Ska Pack Vol. 9: INNER TERRESTRIALS, SUICIDE BID, AUTONOMADS,BLACK STAR DUB COLLECTIVE

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Dubpunk: Wo libertäre Ideen mit der revolutionären Punk- und Reggae-Philosophie zusammentreffen

Immer wieder komme ich auf die Bands zurück, die mich ursprünglich für Punkrock, Reggae, Ska und 2Tone begeisterten: allen voran natürlich THE CLASH, THE RUTS, THE SPECIALS und etwas später RADICAL DANCE FACTION, AOS3, aus denen dann PROPAGANDA AND INFORMATION NETWORK(P.A.I.N.) wurden, oder CULTURE SHOCK, STRIKNIEN D.C., SCUM OF TOYTOWN, um nur einige wenige wichtige Bands dieses Genres zu nennen. Noch immer gibt es einige Bands fernab der poppig-eingängigen und zeitweise kommerziell erfolgreicheren Skapunk-Variante, die vor allem in den Neunzigern und zum Großteil von amerikanischen Bands gespielt wurde. Die subtil-aggressive Mischung aus Reggae und Dub, gepaart mit (Anarcho-)Punk mit seinem typisch englischen Charakter hat es mir besonders angetan, so dass ich euch in diesem Beitrag vier Bands aus London und Manchester vorstellen möchte. Neben ihren musikalischen Eckdaten möchte ich vor allem ihre Philosophie und ihr politisches Engagement hinterfragen, schließlich steckt bei solchen Bands in der Regel ein weitaus größerer ethischer Ansatz dahinter, als die Musik auf den ersten Blick verrät.

Starten wir mit der ältesten und wahrscheinlich bekanntesten Truppe: INNER TERRESTRIALS, gegründet im Februar 1994 im Süden Londons von Sänger und Gitarrist Jay sowie Bassist, Sampledesigner und Sänger Fran. Jay erinnert sich noch begeistert an die Zeit, in der alles anfing: „Zwei Jahre lang kämpften wir gegen die Criminal Justice Bill [ein 1994 vorgeschlagener Gesetzentwurf, in dem neben Themen wie Kinderpornografie, obszönen Anrufen und Homosexualität auch striktere Regelungen und das Verbieten repetitiver Musik, beispielsweise auf Raves, behandelt wurde]. Damals war dieser unglaublich kraftvolle Gemeinschaftsgedanke, die Idee von Freiheit und Anarchie in der Untergrundszene allgegenwärtig. Und das alles kurz nach der Regierung Thatchers und den „Poll Tax“-Auseinandersetzungen. Soundsystems schossen wie Pilze aus dem Boden und anarchistische Bewegungen und Umweltaktionen waren so aktiv wie nie zuvor. Der Protest auf der Straße war nie mehr so präsent wie damals. Jeden Tag gab es irgendwo Aktionen und Demonstrationen oder wurde irgendwo ein Haus besetzt. Außerhalb Londons gab es zahlreiche illegale Festivals.“

Soviel zu den Anfangstagen von INNER TERRESTRIALS, die in dieser Zeit auch mit einigen Besetzungswechseln zu kämpfen hatten. Seit 1996 ist Paco fest am Schlagzeug dabei, der vorher bei CONFLICT trommelte. Gerade haben INNER TERRESTRIALS mit „Tales Of Terror“ auf Maloka ihr drittes Album veröffentlicht, hierzu Jay: „In unserem tiefsten Innern regt sich immer noch Widerstand gegen jegliche Art von Unterdrückung und wir rebellieren gegen Dogmen. Unsere aktuelle Platte befasst sich unter anderem mit dem Klima der Angst, das von Regierungen und Medien geschaffen wird, dem Waffenhandel, dem Geschäft mit dem Krieg, Religion, Nationalismus sowie negativen Aspekten von Rauschgift wie etwa Ketamin oder Crack. Aber auch unsere Beziehung zur Natur und Umwelt wird hinterfragt und offengelegt, dass es eine Chance gibt, Dinge zum Besseren zu wenden, wenn wir kreativ und positiv im Handeln bleiben und uns nicht verbiegen lassen. Praktisch bedeutet das, uns Dinge ganz bewusst zu machen. So bestehen wir darauf, dass unsere Produkte fair und bio produziert werden. Immer funktioniert das leider nicht. Außerdem zählt bei uns in erster Linie noch das Wort, so dass wir in den meisten Fällen auf schriftliche Verträge verzichten. Von den Majors halten wir nichts.“

Im künstlerischen Sinne jedoch haben Worte für Jay eine ganz andere Bedeutung. „Sind nicht Texte, Gedichte und so weiter Ideen, Gefühle, Konzepte, gesammelte Energie in Worte gefasst, die jeden Hörer auf ganz individuelle Weise packen und und bewegen können und auch sollen? Nur weil ich auf der Straße, in illegal besetzten Häusern und Camps gelebt und mich für was auch immer eingesetzt habe, wäre meine Aussage darüber nicht genauso wichtig, wenn ich stattdessen in einer Wohnung gelebt und mir meine Gedanken in Form von Texten als interessierter Beobachter der Welt gemacht hätte? Für mich hätten sie dennoch Bedeutung!“

Bands der ersten Stunde wie THE CLASH schrieben in ihren Texten sehr kritisch über tagesaktuelle Themen, waren aber dennoch viel zu sehr mit dem Musikgeschäft, der Mode und dem Hype beschäftigt. D.I.Y.-Bands wie CRASS, SUBHUMANS oder ANTI-SYSTEM bezogen sich damals schon auf andere, weniger populäre Themen wie Nachhaltigkeit, Tierschutz oder Vegetarismus, was in der autonomen, anarchistischen oder libertären Bewegung schon immer bewusst versucht wurde umzusetzen. Jay sieht in diesen Entwicklungen auch die einzige Möglichkeit einer dauerhaften Veränderung.

Er gibt hierzu noch die eine oder andere Anregung: „Ganz wichtig erscheint mir der richtige Umgang mit Autorität im Allgemeinen. Teile ihnen nie deinen Namen mit, wenn sie diesen von dir einfordern. Lerne von der Natur, welche Pflanzen du essen und was davon du medizinisch für Mensch und/oder Tier verwenden kannst. Lebe deine Kreativität, mache deine eigenen Erfahrungen, probiere aus, lasse dir dabei helfen und hilf anderen, zeige dich solidarisch mit anderen Menschen und kämpfe für deren Rechte. Bewahre dir eine gewisse Skepsis großen Organisationen gegenüber. Viele von ihnen maskieren sich als Anarchisten oder Anti-Globalisierungs-Gruppen, haben aber selbst ihre ganz eigenen festen Strukturen. Wenn dir jemand über den Weg läuft und dir erzählen will, er habe die Antworten auf alle deine Fragen, dir diese aber nicht in einfachster und transparenter Form geben kann, dann ist das wahrscheinlich nur ein großer Scheißhaufen, der dich auch nur kontrollieren will. Bleibe einfach du selbst, widerstehe Rassismus, Sexismus, Kapitalismus und jeglicher Unterdrückung.“

Zum Abschluss sei noch darauf hingewiesen, dass INNER TERRESTRIALS im Juni und Juli auf Europatournee sind und auch auf diversen Festivals zu sehen sein werden.

innerterrestrials.co.uk

Kommen wir nun zu SUICIDE BID, über deren drittes, bereits fertiggestelltes Album wir uns wahrscheinlich noch in diesem Jahr freuen dürfen, und vielleicht auch auf das eine oder andere seltene Konzert hierzulande. SUICIDE BID ist nämlich keine Band im herkömmlichen Sinne, es ist eine Art Kollektiv. Hier sind nämlich neben Jay von INNER TERRESTRIALS einige (ehemalige) Mitglieder der Bands FILAMENTS, SONIC BOOM SIX, KING BLUES, P.A.I.N., EX-CATHEDRA, THE SKINTS, THE BIG und KING PRAWN beteiligt (ohne Anspruch auf Vollständigkeit der weniger bekannten oder bereits nicht mehr existierenden Bands). Jonathan Fawkes, Sänger und Gitarrist des musikalischen Zirkels SUICIDE BID, der seit Anfang 2005 aus mittlerweile mehr als 20 Leuten in wechselnder Besetzung besteht und zwischen London und Manchester und darüber hinaus „arbeitet“, mailte mir seine Ansichten, wie und wo er sich selbst mit SUICIDE BID sieht.

„Wir sind ein Haufen zusammengewürfelter Freunde, die sich durch die Aktivitäten der anderen Bands kennen gelernt haben und deren Basis Punkrock ist. Offensichtlich haben Punk und Reggae eine ganz ähnliche Geschichte, so dass es in den letzten Jahrzehnten immer wieder Bands gab, die sich beiden Musikrichtungen widmeten. Fakt ist doch, dass beide Genres als ,rebel music‘ betrachtet werden. Punkrock ist Musik, die für jeden Platz bietet, und Reggae besitzt das gewisse Etwas, den Außenseiter ein bisschen mehr aus diesem Abseits zu bekommen, deshalb ergänzen sich beide Stile so gut und gehört hier politisches Bewusstsein zum Selbstverständnis. Aber grundlegend geht es bei SUICIDE BID um den gemeinsamen Kampf um soziale Gerechtigkeit – und natürlich ums Feiern. Wir wollen Menschen zusammenbringen, die gemeinsam etwas erleben und Gemeinschaft leben wollen. Das sind auch die Schwerpunkte in unseren Texten, die ganz persönliche Situationen darstellen: wo stehe ich in Zeiten der Rezession und all den anderen Veränderungen, in denen jeder mit sich selbst beschäftigt ist und das Beste aus der Situation zu machen versucht. Musik kann Menschen begeistern, was auch ein kleiner Beitrag zur Veränderung sein kann. Und jeder kann selbst Entscheidungen treffen, die sich im Umgang mit Mitmenschen und der Umwelt positiv auswirken.“

Mir war klar, dass ich mit meiner Frage nach ethischer Eigenverantwortung ein heißes Eisen aufgegriffen habe. Jonathans Aussagen sind jedoch nachvollziehbar, haben wir doch alle die freie Wahl. Und so utopisch manche Forderungen aus autonomen und libertären Kreisen auch sein mögen, der Gedanke führt bereits zu einer Veränderung und einem anderen Umgang mit der hinterfragten Thematik.

myspace.com/suicidebid

Das sind erste Schritte, die eine noch relativ junge Dub-Punk-Ska-Band namens AUTONOMADS aus Manchester ein Stück weit verinnerlicht haben und praktizieren. 2007 gegründet, halten sie an ihren autonomen und libertären Ideen fest. Ihre Devise lautet:„It’s not what you do, it’s the way that you do it!“ Musik versteht die Band als emotionales und künstlerisches Transportmittel dessen, was jemand zu sagen hat. Mehr noch als die in der Einleitung genannten Bands wurden sie von der D.I.Y.-Mentalität von CRASS und gegenwärtig von der derzeit wohl politisch glaubwürdigsten Gruppe PROPAGANDHI beeinflusst. Ihr Engagement gilt der eigenen Szene, diese zu vernetzen, sich untereinander zu helfen und sich nicht dem allgegenwärtig umworbenen Mainstream zu unterwerfen in ihrer Einstellung, ihren Aktivitäten, Gedanken und dem Lebensstil im Geist von A.C.A.B., Anarchie, gegenseitiger Hilfe und Solidarität. Auch ihre Texte beschäftigen sich mit der entsprechenden Thematik. Ganz aktuell geht es der Band um die neue Kriminalisierung von Hausbesetzungen in Großbritannien.

Hierzu ließen mir die Bandmitglieder folgendes Statement zukommen: „Die derzeitige Regierung im Vereinigten Königreich hatte eine öffentliche Umfrage in Auftrag gegeben, ob Hausbesetzungen zukünftig als ungesetzlich und kriminelle Handlung eingeordnet werden sollen. Trotz der 95% der Befragten, die sich gegen diesen Gesetzentwurf ausgesprochen hatten, darunter Juristen, Regierungsabgeordnete und auch Hausbesitzer, hat die Regierung das Gesetz durchgeboxt. Seit Mai 2012 ist das Besetzen von Häusern also illegal und somit kriminell – mehr Infos siehe squashcampaign.org. Dessen nicht genug, gibt es Wohngeldkürzungen und es werden weitere Überlegungen angestellt, das Wohngeld allen unter 25 Jahren generell zu streichen. Gleichzeitig führt man Studiengebühren ein, schließt Gemeindezentren und es gibt es immer mehr private Gefängnisse und private Sicherheitsdienste. Deshalb sind wir gegen diesen Staat und die Logik des Kapitals. Unsere Antwort darauf ist, weiterhin Häuser zu besetzen, sich soweit möglich autark zu versorgen und den Menschen zur konventionellen, kapitalistischen, gewalttätigen und ungerechten Lebensweise eine Alternative aufzuzeigen, um die Zerstörung unserer Art zu leben, unserer Ideen und der Erde aufzuhalten.“

Was hier angesprochen wird, ist letztendlich die Forderung nach einer anarchistischen Lebensweise und das Denken, Entscheiden und Handeln in überschaubaren Gemeinschaften. Wichtig sind der Band in diesem Zusammenhang autonome Projekte fernab staatlicher Kontrolle. Mit pseudofreiheitlichen Räumen, so die Meinung der Mitglieder der AUTONOMADS, die von staatlicher Seite „genehmigt und geduldet“ werden, würde sich der Staat nur profilieren wollen.

„Vorrangiges Ziel ist es, unser eigenes Leben anders zu organisieren. Aus diesem Grund leben wir auch alle vegan, da wir die Ausbeutung nichtmenschlicher Tiere als Teil des Systems sehen. So neigen wir immer mehr dazu, auch aus Kostengründen regionale und saisonale Lebensmittel zu verarbeiten, da Bioläden oftmals sehr teuer sind und teilweise den sogenannten ,ethischen Firmen‘ folgen, die letztendlich auch nur kapitalistisch und zum Teil elitär und versnobt sind.“

Alle Mitglieder sind, wenn sie nicht mit der Band touren, in diversen nicht-staatlichen Einrichtungen in Manchester aktiv. Nach ihrem Debütalbum „No Mans Land“ ist seit wenigen Wochen nun das Split-Album mit dem ebenfalls aus Manchester stammenden BLACK STAR DUB COLLECTIVE erhältlich. Sowohl die Platte als auch die Band will ich euch ans Herz legen, womit wir nun bei der letzten Band in dieser Ska Pack-Ausgabe angekommen sind.autonomads.co.uk

An den Aufnahmen von BLACK STAR DUB COLLECTIVE zum eben genannten Split-Album arbeiteten insgesamt zehn Musiker, darunter Keyboarder Johno, der einige Jahre bei Pop-Reggae-Legende UB40 in die Tasten haute.

Das Kollektiv ist unter all den vorgestellten Bands diejenige Gruppe, die Dub und Reggae definitiv den Vortritt vor anderen Stilrichtungen lässt, so dass sie sich eher der musikalischen Tradition der Dub- und Reggae-Künstler der Siebziger Jahre verpflichtet, aber dennoch im politischen Sinne der anarchistischen Punk-Szene zugehörig fühlt.

Da die Mitglieder sehr eng verbunden mit den AUTONOMADS sind, ist es nicht verwunderlich, dass sie sich mit ähnlichen Belangen auseinandersetzen. Was jedoch das persönliche Engagement betrifft, fügt Gitarrist Matt hinzu, der auch Labelbetreiber von Pumpkin Records ist:

„Ich glaube, Kommunikation und Bildung sind Faktoren für richtungsweisende Veränderungen. Weil wir uns mitteilen können, hoffen wir, dass wir mit unserer Musik und unserer Meinung Menschen erreichen, die ähnlich denken und fühlen. Selbst wenn dem nicht so ist, hoffe ich, dass wir die Gelegenheit bekommen, unsere Erfahrungen zu teilen und voneinander zu lernen.

Der Kapitalismus hat in der Zeit der Krise durch die sozialen Unruhen in Griechenland, Spanien oder England sichtbare Risse bekommen. Was sich über Jahrzehnte unterhalb der Oberfläche zusammengebraut hat, wird jetzt sichtbar. Kapitalismus ist ein von Natur aus instabiles Konstrukt und wie wir mittlerweile alle wissen, ist der Reichtum nicht gleichmäßig verteilt, werden wir nicht alle satt und gleich behandelt und dürfen uns nicht gleichermaßen glücklich und sicher fühlen. Wie wir jetzt lernen, verlangt der Kapitalismus vielen Menschen alles ab, damit einige im Überfluss leben können. Folglich sind wir gefordert, Alternativen für eine neue Welt zu erarbeiten, da wir sonst für alle Fehler früher oder später bestraft werden.

Und sollten wir uns bei den Regierungen kein Gehör verschaffen können, müssen wir mit unseren Ideen auf die Straße und die Gedanken in unsere Gemeinschaften bringen. Wir leben in revolutionären Zeiten!“, oder um mit einem Titel von Willie Williams aus dem Jahr 1978, der auch kurze Zeit später von THE CLASH gecovert wurde, zu schließen: „Armagidion time“.