SPIRITS

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Boston Straight Edge Hardcore

Vor einem Jahr gab es hier schon einmal ein SPIRITS-Interview. Da war aber das Album „Unrest“ noch nicht erschienen. „Unrest“ ist Hardcore-Punk, wie ihn nicht mehr viele Bands spielen können oder wollen. Was es über dieses Album, diese Wut und diese Einstellung zum Leben so zu sagen gibt, lässt uns Sänger Mike wissen.

Mike, ihr habt zwei Wochen im Proberaum verbracht, um dort „Unrest“ zu schreiben. Wie kamen die Songs zusammen? War das Jammen, natürlicher Flow, stand ein Konzept dahinter?

Einige Songs hatten Robert und Charles bereits komplett fertig. Einige entstanden beim Jammen. Normalerweise nehmen wir unsere Songs mit dem Handy auf, suchen uns dann die besten davon aus und packen sie auf ein Release. Zeitlich gesehen war das alles tatsächlich ewas tricky, da ich da gerade nach Kalifornien umzog. Richtig Eile oder Druck hatten wir jedoch nicht. Niemand bei uns hat ein großes Ego oder die alleinige musikalische Kontrolle. Von daher war da auch alles cool. Die Texte stammen alle komplett aus diesen zwei Wochen. Es gab zwar zuvor Ideen, aber richtige Songs wurden erst hier daraus.

„Unrest“ beginnt mit den Worten: „This is the world, and it’s at war“. Und es endet mit: „For a life in chains is a sentence worse than death“. Was findet sich zwischen diesen Zeilen noch so auf dem Album? Wie angepisst, wie ängstlich, wie hoffnungsvoll seit ihr?

Dazwischen liegen einfach unsere Ansichten zu bestimmten Themen in unserem Umfeld, zur Welt im Allgemein. Einige Songs sind persönlich, einige politisch. Es schwankt zwischen angepisst und hoffnungsvoll.

Welchen Song auf „Unrest“ magst du am liebsten und warum?

„Eyes of love“, weil er einen geilen Groove hat, zu welchem ich wie ein Verrückter abgehen kann. Außerdem „OR7“, für den Song ist Robert komplett verantwortlich. Er handelt von einem Wolf mit dem Namen OR7. Er wanderte von Nordkalifornien bis nach Kanada und wieder zurück. Ein wahrer Kämpfer. Robert transferierte diese krasse Geschichte über den Wolf in einen Text, so dass er auch nach einem menschlichen Kampf klingt. So etwas könnte ich niemals hinbekommen. Ich bin nur gut darin, Dinge zu verarbeiten, die mich selbst betreffen.

„Unruhe“ ist ein sehr persönliches Stück, in dem es um den Verlust deiner Mutter geht. Du fragst darin: „If you were still here would I still be me?“ Ist dieser Verslust immer noch ein großer Teil deines Lebens? War es schwer, deine Gefühle zu diesem Thema in einen Zwei-Minuten-Track zu packen?

Es ist kein großer Teil meines täglichen Lebens, da es schon zwanzig Jahre her ist, dass meine Mutter starb. Aber es ist wichtig genug, um einen Song darüber zu schreiben. So jung einen Elternteil zu verlieren, bedeutet gleichzeitig, dass du ihn nie wirklich kennen lernen kannst. Ich kenne meinen Vater auch als Freund, meine Mutter aber nur als Mutter. Ich glaube, dass mich ihr Lebensstil indirekt zu dem machte, der ich bin, weiß aber nicht, ob ich auch so wäre, wenn sie noch leben würde. Es war nicht schwer, diesen Song zu schreiben, da ich praktisch zwanzig Jahre Zeit hatte, mich mit dem Thema zu beschäftigen. Es ist auch nicht der erste Song, die ich über diesen Aspekt des Lebens schrieb, und bestimmt auch nicht der letze.

Touren in Europa: Was ist hier anders?

Die Europäer kümmern sich einfach mehr. Darum ist es hier um einiges einfacher zu touren. Es gibt hier weniger Trends und mehr Leute, die Hardcore als Ganzes unterstützen. In den Staaten geht es mehr ums Sehen und Gesehenwerden, darum populär zu sein. Außerdem sind die Europäer wählerischer, was zum Beispiel das Besuchen der Shows betrifft.

Wir oft werdet ihr von Europäern auf Trump angesprochen?

Aktuell gar nicht. Und letztes Jahr war Trump nur einmal Thema bei einem Interview. Ich denke auch, dass wenn man uns als Band, unsere Ideale und politische Einstellung kennt, es nicht mehr nötig ist, über dieses Clown zu reden.

Ihr seid eine Straight-Edge-Band. Wie wichtig ist es euch, dies der Welt mitzuteilen? Oder vermeidet ihr es zu missionieren?

Wir sind eine Straight-Edge-Band, weil jeder in der Band straight edge ist. Das ist einfach so passiert. Klar mögen wir das auf persönlicher Ebene, aber wir verstehen auch, dass dies nicht jedermanns Sache ist und drängen das auch niemanden auf. Wir wollen niemanden ausschließen, sondern jeder soll ich willkommen fühlen. Ich glaube, wir haben 35 Songs und nur einer davon dreht sich um Straight Edge.

Wie fühlt es sich für dich an, in einer Hardcore-Band, also Teil einer Jugendbewegung zu sein, obwohl die Jugend längst vorbei ist?

Wenn man es immer noch fühlt – warum dann es nicht auch spielen? Du musst nicht jung sein, um wütend zu sein oder dich irgendwie durch Musik ausdrücken zu wollen. Ich wurde dieses Jahr dreißig und mein Körper fängt an, hier und da an zu zwicken, aber ich bin so wütend wie immer und will meinen Gedanken freien Lauf lassen.

Wie regelt ihr euer normales Leben? Was arbeitet ihr und wie kompliziert ist es, den Alltag fürs Studio oder eine Tour zu unterbrechen?

Kevin arbeitet bei einem Cateringservice, Robert in den God City Studios und beim Massachusetts Institute of Technology als Toningenieur, Charles hat einen Van, in dem er wohnt und durchs Land fährt, während er hin- und wieder fürs MIT arbeitet. Ich bin Lieferwagenfahrer. Die Sache mit dem Studio war nie ein Problem, da wir selbst ein Studio und zwei Toningenieure in der Band haben. Das mit dem Touren wurde in letzter Zeit etwas schwerer. Ich bin ja nach Kalifornien gezogen, Robert arbeitet mehr bei God City, Kevin tourt ungerne und Charles lebt eben in seinem Van. 2017 haben wir nur vielleicht zwanzig Shows gespielt. 2018 wollen wir etwas mehr machen. Ich hoffe es werden mindestens zwei Monate werden.

Die Hardcore-Szene bescherte uns eine Menge guter Bands, Alben, Menschen. Was bei dir in all den Jahren so hängengeblieben?

Das mit den Bands ist schwer. Ich konzentriere mich mal auf MODERN LIFE IS WAR und GO IT ALONE. „Witness“ und „The Only Blood Between Us“ sind zwei Platten, an denen ich mich niemals satthören kann. Ansonsten bin ich kein Platten- oder -T-Shirt-Sammler, habe aber immer noch das GO IT ALONE-Shirt, das ich auf ihrer ersten Eastcoast-Tour kaufte und das mittlerweile fast auseinanderfällt. GO IT ALONE zu sehen und sämtliche Leute um dich herum drehen durch, das sind gute Momente.

Ist eigentlich die MODERN LIFE IS WAR-Reunion für dich okay?

Ja, das macht mir nichts aus. Bands lösen sich auf und kommen wieder zusammen. Es ist natürlich scheiße, wenn Geld die Triebfeder des Ganzen ist. Auf der anderen Seite kümmert mich das kaum, da manche vielleicht einfach das Geld brauchen. MODERN LIFE IS WAR machten ihre eigene Tour und brachten ein Album raus, und ich denke, sie hatten schon Lust, wieder eine Band zu sein, und das ist okay so.

Wie sieht es mit speziellen Momenten innerhalb der SPIRITS-Historie aus?

Das Highlight war definitiv das Fluff Fest in Tschechien und wie die Leute da reagiert haben. Irgendwie ist es immer verrückt, wenn jemand meine Texte mitsingt, und definitiv eine schöne Erfahrung.

Welche Dinge innerhalb der Szene missfallen dir?

Dieser Popularitätswettbewerb. Oder wenn die Leute Bandmitglieder einfach so und nicht wegen ihrer Musik oder Message mögen. Außerdem die Gewalt auf Shows.

Ist die Gewalt bei europäischen Konzerten anders als in den USA?

Um ehrlich zu sein, habe ich noch nie Gewalt bei irgendeiner Show in Europa gesehen oder erlebt. Ich muss aber auch sagen, dass ich in einem sehr gewalttätigen Umfeld aufwuchs und so vielleicht auch etwas desensibilisiert bin.

CHAIN OF STRENGTH oder YOUTH OF TODAY?

SLAPSHOT.

Warum?

Ich mag sie einfach mehr als die anderen zwei Bands. SLAPSHOT und YOUTH OF TODAY waren in den Achtzigern Rivalen. Und ich mag sie seit damals einfach mehr.

2015 meintest du mal, dass du Madonna und THE CRANBERRIES magst, aber mit Taylor Swift nichts anfangen kannst. Wie sieht das heute mit dir und Popmusik aus?

Das ist damals wohl falsch rübergekommen. Denn ich mag Taylor Swift. Ich mag eine Menge ihrer Sachen und Robert ist definitiv ihr größter Fan innerhalb unserer Band. Was aktuelle Pop Musik betrifft, mag ich Kesha, Sia, Minaj. Ich schaue schon hinter die Künstlerfassade und schätze es, wenn jemand seine Songs selbst schreibt. Dennoch finde ich auch richtig überproduzierte Hochglanz-Popmusik gut.

 


Am 16.11.17 veröffentlichte SPIRITS-Gitarrist Charles via Facebook, dass er Anschuldigungen wegen sexuellen Fehlverhaltens ausgesetzt sei und aus diesen (noch ungeklärten) Gründen nicht länger Teil der Band ist. SPIRITS bestätigten dies in einem zeitgleich veröffentlichten Post, ohne Namen oder Details zu nennen. Wir haben uns dazu entschieden, sowohl das Review der neuen Platte als auch das Interview dennoch zu veröffentlichten. Für uns vom Ox ist gerade das Aufzeigen und Korrigieren und Verbessern bestimmter Fehler und Missstände ein Grundpfeiler unserer Werte (nicht nur im Hardcore/Punk), Offenheit und Diskussion sind nötig, um Wiederholungen solcher Fehler zu vermeiden. SPIRITS haben mit ihrem Post auf Facebook die notwendigen Schlüsse gezogen, ein passendes Statement abgeliefert. Bei Fragen,- Rede- oder Klärungsbedarf stehen sie jedem jederzeit zur Verfügung. Wir hoffen, dass die aktuellen Vorkommnisse weder das allgemeine Werk der Band beeinträchtigen noch dieses Interview verzerren.