Nach eigenem Bekunden sind sie die dienstälteste Punkrockband im Großraum Osnabrück, und Ende der 90er, auf der Höhe des Poppunk-Booms, wollen sie dort neben den DONOTS auch eine der bekanntesten und erfolgreichsten Combos gewesen sein: die SENTIMENTS aus Westerkappeln! Allerdings machten die Jungs seit jeher nicht nur durch unbändigen Do-It-Yourself-Aktionismus auf sich aufmerksam, sondern allzu oft auch durch ihre grenzenlose Planlosigkeit (so brachte mich die Fertigstellung dieses Interviews fast an den Rand des Nervenzusammenbruchs, aber das ist eine andere Geschichte ...). Umso mehr verwunderte es da, als im Frühjahr 2004 nach ca. siebenjähriger (!) Ankündigungsphase tatsächlich das erste Album dieser Retard-Poppunk-Urgesteine vorlag. Es war also mal an der Zeit, mit Schlagzeuger, Anekdotenkönig und Bandsprachrohr Andres einige Dinge näher zu beleuchten. Und Eingeweihte wissen vielleicht, dass es da Einiges zu erzählen gibt. Um es abzukürzen: Hier ist die ultimative Story einer deutschen Provinzband, mit all ihren kleinen Höhen und auch vielen, vielen Tiefen. Oder: THE SENTIMENTS, drugs and rock’n’roll!!!
Um noch mal das Dienstalter der SENTIMENTS zu erläutern: die Gründung datiert laut Andres auf das Frühjahr 1989, als er zarte neun Jahre alt war. Mit Akkordeon, Keyboard und Drums war noch eine gewöhnungsbedürftige Instrumentierung am Start, aber nach diversen Namens-, Instrumenten- und Musikerwechseln war bis ca. 1995 die klassische Rock’n’Roll-Besetzung gefunden. Ersten erfolgreichen Demotape-Veröffentlichungen folgte aber schon im Mai 1996 der erste Rückschlag: Haupt-Songwriter und Gitarrist Beppo Amaretto verließ die Band. Genrekennern dürfte der Mann vielleicht bekannt sein, da er bis vor kurzem noch bei den ebenfalls aus Westerkappeln stammenden HAWAIIANS spielte.
„Beppo stieg aus wegen ‚Erfolg‘. Frag ihn selber warum ... Dasselbe ist jetzt auch den HAWAIIANS passiert. Sobald Erfolg da ist, verlässt er die jeweiligen Bands. Aber er hat es verdammt noch mal drauf! Mit den HAWAIIANS sind wir auch gut befreundet. Sie sind sehr nett, nur sauftechnisch haben sie es leider nicht so raus. Ich könnte nie nüchtern auf die Bühne ...“
Zu Andres Trinkgewohnheiten kommen wir später noch, Straight Edger sollten diesen Artikel übrigens auf keinen Fall zu Ende lesen ... Ab 1996 war Andres noch sehr aktiv beim Toastbrot-Fanzine, das immer nur so strotzte von lustigen Single- und Plattenankündigungen der SENTIMENTS und anderer Bands (u. a. auch die EAGLEBAUERS, ein Nebenprojekt der JET BUMPERS):
„Das mit dem Surfin’ Bird Label war auch meine Idee, aber es klappte leider nie mit Veröffentlichungen. Es sollte tatsächlich eine Single von den EAGLEBAUERS geben, aber es fehlte letzten Endes an Geld. Tja, zwar gute Ideen gehabt, aber nie Kohle ... Teenage-Glue-Sniffer-Scheiße halt.“
Soweit also alles recht unspektakulär, die Band dümpelte mit Gigs hier und da vor sich hin, bis zur Jahrtausendwende die wirklich schlechten Zeiten anfingen:
„Anfang 2000 flog ich zu Hause raus, zog in ein Apartment in Osnabrück, verlor meinen Job und fing an zu trinken ... Und wenn man täglich ein paar Liter Bier und eine große Flasche Schnaps trinkt, wird man irgendwann blöd im Kopf. Bald ließ ich das Bier weg und hab nur noch Schnaps getrunken, so ca. zwei Flaschen am Tag ... Mit den SENTIMENTS lief es nur noch scheiße, ich war immer so dicht, dass ich vom Hocker fiel und mich an eine Reihe Gigs einfach nicht erinnern kann. Die anderen waren sauer und wir probten eine Zeit lang nicht mehr. Entzug war also angesagt. Und nachdem ich in Therapie war, folgte unser Sänger in selbige. Wir sind halt Freunde der Sucht ...“
In diesem Zusammenhang werden Poppunk-Interessierte sich vielleicht noch an eine „Deutschlandtour“ der italienischen Band RETARDED erinnern, die in diesem Zeitraum stattfinden sollte und von Andres „organisiert“ wurde. Aufgrund der persönlichen Umstände des „Organisators“ ging natürlich fast alles in die Hose, und ich erinnere mich, dass RETARDED daraufhin auf gut Glück durch die Gegend tingelten und z. B. auch in meiner Heimatstadt Meppen auf einer Party spielten, wo dann nachher ein Hut für sie herumging. Nette Jungs, die Italiener, aber in Bezug auf Andres stand in ihren Augen eindeutig „Mord“ geschrieben.
„Was damals gelaufen ist, tut mir von allem am meisten Leid! Ich sollte ein paar Gigs für sie klarmachen und zu der Zeit lief auch noch alles ganz normal bei mir. Aber als im Mai 2000 dann tatsächlich die Tour anstand, hatte ich ca. fünf Monate Extremsaufen hinter mir und hab deswegen nie so ganz geschnallt, dass ich da was mache, was nicht klappt. Aber ich hab dann einfach was getrunken und meine Gedanken waren woanders. Als die Italiener schließlich nach Deutschland kamen, hatte ich außer der Show in Ibbenbüren nichts organisiert. Alles lief scheiße, was scheiße laufen konnte. Ich werde das nicht wieder gut machen können, es hätte so cool werden können, wenn ich mich etwas zusammengerissen hätte ... Wie auch immer, an einem Sonntagnachmittag war ich mit einem Bekannten nach drei Tagen Saufen mit einer Flasche Schnaps auf dem Weg nach Hause, um Lindenstraße zu gucken, als plötzlich ein blauer Bulli mit italienischem Kennzeichen an uns vorbeifuhr. Ich wusste natürlich sofort, wer das war, der Bulli hielt an und der ganze Trupp kam raus und fing an, auf mich einzureden. Ich hatte schon lange Fertigkeitsgrad Number One ereicht und lallte nur noch irgendwas, und hoffte, dass das doch irgendwann ein Ende haben sollte. Es blieb bei einer ca. halbstündigen Standpauke, dann stiegen sie in den Bulli und fuhren weg. Das war’s ... Gott, was müssen die mich hassen! Aber daran bin ich allein schuld, das hat nichts mit den SENTIMENTS zu tun ...“
Trotzdem eine verrückte Story, die mal der Klärung bedurfte. Nach diesem düsteren Rückblick soll aber nun endlich ein positiver Ausblick folgen, denn es kam nun der bereits erwähnte Entzug, und auch die Band bekam Zuwachs und startete wieder durch:
„Unser neuer Gitarrist Chuck B. ist seit Januar 2002 dabei. Er hat wieder Leben in die Bude gebracht und einen großen Anteil daran, dass es mit der Band wieder läuft.“
Und letztendlich hat es dann ja auch mit der ersten Longplayer-Veröffentlichung auf dem eigenen Label Pussyhunter Records geklappt:
„Das Label wurde im Suff gegründet, um unsere Scheiben dort raus zu bringen. Wir haben bisher alles allein gemacht, also machen wir das heute auch noch. Und hätte Paul Sentiment nicht sein komplettes Weihnachtsgeld für die Platte verballert, wäre sie heute noch nicht draußen! Bis jetzt ist sie auch ganz gut bei den Leuten angekommen.“
Und genau wie früher ist Andres auch heutzutage noch Hansdampf in allen Gassen:
„Ich mache immer noch das Teenage Werewolf Fanzine, Tapesampler, die Labelarbeit von Pussyhunter und Booking für meine Bands, u.a. auch LOS SIXPACK LOVERS. Wir sind auch noch organisiert in der Cable-Street-Beat-Gruppe Osnabrück, um mal wieder gute politische Arbeit zu machen. Wir sind politisch aktiv, jedoch überlassen wir die politischen Aussagen in den Texten anderen Bands, da wir uns auf das Thema Liebe spezialisiert haben ...“
Da jetzt bei den SENTIMENTS also wieder alles gut läuft, wäre es an der Zeit für ein passendes Schlusswort:
„Heute ging mir so durch den Kopf, dass ich jetzt mit der Welt wieder im Reinen bin. Ich spiele in dieser Band, seit ich neun Jahre alt bin. Es ist ein sehr, sehr großer Teil meines Lebens, und ich möchte jetzt eigentlich nur noch eine coole Zeit haben. Ich denke, wir werden noch 15 Jahre und mehr dranhängen! Außerdem habe ich jetzt mit meiner Freundin und meiner Tochter eine tolle Familie, coole Freunde, und letztendlich auch meine Berufsausbildung gepackt.“
Wunderbar, wünschen wir Andres und den SENTIMENTS also alles Gute für die Zukunft. Wer Bock auf die Platte bekommen hat, oder die Band mal für einen Gig buchen will, sollte einfach mal auf ihrer Homepage vorbeisurfen. Aber bringt bitte etwas Geduld mit, denn die Jungs sind manchmal etwas langsam ...
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #60 Juni/Juli 2005 und Bernd Fischer
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #55 Juni/Juli/August 2004 und Bernd Fischer
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #109 August/September 2013 und Christoph Parkinson