Man muss nicht unbedingt vor 1977 geboren worden sein und mindestens zehn Alben aufgenommen haben, um in dieser Serie dabei zu sein. Es genügt schon, wenn man in jungen Jahren einen eigenen Stil entwickelt und eine gute Geschichte zu erzählen hat. Daher freuen wir uns, dass in dieser Ausgabe Sandy Black von NEVER WANTED und den wieder formierten ÖSTRO 430 unser „Little Drummergirl“ ist, denn sie fällt bei ihren Live-Auftritten durch eine sehr tighte Performance, großen Abwechslungsreichtum und im Gespräch durch ein gesundes Selbstbewusstsein auf.
Sandy, gibt es aus deiner Kindheit Geschichten, dass du schon frühzeitig auf den Töpfen deiner Eltern herumgetrommelt hast?
Nein, eigentlich nicht. Wir waren nicht wirklich eine musikalische Familie, so dass es aus dieser Zeit auch keine besonderen Geschichten über ein eventuelles musikalisches Talent gibt. Weder meine Geschwister noch meine Eltern hatten viel Interesse an Musik und ich habe erst viel später erfahren, dass mein Vater früher selbst mal in einer Band Schlagzeug gespielt hatte. Ich selbst habe damit allerdings schon mit zehn Jahren angefangen und insofern ging mein musikalischer Werdegang doch relativ früh los. Damals habe ich immer auf allen möglichen Dingen herumgetrommelt, aber da hatte ich mit dem Schlagzeugspielen bereits begonnen.
Wie kam es, dass du schon mit zehn Jahren in Kontakt mit einem Schlagzeug kamst?
In der fünften Klasse kamen zwei Lehrer von der Musikschule zu uns in die Klasse und fragten, ob wir nicht Lust hätten, eine Schülerband zu gründen. Obwohl die Band eigentlich schon einen Schlagzeuger hatte, habe ich damals zugesagt, denn mir war klar, wenn ich ein Instrument lernen wollte, musste es das Schlagzeug sein. Ich habe keine Ahnung, wo das herkommt, aber ich fand schon als Kind immer die Schlagzeuger cool. Während die anderen in der Clique in irgendwelchen Videos immer die Sänger oder Gitarristen toll fanden, haben mich eigentlich nur die Schlagzeuger interessiert. In der Musikschule hatten wir dann einen Lehrer für die acht Mitglieder in der Band und der hat dann der Reihe nach jedem sein Instrument beigebracht. Die Ausbildung war also nur sehr oberflächlich, genügte bei mir für ein paar einfache Grundrhythmen.
Fühltest du dich beim ersten Mal hinter so einem großen Schlagzeug nicht ein bisschen überfordert von den vielen Trommeln?
Mein großes Glück war wohl, dass ich ein relativ gutes Taktgefühl mitbrachte und schnell umsetzen konnte, was der Lehrer von mir wollte. Zu dieser Zeit habe ich auch gleichzeitig HipHop getanzt, was mir schon einen gewissen Vorteil in Sachen Koordinationsfähigkeit brachte. Ich konnte also Arme und Beine schon unabhängig voneinander bewegen und verfügte über ein gutes Maß an Selbstkontrolle, so dass mir die ersten Beats eigentlich sehr leicht fielen.
Bist du durch diesen Vorteil auch die Drummerin der Schulband geworden?
Es war so, dass der eigentliche Schlagzeuger kein Rhythmusgefühl hatte und den Takt nicht über einen ganzen Song halten konnte. Temposchwankungen sind ja generell ein Problem bei vielen Schlagzeugern, und so wurde ich die Hauptschlagzeugerin der Schülerband, die bei den Auftritten trommeln dürfte, während der Kollege nur im Proberaum spielen durfte.
Mit welchen Songs hast du damals angefangen zu spielen?
Das waren eher so Mainstream-Sachen, und die ersten Songs, an die ich mich erinnere, waren „Rock’n’roll queen“ von THE SUBWAYS und „Junge“ von DIE ÄRZTE. Ein paar Songs von GREEN DAY waren auch dabei. Unser Lehrer hatte uns gefragt, welche Songs wir gerne spielen würden, und zwei Freundinnen von mir, die gesungen haben, waren hauptsächlich für die Auswahl verantwortlich. Mir kamen die Stücke sehr entgegen, weil sie für den Anfang doch recht einfach zu spielen waren.
Würdest du dich als fleißige Schülerin bezeichnen?
Nein, eher nicht, weil ich nie wirklich zu Hause geübt habe. Für mich allein zu üben liegt mir nicht und ich lerne dann am besten, wenn ich einfach Songs mit der Band zusammen spiele. Wenn ich alleine irgendwelche Sachen lernen soll, wird mir schnell langweilig und ich versuche dann immer neue Dinge auszuprobieren. Das mixt sich dann irgendwie zusammen und schon geht das Üben schief. Da ich bei uns zu Hause nicht Schlagzeug spielen durfte, habe ich von meinen Eltern eine Spielekonsole bekommen, zu der es so ein Standschlagzeug aus Plastik gab, und darauf habe ich eine Zeit lang geübt. Da ich in der Musikschule auch nur zwei verschiedene Beats gelernt habe, musste ich aber auch nicht viel üben, denn irgendwann konnte ich die halt spielen.
Wie lange dauerte es, bis du mit der Schülerband die ersten Auftritte hattest?
Wir haben relativ schnell angefangen, live aufzutreten, denn wir mussten zweimal im Jahr beim Hoffest der Musikschule vorspielen und hatten zusätzlich noch regelmäßige Auftritte bei Schulfesten oder im Musikunterricht in der Schule. Wir haben sogar in Krankenhäusern gespielt und natürlich an Bandcontests teilgenommen, sodass ich sehr schnell an das Spielen vor Publikum gewöhnt war. Rückblickend kann man sagen, dass ich bei den zwei Beats, die ich konnte, sehr sicher war und natürlich hat auch niemand nach einem Gig zu einem zwölfjährigen Mädchen gesagt: „Das war aber schlecht.“ Das macht keiner und so ist die Nervosität heute eher größer als damals, denn meine Ansprüche an mich selbst sind heute natürlich auch größer.
Wann hast du nach der Schülerband deine erste richtige Band gegründet?
Ich hatte fünf Jahre in der Schülerband gespielt und während meiner Ausbildungszeit die Drumsticks für vier Jahre komplett aus der Hand gelegt. Mit 19 bin ich dann von Erfurt nach Hamburg umgezogen, weil es mich einfach in die große Stadt gezogen hat. In Hamburg habe ich dann jedem erzählt, was für eine großartige Schlagzeugerin ich wäre, weil ich irgendwie noch im Hinterkopf hatte, dass ich beim Trommeln wohl mal ganz gut war. Daraufhin melde sich ein Kumpel bei mir, der zusammen mit einem Gitarristen auf der Suche nach einem Schlagzeuger war, und fragte mich, ob ich bei ihnen in die Band einsteigen wollte. Da habe ich natürlich ja gesagt und schon bei der ersten Probe leider feststellen müssen, dass ich überhaupt nicht mehr Schlagzeug spielen konnte. Zum Glück habe ich mich recht schnell erinnert und nach ein paar Proben lief es mit uns richtig rund, so dass wir dann zusammen NEVER WANTED als neue Band gegründet haben. Die Band hieß zwar zunächst anders, aber ich habe darauf bestanden, den Namen zu ändern, wenn wir zusammen etwas Neues starten wollen.
Inwiefern hat sich dein Schlagzeugspiel nach den langen Jahren der Pause verändert?
Gleich nachdem wir die Band gegründet hatten, habe ich mir einen Schlagzeuglehrer gesucht, weil ich endlich lernen wollte, was ich an Grundlagen können muss. Ich weiß zwar nicht, wo es herkommt, aber irgendwie habe ich wohl ein gutes Taktverständnis und so ging es mit dem Unterricht wirklich schnell voran. Mein Schlagzeuglehrer ist auch sehr gut auf mich eingegangen und wir haben viel darüber geredet, was für Musik ich machen möchte. Eigentlich war er zwar Jazzmusiker, aber wir haben uns auch zusammen die Songs von NEVER WANTED angehört und er hat mit Tipps gegeben, was ich noch besser machen könnte. In dieser Zeit habe ich für meine Verhältnisse auch viel geübt, weil ich wirklich etwas erreichen wollte, und war zeitweise jeden Tag im Proberaum, weil ich bestimmte Sachen einfach können wollte. Wenn mir etwas wichtig ist, kann ich mich auch richtig in eine Sache hineinknien.
Hattest du in deiner Jugend irgendwelche Schlagzeuger, die dich besonders begeistert oder beeinflusst haben?
Ich erinnere mich daran, dass ich als sechsjähriges Mädchen Peter Behrens von TRIO total cool fand, weil der beim Schlagzeugspielen einen Apfel gegessen hat. Als kleines Kind war ich fasziniert, wie man beim Musizieren gleichzeitig auch noch essen konnte. Der erste Schlagzeuger, den ich mir bewusst angehört habe, war Joey Jordison von SLIPKNOT, weil ich so begeistert war, dass man als Drummer, der ja eigentlich am hinteren Bühnenrand agiert, trotzdem eine so geile Show machen kann. Dieses sich drehende und kreiselnde Schlagzeugpodest hat mich so fasziniert, dass ich mir dachte, ich würde es genau so auch machen, wenn ich jemals die Gelegenheit dazu bekomme. Als ich in die Punk-Szene eingestiegen war, habe ich dann Keith Moon von THE WHO für mich entdeckt, der bis heute mein Lieblingsschlagzeuger ist.
Wie sind deine bisherigen Erfahrungen mit Studioaufnahmen?
Bis jetzt eigentlich sehr gut. Das Lustige ist, dass ich im Studio nie viele Wiederholungen spielen muss. Bislang haben immer zwei Durchläufe pro Song genügt und dann waren wir mit dem Ergebnis schon zufrieden. Problematisch ist nur, dass die meisten Studiomenschen immer möchten, dass ich mit einem Klick spiele, und damit komme ich überhaupt nicht zurecht. Sobald der Klick läuft, verfalle ich in den Offbeat und bekomme den Song nicht auf den Punkt. Sobald der Klick aus ist, läuft alles wunderbar. Ich versuche natürlich auch, sehr gut vorbereitet zu sein, bevor wir ins Studio gehen, damit es vor Ort keine Überraschungen gibt. Ich gehe also wirklich erst dann ins Studio, wenn man mich auch nachts um drei Uhr wecken und ich den Song fehlerfrei spielen könnte. Dann bin ich gut vorbereitet. Daher bin ich immer sehr schnell fertig. Der Aufenthalt im Studio ist für mich leider immer mit viel Wartezeit verbunden.
Aber auf der Bühne fühlst du dich erst richtig wohl, oder?
Ja, unbedingt. Ich bin zu 100% der Live-Typ und spiele live gern Sachen, die ich im Proberaum nicht spiele. Live spiele ich viel heftiger, mit mehr Crash-Becken und irgendwie viel mehr Power. Es macht mir einfach Spaß, auf der Bühne richtig reinzuhauen, wenn das Feedback des Publikums und die aufgekratzte Band mich richtig vorwärts treiben. Im Gegensatz dazu ist das Spielen im Studio eher Mittel zum Zweck.
Wie würdest du deinen eigenen Drumstil beschreiben?
Also ich glaube dadurch, dass ich ja noch jung bin und gar nicht so lange Schlagzeug spiele, habe ich noch keinen besonders charakteristischen Stil entwickelt. Ich muss für mich selbst erst noch entdecken, in welche Richtung sich mein Stil entwickelt. Aber dadurch, dass wir zum Start von NEVER WANTED keinen Bassisten hatten, habe ich sehr viel mit der Bassdrum gearbeitet. Man hat also sehr stark gehört, dass ich viele zusätzliche Bassdrumschläge gespielt habe, um den fehlenden Bass zu ersetzen, und daraus ist schon als so etwas wie mein persönlicher Stil geworden. Seit wir einen Bassisten haben, kann ich meine Arbeit mit der Bassdrum wieder etwas reduzieren und bin da etwas entspannter. Manche Leute bezeichnen meinen Stil als sehr tight und ich werde manchmal als der Drumcomputer bezeichnet, was ja auch ein schönes Kompliment ist. Für mich selbst versuche ich, nicht nur schnelle Punk-Rhythmen zu trommeln, sondern einen guten Mix aus unterschiedlichen Grooves hinzubekommen.
Du hast über deine spezielle Bassdrum-Arbeit gesprochen. Ist die Doublebass für dich ein Thema?
Also eine gut gespielte Doublebass klingt schon cool, wenn man das kann, und ich mag auch einige Metalbands, aber für mich selbst käme Doublebass nie in Frage. Das ist nichts, was ich irgendwann mal lernen wollen würde. Mein Ehrgeiz ist es schon eher, das mit einem Fuß zu schaffen, was andere mit der Doublebass machen.
Du bist ja noch relativ jung, aber schon seit einiger Zeit zweigleisig unterwegs, denn neben deiner eigenen Band spielst du auch bei den wieder reformierten ÖSTRO 430. Wie kam es dazu?
Martina, die Sängerin von ÖSTRO 430, wollte die Band gerne wiederbeleben und ein Comeback starten. Nachdem die Original-Bassistin Bettina auch Lust hatte und eine Hamburger Freundin von Martina den Bass übernommen hat, wurde noch eine Schlagzeugerin gesucht. Zufälligerweise hatten wir denselben Freundeskreis hier in Hamburg und wenn die Mädels nach einer Schlagzeugerin gefragt haben, fiel öfter mein Name. Wir haben uns dann auf einer Veranstaltung getroffen und da hat Martina mich direkt angesprochen, ob ich Lust hätte, bei ÖSTRO 430 Schlagzeug zu spielen. Und da sagt man natürlich nicht nein.
Besteht ein großer Unterschied zwischen NEVER WANTED und ÖSTRO 430?
Bei den ersten Proben habe ich schon gemerkt, dass es etwas total anderes ist, ob man seine eigenen Lieder spielt oder ob man einfach zwanzig Lieder vorgesetzt bekommt, die man dann möglichst original nachspielen muss. Ich musste mich zunächst an den Stil der alten Schlagzeugerin gewöhnen, der ganz anders war als mein eigener, aber da die Songs alle einen relativ ähnlichen Beat haben, konnte ich sie recht schnell lernen. Ich hatte mir den Einstieg auch wirklich schwerer vorgestellt und habe deshalb in den ersten Wochen etliche Tage im Übungsraum verbracht, um am Schlagzeug mit Kopfhörern die alten Songs zu lernen. Ich wollte natürlich einen guten Eindruck hinterlassen, denn Martina und Bettina machen ja schon seit vierzig Jahren Musik und da wollte ich mich als junger Hüpfer schließlich nicht blamieren. Es hat dann auch gleich bei der ersten Probe sehr gut zwischen uns harmoniert und ich war dann als offizielles Bandmitglied an Bord. Schwierig war wirklich nur, dass ich die Songs von ÖSTRO 430 vorher gar nicht kannte, aber nach ein paar Proben lief es wie am Schnürchen und nach und nach konnte ich auch eigene Ideen mit in die Songs einbringen.
Wie bekommst du beide Bands unter einen Hut, wenn an einem Wochenende Konzerte anstehen?
Wir habe von Anfang an gesagt, dass ich nach dem Motto verfahre: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“ Von diesem Prinzip würde ich auch nur abweichen, wenn eine der beiden Bands einen extrem wichtigen Auftritt hätte und die andere Band einverstanden wäre, auf einen weniger wichtigen Gig zu verzichten oder ihn zu verschieben. Ansonsten zählen immer die zuerst gebuchten Gigs, wobei ich natürlich bei beiden Bands die gebuchten Gigs der anderen Band immer sofort ansage. Ich habe das Glück, dass beide Bands sich auch unterstützen und gerne zu den Gigs der anderen Band kommen.
Wie sehen deine Zukunftspläne mit den beiden Bands aus?
Mit NEVER WANTED liegt der Fokus jetzt erst einmal auf der Produktion unseres ersten Albums, denn wir wollen in absehbarer Zeit eine Platte herausbringen. Mit ÖSTRO 430 sind jetzt schon die ersten Gigs für 2022 geplant und es stehen mit Berlin und Hamburg auch zwei Indoor-Gigs in diesem Jahr an. Wir wollen aber noch nicht zu viel planen, um dann hinterher nicht wieder alle Auftritte absagen zu müssen. Sollten die Indoor-Auftritte dieses Jahr tatsächlich stattfinden können, beginnen wir mit der Planung einer richtigen Tour.