SCHLAGZEUGER VON ZWITSCHERMASCHINE FÜHRT ZU ROM

Foto© by Ray Van Zeschau

Eine DDR-(Post)-Punk-Rekonstruktion au dem Gedächtnis und zum Gedenken

„Zeidler beginnt einfach: Eins, zwei, drei, vier, auf seiner Bassgitarre holzt er Achtel, so schnell es geht. Acht Achtel auf der leeren tiefsten Saite, acht im ersten Bund. Dann wieder leer. Das macht er drei- oder viermal. Dann zack! springt das Schlagzeug an, Grossmann hackt sich auf genau den Achteln fest. Die ersten Köpfe im Publikum beginnen zu nicken, Conny Schleime schlägt rhythmisch mit der flachen Hand auf ihre Hüfte. Ralf Kerbach nimmt seine Gitarre und krätscht schräge, atonale Akkorde in den Bass-Schlagzeug-Teppich.

Das dauert. Michael Rom tritt vor, fixiert das Mikrofon, dann schreit er: ‚Die Wochen kriechen dahin ... die Jahre verfliegen im Wind‘. Er setzt sich auch genau auf die Achtel vom Zeidler, lässt kleine Pausen, zerhackt die Verse. ‚Der Buhmann geht um‘. Die Combo ist im Takt, Rom hält eckig mit, seine Hände zucken, er gebärdet unverständliche Gesten. ‚Begießen, begreifen ... Abzäunen, abpfählen werd ich meinen Garten ... abpflöcken, lokalisieren ... Begrenzung‘. Blickkontakt mit allen. ‚Das ist der Begriff‘. Und peng! ist mit dem Doppel-f das letzte Achtel verheizt, der Song bricht ab, die Musik ist weg. Das war das Stück, mit dem 1981 eine Band ihre Auftritte begann, die erst nach ihrem Zerfall so hieß, wie manche sie heute noch kennen: ZWITSCHERMASCHINE.“

Mit diesem Eigenzitat fing Wolfgang Grossmann, damals der Schlagzeuger von ZWITSCHERMASCHINE und heute treibende Kraft hinter dem gleichnamigen Projekt, Ende September 2021 die Record Release-Show in der St. Pauli-Kirche von Dresden-Neustadt an. Souverän verlesen, hauptamtlich ist er ja Schauspieler, und los legte die Band mit druckvollem Post-Punk-Zitat-Krach von disziplinierter Struktur und ausgewogener Soundgestalt. Vor okay, aber dem Legendenaufarbeitungsaufkommen eigentlich nicht angemessen gefüllten Ex-Kirchenräumen mit romantischem Glasdach. In denen dann aber doch Begeisterung aufkam, verbunden vielleicht sogar mit leichtem Erstaunen darüber, wie viel Energie dieses späte Retro-Projekt freisetzen kann, fast vierzig Jahre, nachdem die geschilderte Szene real passierte.

Das Zitat als rückverweisende Imaginationshilfe voranzustellen war dabei insofern konsequent, als dass das gesamte Konzept des eigentlich allein zur Produktion einer Platte versammelten Projekts darauf beruhte, Audioselbstzitate aus der Re-Imagination zur Grundlage zu nehmen. Aber dazu gleich erläuternd im O-Ton des Wolfgang Grossmann. Der mit dem Eingangstext zugleich auch die Einführung seines Beitrags zum irgendwann im Frühjahr 2022 im Verbrecher Verlag erscheinenden nächsten Zonic-Spezial darbot, das unter der vielfältig verweisenden Headline „Magnetizdat DDR“ als Nachfolger des längst ausverkauften „Spannung. Leistung. Widerstand.“ die Geschichte des „Magnetbanduntergrund DDR“ fortschreibt. Von der Subkultur der DDR kündete jene Band, die von da an erst ZWITSCHERMASCHINE hieß (vollständig sogar mit dem Zusatz: Vierte Wurzel aus ...), allerdings nicht auf Magnetband gebannt, sondern von einem legendären Vinyl, das „eNDe. DDR von unten“ hieß, 1983 bei Aggressive Rockproduktionen in Westberlin erschien und auf der im mehrfachen Sinne anderen Seite die weitaus derberen Haudrauf-Punk liefernden SAU-KERLE aufbot. Ein Pseudonym, hinter dem SCHLEIM-KEIM aus Stotternheim nahe Erfurt versuchten, sich vor der Staatsmacht zu verbergen, was nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass mindestens zwei Stasi-IMs direkt involviert waren, äußerst vergeblich war.

Wer diese Geschichte nicht wenigstens in Ansätzen kennt, hat jedenfalls in der Deutschpunk-Grundschule nicht aufgepasst. Nachzulesen ist sie mehrfach, allerdings immer aus anderen Blickwinkeln. Einerseits natürlich aus der spezifischen SCHLEIM-KEIM-Perspektive (siehe: „Satan, kannst du mir nochmal verzeihen“ von A. Hahn/F. Willmann). Andererseits, im Sinne von anderer LP-Seite auch, aus der eines wesentlichen Ermöglichers, nämlich von Sascha Anderson, der als singender Poet eine der Stimmen von ZWITSCHERMASCHINE war, eine Hauptrolle bei der Organisation spielte und dabei zugleich permanent Sachen an die Staatssicherheit verriet. Nicht zuletzt für diese LP-Seite aber auch aus der von Conny Schleime, der zweiten Stimme der etwa 1980 gegründeten Band (siehe: „Too Much Future“ von M. Boehlke/H. Gericke). Die Malerin führte zudem in Zonic #14-17 mit dem ebenfalls von der bildenden Kunst kommenden und später wie sie in ihr zu Renommee gekommenen Bandbegründer Ralf Kerbach einen lesenswerten Kampf um die richtige Erinnerung, was in korrigierter Form auch in „Magnetizdat DDR“ zugänglich gemacht wird. Zusammengeführt mit einem Rückblick von Dimitri Hegemann (ja, der: Atonal-Festivals, Fischbüro, Ufo, Tresor als Club und Label et cetera, hier aber in der Rolle des eigentlichen Initiators im Frühjahr/Sommer 1982) im Wechselspiel mit seiner Stasi-Akte und ein wenig auch von Karl Walterbach, auf dessen Aggressive Rockproduktionen-Label das erschien. Nicht zuletzt gibt es dort dann auch die Perspektive jener Band, die eigentlich als erste bei der Auswahl gesetzt war und dann aufgrund der Stasi-Repression herausfiel: ROSA EXTRA aus Berlin. Es darf also durchaus von einem kleinen „eNDe. DDR von unten“-Block die Rede sein. Der letztlich immer noch nicht alle Fragen beantworten kann.

Die dritte Stimme von ZWITSCHERMASCHINE jedoch, um die es hier ja vor allem geht, kam meines Wissens nie dazu, sich zu diesem Thema zu äußern, denn sie verstummte bereits in den ganz frühen Neunzigern bei einem Raubmord: die des Dichters Michael Rom. Aber nicht nur das, auch auf „DDR von unten“ war sie nur kurz schwach im Hintergrund zu hören, denn alle Stücke mit ihm als Sänger, der wie die anderen auch stets die eigenen Texte sang, fielen bei der Auswahl durch, die nach dem Herausschmuggeln des Materials in West-Berlin getroffen wurde. Die am Ende des turbulenten Prozesses wohl Karl Walterbach verantwortete, der dabei das Überlieferungsgewicht extrem zugunsten von Sascha Anderson verschob. Vielleicht weil jener im Sinne des Labelnamens eben am aggressivsten beziehungsweise am ehesten nach Rockproduktion klang.

Zudem aber gab es abseits von ein paar Anthologien und den inoffiziellen Literaturzeitschriften der DDR nur wenig, was vom literarischen Werk Michael Roms kündete. Diese Lücke zu schließen, trat nun der Ex-ZWITSCHERMASCHINE-Drummer sowie Ex-Mitbewohner Wolfgang Grossmann an, der nach einigen Recherchen schließlich 2018 die Text-Sammlung „will nicht zu den grossohrigen elefanten“ beim Verlag Vorwerk 8 herausgab. In dessen Stasi-Akten zudem Aufnahmen auftauchten, die für „DDR von unten“ im Privatstudio von Andeck Baumgärtel in Hermsdorf nahe Dresden gemacht wurden. Allerdings nicht von ZWITSCHERMASCHINE, sondern noch viel unerwarteter jene von ROSA EXTRA, die von der Stasi beschlagnahmt wurden und daher als ewig verloren galten. Großartiger Beifang, aber das sicher noch viel mehr gesuchte Eigene blieb weiter verschollen. So machte sich Grossmann am Ende eben daran, diesen unerträglichen Missstand selbst zu beheben. Als Annäherung aus der Erinnerung heraus!

Wolfgang Grossmann: Das begann gleich nach dem Buch. Ich habe natürlich auch mit Conny Schleime und Ralf Kerbach geredet und sie gefragt, weil ich gerne zur Ergänzung der 1983er Platte die Michael Rom-Songs aktivieren wollte. Wenn wir uns zu dritt erinnert hätten, wären wir auch weitergekommen, glaube ich. Denn es gibt keine Aufzeichnungen von dem Zeug. Die fanden das eigentlich ganz gut, aber es kam nicht dazu. Ich wollte es dann schon ganz allein machen, mit Loops oder so. Da hätte ich mich eben mal eine Woche hingesetzt, vielleicht auch mal eine Bassgitarre gespielt. Aber ich habe das dann immer mal diversen Leuten erzählt: man müsste mal und so weiter. Irgendwann aber saß ich mal neben Jörg Schittkowski und der meinte, das finde er gut und er spiele dann die Gitarre.
Alexander Pehlemann: Wie lange kennt ihr euch?
WG: Wir wissen schon lange voneinander. Auch durch die Wohnung, die ich damals in Dresden mit Michael Rom hatte. Denn da haben danach ja die FREUNDE DER ITALIENISCHEN OPER gewohnt. Daher kenne ich die alle. Aber wir zwei hatten nie etwas direkt miteinander zu tun, sondern haben uns jetzt in den zwei Jahren erst so richtig kennengelernt. Zuerst haben wir uns hingesetzt und lange überlegt, wie es zu machen wäre. Angefangen haben wir sogar nur zu zweit. Ich habe ihm die Songs aus dem Kopf vorgesungen, die Basslines vorgesummt, mir die Lieder wirklich aus der Birne herausgepresst. Dann meinte Jörg, wir könnten doch noch Pegman fragen, den ich gar nicht kannte. Wir trafen uns, aber der meinte, es gäbe keine Zeit dafür. Mit Corona aber brach dann alles weg, sie spielten ja alle gar nicht mehr. So kam eins zum anderen. Irgendwann meldete sich Rajko von alleine, wenn auch von Jörg angestiftet. Serge, den Schlagzeuger, und Josi, die Bassistin, brachte auch Jörg an. Dann haben wir das über eine Weile so zusammengeschraubt. Mir ging es vor allem darum, diese Platte zu machen. Es als Dokument vorzulegen, um zu zeigen, wie es damals ungefähr war. Dann aber meinte die Band, wir müssten unbedingt eine Releaseparty machen. Das ginge nicht anders.

So weit alles im spartanisch dargelegten Schnelldurchlauf. Aber vielleicht sollten kurz die angerissenen Kontexte etwas erhellt werden. Jörg Schittkowski, der heute vor allem mit Projekten wie MACHINE DE BEAUVOIR oder DIE ELEKTROHAND GOTTES unterwegs ist, spielte seit Ende der Achtziger in der Punkband KEIN MITLEID aus Meißen, in der eine Zeitlang auch Roger Baptist agierte, der später als Keyboarder und Fagottist zu der so neobarocken wie militanten Dunkel-Post-Punk-Band FREUNDE DER ITALIENISCHEN OPER wechselte, deren Sänger Ray van Zeschau wiederum jene Wohnung bezog, die zum Hauptquartier der bis 1993 aktiven Band wurde. Schittkowski fand in der Post-FDIO-Zeit mit Baptist beim gen EBM geneigten Projekt AUTOMATIC NOIR wieder zusammen, das über die Neunziger hinweg hielt. Ein paar weitere Jahre später sollte Roger Baptist zur Kunstfigur RUMMELSNUFF werden.

Der Leipziger Rajko Gohlke am Bass wiederum legte einen langen Weg von THE TISHVAISINGS über THINK ABOUT MUTATION bis zu KNORKATOR hin, spielt aber auch in der jetzigen Inkarnation der FREUNDE DER ITALIENISCHEN OPER. Pegman, bürgerlich Torsten Füchsel, kommt hingegen von der DDR-Dark-Wave-Band ROSENGARTEN, die im Zonenrandstandort Salzwedel entstand, und spielt heute unter anderem bei HERBST IN PEKING. Um nur einen kleinen Teil der Referenzen abzuarbeiten, zu denen auch die melancholische Band ANIQO gehört, deren Sängerin Anita Goß ebenfalls mitwirkte. Soweit aber ist das als verzweigtes Netzwerk noch herzuleiten. Fragt sich jedoch, wie dann Peter Hein hinzukam, sowohl auf die Platte als auch die Bühne? Der dem Ganzen in beiden Konstellationen nach meinem bescheidenen Urteil aber nicht viel hinzuzufügen hatte, von der grenzüberschreitenden Geste vom Legendenhügel mal abgesehen.

WG: Jörg hat mal Tourmanagement für FEHLFARBEN gemacht und so kannten die sich. Er kam dann mit der Idee, Peter Hein zu fragen. Bei uns lief ja damals permanent „Monarchie und Alltag“, insofern passte das. Der hatte auch spontan Lust und singt nun zwei Lieder.
AP: Kannte er die „DDR von unten“-Platte?
WG: Er kannte die Geschichte. Das ist interessanterweise bei vielen Leuten so. Die Musik selbst weniger. Für die Punks war es eben gar kein Punk. Klar, SCHLEIM-KEIM waren Punk. Aber wir doch auch! Das ist mir jedoch egal, was es letztlich angeblich ist. Es ist energetische Lärmmusik, die Spaß macht. Mir hat es jedenfalls Spaß gemacht. Und diese Rom-Geschichten haben mich nie verlassen.
AP: Die Frage beim Re-Arrangieren war dabei doch sicher auch, wie zeitgemäß wird es gestaltet, soll es einen Retro-Sound haben oder eher nicht?
WG: Retro kriegst du ja nicht wirklich hin. Wir können es ja nicht auf Tesla aufnehmen. Aber Jörg sagte, wir machen es so primitiv, wie es geht. Jetzt haben wir allerdings doch auch Achtspurgeräte benutzt, die 1982 kein Mensch hier hatte. Aber es gibt zum Beispiel auch Aufnahmen mit der kompletten Band in einem Take. Wir haben schon versucht, es nicht so perfekt zu machen. Das war nie das Ziel und ist es auch jetzt nicht. Es ging nicht um den Sound an sich, sondern um die Kraft, die Energie, die in den Klängen steckt. Das kam damals schon ganz klar als Vorgabe von Kerbach. Durch die Arbeit mit Musikern ist mir jetzt aber auch noch einmal bewusst geworden, dass in der Originalbesetzung von ZWITSCHERMASCHINE nicht ein einziger wirklicher Musiker war. Zeidler, der Bassist, hat genau an jenem Tag angefangen, Bass zu spielen, als Kerbach zu ihm sagte, spiel du mal Bassgitarre. So klang das dann auch. Man sah es sogar. Wenn wir auftraten, war offenbar, dass sich hier die Außenseiter durchs Schlachtfeld kämpfen.
AP: Das klingt ein bisschen wie bei A.R. Penck und seinen Free-Jazz-Sessions, bei denen Conny Schleime und Ralf Kerbach in der Prä-ZWITSCHERMASCHINE-Zeit ab und an waren: Irgendwer kommt an, kriegt irgendein Instrument in die Hand gedrückt und hat damit eine Rolle, die er auch behält. Wie ist denn die Reaktion der Urmitglieder auf das Produkt? Was sagen Schleime und Kerbach, oder gar Zeidler ...?
WG: Von Zeidler weiß man nix, keine Ahnung. Conny Schleime gefällt es gut. Der habe ich eine CD gemacht, denn es gibt ja sonst nur die Langspielplatte, also Vinyl. Oder eine Tonbandkassette, als Tape. Auf der Platte singt Peter Hein, auf dem Tape mache ich das alles. Ihr gefiel es und sie hat spontan in Berlin die Bühne betreten und „Übern Fluß“ gesungen. Ralf Kerbach hat mich angerufen und gesagt: Sehr gut! Ich bin sehr froh darüber, da fällt mir ein kleiner Stein vom Herzen. Wenn die das blöd gefunden hätten, würde ich mich nicht gut fühlen. Aber mit dem Zuspruch sehe ich mich auf der richtigen Seite des Weges.

(DER SCHLAGZEUGER VON ZWITSCHERMASCHINE „Rom“ erschien als LP/MC bei Rundling)