SILVERSTEIN

Foto© by Quinten Quist

Wnn alt, mach neu

Während in Frankfurt die Sonne langsam untergeht, genießen SILVERSTEIN die Mittagshitze in Austin, Texas. Die Kanadier touren dort mit BEARTOOTH, THE DEVIL WEARS PRADA und ERRA. Aus seinem Hotelzimmer heraus bespricht Sänger Shane Told mit uns das neue Album „Misery Made Me“, wiederentdeckte kreative Freiheit und anstehende Jubiläen.

Zum Start werfen wir einen Blick in die NHL. „Mein Herz schlägt für die Toronto Maple Leafs. Der Rest der Band hält zu den Montreal Canadians und den New Jersey Devils. Auston Matthews spielt eine überragende Saison. Hoffentlich überstehen sie dieses Mal die erste Runde. Ich freue mich auf die Playoffs.“

Doch nicht nur das Eishockeyteam aus Ontario befindet sich auf einem Erfolgsweg, für die bekannteste Emo-Band aus dem kanadischen Bundesstaat gilt dies ebenso. War „A Beautiful Place To Drown“ eine nicht erwartete Offenbarung, setzt sein Nachfolger „Misery Made Me“ die wiederentdeckte Spielfreude fort. Und das nach zwanzig Jahren Bandgeschichte. Wie geht das? Zuerst erklärt Shane, dass es nicht leichter wird ein Album aufzunehmen je älter man werde. Allein die Zeit zu finden, wenn jeder „auch in anderen Lebensbereichen mehr und mehr Verantwortung übernimmt“, sei schwierig. Sich Zeit zu nehmen sei aber der Schlüssel zum Erfolg, befindet der Sänger. „Ich glaube, viele Bands tun dies nicht, sondern handeln eher nach dem Motto ‚Been there, done that‘.“ Stets hätten SILVERSTEIN den Anspruch verfolgt, dass ein neues Album besser oder wenigstens genauso gut sein müsse wie sein Vorgänger. Auch bei ihrem zehnten Album sei man dem gerecht geworden.

Der Entschluss, sich nicht von imaginierten Szeneregeln geißeln zu lassen, bezeichnet Told als bedeutsamsten Durchbruch bei den letzten zwei Alben. „Wir wuchsen mit Punk und Hardcore auf. Doch da gab es gewisse ungeschriebene Gesetze. Es sei kein Punkrock, wenn du Synthesizer oder gewisse Drumparts benutzt. Dann dachten wir uns, dass es niemanden interessiert, was wir verwenden, warum sollte es uns also interessieren? Wir entschlossen uns, die Parameter unserer Musik auszuweiten und uns nicht darum zu scheren, wie eine Punkband zu sein hat. Wir sind eh keine Punkband.“ Auch Produzent Sam Guaiana, so hebt Shane hervor, half der Band, einen moderneren Sound zu integrieren und „zuletzt zwei großartige Alben zu erschaffen.“

Was hat sich beim Schreib- und Aufnahmeprozess konkret geändert? Der Frontmann beschreibt, dass man nicht, wie sonst üblich, alle Instrumente einzeln und am Stück für alle Songs des Albums aufgenommen habe. Sie haben sich auf zwei, drei Stücke fokussiert und diese in Gänze eingespielt – Drums, Bass, Gitarren, Gesang. „Dabei nahmen wir die Instrumente in der Reihenfolge auf, von der wir glaubten, dass der jeweilige Song sie brauchen würde. So konnten wir uns viel stärker auf die Details und Individualität der Songs konzentrieren.“
Erklärt dies auch die Dichte an Gastmusiker:innen? „Wir hatten immer Features. Zum Beispiel Liam Cormier oder Lights. Schreiben wir Songs, stechen manchmal Parts heraus und man hat diese vage Idee, dass dort eine zweite Stimme passen könnte, die die Aussage des Texts noch unterstreicht.“ Beim letzten Album waren es INTERVALS, Caleb Shomo, Aaron Gillespie und Pierre Bouvier. Dieses Mal hätten Andrew Neufeld oder nothing,nowhere. direkt Sinn gemacht. „Glücklicherweise sagten sie auch zu. Kompromisse machen wir nicht. Wenn wir unsere Wunschstimme nicht bekommen, suchen wir keinen Ersatz.“

Als „Discovering The Waterfront“ erschien, war ich fünfzehn. SILVERSTEIN begleiten mich einen Großteil meines Lebens. Doch zwanzig Jahre lang eine Band zu sein, das läuft nicht immer reibungslos. Gibt es etwas, das die Band rückblickend anders angehen würde? „Überhaupt nix, denn ich würde nichts durcheinanderbringen wollen, obwohl auch wir unsere Fehltritte hatten.“ Er sei dankbar für den Weg seiner Band, obwohl er überrascht ist, dass dies ohne riesigen Radiohit gelang. „Wir hatten nie den einen massiven Hit, der uns plötzlich sämtliche Türen öffnete. Wir flogen stets etwas unter dem Radar. Ich denke, das mögen unsere Fans. Wir waren stets ihre Band. Eine vielleicht geheime Band. Manchmal kann ein Hit der Todesstoß für eine Band sein. Vielleicht hätten wir ‚My heroine‘ mehr pushen können. Vielleicht haben wir damals eine Chance verpasst, doch wer weiß, was passiert wäre und ob ich heute hier sitzen würde.“

Ohne Riesenhit blieb SILVERSTEIN eine Sellout-Debatte erspart. Dafür ist Told ebenso dankbar. Genauso wir für die Unterstützung der Fans. „Sie waren auf jedem Schritt unseres Weges dabei, haben uns gepusht, bedeutsame Musik zu machen, gaben uns einen Grund Shows zu spielen und uns stets zu verbessern.“ Auch für den Respekt innerhalb der Band in den letzten zwanzig Jahren und die Personen in seinem privaten Umfeld, die ihm erlauben, seinen Traum zu leben, bedankt sich der Sänger.

Er holt aus und blickt auf die Anfänge der Band zurück. „SILVERSTEIN war nur ein Nebenprojekt, von dem ich glaubte, dass es nur einen Sommer und ein Demo überleben würde. Aber nun das zehnte Album aufgenommen und weltweit getourt zu haben, ist verrückt. Dafür gab es kein Drehbuch und ich kenne wenige andere Hardcore- oder Emo-Bands, die eine so lange Karriere hatten. Damals veröffentlichte eine Band ein, zwei Alben und verschwand wieder, gerade im Post-Hardcore. Dass wir diese Langlebigkeit haben, sich Menschen weiterhin für uns interessieren und wir jetzt unsere beste Musik herausbringen, ist sehr speziell.“

Zum Abschluss werfen wir einen Blick in die Zukunft der Kanadier. Wir witzeln über „Short Songs 2“ und LP Nummer elf, bevor Shane anstehende Meilensteine anspricht. „2023 hat unser Debüt ‚When Broken Is Easily Fixed‘ sein zwanzigjähriges und ‚This Is How The Wind Shifts“‘ sein zehnjähriges Jubiläum. Wie wir das feiern, wissen wir noch nicht, werden es aber alsbald planen. Vorher freuen wir uns aber wieder nach Europa kommen zu dürfen.“