1991 – The Year Punk Broke (USA 1992, Regie: Dave Markey)
Hype! (USA 1996, Regie: Doug Pray)
Für den Film 1991 – The Year Punk Broke werden SONIC YOUTH knapp zwei Wochen auf einer Europatour begleitet und gefilmt. Zuständig zeigte sich hier Dave Markey, der bis dahin Videos aufgenommen hatte für BLACK FLAG und SIN 34 und auch für CICCONE YOUTH, einer Kollaboration zwischen SONIC YOUTH und Mike Watt zu Ehren Madonnas. Auf der Tour werden SONIC YOUTH von der bis dahin kaum bekannten Band NIRVANA supportet. Falls es nicht nur eine Legende ist, kam die Band direkt nach dem Videodreh zu „Smells like teen spirit“ zum Flughafen, wo sie mit Dave Markey in den Flieger nach Europa stieg. Der Film sieht aus, als wäre er mit einem „lowest budget“ gedreht worden. Als Aufnahmegerät diente eine Super-8-Kamera, die mehr oder weniger zwei Wochen durchlief. Sie wurde durch ein Handmikro ergänzt, das meist SONIC YOUTH-Sänger und -Gitarrist Thursten Moore für sinnlose Interviews benutzte. Beispielsweise ließ er sich von einem Wurstverkäufer die Unterschiede der deutschen Bratwürste erklären, an einigen Stellen interviewte er sich quasi selbst und erzählt Stuss. Neben den ständigen Begleitern NIRVANA kamen sie auf den Festivals in Europa auch mit anderen Bands in Kontakt, von denen teilweise auch Live-Auftritte zu sehen sind (BABES IN TOYLAND, RAMONES, DINOSAUR JR., MUDHONEY). Ihre sinnlosen Interviews mit sich selbst führten sie oft im Backstagebereich von Festivals, wo dann auch NIRVANA dazukamen und zum Beispiel ein Buffet zerstörten. Sie wirken in diesem Moment wie Kindergartenkinder, denen man am liebsten eine scheuern möchte.
Die Musik findet am Rande statt – und ist das Einzige, das von der Kamera perfekt transportiert wird. Sie bleibt am Rande und gibt sich als distanzierter Beobachter, der alles unkommentiert lässt – die ständigen Rückkoppelungen, das Gefiepe und das permanente Zerstören der eigenen Instrumente, das einen dann richtig aufregen kann. Der Titel „The Year Punk Broke“ kam übrigens dadurch zustande, dass Regisseur Markey am Anfang der Tour auf MTV Europe einen Auftritt von MÖTLEY CRÜE auf einem Festival gesehen hat, bei dem sie „Anarchy in the UK“ gecovert haben, was er als Ausverkauf interpretiert hatte. Das versuchte Thurston Moore dann auf Englisch einer Oma in einem deutschen Restaurant zu erklären, die wohl kein Wort verstanden haben dürfte. Der Film wirkt insgesamt recht sinnlos, ein paar Kids haben eine Auslandsreise aufgenommen, auf der sie einfach ihren Spaß haben. In der Retrospektive betrachtet ist er aber auf zwei Ebenen interessant. Zum einen, wie nahe sich der Sound von SONIC YOUTH und den Grunge-Vertretern doch war und zum anderen, dass NIRVANA eigentlich nur ein paar Kids waren – und das einen Monat später nicht mehr sein durften, als „Nevermind“ erschien und die Musikwelt über Nacht eine andere war.
Die lange Vorgeschichte dieses Albums dokumentiert der von 1993 bis 1996 gedrehte Dokumentarfilm Hype! auf beeindruckende Weise. Er lässt eine Menge Zeitzeugen zu Wort kommen und zeigt, wie sich das Grunge-Genre entwickelte, angefangen mit Aufnahmen von Konzerten in den Achtzigern, die in Seattle stattgefunden hatten. Ausgelassen wird in dem Film nichts – es kommen Labelbetreiber zu Wort, wie etwa Bruce Pavitt und Jonathan Poneman von Sub Pop sowie deren CEO Megan Jasper, außerdem Blake Wright von Empty Records und Conrad Uno von PopLlama Records. Hier fehlt allerdings das Label C/Z Records, das große Bedeutung für Grunge hatte. Weiter erzählen Art-Designer wie Art Chantry, die selbst fantastisch schlichte Platten-Cover und Poster gestaltet haben. Er ist beispielsweise für „Louder Than Love“ von SOUNDGARDEN oder „Piece Of Cake“ von MUDHONEY verantwortlich. Neben dem Produzenten Conrad Uno ist natürlich der „Godfather of Grunge“ Jack Endino dabei, bei dem wohl jede Band Seattles mal im Studio war. Szene-Fotograf Charles Peterson sitzt inmitten von Stapeln seiner Live-Fotos und erzählt ziemlich anschaulich vom ganz normalen „Grunge-Wahnsinn“, der in Seattle stattfand. Und natürlich kommen die meisten bedeutenden Musiker:innen zu Wort, von denen viele tatsächlich auf Majorlabels landeten wie Mitglieder von SOUNDGARDEN, TAD, MUDHONEY und Eddie Vedder von PEARL JAM, der mit seiner Analyse eine überraschend gute Figur macht. Kleinere Bands wie 7 YEAR BITCH, GAS HUFFER und noch viele andere sind im Film ebenfalls am Start und es gibt unzählige Live Performances zu sehen – angeblich auch die allererste Aufführung von „Smells like teen spirit“. Den Unterschied, den es musikalisch zu Punk gibt, erklärt Leighton Beezer von THE THROWN-UPS, indem er ein Riff im Punk- und dasselbe dann nochmals in Grunge-Stil spielt. Fantastisch.
Der Film ist durch die vielen Beteiligten ein authentisches Zeitdokument und es ist gut zu sehen, dass es überhaupt kein „NIRVANA-Film“ wurde und sie zunächst eigentlich nur eine Band unter vielen waren. Man muss Regisseur Doug Pray gerade deshalb hoch anrechnen, dass er mit seinem umfassenden Blick auf alle Bands diesen Film gedreht hat und die Begeisterung, die in Grunge damals steckte, so gut in Bilder umgesetzt hat. Cobains Tod bedeutete laut Juju Gargiulo von den FASTBACKS das Ende von Grunge, wie sie in der Nachbetrachtung „20 Years Later: Hype!“ auf YouTube sagt. Hierfür wurden einige Zeitzeugen aus dem Originalfilm nochmals befragt, etwa MUDHONEY, die nach dem „Tod von Grunge“ gerade deshalb überall sagten, dass sie eine Grunge-Band seien. Oder Jack Endino, der berichtet, dass 1995 erst mal alle die Nase voll hatten und viele Bands verschwanden, auch weil die Majors nach Cobains Tod mit ihnen nichts mehr anzufangen wussten. Andere hätten aber weitergemacht wie TAD. PEARL JAM und SOUNDGARDEN seien jene, die trotz ihrer Majordeals die völlige künstlerische Kontrolle behielten.
Und was wurde aus Grunge? Unisono sagen alle, dass die Seattle-Szene weiterlebte und immer noch existiert – Grunge hat nach wie vor seinen Anteil daran und seinen Einfluss. Laut Endino erscheinen weiter noch gute Produktionen von Bands wie TAD oder von welchen mit beispielsweise Ex-Mitgliedern von SCREAMING TREES oder 7 YEAR BITCH, und Fotograf Charles Peterson schießt weiterhin tolle Live-Fotos. Der Unterschied zu damals, als Grunge die letzte „pre-internet-scene“ verkörperte, sei, dass nun jeder seine Songs selbst veröffentlichen kann, die ganze Promotion durch die Labels aber fehle. Ganz am Ende steht die Frage: Wann und wo war die letzte musikalische Revolution, die von einem einzigen Ort ausging?
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