Ihr Pippi-Langstrumpf-Cover "Hey Rote Zora" war so etwas wie die Nationalhymne der Hausbesetzer-Szene, sie spielten mit SLIME den Song "Zehn kleine Nazi-Schweine" ein und brachten mit ihrer Anarcho-Comedy einen frischen Wind in die politische Punkszene: Das Musicalkabarett HEITER BIS WOLKIG enterte in den Neunzigern als Spaßguerilla mit dem Motto "Lacht kaputt, was euch kaputt macht" die Bühnen der Republik, landete schließlich beim Weser-Label und verschwand zur Jahrtausendwende wieder von der Bildfläche. Jetzt wollen es die linken Spaßvögel doch noch einmal wissen und gehen als DIE ROTEN RATTEN auf Tour. Diesmal als feste Band um Ex-HBWler Michael Ochwart (40), unterstützt von den beiden weiteren Ur-Mitgliedern Marcell (38) und Marco Gödde (38). Wir befragten Micha per Mail.
Was treibt euch nach fünf Jahren wieder auf der Bühne?
We're on a mission from God. Wenn ich mir diesen deprimierend dämlichen und korrupten Zeitgeist ansehe, dann muss man geradezu zwanghaft dagegen halten. Und ein alter Zirkusgaul kann es nicht lassen.
Dann sind DIE ROTEN RATTEN also nur ein Neuaufguss von HEITER BIS WOLKIG?
Nicht nur. Die Ratten sind sozusagen der punkrockige Arm von HBW. Wir spielen die ollen Kamellen nicht einfach nach, sondern verpassen ihnen den Bumms, den sie zum Teil vorher noch nicht hatten. Bei den neuen Titeln ist auch eine andere Arbeitsweise am Start: Die Songs entstehen im Proberaum und nicht auf dem Reißbrett und im Studio. HEITER BIS WOLKIG ist traditionell eine Polit-Revue mit vielen szenischen Elementen. So eine Show machen wir dieses Jahr noch nicht, aber die 2006er Tour ist der erste Schritt in diese Richtung.
Ihr geht also jetzt als eine aus den ehemaligen HBW-Machern bestehende Drei-Mann-Band auf Tour?
Nee. Wir, also die HBW-Frontleute, können keine Gitarre richtigrum halten. Die Ratten sind eine fünfköpfige Kern-Combo mit Gesang, zwei Gitarren, Bass, Trommeln, bei der ich die Lead-Vocals singe und von den Zwillingen nach Kräften unterstützt werde.
Wieso habt ihr eigentlich damals mit HBW aufgehört?
Irgendwann ist die Inspiration auf der Strecke geblieben. Da war dann eine Auszeit zur Selbstfindung angesagt.
Und was habt ihr in der Zwischenzeit gemacht?
Wir sind mitunter getrennte Wege gegangen. Marcell gab und gibt den Familienmusical-Tycoon, Marco hatte sein C.I.A.-Bandprojekt und macht in Eventmanagement, und ich hab mich als Frontmann von DR. SOMMER zuerst mit der Bravo angelegt und später als Musical-Mime meine Toleranz trainiert. Ich glaube, jetzt kann jeder sagen: Jawohl, ich hab mich ausreichend gefunden und brauche dringend ein Projekt, um wieder von mir loszukommen.
Welche Bedeutung hat denn künftig noch euer altes Motto "Lacht kaputt, was euch kaputt macht"?
Ein geiles Dogma, das nach wie vor auf unseren Fahnen steht. Wenn wir die Musik ernster nehmen als früher, heißt das nicht, dass es nix mehr zu Lachen gibt. Humor ist und bleibt auch ein wichtiger Teil meines Begriffs vom Punksein. Weltschmerz find ich doof.
Es gab ja in der HBW-Geschichte auch eine weniger lustige Zeit. Damals kursierte in der Szene ein Vergewaltigungsvorwurf gegen dich - und euer damaliger vierter Mann verließ daraufhin HBW. Magst du dazu was sagen?
Nur soviel: Wäre da was dran gewesen, dann hätte ich die Gruppe verlassen müssen, nicht der Herr S. Bei der Geschichte kam zu Tage, wie die Szene eigentlich funktioniert. Peinlich.
Wobei eure Wurzeln ursprünglich doch auch in der Antifa sind ...
Allerdings. Wir haben uns zuerst für Politik interessiert, bevor uns der Punk überhaupt zugestoßen ist. Allerdings waren unsere Statements damals entweder hippielastig oder plumper Agitprop. Letzteres hat immerhin die Bürger erschreckt, harhar.
Was waren denn die Highlights der HBW-Zeit?
Als wir einen Fernsehbericht über eine Hausbesetzung in Berlin gesehen haben und die Besetzer "Rote Zora" durchs Gitterfenster anstimmten, da hüpften sie schon, unsere revolutionären Herzen. Schön war auch, bei Thomas Ohrner im Frühstücksfernsehen eine zehn Quadratmeter große Bierlache zu fabrizieren. Oder der Sponsordeal mit Hansa Pils ... da war so einiges.
Was wollte ausgerechnet Thomas Ohrner von euch?
Der moderierte eine Show im Kanal 5 in München, live am frühen Samstagmorgen. Voll an unserer Zielgruppe vorbei, quasi. Irgendwer aus der Redaktion fand uns wohl damals putzig.
Habt ihr denn auch mal Ärger bekommen? Immerhin brannte ja bei euch auf der Bühne schon mal eine Deutschlandfahne ...
Dem Staatsschutz dürften wir bekannt sein. Aber Ärger gab es eigentlich nicht. Die haben uns wohl die Promo nicht gegönnt. Mist.
Als HBW arbeitetet ihr ja auch mit diversen Punkbands zusammen, unter anderem SLIME. Wird es solche Kooperationen auch mit den ROTEN RATTEN geben? Vielleicht sogar mal wieder einen SLIME-Auftritt?
Wir sind allem gegenüber offen, was freudig rockt. Die Ratten sind allerdings für sich schon eine schlagkräftige Band, darum ist es nicht zwingend notwendig, eine Kooperation zu starten. Ich kann auch nicht beurteilen, inwiefern die Jungs von SLIME Bock auf eine Wiederauferstehung haben. Aber ich bin sicher, dass da in der Zukunft noch viele schöne Zusammenarbeiten drohen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #65 April/Mai 2006 und Alex von Streit