Seit 32 Jahren, sechs Alben und mehreren kleineren Formaten gibt es SKIN OF TEARS aus dem beschaulichen Örtchen Wermelskirchen in NRW. Mitte der Neunziger Jahre waren sie die erste deutsche Band, die den Fat Wreck/Epitaph Skatepunk-Sound überzeugend und mit den amerikanischen Vorbildern konkurrenzfähig zelebrierte. Aber NRW ist nicht Kalifornien. Und so kreisen die Wermelskirchener seit jeher als eine Mischung aus Geheimtipp und Semi-Legende durch die Republik und das benachbarte Ausland. Mit dem gut gelaunten Sänger und Gitarristen Toto sprachen wir im Biergarten des AJZ Bahndamm darüber, wie man als Band aus Fehlern lernt, wie Szenen zusammenwachsen und warum die BEATLES und Thrash Metal die Voraussetzung für melodischen Hardcore sind.
Toto, im Backstagebereich vom AJZ Bahndamm hängt ein altes Konzertplakat von euch, auf dem ihr mit Melodic Hardcore angepriesen werdet. Darauf hat jemand mit Edding geschrieben: „Es gibt keinen ‚Melodic‘ Hardcore, ihr Popper!“ Gehst du da inhaltlich mit?
Das ist doch eigentlich selbsterklärend, oder? Hardcore mit Melodie. Es gibt ja auch Hardcore ohne Melodie. Aber eigentlich müsste man jetzt philosophisch werden und die Frage stellen, was Hardcore generell bedeutet. Damals haben wir den Begriff einfach übernommen, der existierte schon. Allerdings wäre Melodic Thrash Metal zutreffender, wenn man sich zum Beispiel die ersten LAGWAGON-Scheiben anhört. Die waren Metaller, die Thrash Metal mit mehr Melodie versehen haben – die Geschwindigkeit stand eindeutig im Vordergrund.
Wie bist du damals in diese Sparte reingerutscht? Klassisch über BAD RELIGION als Brückenband zwischen Punkrock und Melodic Hardcore?
Klassisch langweilig wie die meisten von uns über DIE ÄRZTE und DIE TOTEN HOSEN, so um 1984. Obwohl, TOY DOLLS kannte ich vorher, wusste aber da noch nicht, was Punk ist – die fand ich aber super. Dann kam der deutsche Punk, DAILY TERROR, später auch Fun-Punk wie ABSTÜRZENDE BRIEFTAUBEN und SCHLIESSMUSKEL. Das war in meiner kleinen Welt, was die Geschwindigkeit betrifft, das Nonplusultra. Die klassischen englischen Punkbands waren mir meistens zu langsam. Irgendwann habe ich dann mal eine DESCENDENTS-Platte in die Hände bekommen, die fand ich auch sofort charmant. Ja, und dann BAD RELIGION, wobei mein erstes Album von denen „No Control“ war. Ich bin also nicht ganz klassisch mit „Suffer“ eingestiegen. Das war die Initialzündung. Gefüttert wurde man dann über die ganzen Mailorder wie Malibu und wie sie alle hießen. Das waren diese kleinformatigen Kataloge, in denen Bands immer mit dem Vermerk „klingt wie xy“ kategorisiert wurden. Da habe ich dann mein Taschengeld immer schnell reingebuttert. „NOFX, klingt wie BAD RELIGION“ – Zack, bestellt! „BADTOWN BOYS, klingt wie NOFX“ – bestellt! So rutscht man da immer tiefer rein in die Materie. Ich war aber schon als Kind BEATLES Fan, von daher war englischsprachige Musik für mich von jeher interessant. Da lag es nahe, mit SKIN OF TEARS später auch auf Englisch zu singen, mit dem angenehmen Nebeneffekt, dass unsere Texte auch außerhalb des deutschsprachigen Raums verstanden wurden.
Und SKIN OF TEARS waren die ersten Gehversuche als Band? Oder gab es vorher noch irgendwelche Kellersünden?
Abgesehen von Kinderzimmeraktionen mit Blechbüchsen und Akustikgitarren war das tatsächlich der erste Versuch.
Ich fand damals schon, dass ihr innerhalb der frühen deutschen Melodic-Hardcore-Szene ein Alleinstellungsmerkmal hattet, weil ihr technisch und vom Verständnis der Musik her am nächsten an die Vorbilder aus Übersee rangekommen seid. Andere Bands klangen eher nach umgeschulten Metalbands oder nach Deutschpunk, der jetzt einfach schneller statt langsamer vor sich hin rumpelte. Da wart ihr weiter. Wie habt ihr das wahrgenommen?
Den letzten Teil der Frage versuche ich zuerst zu beantworten, weil er der schwierigste ist. Auf die Gefahr hin, dass das arrogant klingt – gehört haben wir das damals natürlich auch. Meine Erklärung dafür ist, dass unser Schlagzeuger Andi damals schon sehr gut war. Da zitiere ich gerne Joe Strummer: „Eine Band ist nur so gut wie ihr Trommler.“ Jeder, der Musik macht, weiß, wovon ich spreche. Und da hatten wir einfach Glück, dass Andi mit Anfang zwanzig das massive Talent hatte, Sachen in einer Geschwindigkeit sauber zu spielen, bei der viele andere schon abgekackt sind. Insgesamt haben wir früh unsere Instrumente gelernt. Ich spiele Gitarre seit meinem sechsten Lebensjahr und habe schon früh im stillen Kämmerlein für mich angefangen, Songs zu schreiben. Das Schema „Strophe – Refrain – Bridge“ hatte sich mir schon sehr früh erschlossen. Wir hatten daher das Glück, schon von Anfang an mit einem gewissen Grundverständnis von Musik an die Sache herangehen zu können, und den Vorteil, schon lange vorher Unterricht an unseren Instrumenten gehabt zu haben. Es war ein Fundament vorhanden. Wir haben nicht erst aufgrund der Liebe zum Melodic Hardcore angefangen, Musik zu machen, so wie andere Bands vielleicht. Andere hatten da einen schwierigeren Stand, weil diese Art von Musik für Anfänger viel zu komplex ist.
Was viele aber nicht davon abgehalten hat, es trotzdem zu versuchen.
Was gut war und ist! Wir hatten mal in Göttingen eine Band im Vorprogramm, bei der wir gedacht haben: „Meine Güte, die haben aber noch einen weiten Weg, da bin ich mal gespannt, ob das hinhaut.“ Und drei Jahre später haben die dann eine Platte rausgebracht, von der ich nicht glauben konnte, dass es sich dabei um die gleiche Band handelt. Die hatten ein paar bpm runtergeschaltet und offenbar geübt. Heute kennen wir die alle als ZSK. Obwohl ich sagen muss, dass die DONOTS auch von Beginn an schon sehr solide geklungen haben. Die haben Mitte der Neunziger auch schon mit uns gespielt.
Lass uns mal über die damalige Wahrnehmung der Melodic-Hardcore-Bands in der deutschen Szene sprechen. Ich hatte immer den Eindruck, dass SKIN OF TEARS und auch andere Bands wie KILLRAYS oder GIGANTOR nie so richtig von dem Boom des Genres profitiert haben und auch in den einschlägigen Fanzines nicht oder nur wenig stattfanden und etwas stiefmütterlich behandelt wurden.
Aus heutiger Sicht wissen wir, dass man als Band eine sehr engagierte Plattenfirma braucht. Und zwar eine projektbezogene Plattenfirma mit den richtigen Connections. So wie Burning Heart Records aus Schweden, die immer ihre Bands langfristig aufgebaut haben, geschäftstüchtig waren, aber trotzdem im Herzen Punkrocker. Und so ein Label hat es in dieser Größenordnung in Deutschland einfach nicht gegeben. Es gab damals auch seitens vieler Labels wenig Interesse daran, eine deutsche Band mit englischen Texten zu haben. Dann standest du natürlich auch immer in Konkurrenz zu den amerikanischen Originalen und wurdest mitunter als Copy-Core bezeichnet. Obwohl ich das auch so sehe wie du, wir hatten immer auch etwas Eigenes im Sound, man konnte uns schon unter anderen raushören. Unser erstes Label Lost And Found Records war auch eher eins, das auf Masse ging. Die haben gesignt, gesignt, gesignt – in alle Richtungen. Natürlich haben die in der Anfangsphase auch viel Promo für uns gemacht und waren begeistert von der Qualität unserer Aufnahmen. Sonst wären wir auch nicht bekannter geworden. Aber dann haben die den Fehler gemacht, aus uns schnell viel Geld rausziehen zu wollen. Die hatten keinen langfristigen Plan oder eine Strategie, wie man uns weiter aufbaut, zum Beispiel mit einem Video oder dergleichen. Denen ging es darum, mit dem gut laufenden ersten Album viel Umsatz im Mailorder zu machen. Hätten die sich damals mehr mit uns befasst und wäre das fairer abgelaufen, wäre das für beide Seiten bestimmt der bessere Deal gewesen. Aber das entsprach nicht ihrem Geschäftsmodell. Das war wirklich schade!
Und daraus resultierte dann auch die geringe Präsenz in den Szenemedien, das Ox mal ausgenommen?
Für die Situation damals sehe ich das so. Du musst auch zum Zeitgeist passen. Aber das taten wir damals. Wir waren genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort und wir waren jung genug. Mit 24 Jahren war ich damals der Älteste. Mit uns hättest du ja wer weiß was anstellen können. Wenn man clever gewesen wäre, hätte man das riechen und ein bisschen dicker aufziehen können.
Im Laufe der Jahre hat sich die Wahrnehmung geändert, finde ich. Wenn ich sehe, welche Leute heute auf euren Konzerten sind, dann kommen die aus Bereichen der Szene, die euch in den Neunzigern nicht mit dem Arsch angeguckt hätten. Wird mit der Zeit einfach eure Hartnäckigkeit honoriert oder erkennen die Leute quasi in the long run, dass guter Punk nicht nur Geballer und Geshoute sein muss?
Da ist sehr viel Wahres in deinen Vermutungen, glaube ich. Ein Grund ist auf jeden Fall, dass die Szene geschrumpft ist. Wir sind einfach nicht mehr so viele Leute, als dass wir uns heute noch in unterschiedlichen Subszenen bewegen könnten, sonst kommen gar nicht mehr genug Leute auf die Konzerte. Ein Stück Hartnäckigkeit ist auch dabei. Und ich glaube, dass Leute, die uns früher gehört haben und heute härtere Sachen mögen, immer noch kommen, weil SKIN OF TEARS eines ihrer ersten Punk-Konzerte überhaupt waren. Bei einigen von den jüngeren AJZ Bahndamm-Leuten ist das zum Beispiel der Fall. Und schon Lemmy Kilmister hat gesagt, dass man eine Sache nur lange genug machen muss, um eine Legende zu werden. So! Und da merke ich einfach noch nicht genug von, um aufzuhören, haha. Aber ein bisschen Zeit haben wir ja noch. Spaß beiseite. Wir machen unser Booking ja heute komplett alleine, nutzen unsere Kontakte so gut es geht. Ich veranstalte auch selber Shows im AJZ Bahndamm, darüber kommen auch immer wieder neue Kontakte zustande. Eine Hand wäscht die andere. Und so kommen wir momentan gut zurecht. Und wir müssen auch kein schlechtes Gewissen haben, den jüngeren Bands die Slots wegzunehmen, denn junge Bands in unserer Richtung gibt es schlichtweg nicht. Zusammenfassend kann man sagen: Es ist Altersmilde und es ist viel zusammengewachsen. Ist doch gut, wenn man sagen kann: Komm, hier ist die 77er-Punk-Fraktion, hier die Hardcore-Leute, hier die Skater, heute auch ohne Skateboard, und wir alle haben immer noch den gleichen Furz im Kopf. Wir kommen wenigstens noch zu den Shows. In einer Kneipe unterhältst du dich irgendwann auch mit den letzten Anwesenden in der Bar, wenn ansonsten niemand mehr da ist. Ein schönes Bild, oder?
Obwohl in den letzten Jahren auch neue Bands nachgekommen sind wie HEATHCLIFF oder STRAIGHTLINE, die diesen Technik-meets-Arschtritt-Sound machen.
Die kommen uns beiden vielleicht jung vor, sind aber auch schon alle jenseits der dreißig. Mit HEATHCLIFF sind wir mittlerweile auch gut befreundet. Die spielen technisch auf so hohem Niveau, dass ich mir schon fast komisch vorkomme, wenn wir nach denen auf die Bühne gehen. Ich habe mich immer für einen passablen Gitarristen gehalten, aber im Vergleich zu den Jungs ist das gar nichts. Die relativieren das dann und meinen, der Sound hätte in den Anfängen halt so geklungen und sich erst später weiterentwickelt. Das trifft sich gut, weil ich auch gar keinen Bock hätte, mir heute noch neue Techniken auf der Gitarre beizubringen, damit das moderner klingt. Irgendwo ist auch mein Limit erreicht. Und wir wissen alle, warum wir Yngwie Malmsteen hassen. Wir können als SKIN OF TEARS das gut spielen, was wir spielen wollen. Das reicht!
Du machst das Booking selber. Momentan spielt ihr gefühlt wieder sehr viel häufiger als in den letzten Jahren. Klingt nach Stress.
Ja, ich bin auch immer ein bisschen hin- und hergerissen, ob ich etwas davon abgeben soll. Aber ich gehöre nun mal zu den Leuten, die schwer Dinge abgeben können. Außerdem würden das andere nicht mit so einer Leidenschaft und Hartnäckigkeit machen wie ich. Und ich bin auch einfach gerne in Kontakt mit Menschen und habe Bock darauf, selber mit den Leuten zu schreiben. Vorausgesetzt, sie antworten auch.
Das ist wahrscheinlich auch ein Faktor, warum die Melodic-Hardcore-Szene in Deutschland sich nie so richtig entwickelt hat. Es gab keine Booker und keine Labels, die das schwerpunktmäßig bedient haben. Fehlende Infrastruktur. Lost And Found standen primär für NYHC, Wolverine und Vitaminepillen Records haben sich sporadisch mal an dem Thema versucht. Aber alles als Nischendasein. Sbäm ist da aktuell das erste Label, das in dem Bereich ein Profil bildet.
Obwohl Sbäm auch vom Signen her einerseits in die Masse geht und andererseits das verwertet, was bei Fat Wreck und Epitaph vom Knochen abfällt. Und das meine ich jetzt gar nicht abwertend, da sind gute Sachen bei. Bei den von dir genannten Labels waren die dahinter steckenden Leute auch nicht ausnahmslos Feuer und Flamme für diese Musik. Sascha von Wolverine ist eher im Punk’n’Roll zu Hause. Obwohl die „Punk Chartbusters“-Sampler von Wolverine auch eine Menge für die Bands getan haben, darüber wurden viele Leute aufmerksam auf uns. Da tauchtest du dann unter Namen wie TOY DOLLS und DIE TOTEN HOSEN auf, was natürlich super war. Ralf von Vitaminepillen kam zwar als Iropunker aus dem Deutschpunk, hatte aber auch Bock auf unsere Musik. Nach unserem unschönen Weggang von Lost And Found und der anschließenden Labelsuche für das neue Album „Out Of Line“ haben wir auch Ralf ein Demo gegeben. Er kannte uns schon und hatte Bock auf uns, so dass wir dieses Album bei ihm gemacht haben. Der hatte auch BAMBIX auf seinem Label, die zogen ein ähnliches Publikum wie wir.
Ab dem zweiten Album wart ihr auch nur noch zu dritt, nachdem Gitarrist Levi ausgestiegen ist. Warum habt ihr euch damals keinen neuen zweiten Gitarristen besorgt? Eigentlich schrie der Sound eurer ersten Platte nach einer zweiten Gitarre. Schon deshalb, um das live alles hinzubekommen.
Ich verstehe, was du meinst. Aber bei zwei Gitarristen spielst du im Studio doch wieder vier Spuren ein und kannst das live dann trotzdem nicht umsetzen. Ich gebe dir jedoch recht in dem Punkt, dass bei den Soli der Soundteppich fehlt. Den Abstrich muss man machen. Nach der Trennung von Levi mussten wir uns einfach durchbeißen. Das ist nicht gut zu Ende gegangen und von jetzt auf gleich mussten wir zu dritt funktionieren. Wir hatten Gigs gebucht und alles. Und das hat uns extrem zusammengeschweißt, weil wir gesagt haben, wir müssen die ganze Scheiße jetzt irgendwie hinbekommen. Auf der anderen Seite wurde es zu dritt auch unkomplizierter sich abzusprechen. WIZO haben das immer schon gemacht. Die arbeiten auch mittlerweile mit Einspielern. Darüber habe ich mit Axel auf einem Konzert von uns in Stuttgart gesprochen. „Wie, ihr macht jetzt Playback?“, haha. Die haben sich dazu entschieden, um live nicht so viele Abstriche im Vergleich zur Platte machen zu müssen, damit das Songwriting voll zur Geltung kommt. Dann kommt die zweite Gitarre eben vom Band. Moderne Zeiten! Wir haben aber auch viel Feedback bekommen, dass wir mit nur einer Gitarre urwüchsiger und punkiger klingen. Ich spiele ja auch eine sehr tighte Rhythmusgitarre und es ist sehr schwierig, jemanden zu finden, der das genauso exakt spielt. Das finde ich bei unseren Proberaumkumpels VENTURAS übrigens sehr cool. Die beiden Gitarristen spielen sehr deckungsgleich. Es gibt so viele Variablen bei einer Neubesetzung. Du musst jemanden finden, der gut spielt, der menschlich passt, die gleiche Leidenschaft teilt, nicht noch drei andere Hobbys hat oder bei jedem Geburtstag einer Tante Gigs absagt. Ich hätte wohl sogar den Termin für meine Hochzeit verschoben, um einen Gig zu spielen.
Lässt euer Zeitbudget heute eigentlich noch eine Tour zu?
Wir waren vor kurzem noch auf Tour mit den SATANIC SURFERS. Immerhin für sechs Tage. Das war wunderbar. Aber mehr am Stück ist nicht drin. Ich würde total gerne noch mal mehr machen. Aber ich fürchte, wenn ich die Rente durch habe und die Zeit da wäre, ist das Interesse der Veranstalter nicht mehr so groß. Aber ein aktives Alter wie TV Smith und Charlie Harper von den UK SUBS bekommt man ja wohl hin. Dann kommt noch dazu, dass du auf einer Tour unter der Woche an normalen Werktagen auch mal vor zwanzig Leuten spielst. Da überlegst du in unserer familiären Situation und unserem Alter natürlich, ob sich das lohnt, dafür mit der Band loszuziehen. Durch einzelne Auftritte an den Wochenenden sind wir, was die Zuschauerzahlen angeht, auch ein bisschen verwöhnt.
Wie wichtig ist für euch als lang existierende Band die Social-Media-Präsenz? Bei den jüngeren Bands bin ich immer erstaunt, wie aktiv die sind. Alle haben zwei bis drei Videos und man stößt direkt auf einen Linktree mit sämtlichen Socials. Die Menge der Social-Media-Präsenz scheint mit dem Alter des Gesichts zu korrelieren. Vorsicht, Boomer-Alarm: Als ihr angefangen habt, hatten wir kein Internet zu Hause.
Und keine Handys. Soll ich dir mal etwas sagen? Ich habe keine Ahnung! Ich bin nicht einmal bei Instagram. Mit Facebook komme ich klar, das ist seniorengerecht. Da investiere ich auch mindestens einmal pro Woche Zeit und poste etwas. Unsere Zielgruppe erreicht man auch eher über Facebook als bei TikTok. Ich weiß auch nicht, ob wir noch jüngere Leute erreichen. Es wäre nett, ist aber unwahrscheinlich. Und wenn wir jetzt auf den jüngeren Portalen aktiv werden würden, käme das bei den Jüngeren wahrscheinlich genau so schräg rüber wie bei mir, wenn ich mit 15 Jahren irgendwo Werbung von THE SWEET, SMOKIE und MIDDLE OF THE ROAD gesehen habe. Ich sehe mich nicht wirklich in der Position, jetzt noch mit TikTok-Videos anzufangen. Das ist auch zu zeitintensiv. Andi und Christian haben da überhaupt keinen Bock drauf. Die freuen sich immer über meine wöchentlichen Facebook-Posts. Auf mehr habe ich keine Lust. Wo wollen wir denn auch noch hin? Ich habe letztens eine ungewollte Beleidigung von einem sehr netten Menschen bekommen. Der meinte, SKIN OF TEARS seien ja auch eher ein Nostalgie-Thema. Das fand ich gemein, obwohl etwas Wahres dran ist.
Na ja, aber Punkrock an sich ist ja zu weiten Teilen mittlerweile ein Nostalgie-Thema.
Aber das sagt man einem doch nicht so einfach ins Gesicht! Da muss man doch ein bisschen feinfühliger rangehen. Und guck mal: Wenn jetzt THE DAISIES eine neue Platte machen würden, dann würde jeder schreiben, das sei typischer Neunziger-Skatepunk. Egal, wie sie klingt. Das könnte genau der gleiche Sound sein wie von einer frisch gegründeten Band Anfang zwanzig. Egal! Typischer Neunziger-Skatepunk! Aus der Nummer kommst du einfach nicht mehr raus. Aber versteh mich nicht falsch, ich bin immer noch ehrgeizig. Wir möchten nicht als eine Band enden, die nur einmal pro Jahr in ihrer Heimatstadt spielt und sich von immer den gleichen Leuten abfeiern lässt. Ich möchte gerne raus und mir alte Geschichten von neuen Leuten anhören.
Apropos Nostalgie: Euer letztes Album „Fake My Day!“ gefällt mir zusammen mit eurem ersten „Shit Happens“ am besten. Und ich vermute, das ist auch die Folge von musikalischer Reife im ersten Fall und nostalgischen Gefühlen im anderen.
Das ist übrigens auch eine absolute Unverschämtheit, die vier Platten dazwischen einfach zu ignorieren.
„Fake My Day!“ ist deutlich aggressiver als die anderen Alben, was euch gut zu Gesicht steht. War das eine Trotzreaktion auf das Nostalgie-Gerede?
Wir sind keine professionellen Songwriter, die mit einem Konzept an ein Album herangehen. Die Aggressivität kommt wahrscheinlich auch von der sehr gelungenen Produktion. Dieses Album klingt zum ersten Mal wirklich genau so, wie wir das wollten. Die früheren Aufnahmen waren auch okay, aber irgendetwas fehlte immer. Leider gibt es das Studio mittlerweile nicht mehr. Nein, eine bewusste Mittelfinger-Platte war „Fake My Day!“ also nicht. „Out Of Line“ war das schon eher, weil wir da unsere Songs nicht nach dem Kriterium „Ist das noch Punkrock?“ ausgewählt, sondern viel experimentiert haben. Das ist auch das Album von uns mit der größten musikalischen Breite. Da ist alles drauf, von WEEZER-Einflüssen bis Hardcore.
Wie geht es jetzt weiter? Veröffentlicht ihr noch etwas? Live habt ihr neulich einen neuen unveröffentlichten Song gespielt.
Der ist auch ziemlich hart, unser Schlagzeuger Andi steht auf die kurzen, harten Songs. Ich bin eher für die Tralala-Songs zuständig. Wir sind beide Ego-Schreiber. Jeder macht seine Songs separat und die anderen müssen die dann spielen. Wir mögen die aber natürlich alle. Momentan bin ich nicht sonderlich von der Muse geküsst, mir fällt gerade nicht viel ein, daher stagniert das mit dem Songschreiben und einem neuen Album ein bisschen. Eigentlich wollen wir noch ein Album machen. Da „Fake My Day!“ so gut war, liegt die Messlatte leider sehr hoch. Das setzt mich ein bisschen unter Druck.
Ist dieses Denken in Alben nicht auch so ein Generationen-Ding? Muss man im Social-Media- und Playlisten-Zeitalter überhaupt noch Alben machen? PRIMETIME FAILURE zum Beispiel hauen alle paar Jahre eine EP mit sechs bis acht Stücken raus und fahren damit wunderbar.
Ich bin immer noch ein Freund von physischen Tonträgern, aber damit der Letzte aus unserer Band. Es kam zwischendurch von den anderen schon mal die Idee, einzelne Songs rauszubringen. Aber ich möchte eben gerne etwas in der Hand halten. Eine EP hätten wir ja schon zusammen, allerdings sind wir auch nur noch sechs oder sieben Stücke von einem ganzen Album entfernt. Wir werden sehen!
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Diskografie
„Shit Happens“ (LP/CD, Lost And Found, 1995) • „Up The Cups“ (CD, Rubble The Cat, 1999/LP 2022) • „Out Of Line“ (LP/CD, Vitaminepillen, 2001) • „After Eighties“ (CD, Vitaminepillen, 2002) • „Ass It Is“ (CD, Vitaminepillen 2003) • „Fake My Day!“ (LP/CD, Rubble The Cat, 2016)
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