ von MERAUDER oder „Shock Troops“ von COCK SPARRER gehört. Sie besaßen einfach etwas, wodurch ich mich selbst besser fühlte, angesichts der ganzen Dramen um mich herum. Für mich war es schon immer eine Art heiliger Akt, ein Album von vorne bis hinten durchzuhören. Nicht vielen Bands gelingt es, dass dich eine LP vom ersten bis zum letzten Song mitreißt. Also habe ich mich mit meiner Telecaster hingesetzt und versucht, ein Album voller mächtiger Grooves und knallharter Riffs zu schaffen, das das Zeug zu meiner neuen Lieblingsplatte gehabt hätte.

Euer Album erschien 2020 zunächst auf Vinyl bei Safe Inside Records. Wie kam es nun zum weltweiten Deal mit Century Media?
Ich hatte „Pagan Rhythms“ im Juli 2020 selbst veröffentlicht. Es war von Anfang an für eine Vinyl-Veröffentlichung konzipiert. Die Songs sollten eine gewisse Dynamik besitzen, so dass sie einen Flow erzeugen, gegliedert in eine A- und eine B-Seite. Es war mir sehr wichtig, dass es beim Umdrehen der LP keinen Abfall in der Qualität und Wirkung des Songwritings gibt. Die Vinyl-Presswerke waren allerdings komplett ausgebucht und es war nicht leicht herauszufinden, wo ich es pressen lassen kann. Scott Vogel vermittelte das Album an Burt von Safe Inside Records – und er mochte es. Burt ist ein großartiger Kerl, und nachdem wir uns ein wenig kennen gelernt hatten, war er bereit, sich an den Kosten für die Pressung der LP-Auflage zu beteiligen und mir bei der Logistik zu helfen. Safe Inside veröffentlicht regelmäßig tolle Hardcore-Platten und kennt sich hervorragend mit Vinyl aus. Die LP kam schließlich im Februar heraus und die erste Auflage von 500 Stück ist bereits ausverkauft. Die Kooperation mit Century Media begann damit, dass ihr A&R Mike Gitter mich anrief. Er sagte, sein Freund Ron Conflict hätte ihm „Pagan Rhythms“ empfohlen. Er habe es sich angehört und es würde ihm sehr gefallen. Nachdem Mike Gelegenheit hatte, ein wenig tiefer zu graben und die Vielseitigkeit des Demomaterials zu sehen, mein Buch „Godlessness“ zu lesen und die Vorproduktion für das neue Album zu hören, entwickelte er eine Vorstellung von dem Potenzial und dem Worldbuilding, das ich mit meinen Kurzgeschichten und dem Songwriting betreibe. Es ist selten, dass Plattenfirmen heutzutage so sehr an ein Album glauben, dass sie es noch einmal veröffentlichen. Ich denke, das spricht Bände, was für Menschen Philipp und Mike sind, und wie leidenschaftlich sie sich dafür einsetzen, sich um großartige Musik zu kümmern und sie der Welt zugänglich zu machen.

Da das Album ja schon 2020 entstanden ist, gibt es denn auch irgendwelche neuen Aufnahmen?
Ja! Ich habe während des Lockdowns den Nachfolger zu „Pagan Rhythms“ geschrieben. Ich habe zehn neue Songs fertig und habe angefangen, etwas aufzunehmen. Ich kann es kaum erwarten, wieder ins Studio zu gehen und daran zu arbeiten.

Was ist SPIRITWORLD – eine Band oder eher ein „Projekt“?
Es ist sowohl eine Band als auch ein fortlaufendes Performance-Kunstprojekt. Ich liebe es, kreativ zu sein. Songs, Artwork, Filme, Bücher ... SPIRITWORLD ist mein Ventil dafür. Ich glaube nicht daran, Kreativität jeweils auf bestimmte Genres oder Kunstformen zu beschränken. Da ich in erster Linie Musikfan bin, mache ich mir vor allem Gedanken darüber, wie meine Songs ankommen. Auch wenn ich beabsichtige, als SPIRITWORLD viele verschiedene Musikstile zu veröffentlichen, dominiert immer der Wunsch, großartige Platten zu machen. Es bringt mir nichts, traditionelle Honky-Tonk-Songs in ein Death-Metal-Album zu pressen, nur um mich künstlerisch auszuleben. Ich denke, dass es möglich ist, in der Kunst sowohl erfolgreich als auch innovativ zu sein, aber es muss originell sein, damit es ankommt und nachhaltig beeindruckt.

Kannst du bitte die Musiker vorstellen, die mit dir auf dem Album zu hören sind?
„Pagan Rhythms“ war größtenteils ein „Soloalbum“ in dem Sinne, dass ich alle Riffs, Texte etc. alleine geschrieben habe. Als ich wusste, dass ich etwas wirklich Besonderes hatte, wandte ich mich an meinen besten Freund Sam Pura, bekannt als Produzent von THE STORY SO FAR oder BASEMENT. Er hörte sich meine Demos an und war zu 100% dabei. Wir verbrachten viel Zeit damit zu besprechen, wie wir die Platte machen wollen. Wir waren wirklich inspiriert von der STEELY DAN-Methode und beschlossen, das Album eher wie einen Film anzugehen als wie eine Band, die sich ein Mikrofon schnappt und versucht, einen bestimmten Vibe einzufangen. Ich wusste, dass Sam und ich den Großteil der Instrumente selbst spielen könnten, aber wir haben unsere Grenzen, und für den „Film“ in meinem Kopf mussten die Songs auf „Pagan Rhythms“ ein paar mehr Farben haben, wofür wir Unterstützung brauchen würden. Und so wie STEELY DAN begaben wir uns also auf die Suche nach den absolut besten Musikern in der Bay Area, wo sich Sams Panda Studio befindet, und gingen unsere sämtlichen Freunde durch, um wirklich die passenden Musiker zu finden. Es war wirklich ein Geschenk, dass Thomas Pridgen, der schon bei MARS VOLTA, SUICIDAL TENDENCIES und TRASH TALK getrommelt hat, und der Gitarrist Randy Moore, von MOORE FAMILY BAND oder DAN ANDRIANO & THE BYGONES, die Songs mochten und bereit waren, uns auszuhelfen. Wir hatten auch unsere langjährigen Kumpels Adam Elliott und Matt Schrum dabei, die ebenfalls Drums und Gitarren einspielten. Es war eine wunderbare Art, eine Platte zu machen, und ich denke, wir haben einige wirklich inspirierte Performances eingefangen. Sam Pura ist ein großartiger Produzent, und aus der Verbindung von meiner Liebe für Heavy Music und seiner Leidenschaft für das Produzieren und Popmusik ist eine coole Platte entstanden, die klingt wie keine andere derzeit.

Wie sehr hat die Pandemie dein Leben und deine musikalischen Aktivitäten beeinflusst?
Ich hatte das große Glück, dass meine Arbeit und meine finanzielle Basis nicht von der Pandemie betroffen waren. Ganz im Gegenteil. Ich arbeite wie schon gesagt im Bereich der Telekommunikation für eine sehr große Firma, die sich im Valley von Las Vegas um die Netzwerkinfrastruktur für Breitband-Internetdienste kümmert. Unser Geschäft bekam einen riesigen Schub, weil jeder zu Homeoffice und Homeschooling übergegangen ist, und durch diese Expansion hatte ich die Möglichkeit, ein paar aufregende neue Projekte zu übernehmen. In musikalischer Hinsicht befinde ich mich sowieso seit etwa fünf Jahren in einer Art Quarantäne, es bedeutete also keine große Umstellung für mich. Ich verbringe wahnsinnig viel Zeit in der Einsamkeit, schreibe und mache Kunst. Meine Band ist komplett geimpft und wir treffen uns zweimal die Woche, um an der Live-Show zu arbeiten, was das Highlight meiner Woche ist! Die größte Beeinträchtigung für mich war, dass ich keine Zeit bei meiner Familie verbringen und nicht reisen konnte. Es war sehr schwer, mit meinen Liebsten in Verbindung zu bleiben, aber ich hatte immerhin das große Glück, dass meine Familie während dieses Wahnsinns gesund geblieben ist.

Du kommst aus Las Vegas, einer Wüstenstadt, die die meisten Menschen nur als Touristen kennen, für ein paar Tage in einem Hotel. Wie ist das echte Leben dort?
Es ist ein ganz normaler Ort zum Leben, wenn man sich erst einmal auf die Gemeinschaft dort einlässt. Den Leuten ist nicht bewusst, wie gut Las Vegas gelegen ist, wenn du die Natur liebst. Du kannst in ein paar Stunden im Zion-Nationalpark, im Death Valley, im Great Basin oder zum Surfen am Pazifik sein. Ich gehe selten auf den Strip. Letztes Wochenende musste ich für das Psycho Fest dahin, aber abgesehen von größeren Events passiert das nur, wenn Freunde und Familie zu Besuch kommen und ich verpflichtet bin, den Touristenführer zu spielen. Mit der Nachtclub- und Casino-Glitzer-Szene habe ich nichts zu tun. Als Einheimischer lernt man einfach irgendwann, seinen auswärtigen Freunden Grenzen zu setzen. Jeder kommt nach Vegas, um sich zu besaufen und ausschweifende „Fear and Loathing“- oder „The Hangover“-Wochenenden zu erleben ... Also gewöhnt man sich daran, dass sie zu jeder Zeit mit einem abhängen wollen, muss aber dann sagen: Es ist Dienstag! Ich muss morgen um sechs Uhr aufstehen und arbeiten. Gute Nacht und passt auf euch auf!

Wie wird es sein, wenn der Klimawandel das Leben in Las Vegas noch extremer macht, mit noch mehr Hitze und weniger Wasser?
Das ist eine schwierige Frage. Die kurze Antwort ist, dass die Menschen wie Maden auf dem Kadaver des amerikanischen Südwestens leben. Eines Tages wird dieser Leichnam keine Nahrung mehr bieten. Für mich bedeutet das konkret, mein Haus zu verkaufen und umzuziehen, bevor es ausartet wie bei „Mad Max“, und sobald der Colorado River ausgetrocknet ist!

Mir gefällt der Kontrast zwischen dem Bandnamen und dem Albumtitel „Pagan Rhythms“. Welchen Hintergrund hat das?
Es ist ein Konzeptalbum und spielt im gleichen fiktiven Universum des Alten Westens wie meine in „Godlessness“ versammelten Horror- und Western-Kurzgeschichten, die bald bei Rare Bird Lit erscheinen. Die meisten Texte übernehmen die Perspektive der Charaktere, die dieses Universum bewohnen, und spiegeln nicht meine persönlichen Überzeugungen wider. Es ist bevölkert mit Menschen, die mit ihrem Glauben ringen, während sie versuchen, die Grausamkeiten des Westens zu überleben, während etwas uraltes Böses erwacht und beginnt, das Licht der Gnade aus den Augen der Menschheit zu löschen.

In „Unholy passages“ singst du von „the doom of man“; in „The bringer of light“ gibt es die Zeile „there is no hope“; in „Pagan rhythms“ heißt es „Witness the end of the human race / Lakes of blood as demonkind / Set the Earth ablaze“; in „Night terrors“ lautet der Text „Witness the end of the world / Through hate filled eyes / Annihilate the cross / Fuck your Christ / It’s the end / The end of times“. Welche Sicht auf die Welt steckt dahinter?
Ich persönlich glaube nicht an Götter oder Teufel und beschäftige mich nicht mit irgendeiner Form von organisierter Religion. Die Charaktere und das Universum, das ich für dieses Projekt erschaffen habe, sind sowohl von meiner Vorliebe für billige Western-Romane als auch die großen Epen der römischen und griechischen Antike geprägt. Ich wollte Revolverhelden, Jesuiten, Satanisten und Komantschen nehmen und sehen, was passiert, wenn diese Charaktere gezwungen sind, sich mit dem christlichen Konstrukt von Himmel und Hölle auseinanderzusetzen, das sich in der Welt des amerikanischen Westens manifestiert.