SIGHTS & SOUNDS sind die andere Seite von COMEBACK KID-Sänger Andrew Neufeld und sind vom klassischen Hardcore-Sound seiner ersten Band tatsächlich Lichtjahre entfernt. Zu intensiv sind die Soundcollagen von SIGHTS & SOUNDS, als dass sie für den schnellen Nebenherkonsum geeignet wären. Zuviel Aufmerksamkeit verlangt jeder Song, damit die Highlights dieser Platte nicht unbewusst an einem vorbeifließen. Drei Jahre nach der Veröffentlichung von „Monolith“ waren SIGHTS & SOUNDS auf ihrer aktuellen Tour auch in Braunschweig zu Besuch und Andrew Neufeld erwies sich als äußerst sympathischer Zeitgenosse.
Andrew, wie geht’s dir und wie läuft eure Tour?
Oh, mir geht es wirklich gut, obwohl ich jetzt schon ein bisschen müde bin. Wir sind jetzt seit drei Monaten und einer Woche unterwegs und damit ist das die längste Zeit, die SIGHTS & SOUNDS jemals auf Tour gewesen sind. Wenn wir wieder zu Hause sind, werden wir erst mal etwas Pause machen und im Sommer neues Material für unsere zweite Platte aufnehmen. Der Grund für diese ewig lange Tour, während der wir in Europa, Australien, Kanada und sogar eine Show in Bangkok gespielt haben, ist der, dass wir den Leuten zeigen wollten, dass wir immer noch eine wirklich existierende Band sind. Dann sind die Leute hinterher nicht so überrascht, wenn irgendwann unsere neue Platte herauskommt.
Waren SIGHTS & SOUNDS zu Beginn bereits als Band geplant oder hattest du mehr ein Nebenprojekt zu COMEBACK KID im Sinn?
SIGHTS & SOUNDS waren definitiv immer als Band geplant, denn ich wollte eine Band gründen, die Musik jenseits von Hardcore spielt. Versteh mich nicht falsch, ich liebe Hardcore und werde Hardcore wahrscheinlich für den Rest meines Lebens lieben, aber ich wollte einfach experimentellere Musik machen und vor allem wieder selbst Gitarre in einer Band spielen. Wir sind zwar eine sehr intensive Band, aber wir haben auch Chill-out-Momente in den Songs und ich wollte mir einfach die Freiheit nehmen, ganz unkonventionelle Songs schreiben zu können. Also haben mein Freund Matthew und ich angefangen, zusammen Gitarre zu spielen und zu singen, irgendwann kam mein Bruder Joel und hat die Drumparts zu den neuen Songs gespielt. Wir haben auch von Anfang an daran gedacht, mit der Band auf Tour zu gehen, obwohl es natürlich eine große Herausforderung ist, zwei tourende Bands gleichzeitig am Laufen zu halten. Aber dieser Herausforderung wollte ich mich gern stellen.
Wart ihr von den großartigen Reaktionen auf euer Debütalbum „Monolith“ eigentlich sehr überrascht?
Ja, die Reviews damals waren wirklich toll und wir hätten niemals mit soviel positiver Resonanz gerechnet. Das hat uns echt umgehauen. Wir hatten zu dieser Zeit auch wirklich unser ganzes Leben auf diese Platte ausgerichtet und ich selbst habe jeden Cent, den ich hatte, in diese Platte investiert. Wir haben so hart für diese Platte gearbeitet und waren dann mit dem Ergebnis auch sehr zufrieden. Zumindest nach unserer Meinung war das eine großartige Platte und, obwohl das jetzt vielleicht komisch rüber kommt, für jeden von uns war es das Beste, das wir als Musiker jemals gemacht hatten. Da waren wir natürlich glücklich, dass die Leute die Platte auch sehr mochten, obwohl wir ja gar nicht die Chance hatten, ausgiebig zu touren. Jetzt auf dieser Tour kommen immer so zwischen 40 und 100 Leute und das ist für uns echt okay. Wir haben das so erwartet, aber würden uns natürlich freuen, wenn zukünftig auch mal ein paar mehr kämen.
Du hast eben von deinem in die Platte investierten Geld gesprochen. Gab es keine Plattenfirma, die bereits auf die neue Band des COMEBACK KID-Sängers gewartet hat?
Es gab mit Smallman Records in Kanada schon eine Plattenfirma, aber die konnten auch nur die Hälfte des Budgets für die Produktion der Platte bezahlen. Wir wollten unbedingt mit Devin Townsend als Produzent arbeiten und der war nicht eben billig zu haben. Ich glaube aber, dass der Aufwand sich wirklich gelohnt hat, und bereue keinen Cent, den ich investiert habe. Jetzt sind wir sehr sehr aufgeregt, endlich die neue Platte machen zu können, und befinden uns eigentlich wieder in derselben Situation, denn wir wissen wieder nicht, wer die Platte letztlich herausbringen wird. Wir sind dabei, Demos aufzunehmen und an verschiedene Leute zu verschicken. Dann wird sich herausstellen, mit wem wir die neue Platte aufnehmen können. Hoffentlich wird es wieder Devin sein, denn ich glaube, er hat wirklich Großartiges zum Sound der Band beigetragen.
Wie sieht euer Zeitplan für die Platte aus?
Es ist echt hart. Wenn wir jetzt nach drei Monaten nach Hause kommen, steht noch eine Woche Tour in Kanada auf dem Programm. Dann habe ich vier Tage frei und dann bin ich mit COMEBACK KID wieder für zwei Monate auf Tour. Wenn dann alle Touren fertig sind, habe ich etwas Zeit und im Sommer wollen wir dann die neue Platte aufnehmen. Die anderen in der Band haben ja noch ganz normale Jobs und müssen sich dann extra Urlaub nehmen, wenn wir ins Studio gehen, und dann muss natürlich in einer bestimmten Zeit alles passen, damit wir keine ungeplanten Tage dranhängen müssen. Aber im Herbst sollte die Platte wohl fertig sein.
Wie viele Exemplare kann man heutzutage noch von einer Platte wie „Monolith“ verkaufen?
Das ist wirklich schwer zu sagen, denn wir haben die Platte an fünf beziehungsweise sechs verschiedene Labels weltweit lizenziert. Das Bescheuerte daran ist, dass mittlerweile vier von diesen Labels nicht mehr existieren und wir niemals irgendwelche Verkaufszahlen gesehen haben. Demolition Group in den USA, Smallman Records in Kanada und Stomp Records in Australien waren schon kurz nach Erscheinen unserer Platte pleite und wir haben auch nie irgendwelche Platten zurückbekommen. Als wir jetzt in Australien waren, bin ich von einem zum anderen gerannt und habe versucht, jemanden zu finden, der jemanden kennt, und so bin ich schließlich bei dem Lagerhaus gelandet, in dem unsere Platten zu finden waren. So konnte ich wenigstens unsere CDs beschlagnahmen. Das hat uns wirklich gelehrt, mit der Band super D.I.Y. zu bleiben und besser alles selbst unter Kontrolle zu haben. Wir haben zwar in jedem Land eine Booking-Agentur, die uns unterstützt, aber ansonsten sind wir die totale D.I.Y.-Band.
Müsst ihr, um als Band überleben zu können, in Zeiten zurückgehender Plattenverkäufe und illegaler Downloads mehr touren als früher?
Also Bands wie SIGHTS & SOUNDS verdienen auch auf Tour kein Geld, dabei kommen wir immer gerade so über die Runden. Bei COMEBACK KID ist das etwas anderes, denn da können wir nicht allein von Plattenverkäufen leben und müssen daher versuchen, etwas Geld beim Touren zu verdienen. Da gibt es einen sehr lustigen Spruch, der geht in etwa so: Früher gingen Bands auf Tour, um irgendwann eine Platte machen zu können, und heute machen Bands eine Platte, um dann auf Tour gehen zu können. Die Verhältnisse haben sich also wirklich ins Gegenteil verkehrt. Das Problem ist heute auch, dass die Leute eine sehr kurze Aufmerksamkeitsspanne haben und so bist du als Band wirklich gezwungen, nach einer Platte gleich auf Tour zu gehen, damit du überhaupt im Gespräch bleibst. So fühle ich mich zumindest und schließlich lieben wir es auch, so zu leben. Wenn wir auf der Bühne stehen, wirst du sofort bemerken, dass wir da mit totaler Hingabe bei der Sache sind und unser ganzes Herzblut darin steckt.
Bei 50 bis 100 Leuten pro Show kann man nicht wirklich sagen, dass das Namedropping mit COMEBACK KID euch wirklich hilft, oder?
Wir sind nicht wirklich eine Hardcore-Band. SIGHTS & SOUNDS klingen so ganz anders und versuchen gar nicht erst, Musik für die Hardcore-Kids zu spielen. Ich hätte es mir natürlich einfach machen und einfach eine zweite Hardcore-Band gründen können, aber das war von Anfang an nicht unsere Intention. Ich erwarte also nicht, dass COMEBACK KID-Fans zu unseren Shows kommen. Wenn sie es tun, ist es natürlich toll, aber davon gehe ich wirklich nicht aus.
Ist deine Herangehensweise beim Songwriting für SIGHTS & SOUNDS eine andere?
Nur bis zu einem bestimmten Grad. Eigentlich ist es bei beiden Bands so, dass wir sehr stark vom Feedback der Bandmitglieder profitieren und uns immer gegenseitig mit neuen Ideen konfrontieren. Du hast eine Idee für einen Riff oder eine bestimmte Melodie und schon kommt der Nächste an und bringt einen anderen Part dazu und so entstehen dann die neuen Songs als eine Art Puzzle. Der Unterschied ist, dass wir mit SIGHTS & SOUNDS viel mehr Songstrukturen im Studio erarbeiten, weil da viel mehr Effekte und unterschiedliche Sounds im Spiel sind als bei einer reinen Hardcore-Band. Wir tüfteln da viel mehr herum, als nur Gitarre, Bass und Drums einzuspielen.
Weißt du bei deinen Texten schon von Anfang an, für welche Band du sie gerade schreibst?
Das ist wirklich eine schwierige Frage, denn ich weiß gar nicht so genau, ob sich die Texte beider Bands grundsätzlich unterscheiden. Häufig ist das Texten mehr so ein zufälliger Prozess und immer, wenn mir mal etwas einfällt, schreibe ich es auf. Die Texte sind für mich immer der schwierigste Teil und daher kommen die meist erst später zu einem Song dazu. Das kann zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten der Fall sein. Manchmal haben wir einen Song schon komplett fertig, bevor ich einen passenden Text habe, und manchmal entwickeln sich die Lyrics parallel zum Songwriting. Meistens habe ich zuerst eine Idee, wie ein Text beziehungsweise die Gesangslinie klingen soll, bevor ich mir darüber im Klaren bin, welche Worte ich dafür wählen werde.
Was erwartet uns auf der neuen Platte?
Eins ist mal ganz sicher: Die neue Platte wird ganz anders klingen als „Monolith“, denn für uns als Band ist es klar, dass wir keine zwei Platten machen werden, die gleich klingen. Für uns zählt der kreative Prozess und die ständige Veränderung unseres Sounds befriedigt uns am meisten. Wir versuchen, uns immer weiter für neue Einflüsse zu öffnen, um nicht immer auf der Stelle zu treten. Wir spielen auch absichtlich noch keine neuen Songs auf der Tour, damit die Leute sich auf die Songs konzentrieren können, die sie vielleicht schon vorher mal auf der Platte gehört haben.
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