Der Musikjournalist Scott Crawford ist seit den Achtzigern aktiv in der Punk- und Hardcore-Szene von Washington, DC, und zusammen mit dem Fotografen und Videofilmer Jim Saah, ebenfalls aus der US-Hauptstadt stammend, hat er in den letzten Jahren unzählige Interviews mit den wichtigen Akteuren der Hardcore-Szene der Achtziger und Neunziger geführt. In deren Zentrum stand natürlich immer schon Dischord Records mit seinen einflussreichen Bands, aber es gab auch eine ganze Menge Aktivitäten drumherum. Mit dem Dokumentarfilm „Salad Days“, der seit Anfang 2015 auf verschiedenen Festivals und Sondervorführungen zu sehen war, haben Crawford und Saah nun versucht, diese Szene zu portraitieren.
Scott, du warst sehr jung damals, in einer Szene des Films wirkst du wirklich wie ein Kind. Dieser Aspekt der Jugend scheint in der heutigen Hardcore/Punk-Szene zu fehlen. Wie hast du das Geschehen damals wahrgenommen?
Ich bin mit zwölf zu meiner erste Hardcore-Punk-Show gegangen. Ich war immer der Jüngste und ich sah auch immer am jüngsten aus. Ich war total ergriffen von der Musikszene zu diesem Zeitpunkt. Es gab so eine Menge unfassbar guter Musik, die hier gemacht wurde und das war am Anfang mein einziges Interesse. Jede Show war ein Erlebnis auf ihre Art. Da war immer dieses Gefühl von Gefahr, die sich bei jeder Show zusammenbraute – sei es, dass in der Menge ein Kampf ausbrach, die zwielichtige Nachbarschaft der „Clubs“ oder eben die Musik selbst. Es war berauschend.
Du beschreibst deinen Film als „einen Dokumentarfilm über die legendäre – und oft missverstandene – Washington, DC-Punk-Szene in den Achtzigern“. Warum missverstanden? Und was ist die Botschaft deines Films?
Die DC-Punk-Szene wurde lange verkannt, hauptsächlich wegen der Straight-Edge-Bewegung, die ihren Ursprung in einem MINOR THREAT-Song mit dem selben Titel hat. Viele Leute dachten, dass jeder in DC zu dieser Zeit gegen Drogen und Alkohol war, und ich denke, das ist etwas, was eine lange Zeit anhielt. Aber so war es nie, und ich wollte dazu beitragen, einige dieser Fehleinschätzungen aufzuklären.
Wer war an der Entstehung des Films beteiligt?
Hauptsächlich Jim Saah – Kameramann, Schnitt, Produzent – und ich, aber es haben uns eine Menge Leute bei der Umsetzung geholfen. Ich glaube nicht, dass ein Tag vergangen ist in den vergangenen vier Jahren, an dem ich nicht in irgendeiner Form an diesem Film gearbeitet habe.
Dein Film ist die erste eingehendere Darstellung dieser einflussreichen Szene. Warum musste es bis 2015 dauern, bis so eine Dokumentation erschien?
Gute Frage – und ich habe keine Antwort. Vielleicht, weil es so eine abschreckende Aufgabe ist, aber ich bin mir nicht sicher. Der Film war etwas, das ich schon als Teenager machen wollte.
Du hast es fertig gebracht, die meisten wichtigen Leute zu interviewen. Wer ist nicht im Film und warum nicht?
Es gibt einige Leute, mit denen ich noch gerne gesprochen hätte, aber meistens lag es am Timing oder der großen räumlichen Distanz. Ich hatte eine Frist einzuhalten – und habe es nicht geschafft –, daher musste ich Abstriche machen.
Der Film spricht einen interessanten Aspekt der DC-Szene an, den ich umschreiben würde als „eine Gruppe von klugen Kids mit reichen Eltern, die es sich leisten können, sich über Dinge Gedanken zu machen, für die sich die Kids woanders nicht interessieren“. Oder war das nur eine Seite einer Szene, die viele Facetten hat?
Ich habe diese Kritik an den „reichen Kindern“ nie richtig verstanden. Ich komme bestimmt nicht aus einer reichen Familie. Ich bin ein typisches Kind aus der Mittelschicht mit alleinerziehender Mutter. Wie viel Geld deine Eltern auch immer auf der Bank haben mögen, dein Familienleben muss deswegen nicht weniger gestört sein. Es war eine Szene, die sich vor dem Hintergrund abspielt, dass Washinhton eben der Regierungssitz der USA ist, das heißt, wir reden hier über Kinder von Eltern, die Lobbyisten, Juristen, Medienvertreter und in manchen Fällen Politiker waren. Vieles ist in dieser Hinsicht in Washington anders als in anderen Städten. Wie sich diese Faktoren in der Musik widerspiegeln, fasziniert mich.
In einem Artikel in Deutschland wurde der Film kritisiert als ein Beitrag zur „Selbstmusealisierung“ der Szene. Muss man Angst haben vor nostalgischen Gefühlen?
Ich finde, jeder, der denkt, dass der Film ein großer Nostalgietrip ist, hat ihn nicht so gesehen wie ich. Es war nicht meine Absicht, einen Film zu machen, der eine Zeitspanne repräsentiert, die besser ist als eine andere – ganz im Gegenteil. Ich möchte den Leuten zeigen, wie vor dreißig Jahren, trotz vieler Widerstände, eine Community entstehen konnte. Wenn es damals funktioniert hat, dann geht es auch heute! Abgesehen davon: Meine besten Tage liegen nicht hinter mir, sie finden genau jetzt statt.
Ist Punk heute immer noch eine relevante Jugendkultur?
Absolut. Punk wird so lange relevant sein, so lange weiterhin der Status quo hinterfragt wird und Punk ehrlich und zugänglich für die Leute bleibt, die ihn am meisten lieben.
Bislang war der Film nur im Kino zu sehen. Wann ist die DVD erhältlich?
Die DVD kommt in diesem Sommer raus und wir arbeiten gerade daran, dem Film noch jede Menge interessante Extras hinzuzufügen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #120 Juni/Juli 2015 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #123 Dezember 2015/Januar 2016 und Joachim Hiller