Das Punkrock-Trio SHIRLEY HOLMES aus Berlin hat im April mit „Die Krone der Erschöpfung“ sein drittes Album veröffentlicht. Mel und Ziggy wurden musikalisch verkuppelt und waren sofort auf einer Wellenlänge. Chris war so motiviert, die Band zu komplettieren, dass er extra Schlagzeug spielen lernte. Sängerin und Gitarristin Mel spricht mit uns über die neue Platte.
Was verbindet euch abseits der Musik?
Ziggy und Chris sind in einer gemeinsamen Häkelgruppe aktiv, alle treffen sich gelegentlich zu gemeinsamen Schnapsverkostungen.
Diskutiert ihr viel, gibt es eine*n geheime*n Chef*in?
Beides trifft zu. Wir verbringen im Rahmen eines ausgiebigen Bandlebens viel Zeit miteinander. Da wird viel diskutiert, denn letztlich wird alles eher demokratisch entschieden. Dennoch gibt es auch eine*n Bandchef*in. Wer das ist, verraten wir aber nicht!
„Die Krone der Erschöpfung“ heißt das Album. Was erschöpft euch?
Die Verbreitung von Angst, Engstirnigkeit, Herzlosigkeit und Stumpfsinn, der ganze uncoole Wahnsinn auf der Welt, aber auch zu viele Stunden am Rechner.
In einem Song fragt ihr: „Wer bin ich und wer bin ich nicht ...“ Könntet ihr das für die Band definieren?
Ja, klar: Schörlie ist Melodie gewordene Energie mit Straßengang-Mentalität und dem Effekt von einer Stunde Verhaltenstherapie bei Jack Sparrow und Courtney Love. Oder so.
Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf die Band?
Unser privater Alltag hat sich – abgesehen von den allgemeinen Beschränkungen und teilweise Home Office – gar nicht so sehr verändert. Große Auswirkungen hat das Ganze aber auf die Band. Um nicht zu sagen, da ist fast alles anders. Wir sind eine absolute Live-Band, noch dazu während der Album-Veröffentlichung. Jetzt ist, natürlich, auch unsere Tour komplett abgesagt und wir wissen nicht, wann wir mal wieder zu dritt einen Proberaum betreten werden, geschweige denn ein Konzert spielen. Das ist ein ziemlich drastischer Einschnitt, der sich auch emotional nicht immer easy wegstecken lässt. Das ist ein sehr großer und geliebter Teil unseres Lebens. Und zur Albumveröffentlichung keine Tour zu spielen, ist promotechnisch schon sehr ... unglücklich. Auf der anderen Seite sind wir froh, dass wir alle Jobs haben, die zumindest nicht akut gefährdet sind, so dass wir unsere Mieten bezahlen und diese Zwangsentschleunigung zwischendurch dann auch mal genießen können.
Wie schreibt ihr Songs?
Fast alle Stücke des aktuellen Albums basieren auf gemeinsamen Jams im Proberaum, die wir sofort aufnehmen, wenn wir eine Idee cool finden. Wenn etwas in die zweite Runde kommt, also ein Jam auch mit Abstand nach dem Durchhören zu Hause noch überzeugt, feile ich daran herum, dann geht’s wieder in den Proberaum, dann feile ich wieder weiter, dann geht’s wieder in den Proberaum ... und so entwickelt sich ein Song Stück für Stück weiter. In diesem Prozess kommen dann auch die ganzen Feinheiten und stilistischen Raffinessen hinzu. Zum Schluss wird noch mal etwas nachgewürzt und fertig! Wir hatten deshalb zwar viele Ideen, aber wirklich ausgearbeitet wurden nur die Songs, die jetzt auch auf der Platte sind. Da wir eben schon bei den Jams direkt ausgesiebt haben, womit wir weiterarbeiten und womit nicht. So haben wir es bei den anderen Alben auch gemacht.
Das Konzept des Hidden Tracks hat sich mir nie erschlossen, warum habt ihr einen auf dem Album?
Ha, funny, wir haben nie verstanden, warum Bands das nicht machen. We love surprises. Auch bei Filmen. Wenn der Film gut war, freuen wir uns am Ende auch noch über coole Outtakes oder Teaser für eine Fortsetzung.
Wie entscheidet ihr, in welcher Sprache der Song gesungen wird?
Das ist selten eine bewusste Entscheidung, es ergibt sich oft schon beim Jammen. Denn dabei entstehen fast immer auch schon die Texte in der Grundidee. Die sind einfach da, mit der Musik, freies Assoziieren, manchmal englisch, häufiger deutsch. Beim ersten Album „Heavy Chansons“ hatten wir weitaus mehr englische als deutsche Texte, beim nächsten Album „Schnelle Nummern“ sah es dann schon anders aus. Englische Texte klingen oft schöner, weil Englisch eine weichere Sprache ist. Deutsch wiederum ist nun mal unsere Muttersprache und eröffnet einen ganz anderen Raum, was das Spiel mit Worten, sprachliche Nuancierungen und dergleichen angeht.
„Wieder sehen“ passt leider zur aktuellen Situation, worum geht es in dem Stück?
Eigentlich geht es darum, wieder etwas aus seiner eigenen Ego-Blase rauszukommen und sich mehr auf das Gegenüber – das Fremde, die anderen – einzulassen, wieder hinzuschauen, was bei diesem Gegenüber eigentlich so los ist. Die wochenlangen Kontaktbeschränkungen haben den Song, vor allem den Refrain, mit einer ganz neuen Bedeutung aufgeladen. Und dann waren wir plötzlich videotechnisch auch noch auf diese Selfie-Geschichte angewiesen und waren froh, dass so tolle Leute mitgemacht haben.
Wie viel DIY steckt in SHIRLEY HOLMES?
Sehr viel. Ideen, Visionen, Konzepte entstehen innerhalb der Band, aber bei der Umsetzung arbeiten wir mit einer inzwischen recht festen Gruppe von feinen Menschen zusammen, also bei Videos, Grafik oder beim Booking. Seit Januar haben wir ja außerdem mit Rookie Records ein neues Label, das uns bei Promo, Vertrieb und auch sonst super unterstützt. Ohne diese wunderbaren Menschen kämen wir vermutlich endgültig nicht mehr zum Musikmachen. Trotzdem kommen alle Entscheidungen und Vorgaben immer von uns, wir besprechen und organisieren als Band wahnsinnig viel Kram. Ganz davon abgesehen, dass wir unsere Musik selbst schreiben und produzieren.
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