Doch, das passiert auch mir noch: das Album einer bislang nur dem Namen nach bekannten Band bekommen, eher unaufmerksam eingelegt, und nach kurzer Zeit elektrisiert gefragt: Was, wer ist das? Das ist ja enorm gut! Wieso hatte ich die bislang nicht wirklich auf dem Schirm? So erging es mir Ende 2020 mit ROSI und deren neuem Album „Sad Dance Songs“ auf Disentertainment: Genau meine Art von Post-Punk, einerseits aus der Gegenwart, andererseits aber auch alles triggernd, was ich in dem Genre in den Achtzigern mochte. Logisch, dass ich von Sven Rosenkötter (Gesang, Texte, Synthies) und Mirco Rappsilber (Gitarre, Bass, Synthie, Percussion) ein paar Antworten brauchte.
Es gibt ja Menschen, die sind von Anfang an in einem bestimmten Genre zu Hause, richten sich da wohnlich ein und bleiben da den Rest des Lebens. Bei euch war das anders. Könnt ihr die Stationen auf dem Weg zu „Sad Dance Songs“ mal Revue passieren lassen?
Mirco: Also ich bin ganz klar im New Wave, Post-Punk, Goth und Punk sozialisiert worden. Mein erstes richtig tolles Konzert war von THE MISSION in Düsseldorf, ich glaube 1987 oder ’88, da war ich aber schon zwei Jahre dieser Musik verfallen. Punk gefiel mir damals auch sehr gut und ist mindestens genauso wichtig für meine musikalische Prägung wie der ganze Düstersound. Aber „schuld“ sind eindeutig DIE ÄRZTE, meine erste richtige Lieblingsband, dann DEPECHE MODE und THE CURE, von denen bin ich noch immer Ultra-Fan, dann war sowieso alles verloren, hahaha. Irgendwann Anfang der Neunziger kam immer mehr Punk dazu, DIE SKEPTIKER fand ich damals unfassbar gut, ich mag sie immer noch. Dann viel Hardcore, Fanzines machen, in Bands spielen und auftreten, Konzerte veranstalten, Platten herausbringen, unglaublich oft und weit zu Konzerten fahren, dann bin ich über DC-Sound und frühe Emo-Bands im Indie angekommen. Irgendwann kam wieder mehr Post-Punk dazu. Ab Anfang der 2000er bin ich auch wieder sehr gerne auf „schwarze“ Partys gegangen und auch auf das eine oder andere Konzert. Bands, in denen ich gespielt habe und eigentlich auch noch spiele: ENDEARMENT, seit 1997, mit denen bin ich ja auch oft getourt. Dann habe ich für ein Jahr Live- und Studiogitarre bei EGOTRONIC und nebenbei in diversen Proberaumbands gespielt. Dann mit einer Shoegaze-Band eine EP aufgenommen. Im März 2015 bin ich bei ROSI eingestiegen, auf dem ersten Tape war ich aber auch schon am Start, nur eben nicht live dabei. Dann bin ich bei der Shoegaze-Band ausgestiegen. Dass wir mal drei Alben herausbringen werden, hätte ich beim ersten Tape auch nicht gedacht. Oha, das ist jetzt aber ganz schön lang geworden.
Sven: Ich mache es kurz. Nach einer kurzen Metal- und Hardrock-Phase war vor allem der Hannover-Punk daran schuld, dass ich Punk entdeckte. Das lag auch mit an Maik, aka E-ALDI, der etwas älter ist als ich, und wir waren dann ständig auf Konzerten. Von DIE GOLDENEN ZITRONEN bis KASSIERER war irgendwie alles dabei. Dann kam durch TOCOTRONIC der Indie in mein Leben. Ich landete bei TEAM DRESCH, DINOSAUR JR und natürlich SONIC YOUTH. Nach einer längeren Phase als DJ in einem Indie-Club wollte ich dann etwas anderes machen und entdeckte Deep House und nachdem sich meine letzte Band vor ROSI auflöste, wollte ich traurige Musik mit Gitarren und elektronischen Sounds machen, dann kam Mirco dazu und so nahm das Ganze seinen Lauf.
Was hat dieser britische Post-Punk von Anfang/Mitte der Achtziger, ähnlich wie 77er-Punk und Hardcore aus den frühen Achtzigern, dass Bands – auch ihr – immer wieder auf diese Klänge zurückgreifen?
Mirco: Für mich ist es einfach eine coole Atmosphäre, die der alte Post-Punk- und New-Wave-Sound hat, solange man nicht großartig über irgendwelchen mystischen Quatsch oder Religion oder wie Darklord himself singt und nur Retro produziert, ist es einfach die Musik, die ich noch immer sehr gerne mag. Ich tippe die Zeilen hier und höre nebenbei CULK aus Österreich, super Band, null Retro für mich, haben zwei tolle Platten bisher gemacht. Bei der neuen LP haben wir uns ja ganz klar „modernisiert“ und auch zum ersten Mal gesagt: Wir mischen und produzieren nicht selber, sondern holen uns jemanden dazu. Na ja, die Pandemie hat die Studiopläne zerschlagen, leider. Mit Jan Niklas Jansen von LOCAS IN LOVE, dem Mischgott im Bear Cave Studio in Köln, haben wir uns mit Absicht jemanden etwas außerhalb der Szene gesucht, der aber schon auch einen melancholischen Ansatz hat und selber ja zu schönen Soundexperimenten neigt. Der Mix ist fantastisch gut. Niklas hat uns im Aufnahmeprozess auch das eine oder andere Mal gesagt, wenn was nicht so cool war.
Sven: Jemand anderes mischen und produzieren zu lassen, hat sich definitiv gelohnt und hatte einen enormen Einfluss auf das neue Album. Was dieses Retro-Ding angeht: um ehrlich zu sein, bin ich jetzt auch nicht der riesige Post-Punk-Experte. Mir ist mittlerweile schon klar, was wir da machen und woher die Referenzen kommen, aber beim Musikmachen beschäftige ich mich mit so etwas kaum. Melancholie findet sich ja irgendwie in sehr vielen Genres und ansonsten suche ich einfach nach Sounds, die mir gefallen. Wenn es Inspirationen für mich gab, waren das dieses Mal eher BEACH HOUSE und die BEASTIE BOYS und nicht JOY DIVISION oder Ähnliches. Da ich eben auch kein Instrument richtig gut spielen kann, kommt dabei Punk und Minimales heraus und die Art des Gesangs hat sich irgendwie über die Jahre so entwickelt. Und wir hatten von Anfang an auch nicht vor, das Rad neu zu erfinden, wenn das im Punk überhaupt noch geht, was ich stark bezweifle. Das Mastering von Jason Corbett von Jacknife Sound in Vancouver hat den Sound schließlich so richtig rund und schön gemacht.
DIY – aus Überzeugung, aus Spaß am Pakete-Selberpacken, oder weil es sonst keiner tut?
Sven: Wir nutzen seit Beginn schon auch DIY-Strukturen. Ich denke da zum Beispiel an David und Sabrina von Fairtrade Merch, Leute aus unserem Umfeld, die dieses Mal die Textblätter übernommen haben und bei denen wir bisher immer unseren gesamten Merch haben drucken lassen. Das ergibt einfach auch Sinn, sein Geld da zu lassen, wo man weiß, dass auch Gutes damit gemacht wird.
Mirco: So DIY sind wir ja gar nicht mehr. Disentertainment bringt die CD raus und Broken Silence macht den Vertrieb, die Promo hat zum Teil auch ein Profi übernommen. Das Vinyl haben wir herausgebracht, weil wir da null Kompromisse eingehen wollten. Farbiges Vinyl war uns wichtig, zum ersten Mal ist ein Textblatt enthalten. Aber sicher, da das Vinyl aufgrund der Pandemie verzögert aus dem Presswerk kam, war es schon eine ziemliche Arbeit, alles vor Weihnachten zu verpacken und zu verschicken. Aber irgendwie ist es dann auch wieder super, weil wir wissen: Ey, wir haben das gemacht, wir zusammen, stark.
„Bielefeld, Germany“ ist bei Bandcamp als eure Herkunft eingetragen. Was muss man aktuell über die Stadt wissen, so in Sachen Musiklandschaft? Und kann da eigentlich noch jemand Bielefeld-Witze hören oder wird man sofort mit Mistgabeln aus der Stadt gejagt?
Mirco: Bielefelder:innen finden Bielefeld-Witze total lustig – nicht! Sie nerven einfach unfassbar, aber sind auch total egal. Man erntet höchstens noch ein Augenrollen oder ein gelangweiltes Gähnen. Die Bielefeld-Verschwörung wurde ja auch beerdigt, richtig mit Grabstein und so. Niemand konnte den Beweis erbringen, dass es Bielefeld nicht gibt. Aber ich verrate dir ein Geheimnis, lieber Joachim, eigentlich ist es eine Kulisse und wir wohnen alle in Werther, Herford und Gütersloh. Schockmoment, oder? Die Szene hier ist echt toll. Da kann man als Post-Punk-Band auch mal mit Skatepunks wie PRIMETIME FAILURE oder EATEN BY SNAKES spielen, keinen stört großartig, wenn das nicht so richtig stilistisch zusammenpasst, es gibt schon einige coole Bands. Die nicht so coolen kennen wir nicht, weil wir ja zu den coolen Bands gehören, reden wir uns seit Jahren zumindest ein.
Sven: Ich möchte noch ergänzen, dass es neben coolen Bands wie WEAK TIES, DISGUSTING NEWS, KISHOTE oder MAYAK auch noch Labels wie Per Koro, Schädelbruch Platten und Kapitän Platte gibt und auch die Kneipen- und Konzertlandschaft zwar überschaubar, aber auch erstaunlich abwechslungsreich ist. Hoffen wir mal, dass die meisten den derzeitigen Mist überleben.
Zum Schluss: „Skandal im Sperrbezirk, Skandal um Rosi“ oder COCOROSIE?
Mirco: Ganz klar, COCOROSIE.
Sven: COCOROSIE.
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