SO36

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Vom Supermarkt zum Punk-Konzert-Schuppen

Im August feierte der berühmte Berliner Club SO36 (benannt nach dem ehemaligen Postbezirk „Südost 36“) sein 36-jähriges Jubiläum. Es gab Ausstellungen und illustre musikalische Gäste. Demnächst soll ein Buch inklusive DVD erscheinen, durch Crowdfunding finanziert. Nanette vom Club-Team erzählte uns, was war, was ist und was kommen wird.

Nanette, rund zwei Wochen voller Jubiläumsveranstaltungen liegen hinter dir. Was blieb als Highlight nach all dem Stress haften?

Die ganze Zeit war ja voller Highlights. Wenn man was hervorheben wollte, dann schon die TERRORGRUPPE, was ein bisschen ausuferte, oder die SLIME-Coverband SLEIM aus Bayern, die fand ich auch klasse.

Die TERRORGRUPPE spielte ja für rund dreißig Minuten vor dem SO36, ein Linienbus blieb im Gewimmel stecken, doch die Ordnungshüter hielten sich zurück. Ist der tolerante Geist von Kreuzberg hier wieder lebendig geworden?

Die Situation in Kreuzberg kann man nicht isoliert vom SO36 sehen. Die Leute, die hier leben, haben ja in den letzten Wochen extrem unerfreuliche Polizeieinsätze miterleben dürfen. Ich glaube, dass die sich so zurückgehalten haben, lag daran, dass es erstens extrem friedlich war, und dass wir am Abend zuvor in den ARD-„Tagesthemen“ einen Beitrag hatten, und die Tatsache, dass die momentan extrem unbeliebt sind, wäre nicht so gut gekommen, wegen so einem Pillepalle da abzugehen. Man kennt ja die Dinge, die hier passierten, auch mit den Flüchtlingen am Oranienplatz, wo wir eine Woche lang ernsthafte Belagerungszustände hatten, und dann wurden friedliche Demos gegen Mietpreiserhöhungen auch massiv zusammengedroschen. Von daher hatten die keine Ambitionen, gegen so ein kleines Konzert, wo der zeitliche Rahmen auch absehbar war, anzugehen.

Du selbst hast mal für das US-Label Fat Wreck Chords in Berlin gearbeitet. War nach dessen Schließung das SO36 für dich die Rettung vor dem Fall in ein dunkles Loch? Ging das nahtlos ineinander über?

Ja, für meinen Geschmack allerdings ein bisschen zu nahtlos. Aber ich bin total happy hier, das war das Beste, was mir nach der auch sehr geilen Zeit bei Fat Wreck Chords passieren konnte. Ich hatte damals geplant, ein halbes Jahr eine Auszeit zu nehmen und die Südsee zu bereisen, aber dann hatte es sich eben mit dem SO36 sehr schnell ergeben. So machte ich also mit vierzig Jahren noch mal eine Ausbildung zur Veranstaltungskauffrau. Zeit, um in Löcher zu fallen, gab es somit nicht. Aus dem Südseetrip ist jedoch nichts mehr geworden. Aber sei es drum, das SO36 ist wirklich ein, wenn man so will, „geiler Laden“. Ich kannte die Leute auch schon durch meine vorherige Tätigkeit. In einem rein kommerziellen Musikladen hätte ich mich nicht wohlgefühlt, zudem funktioniere ich auch nicht wirklich gut mit Hierarchien und Chefs über mir. Das SO36 ist eben nicht nur ein politischer Laden, was die Inhalte angeht, sondern auch in der Form. Wir sind ein gemeinnütziger Verein, wo es keine positionsbezogene Hierarchien gibt. Sicher gibt es schon mal jemand, der sagt: „So können wir das an dieser Stelle nicht tun“ – logisch. Es gibt natürlich Kontroversen, da eben auch sehr unterschiedliche Leute mitwirken. Also ich könnte jedenfalls nicht in einem Club arbeiten, wo ein trunksüchtiger, Sportwagen fahrender Macker-Chef mir sagt, wo es langgeht.

Der Markt der Booking-Agenturen scheint recht aufgeteilt und strukturiert. Hat dies den Vorteil für euch, großem Gefeilsche und Hahnenkämpfen aus dem Weg gehen zu können?

Das Booking mache ich hier nicht selber. Das macht bei uns eine Frau, die seit über zwanzig Jahren im Geschäft ist. Aber es ist natürlich schon so: Man hat Agenturen wie Destiny, Muttis Booking oder M.A.D., mit denen man nicht nur eine Geschäftsbeziehung hat. Anita, die das Booking macht, hatte mit den Leuten schon in besetzten Häusern zu tun, und mit den Destiny-Leuten habe ich ja selbst mal im gleichen Büro gesessen. Das sind eher Freunde als Geschäftspartner. Es gibt aber auch Neulinge, mit denen wir gut können. Da gibt es eine Gruppe, wie Sookee und die „Zecken Rapper“, eine politische Rap-Truppe, die uns die Halle regelmäßig füllt und alles im D.I.Y.-Stil und autark machen.

Ihr positioniert euch gegen Nazis, Homophobie und Sexismus, wo auch immer dieser anfangen mag. Sind Bands wie die LOKALMATADORE oder DIE KASSIERER aufgrund ihrer mitunter schmuddeligen Texte im SO36 weiterhin schwer zu vermitteln?

Auch da kann man pauschal schwer etwas sagen. Die KASSIERER haben ja bei uns vor nicht allzu langer Zeit gespielt. Da gab es bei uns natürlich im Vorfeld hier im Kollektiv Gespräche drüber. Ich selbst finde die KASSIERER nicht sexistisch, sondern satirisch, auch wenn vielleicht nicht jeder ihrer Zuhörer die Texte versteht. Es war schon kontrovers, sie transportieren natürlich schon einiges, wo der, der sich eben nicht so intensiv mit den Texten auseinandersetzt, einiges verkehrt deuten kann. Die Diskussion hier im Laden kann aber auch in zwei Jahren anders ausgehen, wie es sich auch mit der „Grauzone“ verhält.

Darauf wollte ich sowieso hinaus. Wie verhält es sich mit so genannten „rechtsoffenen“, unpolitischen Bands, das kann ja ausarten und man könnte endlos recherchieren, wer da vielleicht doch befangen ist. Es sollen ja gerüchteweise hier auch schon mal BÖHSE ONKELZ-Lieder gecovert worden sein ...

Also eine ernsthaft rechtsoffene Band wird uns hier schon mal gar nicht angeboten. Hier wird jeder neue Fall frisch ausdiskutiert. Manche Band verändert sich, das SO36 verändert sich, aber bis jetzt haben wir immer einen Konsens gefunden. Alle zwei Wochen haben wir hier ein Plenum, aber wir sortieren natürlich schon Bands beim Booking aus, da wird vorher recherchiert – gerade wenn eine Band zweifelhaft erscheint. Also Onkelz-Songs covern, da würde eine solche Band dann kein zweites Mal hier machen. Das nehmen wir schon ernst.

Gehen wir noch einmal zurück: 1984 wird das SO36 besetzt, 1987 räumt die Polizei, 1990 ist die Wiedereröffnung. Da war die deutsche Wiedervereinigung und der Punkrock kriselte. Gab es Startprobleme und lichte Reihen bei den Konzerten?

In der Tat war es so, dass nur Punk- und Hardcore-Sachen den Laden nicht getragen hätten. Aber das SO36 ist ja immer offen für Neues geblieben. Wir hatten Leute hier, die Techno reinbrachten und das auch mit schwul-lesbischen Aktionen verbunden haben. Es gab da natürlich auch diverse Reibereien durch die Unterschiedlichkeit der Leute, aber es hat unterm Strich gut geklappt und wir haben uns gut zusammengerauft. Auch jetzt ist Punk und Queer ja kein wirklicher Widerspruch und die Leute können miteinander anstatt nebeneinander den Laden betreiben.

US-Hardcore war angesagt, ich kam durch SHEER TERROR dazu und erinnere mich an die Live-CD von SLAPSHOT aus dem Club. Half also wieder mal die Musik aus den Staaten?

Ja, das ist ein Gerücht – diese Scheibe wurde gar nicht bei uns aufgenommen, sondern in der TU Mensa, haha. Unser Techniker von damals schwört das Stein und Bein, er hat die Scheibe schließlich selber abgemischt. Aber das gehört eben zu den vielen Legenden des Ladens, was ja auch spannend ist. Wir haben ja auch noch jede Menge Kippenberger-Kunst im Keller, die uns alle stinkreich machen wird. Aber zurück zur eigentlichen Frage: Das stimmt schon, SLAPSHOT waren ja auch hier oder AGNOSTIC FRONT und SICK OF IT ALL. Da waren schon die heutigen Booker mit dran, auch wenn wir die nicht alleine nach Europa geholt haben.

Wie gehst du mit der Nostalgie in der allmählich doch traditionsreichen Punk-Historie um? Waren SLIME 1981 unter Dosenbeschuss wirklich musikalisch und vom heutigen Sound her sehenswerter als zuletzt 2012? Ich kann das echt nicht glauben ...

Sowohl das Beherrschen der Instrumente, als auch die Soundanlagen sind heute natürlich qualitativ besser. Aber die Wut und die Aufbruchstimmung und das, was den Punk damals ausgemacht hat, ist natürlich gar nicht mehr wiedererlebbar. Heutzutage regt sich niemand über Punk auf, aber wir sahen hier jüngst den „So war das SO36“-Dokufilm über die Leinwand, und man dachte sofort: Waren die scheiße, konnten die wirklich gar nichts? Oder waren es vielleicht Visionäre und haben auf alles geschissen? Dieser Wegfall von „wir hier oben und ihr da unten vor der Bühne“, das machte die Zeit aufregend und spannend, und lässt sich heute schwer reproduzieren. Das reine Musikhörerlebnis ist natürlich heute deutlich größer. Anfang der Achtziger war ich ja auch ein Teenie und habe keine Häuser besetzt, sondern fuhr zur Menschenkette gegen den NATO-Doppelbeschluss. Es war eine total politisierte Zeit. Wir leben ja nun schon quasi in einer anderen Epoche. Mir fehlt das von damals schon. Also diese Wut und Aufbruchstimmung hätte ich schon gerne größer und bewusster miterlebt und mitgemacht. Es war wirklich intensiver, aber ästhetisch nicht so angenehm, haha.

Wer sein Hobby zum Beruf macht, verliert mitunter sein Hobby. Inwieweit genießt du selbst noch die Gigs im Haus? Kann man sich wirklich nach Abrechnungen, Telefonaten und dem Catering noch entspannt „fallenlassen“?

In gewissem Maße stimme ich dir zu, ich habe mittlerweile eine andere Herangehensweise. Ich erinnere mich noch an meine Jugendzeit, wo ich in Saarbrücken angefangen habe, in Läden an der Garderobe auszuhelfen. Da träumte ich schon davon, mal näher heranzurücken an den Kern des Geschehens. Sicher gibt es Momente, in denen ich müde bin und denke, muss die Show wirklich bis zwei Uhr nachts gehen? Aber insgesamt ist es cool, das zu machen, was ich immer machen wollte. Es gibt ja auch immer wieder Bands, die ich noch nicht kannte und die mich dann „flashen“. Und so alte Idole wie Charlie Harper zu treffen, ist schon auch toll.

Wie diskutiert ihr die jeweilige Bandauswahl? Wird euch da durch die Wünsche der Hauptband viel abgenommen beziehungsweise seid ihr froh, dass die ohnehin ihre Vorband im Gepäck haben?

Es ist wirklich so: Viele Bands bringen ihre Vorband gleich mit. Oft fragen uns die Bands aber auch, ob wir eine Gruppe kennen, die zu ihnen passt. Da keimt dann natürlich der „Local support“-Gedanke auf. Auch die Bands, die noch nicht so weltberühmt sind und hier als Vorband auftreten, haben Bock darauf, bei uns zu spielen, weil sie hier gut behandelt werden. Das bedeutet, sie bekommen ein gutes Catering, ihre Getränke, Gästelistenplätze, geile Technik, geiles Licht.

Ihr seid 2009 Club des Jahres in Deutschland gewesen. Ist das angenehm, in einem so traditionsreichen Laden zu arbeiten, wo die Abläufe sattelfest sind, oder ist es eher mit einer Verantwortung verbunden, den Standard zu halten?

Sowohl als auch. Klar, man ist der Geschichte des Ladens verpflichtet. Den Laden haben ja andere Leute aufgebaut. Wenn man aber immer nur nach hinten schaut, ist er auch schnell weg. Man muss sich neu erfinden und neuen Sachen gegenüber offen bleiben. Sonst wird man sein eigenes Abziehbild und dann will auch keiner mehr kommen.

 


Erst wenn ...

... etwas schriftlich fixiert ist, erlangt es seine historische Relevanz. So wird es nun wirklich Zeit, die Geschichte des SO36 in Buchform auf den Markt zu bringen. Per Crowdfunding finanziert, soll nun Ende dieses Jahres das Buch „36 Jahre SO36“ erscheinen. Bis Mitte Oktober werden Gelder für die Finanzierung eingesammelt. Nanette betonte ausdrücklich, dass Musiker und Fans gleichermaßen aufgerufen sind, sich noch mittels Fotos oder Texten einzubringen. Da wird doch sicher die eine oder andere Anekdote aus unserer Leserschaft zu ihrem Recht gelangen. Bitte schnell beim SO36 melden oder auch zur Unterstützung hier reinschauen: startnext.de/SO36