SKEEZICKS

Foto© by Anne Ulrich

Als Hardcore neu war

Wer Mitte/Ende der Achtziger in (Süd-)Deutschland Hardcore-sozialisiert wurde, der erlebte nicht nur eher seltene Auftritte von tourenden US-Bands, sondern schwitzte in kleinen Jugendzentren irgendwo in der Provinz bei Konzerten von Bands wie SPERMBIRDS und eben SKEEZICKS. Die kamen aus Nagold, einer Kleinstadt am Rande des Schwarzwalds, eine Autostunde südwestlich von Stuttgart. Bassist der SKEEZICKS war Armin Hofmann, der bis heute zusammen mit Ute X-Mist als Mailorder und Label betreibt. Anlässlich der Veröffentlichung der Doppel-LP-Werkschau „Discography 1985-1987“ auf Refuse Records befragte ich Armin, wie das damals eigentlich alles so war.

Armin, wie bist du damals auf Punk aufmerksam geworden?

Aufmerksam geworden auf Punk bin ich durch meine Leidenschaft für Rock- und Popmusik. Während meiner Teenagerzeit stand ich unter dem Einfluss zweier älterer Schulfreunde, die versuchten, mich musikalisch zu sozialisieren ... Den beiden gelang es sogar, mich dazu zu überreden, mit ihnen in einer Band zu spielen und mir eine Bassgitarre zu kaufen. Außerdem versuchte ich wohl auch mit meinem jüngeren Bruder Andy mitzuhalten, der so was wie ein Naturtalent war und schon als Kleinkind auf Schüsseln und Kartonagen herumtrommelte. Andy bekam zum zehnten Geburtstag ein Schlagzeug und ich wollte wohl beweisen, dass in mir auch ein Talent schlummert – was sich im Nachhinein als recht limitiert rausstellte ... Jedenfalls probten wir mit dieser Band ein paar Mal und hatten sogar einen Auftritt bei einem Schulfest. Mir war das alles eher peinlich, da die Versuche der anderen, mich für Bands wie DEEP PURPLE, CREAM und so weiter zu begeistern, nicht so recht fruchten wollten. Ich hatte versucht, das Zeug gut zu finden, aber gelingen wollte mir das nicht. Zumal zeitgleich auch die ersten Berichte über Punk auftauchten.

Und die haben dich sofort fasziniert?
Für meine Kollegen war das furchtbar blöder und billiger Dreck, aber heimlich und ohne es zugeben zu wollen, fand ich das wesentlich cooler als diesen mir unzugänglichen progressiven Rock. Also beschlossen, wir die Band nach diesem besagten ersten Auftritt auch gleich wieder aufzulösen, da wir musikalisch auf keinen gemeinsamen Nenner kamen. Die Bassgitarre stellte ich beiseite, wurde aber dankenswerterweise von meinem Bruder in Beschlag genommen, der dann bei uns zu Hause anfing, mit unserem Doppelkassettendeck und einem Mikro im Mehrspurverfahren eigene Sachen aufzunehmen. Mit seinem Schlagzeug, meinem Bass, einer aus einem Holzbrett und Pickup selbstgebastelten Art von Gitarre und was sonst noch in unserem gemeinsamen Zimmer so herumlag. Was mich an Punk begeisterte, war diese Befreiung und Selbstermächtigung, die darin mitschwang. Zum einen von der mir aufoktroyierten Musiksozialisation durch die älteren Freunde, aber eben auch im Großen und Ganzen. Endlich gab es etwas, das mir vermittelte, dass ich nur meinen Gefühlen und Bedürfnissen folgen muss und nicht den Regeln und Vorgaben der „peer group“, geschweige denn, dass ich deren Werturteile zu befolgen hätte. Ich fühlte mich schon immer irgendwie als ein Außenseiter. Das ist kein schönes Gefühl für einen Teenager, der eigentlich „dazugehören“ möchte. Aber dieses Punk-Ding vermittelte das, was mir fehlte: Selbstbewusstsein und Stärke eben genau darin zu sehen und zu finden, ein Außenseiter zu sein.

Und was hat die Band-Pläne konkretisiert?
Auslösendes Moment, den Bass dann doch wieder in die Hand zu nehmen, war ein Auftritt von KLEENEX in einer Sendung des Schweizer Fernsehens. Da war ich völlig baff und fasziniert: Einerseits waren die – technisch betrachtet – echt nicht sonderlich gut, aber andererseits so voller Überzeugung, Energie und Selbstbewusstsein, dass ich mir dachte: Das ist ja voll der Schrott, aber so unfassbar geil! Das will ich auch! Natürlich musste ich dann auch recht schnell erkennen, dass es sich mit diesem Punk genauso verhält, wie mit allen Ereignissen der Geschichte: Die Rebellion des Punk, die mir gerade recht kam, um endlich all das scheiße finden zu können, was ich in Wirklichkeit auch scheiße fand, verlief wie jede Revolution tragisch und wurde recht schnell zur Farce. All die Motive und Ideen wie „No more heroes“, „Kill your idols“ oder „No rules“ befreiten mich, aber schon manifestierten sich neue Regeln dafür, wie Punk zu klingen und auszusehen hatte. Einerseits war Punk also sofort wieder tot. Aber andererseits eben auch die größte und schönste und beste prägende Lebenserfahrung überhaupt. Nicht nur für mich, sondern eben auch für viele andere, die darin nicht nur einen anderen Musikgeschmack und eine entsprechende Mode sahen, sondern auch die bereits erwähnten Ideen und Vorstellungen für sich mitnahmen und umsetzten. Mit diesen Schwestern und Brüdern im Geiste konnte und kann man sich, kann ich mich dann auch noch alle folgenden Jahre und Jahrzehnte verbinden.

Wie hat sich dein diverses Szene-Engagement dann entwickelt? Mit ExtremMist und dann X-Mist hattest du bald schon einen Mailorder und ein Label, in Nagold fanden dann auch Konzerte statt.
Während meiner Studienzeit in Tübingen fand ich sofort Zugang und Einstieg in die dortige Punk/New-Wave-Szene. Das kleine ExtremMist-Kassettenlabel hatte ich zu der Zeit schon gegründet, erste Kontakte geknüpft und auch ein Fanzine gemacht. Abgesehen von Konzerten, waren Fanzines in der Prä-Internet-Zeit das Medium schlechthin. Die Heftchen wie auch das Tapelabel dienten ja nicht nur der Propagierung von neuer Musik, sondern auch zur direkten Kommunikation und Kontaktherstellung. Zur gleichen Zeit ging mein Bruder auf die Berufsschule in Nagold und fand dort Anschluss an den kleinen Haufen Nagolder Punks. So entstand die Idee, Konzerte im Nagolder JuZ zu organisieren – allerdings gegen den Widerstand des Sozialarbeiters. Aber wir kaperten einfach die Musik-Veranstaltungs-AG und setzten unsere Vorstellungen durch. Aufgrund der vielen Kontakte, die ich bereits im Laufe der Jahre durch Fanzines und Label, das ich dann der Einfachheit halber in X-Mist abkürzte, erworben hatte, machten wir in Nagold zuerst ein Konzert mit TOXOPLASMA und danach wagten wir uns gleich an ein Kaliber wie D.O.A. Und zu unserer eigenen Überraschung und großen Freude lief das alles großartig.

Wie habt ihr es geschafft, sogar internationale Bands in die Provinz am Rande des Schwarzwalds zu locken?
Es zeigte sich, dass Nagold eine geografische Glückslage hatte: Auftrittsorte für diese neuen Hardcore-Bands waren in Europa noch rar gesät. Es gab aber bereits blühende Szenen in Norditalien und Amsterdam – und Nagold lag genau in der Mitte. So hatten wir nicht nur die Möglichkeit, mit den tourenden Bands aus beiden Ländern in Nagold Konzerte zu veranstalten, sondern Nagold wurde bei deren Reisen zu einer Zwischenstation, auch ohne Konzerte. Wir mussten gar nicht hinaus in die große weite Welt, denn die Welt kam zu uns. Wir mussten also auch gar nicht aus der Provinz in eine Großstadt flüchten, um Punk leben oder – wie in den meisten Fällen – konsumieren zu können. Wir machten es selbst, wurden zu einem vitalen Bestandteil einer weltweit neu entstehenden Hardcore-Szene und entwickelten daraus eine Art von Selbstbewusstsein und Stärke. Manchmal hatten wir sogar das vielleicht etwas arrogante Gefühl, dass in dieser Hinsicht in Nagold mehr los war als in Hamburg oder Berlin.

Sprechen wir über die SKEEZICKS: Wer hatte die Idee zu eurem Namen? Wie war die Besetzung der Band? Und wo habt ihr geprobt?
Die Idee zur Band überhaupt kam von Sunny, der gerne Sänger gewesen wäre. Fehlte noch ein Gitarrist, den wir in Carsten fanden. Ein alter Bekannter von Sunny, der sich auch im Umfeld des JuZ tummelte. Unser zweiter Gitarrist Marc war wiederum ein Freund von Carsten und stieß erst später dazu. Auf den Namen SKEEZICKS war ich während meines Amerikanistik-Studiums gestoßen. Angeblich ein alter, aus den 1930er Jahren stammender und nicht mehr gebräuchlicher Begriff im Amerikanischen für Taugenichtse. Das fand ich ganz passend für eine Band ohne jegliche Ambitionen. Als Proberaum nahmen wir dann den mehr oder weniger ungenutzten Gewölbekeller des Nagolder JuZ in Beschlag. Den renovierten wir in Eigenarbeit und es fanden darin dann sogar Konzerte statt, etwa mit GOVERNEMNT ISSUE, HERESY, aber vor allem die legendäre Release-Party für die erste LP der SPERMBIRDS.

Die Chaostage 1984 in Hannover waren damals für viele ein einschneidendes Erlebnis. Wie sind deine Erinnerungen?
Mag sein, dass es den einen oder die andere in der Nagolder Szene gab, die sich auch da hingezogen fühlte, aber für mich waren die Chaostage total irrelevant. Mir ist schon klar, dass das so eine Art von europaweiter Kontaktbörse sein konnte. Aber die Aspekte von wegen „Oktoberfest für Punks“ und das Schlachtengetümmel mit der Polizei, um sich dann hinterher als Opfer der bösen Staatsgewalt stilisieren zu können, stießen bei mir auf keinerlei Interesse.

Wie hast die damalige Abspaltung der Hardcore-Szene von der Punk-Szene in Erinnerung? Auch optisch war das ja ein Bruch mit der Punk-Optik: Skaterschuhe statt Springerstiefel, Flanellhemd statt Lederjacke, kurze Haare und Bandanas statt bunter Iro. Slamdancing statt Pogo.
Ein Bruch oder eine Abspaltung war wohl nicht bewusst gewollt, aber sehr wahrscheinlich eine zwangsläufige Entwicklung. Punk war längst in seinen selbstgeschaffenen Regeln erstarrt. Aber nicht nur die Stagnation forderte zum Widerspruch heraus, auch das immer stärker werdende selbstzerstörerische negative Element im Punk der frühen Achtziger Jahre. Punk war aus dieser Perspektive betrachtet schon lange tot und Hardcore hauchte dem Ganzen eine neue Entwicklung und neuen Sinn ein. Natürlich wollte man diese Veränderung auch an Äußerlichkeiten und Verhaltensweisen erkennbar machen. Was letzten Endes wiederum auch nur zu einem erneuten Regelwerk und Dresscode führte. Dresscodes und musikalische Schablonen kann man aufgreifen und nachahmen, ohne eine dazugehörige Geisteshaltung oder Ideale, so dass logischerweise auch Hardcore irgendwann als Kopie seiner selbst enden musste.

Heute wird der Status von Musikerinnen in der Punk-Szene stark diskutiert. Wie männlich/machistisch oder emanzipatorisch hast du die damalige Szene wahrgenommen?
Aufgrund meiner eigenen Geschichte und Wahrnehmung kann ich für mich konstatieren, dass ich die Punk-Szene als total emanzipatorisch empfunden habe! Das fing schon mit KLEENEX an, dazu die SLITS, aus den USA die BUSH TETRAS, NOH MERCY und viele viele mehr. Im Zuge der aktuellen Diskussion hatte ich mal auf Facebook einen Kommentar gelesen, dass es so wenig Frauen gäbe, die in Punkbands spielen. Worauf ich versucht habe, für mich gedanklich eine Liste zu erstellen von etwa hundert Punkbands, die ich in letzter Zeit gut fand – und siehe da: In mehr als 90% dieser Bands sind/waren Frauen. Im Prinzip ist es heute genauso, wie es damals war: Wer auf Bands steht, die machistische Männlichkeitsfantasien als Teil ihrer DNA aufweisen, muss sich nicht wundern, dass dort keine Frauen zu finden sind. Und wenn einem dann Musik ohne diese Bullshit-Attitüde zu wenig „knallt“ und nicht interessiert, stößt man eben auch nicht auf die endlos vielen Bands von und mit Frauen. Ob nun beim Ruhrpott Rodeo oder bei Rock am Ring zu wenig Frauen vertreten sind, läuft für mich aufs selbe raus: Beide Veranstaltungen interessieren mich nicht die Bohne!

Exzessiver Alkohol- und Drogenkonsum war in der Punk-Szene damals ein Problem. Wie hast du das erlebt? War die Band und deren immer wieder erwähnte Straight-Edge-Einstellung also eine direkte Reaktion darauf?
Um mal mit einem populären Missverständnis aufzuräumen, das damals kursierte und sich dann auch hartnäckig hielt: SKEEZICKS waren nie und nimmer eine Straight-Edge-Band. Musikalisch waren wir stark beeinflusst von Bands wie NEGATIVE APPROACH, den frühen 7 SECONDS und den ganzen „Flex Your Head“-DC-Bands. Aber dem Alkoholkonsum waren alle von uns zugeneigt und mehr oder weniger wurde auch gekifft in der Band. Was unsere oder meine Einstellung zu Alkohol- und Drogenkonsum angeht, waren die SKEEZICKS also nicht dagegen. Lediglich eine Gegenreaktion auf negative Exzesse, deren Zerstörungswut sich nicht nach außen richtete, sondern sinnloserweise auf Punk- und Hardcore-Konzerten zelebriert wurde. Da haben wir so manchen besoffenen „Punk“ handgreiflich vor die Tür gesetzt. Was uns oberflächlich wohl diesen falschen Ruf bescherte.

Habt ihr oft in anderen Städten und auch dem Ausland gespielt?
Durch die vielen internationalen Kontakte haben wir auch sehr viel im Ausland gespielt. Vor allem in Belgien und den Niederlanden. Auch in der Schweiz und Dänemark. In Deutschland sind wir auch sehr viel rumgekommen. Wenn ich mich recht entsinne, dann haben wir nur Berlin und den Ruhrpott ausgelassen ...

Wie hast du die Aufnahmesituation in Erinnerung?
Keiner von uns hatte zu dem Zeitpunkt Erfahrungen damit und wir waren den Mischern quasi hilflos ausgeliefert. War aber nicht so schlimm, mit wenigen Ausnahmen waren die Studio-Mischer durchaus hilfsbereit, auch wenn wir so gut wie gar nicht in der Lage waren, unsere Vorstellungen in „Technikersprache“ zu übersetzen. Zufrieden war ich jedenfalls nie mit den Aufnahmen.

Welche Aktionen, Konzerte etc. sind dir in besonderer Erinnerung geblieben?
Da gäbe es so viele Anekdoten zu erzählen. und je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr fallen mir ein. Aber exemplarisch für die Bedeutung der SKEEZICKS dürfte wohl der Auftritt bei jenem ominösen Straßenbahndepot-Festival in Lorsch gewesen sein. Dort kam es zu einem echten „clash of the cultures“, wo massenhaft besoffene und zugedröhnte Punks ihrem (Selbst-)Zerstörungswahn freien Lauf ließen und gleichzeitig diese neue Generation an Hardcore aus halb Europa in genauso großer Menge auflief. Offensichtlich hatten sich letztere die SKEEZICKS als ihre Role Models und Identifikationsband auserkoren, so dass unser Auftritt in einer Art von Demonstration und Manifestation dieser neuen Szene kulminierte.

Hast du das Gefühl, dass eure Texte immer noch aktuell sind? Oder gibt es Texte beziehungsweise Songs, die du so heute nicht mehr schreiben oder auch spielen würdest?
Die Existenz der Band war sehr auf die damalige Zeit und ihre Verhältnisse bezogen. Das spiegelt sich dann auch in den Texten wider. Natürlich würde ich die heute so nicht mehr schreiben und spielen. Wäre ja schlimm, wenn ich in all den Jahren nichts dazugelernt hätte.

Wann war es dann vorbei mit der Band – und gab es Reunions?
Aufgelöst hatten wir uns relativ kurz nach Erscheinen der „Selling Out“-LP. Das Abschiedskonzert fand am „Dorschberg“ bei Wörth am Rhein statt, das war wohl im August 1987. Die Initiative ging wohl von mir aus, da ich das Gefühl hatte, dass es in dieser Konstellation nicht mehr vorwärts geht, alles gesagt und getan ist und wir nur noch stagnieren würden. Ich glaube, Sunny hat mir das damals sehr übel genommen und es hat lange gebraucht, bis wir uns wieder einigermaßen nähern konnten. Das führte dann auch zu diesem einmaligen Reunion-Konzert in Wertheim im März 1991, zusammen mit SLAPSHOT und CHARLY’S WAR. Das war noch mal ein unfassbar tolles und unvergleichliches Erlebnis, weshalb es auch besser einmalig geblieben ist. Für uns und das Publikum war es wahnsinnig intensiv.

Bist du heute noch musikalisch aktiv? Wie sieht es mit deinen früheren Bandkollegen aus? Machen die noch Musik, habt ihr noch Kontakt?
Mein Bruder und ich sind beide nicht mehr musikalisch aktiv. Sunny ist verstorben. Marc ist schon vor Jahrzehnten weggezogen und der Kontakt zu ihm abgebrochen. Carsten ist aber nach wie vor musikalisch aktiv, allerdings in ganz anderen Gefilden – Dub, Electro, etc. – und ist damit sogar viel erfolgreicher, als es die SKEEZICKS jemals waren, jedenfalls in kommerzieller Hinsicht.

Im Rückblick: Wie war es für dich, in den Achtzigern in einer Punk/Hardcore-Band gespielt zu haben?
Es ist das Beste, was mir in meinem Leben passieren konnte! Die Entstehung von etwas Neuem in seiner Zeit erleben zu dürfen und darüber hinaus auch noch aktiv beteiligt zu sein, ist eine Erfahrung, die sich mit nichts anderem vergleichen lässt. Dass Hardcore letztlich auch zu einer Farce wurde, spielt dabei keine Rolle. Wie schon gesagt, ist das nun mal der zwangsläufige Gang der Geschichte. Das Scheitern ist ein Teil des Ganzen. Ich glaube, es war Sartre, der sagte, dass man sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen muss. Ich versuche eben auch, diesen Stein immer wieder aufs Neue den Berg hinauf zu rollen, und bin damit glücklich und keineswegs verbittert, wie mir manche Menschen, die mich nie im Leben getroffen haben, unterstellen wollen.

Aktuell erscheint eine Komplett-Diskografie der SKEEZICKS auf Refuse Records. Wie kam es dazu, und warum hast du, habt ihr eingewilligt, euer musikalisches Vermächtnis aufzubereiten und die Band so ein Stück weit vor dem Vergessen zu retten?
Ich selbst brauche das nicht. Ich hab’s erlebt und auch nicht vergessen, es ist und bleibt ein Teil meiner Geschichte. SKEEZICKS habe ich immer als ein Phänomen betrachtet, das nur im historischen Kontext wirklich funktioniert hat und auch dementsprechend verstanden werden muss. Ob das für andere dann Jahrzehnte später noch nachvollziehbar ist, kann ich nicht beurteilen. Wenn Robert von Refuse Records darin einen Sinn erkennt, dann darf er das machen. Ich maße mir nicht an, ihm das absprechen zu wollen.

Helge Schreiber fand, so erzählte er im LP-Booklet, in der Erbmasse des 2017 verstorbenen Hageland Hardcore Records-Machers Werner Exelmans 2020 das originale Masterband der „Selling Out“-LP. Wie lief die Aufbereitung der alten Bänder ab?
Das stimmt so nicht ganz. In der Erbmasse von Werner Exelmans befand sich nur eine kleine Tonbandspule mit zwei Songs, die wohl mal für eine Compilation gedacht waren. Die Aufbereitung der LP- und EP-Bänder hatte ich selbst bereits im Jahr 2000 in einem Studio vornehmen lassen. Damals löcherte mich dieser Yann Boislève aus Frankreich permanent damit, dass er eine Diskografie-CD der SKEEZICKS herausbringen möchte. Letztlich hatte ich eingelenkt, aber unter der Bedingung, dass auf dieser CD auch die Aufnahmen der Nachfolge-Band HAPPY EVER AFTER drauf sein müssten. Die betrachte ich viel mehr als mein persönliches „künstlerisches Vermächtnis“.

---

Live in Nagold Es war ein wahres Vergnügen, SKEEZICKS live spielen zu sehen, auch wenn ich sie nur ein paar Mal gesehen habe. Aber diese Gelegenheiten waren wirklich erstaunlich, denn die Jungs auf der Bühne brachten das Publikum zum Ausrasten! Sie wussten wirklich, wie sie die Spannung im Pit anheizen konnten, und ihr Sänger Sunny war sehr beeindruckend. Ihre Musik war nichts anderes als pure Power. Keine komplizierten Songstrukturen – nur einfacher Stop & Go-Hardcore-Punk, was uns in den ersten Reihen vor der Bühne gut gefiel.
Ich bin damals mit Armin Hoffmann wegen seines Fanzines in Kontakt gekommen, und er war leicht als einer der Hauptakteure eines kleinen Freundeskreises in Süddeutschland zu identifizieren, der eine sehr coole DIY-Hardcore-Punk-Szene aufgebaut hat. So erfuhr ich, dass Armin in seiner Heimatstadt Nagold eine Show mit seiner Band SKEEZICKS sowie HOSTAGES OF AYATOLLAH aus NRW, mit denen ich damals regelmäßig abhing, auf die Beine stellte. Diese Show zu besuchen, war wahrscheinlich die komplizierteste Reise, die ich je gemacht habe, da ich damals kein Auto hatte. Also nahm ich für die 450 km lange Reise den Zug nach Stuttgart, was ziemlich einfach war, aber mit dem Bus von Stuttgart nach Nagold dauerte es fast so lange wie die Zugfahrt davor.
Die Live-Energie der SKEEZICKS war so intensiv, dass ich nicht glauben konnte, was ich da sah. Natürlich fand ihre Show auf heimischem Terrain statt, also wurde das Publikum richtig wild. Adrenalin pur! Beide Bands waren an diesem Abend wirklich gut, so dass der ganze Club am Ende der Show völlig erschöpft war. Den Rest der Nacht verbrachten wir in einer nahegelegenen Burgruine im Wald. Manchmal triffst du einen Haufen cooler Leute, die du nie vergessen wirst. Bis heute stehe ich ab und zu mit Armin in Kontakt und bin immer noch gespannt, was er mit seinem X-Mist-Label macht.
Später sah ich SKEEZICKS bei einer ihrer Shows in Scherpenheuvel in Belgien, der Heimatstadt von Werner Exelmans, der Hageland Hardcore Records betrieb. Werner war ein cooler Typ, der Shows und Touren buchte, ein Fanzine herausgab und Platten auf seinem Label veröffentlichte. Werner hat die SKEEZICKS-LP „Selling Out“ mitveröffentlicht. Seine Version ist leicht an dem blauen Coveraufdruck zu erkennen. Werner Exelmans ist 2017 viel zu früh an Krebs gestorben. Die Überreste dieses Plattenlabels waren in einer Scheune gelagert, die Marcel Janssens gehörte, der in den Achtziger Jahren bei Hageland Hardcore Records mitgeholfen und auch einige der Platten finanziert hatte. Als ich Marcel in Belgien besuchte, zeigte er mir die gelagerten Überreste, denn ich war neugierig. Unter den Stapeln alter Platten (die späteren Hageland Hardcore Records-Veröffentlichungen, nichts von den frühen Sachen) befanden sich auch fast alle Original-Masterbänder/Studiokassetten.
Helge Schreiber