Es gibt diese zwei Alternative-Welten. Die eine besteht aus unserer euro-amerikanischen Kultur. Die Bands, die bei uns in Deutschland auftreten, haben alle eine eigene Platte. Ihre Scheiben bekommt man ohne Probleme überall, wenn man sich nur etwas anstrengt. Auf ihren Konzerten bekommen sie gute Gagen, weil die Veranstalter wissen, dass Leute kommen werden. Die andere Seite der Welt ist durch die traditionellen Probleme geprägt. Die Bands haben keine eigene Platte, sondern höchstens Tapes. Diese bekommt man in Deutschland praktisch nie. Die Gagen bewegen sich trotz der großen Reisekosten regelmäßig um die Nullgrenze herum. Solche Bands landen schnell in der Weltmusikschublade und dann in irgendeiner multikulturellen Begegnungsstätte. Der Fall der mexikanischen HC-Skacoreband SECTA CORE zeigt das deutlich. Ich sprach mit Jorge Cortado, dem Sänger.
Wie fing das mit SECTA CORE an?
Wir haben uns 1994 gegründet. Wir kamen aus der Skaszene, die sehr durch mexikanische Traditionen geprägt ist. Es gab aber viele Umbesetzungen, weil viele mit unserer musikalischen Entwicklung nicht klarkamen oder wegen eines neuen Jobs keine Zeit hatten.
Mir ist ein Tape von euch in die Hände gefallen. Dort klangt ihr wesentlich mehr nach Skacore als jetzt live, wo ihr wie eine reine Hardcoreband herüberkamt.
Das hat damit zu tun, dass wir unseren halben Bläsersatz zu Hause in Mexiko gelassen haben. Ich persönlich mag es so härter auch mehr. Ich finde die HC-Einflüsse in unserer Band schöner als den Ska. Wenn wir aber in unserer Heimat spielen, haben wir unseren Posaunist und unseren Trompeter wieder dabei. Sie haben beide Familie und konnten sich den Flug nicht leisten. Irgendwie haben wir uns damit abgefunden, dass wir nicht immer mit der vollen Besetzung auftreten können. Bläser hatten wir auch nicht von Anfang an.
Viele, denen ich euer Tape vorgespielt habe, haben euch mit den frühen MIGHTY MIGHTY BOSSTONES verglichen. Ihr habt die gleiche Energie. Eure Show erinnert jetzt entfernt an die VOODOO GLOW SKULLS. Zufall?
Ich denke, solche Vergleiche hinken immer. Wir haben von beiden Bands wenig gehört, weil sie aus den USA kommen. Das Einzige, was mir auffällt, ist, dass unsere beiden Sänger ernstere Botschaften haben. Unser Ska ist kein fröhlicher, eher ein druckvoller, nachdenklicher, aggressiver. Er sollte fortschrittlicher sein und sich mit persönlichen Themen beschäftigen.
Würdest du sagen, dass das typisch für Mittel- und Südamerika ist? Ska als Ausdrucksform für Aggressivität und nicht bloß als reines Spaßventil?
Nein, Ska wird in Mexiko sehr stark und oft mit Latin-, Reggae- und Salsarhythmen kombiniert und dient oft als reine Kneipenmusik. Wir stehen eher auf der anderen Seite. Auf der dunkleren...
Euch geht es ja gar nicht so schlecht. Ihr seid in Mexiko auf Sony. Wie kam das denn zustande?
Wir haben nach einem Label gesucht und sind ständig aufgetreten. Unsere Solidaritätskonzerte wurden immer größer und irgendwann kam Sony auf uns zu und hat uns ein Angebot unterbreitet. Dort haben wir zwei Singles und zwei Alben aufgenommen.
Aber dieser Plattenvertrag beschränkt sich nur auf Mexiko?
Richtig, hier in Europa wirst du unsere Scheiben nicht bekommen. Sony veröffentlicht uns nur in Mittelamerika. Durch den Majorlabelvertrag hat sich aber auch nicht viel verbessert. Wir haben einige große Festivals mehr gespielt, aber die Leute in Mexiko sind arm. Sie können sich keine CDs oder Platten leisten. In Mexiko erstellen sich alle Kassetten oder Bootlegs. Sony steckt wenig Geld in uns, weil sie wissen, dass sie nicht viel daran verdienen können.
Aber man kann euch doch schon zu einer der erfolgreichsten mexikanischen Alternativebands zählen. Ihr seid auf Sony, habt einen Werbevertrag mit Adidas. Könnt ihr nicht von euerer Musik leben?
Mittelamerika ist nicht Europa. Ja, wir hatten einen Werbevertrag mit Adidas. Der bezog sich aber nur auf ein Lied und war schlecht bezahlt. Es wäre jetzt aber auch falsch zu sagen, dass es uns schlecht geht. Wir sind in Mexiko schon relativ erfolgreich. Wir spielen meistens auf großen Festivals, unseren sogenannten Fiestas. Wir können von unserer Musik auch leben. Dafür sind wir sehr dankbar. Wir müssen keine drei Jobs annehmen, wie es üblich ist. Aber nach altem Familienrecht müssen wir unsere Verwandten unterstützen, so dass die meisten von uns ihre Großfamilien ernähren.
Wie würdet ihr eure Musik selbst bezeichnen?
Wir haben schon alle einen sehr traditionellen Hintergrund. Unsere alte Mariachi-Kultur prägt dich einfach. So fingen wir eben auch als Bar-Band an, die Ska mit urmexikanischen Elementen verbindet. Wir haben aber immer aggressive Spaßmusik bevorzugt. Ursprünglich wollten wir auch solche Hardcore-Einflüsse heraushalten, aber unsere Wut kann einfach diese "Heile-Welt-Musik" nicht ausdrücken. Ja, insofern sind wir schon Grenzgänger. Wir möchten die Leute in Europa auch ein bisschen sensibilisieren. Hier bei euch ist mir aufgefallen, dass sich die Leute nur sehr oberflächlich für dich interessieren. Sie fragen dich, wie es dir geht. Du sagst fein und sie gehen weiter. Manche wollen auch wissen, wie denn der Flug war. Einfach nur so. Ich finde es auch komisch, dass wir hier auf einer "Fiesta" in Potsdam spielen, aber außer dem DJ hat uns nichts an Mexiko erinnert.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #45 Dezember 2001/Januar/Februar 2002 und Florian Vogel