Obwohl mit „Start Together“ Ende 2014 alle sieben bisher erschienen Alben der linksfeministischen Legende aus Olympia, Washington remastert, in eine Box gepackt und wiederveröffentlicht wurden, hassen SLEATER-KINNEY jede Nostalgie. Eigentlich. Trotzdem hangelt sich Gitarristin/Sängerin Carrie Brownstein mit uns tapfer von Reviewzitat zu Reviewzitat und schildert ihre ganz eigene Sicht auf die Dinge früher und heute.
Schaust du gerne auf deine Alben zurück?
Sie sind natürlich alle auch ein Teil von mir und dem, was ich getan habe. Ich bin aber eigentlich jemand, der eher in der Gegenwart lebt. Trotzdem bin ich stolz auf sie und setze mich auch kritisch mit ihnen auseinander. Als Ganzes steht unser Backkatalog schon für sich.
Wie sieht es mit Reviews aus, liest du die normalerweise?
Nicht wirklich. Es ist ja eine einzelne Perspektive und selbst wenn Rezensionen positiv ausfallen, fehlt oft die Verbindung zwischen deiner eigentlichen Intention und dem, was dort geschrieben steht. Du musst das alles irgendwie ausblenden. Aber bestimmt ist es ganz interessant, mal ein paar Reviews zu hören, schließlich ist alles ja neu für mich. Das lässt mich in die Welt eintauchen, zu der ich den Soundtrack liefere, Musik, über die geredet, zu der getanzt und die kritisiert wird. Ein Einblick in kursierende Interpretationen, ob gut oder schlecht. Mein Job ist meiner Meinung nach aber eigentlich nur, die Musik zu machen. Ich muss nicht verfolgen, was die Leute darüber schreiben.
Beginnen wir zum Warmwerden mit einem Zitat aus einem Interview mit eurer Sängerin/Gitarristin Corin anlässlich des neuen Albums „No Cities To Love“: „Der Kern dieses Albums ist unsere Beziehung untereinander, zu der Musik und wie wir uns alle noch stark genug dazu gefühlt haben, das von Grund auf durchzuhalten und noch mal zu versuchen, unsere Band neu zu erfinden.“
Es gibt bei einer Band immer eine bestimmte Eigendynamik, die fast ohne die Dinge oder Leute existiert, die sie eigentlich ausmacht. Manchmal fühlt sich SLEATER-KINNEY wie eine eigene Macht an, von der wir nur ein Teil sind. Das ist wie ein Satellit, der die Erde umkreist und dann wieder in unsere Sichtweite gerät, genauso unausweichlich fühlt sich das an. Wir könnten nie halbherzig oder leidenschaftslos an SLEATER-KINNEY herangehen. Ich denke zwar nicht, dass dieses Album davon handelt, aber es ging schon darum, sich auf die Kraft der Band zurückzubesinnen. Wir mussten dazu bereit sein, alles zu erfassen, das es möglich macht, dem, was wir lieben, Tribut zu zollen. Etwas weiterzuführen, so dass es seiner Bedeutung, die es für uns hat, auch gerecht wird. Darum sind wir wieder zusammengekommen. Meiner Meinung nach ist unser Ziel bei jedem Album immer, dass es sich von unseren anderen Alben abhebt. Dass es einzigartig und neu ist, von Herzen kommt und leidenschaftlich ist. Dass es für ein Publikum Möglichkeiten zum Andocken bietet. Das ist bei diesem Album nicht anders. Wir haben uns sehr auf Melodien und Songstrukturen fokussiert und darauf, verschiedene Gitarrensounds zu schaffen. Bei großen Teilen dieses Albums geht es darum, nach Verbindungen zu den verschiedenen Aspekten unseres eigenen Lebens zu suchen. Es ist ein sehr persönliches Album und ich bin sehr zufrieden damit.
The Woods (2005)
„,The Woods‘ ist sogar für die hochfliegenden Standards von SLEATER-KINNEY ein unglaublich heftiges Rock-Album; es ist ein Ruf an die Waffen, der selbstgefällige Indie-Kids hoffentlich dazu bringt, mehr von Rockmusik zu erwarten, indem die ,Fake-GANG OF FOUR‘ – ein Brownstein-Ausdruck – sie als die unnützen Nostalgiker bloßstellt, die sie sind.“ (cokemachineglow.com)
Unsere eigentliche Absicht bei „The Woods“ lag darin, unser eigenes Bild von uns selbst zu untergraben. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir bereits sechs Alben herausgebracht und wir wussten, zu was wir imstande waren und das Publikum wusste das auch. Das hat sich ziemlich einengend angefühlt. Deswegen sind wir mit der Einstellung an „The Woods“ herangegangen, zu versuchen, die Vorstellung der Leute, was diese Band ausmacht und was wir leisten können, komplett zu erneuern, zu zerstören oder zumindest abzuwandeln. Es gibt viel Zerstörerisches auf dem Album, es ist stachelig, furchterregend und unbehaglich. Songs werden aufgebaut und in der Mitte wieder zerstört. Unser Plan war es, uns selbst und unser Publikum zu überraschen. Und das ist uns tatsächlich gelungen. Manche Leute mochten es nicht, es war ihnen zu unbequem, zu laut und rauh. Gleichzeitig haben wir aber auch viele neue Fans gewonnen, die vorher gar nichts mit uns anfangen konnten, und plötzlich machten wir dieses ausschweifende Gitarrenalbum. Es hat seinen Zweck erfüllt und wird immer eine Veröffentlichung sein, auf die wir echt stolz sind.
One Beat (2002)
„,One Beat‘ reiht sich nahtlos zwischen ,In On The Killtaker‘ von FUGAZI und ,Reject All Americans‘ von BIKINI KILL in die Riege der Widerständler gegen die Neue Weltordnung ein und könnte sehr wohl der größte Triumph der Punk-Unabhängigkeit seit BLACK FLAG sein. In einer Zeit des Durcheinanders und des Bedürfnisses nach Diskurs haben Brownstein, Weiss und Tucker die Gelegenheit am Schopf gepackt.“ (Dusted Magazine)
„One Beat“ war, was den Inhalt angeht, auf jeden Fall ein Kind seiner Zeit. Wir lebten gerade frisch in einer Post-9/11-Welt, jegliches Gefühl von Konstanz und Struktur, der ganze Optimismus, von dem wir annahmen, dass er stets ein dauerhafter Teil der amerikanischen Gesellschaft sein würde, waren an jenem Dienstagmorgen im September 2001 zerstört worden. Viel von diesem Album setzt sich entweder ausdrücklich mit den Folgen der Ereignisse dieser Zeit auseinander oder handelt auf der persönlichen Ebene von Krisen. Es geht darum, ob wir weitermachen sollen oder nicht, in einer bestimmten Dynamik, einer Beziehung, oder um den Verlust einer geliebten Person. „One beat“ ist einer meiner liebsten Songs. Er handelt von Wissenschaft und davon, wie eine Gesellschaft aufgebaut ist. Es ist der Versuch, sich auszumalen, ob jemand die Kontrolle hat über ganz grundlegende Dinge wie beispielsweise die Wissenschaft. Es ist wie rauszuschauen und zu merken, dass alles, was du bisher geglaubt hast, eigentlich falsch war. Es sind auch ein paar Popsongs auf diesem Album und es klingt wie ... ooouh! Haha. Ja, es ist ein interessantes Album.
All Hands On The Bad One (2000)
„Das ultimative Gütesiegel ist wohl das von Joan Jett. In einem im Mai 1998 erschienenen Spin-Artikel sagte Jett: ,Ich mag, dass sie Frauen sind, die den Leuten die Dinge direkt ins Gesicht schleudern.‘ SLEATER-KINNEY tun auf ,All Hands On The Bad One‘ genau das, mit lieblichen Harmonien, brillantem Schlagzeugeinsatz, großartigen Punkrock-Riffs und superklugen Texten.“ (popmatters.com)
Viele unserer Alben korrespondieren mit den vorangegangenen Veröffentlichungen. „The Hot Rock“ war ja eine sehr beschauliche Platte und „All Hands On The Bad One“ ist so was wie die Rückkehr zu dem festen Zusammenhalt, den wir durch unsere Interaktion erreichen können. Es ist auch eine Art Wendepunkt, ich kann unsere späteren Alben auf „All Hands On The Bad One“ schon sehr deutlich hören. Für mich ist der Gegenstand der Songs weniger interessant als die Sachen, die wir ausprobiert haben, wie ein großer Chorus oder andere neue Dinge, die wir weiter verfeinern konnten. Bei „All hands on the bad one“ oder „Leave you behind“ sind es zum Beispiel diese poppigen Refrains. Und dann gibt es da noch diese großen Gitarrenriffs, etwa bei „Ironclad“, die später auf „The Woods“ ganz zentral wurden. Für mich sind das die ersten Vorboten dessen, was musikalisch noch folgen sollte. Es ist ein echt großartiges Übergangsalbum. Thematisch ist es an unsere frühe Musik angelehnt, aber es deutet schon an, was noch kommen sollte.
The Hot Rock (1999)
„Das letzte Album war ,Dig Me Out‘: hervorragend, aber hart wie ein Bärenarsch, ein Post-Riot Grrl-Album, das HUGGY BEAR aufgenommen haben könnten, wenn sie nicht so selbstmörderisch blöde ideologische Arschlöcher gewesen wären. ,The Hot Rock‘ ist noch ein wenig cleverer, das heißt, der faszinierende Todeskampf zwischen LoFi-Form und HiFi-Inhalt ist sogar noch schärfer definiert.“ (NME)
„Dig Me Out“ war auf jeden Fall ein Erfolg bei den Kritikern und hat auch wesentlich zu unserem Durchbruch beigetragen. Also haben wir bei dem Nachfolgeralbum sehr unter Druck gestanden, es sollte ja schließlich das Album werden, das uns dauerhaft auf diesem kulturellen Marktplatz etabliert. „The Hot Rock“ war sehr in sich gekehrt, mit Songs, in denen Corin und ich zwei Minuten lang simultane Leadgitarrenarbeit leisten. Es gibt da eine gewisse Zartheit und Zerbrechlichkeit auf „The Hot Rock“, alles war nuancierter. Es anders zu machen als vorher, ist uns glaube ich gelungen. Wenn wir ein zweites „Dig Me Out“ herausgebracht hätten, hätten die Leute gesagt, dass es „Dig Me Out“ wäre, nur nicht so gut. Also haben wir ein Album gemacht, das man nicht mit „Dig Me Out“ vergleichen konnte – wie dieses Review beweist. Wir haben die Leute damit überrascht, dass wir den Lauf der Geschichte einfach geändert haben.
Dig Me Out (1997)
„,Dig Me Out‘ fängt das Geräusch eines beseelten Körpers ein, der sich selbst wachrüttelt, und das ist eine Erfahrung, bei der die Kluft zwischen den Geschlechtern keine Bedeutung mehr hat. Hier können Jungs wie Mädels gleichermaßen das Rattern in ihrem Hirn und das Aufflammen ihrer Libido hören. Die Katharsis, nach SLEATER-KINNEY streben, ist mehr als nur Spaß; es ist der ernsthafte Kampf um das Menschenrecht, sich selbst zu erkennen und zu bestimmen. Im Feminismus müsste es auch eigentlich genau darum gehen, aber er wird noch immer von seiner eigenen Selbstgefälligkeit erdrückt. SLEATER-KINNEY rücken das wieder gerade. Wenn sie unsere Simone de Beauvoir sein wollen, beweist ,Dig Me Out‘, dass sie auf dem besten Weg dazu sind.“
(Spin, Juni 1997)
Oh, das ist ein großartiges Review ... Ich denke, dass wir uns mit „Dig Me Out” eigentlich erst in das Bewusstsein der Hörer gesungen und gespielt haben. So etwas wie den Verweis auf Simone de Beauvoir bekommt man nicht alle Tage. Es war ein kraftvolles, unnachgiebiges Album, das stark anfängt und auch ebenso aufhört. Beständig, fröhlich und lustig, aber auch dunkel und furchteinflößend. Es hat ein großartiges Leitbild, das in jedem einzelnen Moment durchscheint und es verkörpert all das, nach dem wir zu diesem Zeitpunkt gestrebt haben. Ich erinnere mich noch, wie ich dieses Album zum ersten Mal gehört habe. Es verlangt tatsächlich absolute Aufmerksamkeit von dir, du kannst es nicht auflegen und dabei irgendwas anders machen. Es war wirklich in jeder Hinsicht aufregend: es zu schreiben, es aufzunehmen, es zu hören.
Call The Doctor (1996)
„SLEATER-KINNEY fuhren mit dem 1996 erschienenen ,Call The Doctor‘ fort, ihre Vorbilderzerstörungsgelüste zu befriedigen. Es bestätigte ihre rohe Punk-Weltanschauung auf jegliche Weise: komplexere Gitarrenarbeit, mehr intellektuell verstandene Verzerrung, mehr Aggression und abgrundtiefe Traurigkeit.“ (Pitchfork)
Viele Leute denken ja, es ginge in diesen Songs hauptsächlich um Corin und mich, darum, uns darzustellen, in „I’m not leaving“ oder „Taking me home“ oder „Little mouth“. Aber Songs wie „I wanna be your Joey Ramone“ haben auch eine ganze Menge damit zu tun, eine Band zu sein. All die Elemente der Band kommen auf diesem Album zusammen: Corin und ich haben die Refrains gegenläufig gesungen, zum Beispiel in „Call the doctor“ oder „I wanna be your Joey Ramone“. „Call The Doctor“ ist ein Album, das bei mir wirklich Eindruck hinterlässt, weil ich hier zum ersten Mal hören kann, wer wir sind.
Sleater-Kinney (1995)
„,Sleater-Kinney‘ ist das starke Leitbild einer unerfahrenen Band, die gerade angefangen hatte, auf eigenen Beinen zu stehen und sich den eigenen Boden zu bereiten, bevor irgendjemand überhaupt wusste, wer sie waren. Genau so hat die Band bis zu ihrem Ende weitergearbeitet.“ (spectrumculture.com)
Das erste Album ist für mich ein Dokument all dessen, das wir damals als befreiend empfanden. Corin und ich haben zu der Zeit in anderen Bands gespielt und hatten keine Ahnung, dass und ob SLEATER-KINNEY etwas von Dauer sein würde. Wir machten gerade Musik in Australien und schrieben diese Songs und nahmen sie auf, bevor wir zurückfuhren. Es vermittelt gut diesen rohen Druck und die reinigende Wirkung, die es für uns hatte. Es ist so roh und verletzlich, die letzten drei Tracks, „Slow song“, „Laura’s song“ und „The last song“, haben noch nicht einmal richtige Namen. Es ist aber auch ein einziges Ausprobieren. An diesem Album mag ich dieses Druckvolle und dass es ist nichts wirklich Endgültiges ist.
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