Es wurde langsam Zeit, dass wir Henry Rollins mal zum Interview bitten, schließlich ist der gute Mann der lebende Beweis dafür, dass man mit 40 Jahren immer noch verdammt gut rocken kann. Wer´s nicht glaubt, lausche mal den Klängen von „Nice“, dem neuen Output der ROLLINS BAND.
Es wurde ja schon unheimlich viel gesagt und geschrieben über den eisernen Heinrich, der oft als schwieriger Interviewpartner dargestellt wird. Der Mann ist eine Respektsperson, keine Frage, nicht nur wegen seinen rhetorischen Fähigkeiten, die er immer wieder bei seinen humorvollen Spoken Word-Auftritten demonstriert. Anfang der achtziger Jahre schrieb er mit BLACK FLAG Musikgeschichte, um Ende der Achtziger mit der ROLLINS BAND weiterzumachen. Mit dieser Combo gelang ihm 1992 mit dem monumentalen Album „The End Of Silence“ auch der große Durchbruch, der durch das zwei Jahre später veröffentlichte „Weight“ eindrucksvoll zementiert wurde. Henry Rollins stand plötzlich im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, woran das Video zu „Liar“, der ersten Singleauskoppelung, sicherlich nicht ganz unschuldig war. 1997 folgte dann „Come In And Burn“, das nicht mehr überall auf Gegenliebe stieß. Der Longplayer wirkte zu konstruiert und leblos, was sicherlich auch am langwierigen Entstehungsprozess von über 18 Monaten lag.
Allen Beteiligten wurde klar, dass die ROLLINS BAND in dieser Form am Ende war, weshalb sich der tätowierte Schrank auch auf die Suche nach neuen Musikern begab, die er dann in MOTHER SUPERIOR (nicht mit der gleichnamigen schwedischen Band verwechseln!) auch fand. Drei junge Musiker, mit denen Henry seine Rock´n´Roll-Träume seitdem wieder ungeniert ausleben kann. Mit „Get Some Go Again“ erfolgte dann die Wiedergeburt, da sich das neu formierte Quartett aus Los Angeles auf relativ kurze, laute, dreckige und ungestüme Rock´n´Roll-Hymnen konzentrierte. Und nun, knapp anderthalb Jahre später, zaubert die ROLLINS BAND eine neue Scheibe aus dem Hut, die den Titel „Nice“ verpasst bekam. „Nice“ ist ein eher ungewöhnlicher Titel für ein Rollins-Album, schließlich handeln all seine Platten von sehr ernsten Themen wie Selbstzweifel, Entfremdung und Isolation. „Ich finde den Titel lustig“, gibt der 40-jährige, der es sich in seinem Büro in Hollywood bequem gemacht hat, zu Protokoll. „Es gibt ganz unterschiedliche Deutungsarten des Wortes“, fährt er nach einer kleinen Pause fort. „Nice können zwei Leute sein, die Hand in Hand durch den Park gehen. Nice kann aber auch sarkastisch gemeint sein, wenn man zum Beispiel ein hässliches Auto sieht, das einem nicht gefällt – dann sagt man auch „Nice“. Der Titel stammt von unserem Gitarristen. Als wir eines Tages im Proberaum standen, fragte ich in die Runde, wie wir das neue Album nennen könnten. Er lachte und sagte nur „Nice“, was wir alle witzig fanden.“
Von mangelnder Kommunikationslust kann bei Rollins an diesem Tag nicht die Rede sein. Der Mann, den manche Journalisten fürchten, entpuppt sich als äußerst freundlicher und kooperativer Gesprächspartner, der Fanzines wie das Ox übrigens für sehr wichtig hält: „Wenn ich ehrlich bin, lese ich nicht viele Fanzines, weil ich ganz einfach nicht viele davon in die Finger bekomme. Grundsätzlich finde ich Fanzines aber wichtig, sonst würde ich auch keine Interviews mit ihnen machen. Selbst mit den winzigsten Fanzines unterhalte ich mich. Ich denke, dass diese Form der Kommunikation sehr wertvoll ist.“ Dennoch ist er nicht auf alle Journalisten gut zu sprechen. Ich erinnere mich lebhaft an die
letzte Popkomm (2000) in Köln, wo er vor dem „Fachpublikum“ einen Vortrag über die Verantwortung der Musikindustrie hielt. Dabei bekam auch die schreibende Zunft ihr Fett weg, der er vorwarf, dass viele Musikjournalisten zu wenig Hintergrundwissen haben. Glaubt er wirklich, dass die meisten Schreiberlinge keine Ahnung von Musik haben? „Ich erinnere mich, dass ich dort vor vielen Schlipsträgern geredet habe“, lacht er leise. „Ich denke, dass viele Journalisten, die sich in wichtigen und prestigeträchtigen Positionen befinden, kein ausgeprägtes Fachwissen besitzen. Ich bin der Meinung, dass man als Kritiker kein Instrument beherrschen muss, um gut zu sein, aber ich denke auch, dass man zumindest riesige Berge von Platten besitzen sollte. Sogar Platten, die man nicht mag. Als Autorität dieser Art sollte man wirklich unglaublich viel Musik hören, Bücher über Musik lesen und ständig seinen Horizont erweitern. Wenn ich, der kleine Künstler, die Journalisten nach manchen Platten frage, bekomme ich oft nur ein Achselzucken als Antwort. Dann muss ich mich schon fragen, was diese Leute in diesem Beruf eigentlich zu suchen haben. Das ist das Problem, das ich mit manchen Journalisten habe.“ Ähnlich realistisch sieht Henry Rollins auch die Musikindustrie, der er mit dem Wechsel zum Independent-Label Steamhammer wieder mehr den Rücken gekehrt hat: „Die Majors sind heutzutage ausschließlich an Produkten interessiert, die sich gut verkaufen lassen“, analysiert er die aktuelle Situation emotionslos. „Das ist nichts Neues, es war ja im Prinzip schon immer so. Dennoch gab es einmal eine Zeit, so Mitte der neunziger Jahre, in der die Majors mal etwas risikofreudiger und aufgeschlossener waren. So kamen auch wir an einen solchen Plattenvertrag, aber heute sind die großen Firmen wieder sehr konservativ und langweilig. Diese Welt interessiert mich auch gar nicht mehr...“
Von Interesse ist allerdings die musikalische Ausrichtung der neuen Scheibe, die meiner Meinung nach etwas abwechslungsreicher und vielfältiger als „Get Some Go Again“ ausgefallen ist. „Das finde ich auch“, bestätigt Rollins meine These. „Ich glaube, dass wir nach so vielen gemeinsamen Shows herausgefunden haben, welche musikalischen Fähigkeiten in dieser Band stecken. Wenn man längere Zeit gemeinsam spielt, lernt man mehr über das Potential der Band. So kristallisierte sich im Laufe der Zeit heraus, dass die anderen Bandmitglieder auch gut singen können. Also schrieben wir Songs, in denen im Chorus Gesangslinien für sie vorkommen. Wir wollten ganz einfach sehen, ob das klappt, und das hat es meiner Meinung nach auch. Hinzu kommt, dass keine starren Regeln innerhalb der Band existieren. Wenn jemand eine Idee hat, probieren wir sie einfach aus, was die unterschiedlichsten Stile und Experimente zulässt. Diese Offenheit ermöglicht ein breites musikalisches Spektrum.“
In der Tat, wie zum Beispiel das ungewöhnliche „Up For It“ demonstriert, welches mit einer ungewöhnlich fetten Portion Groove und weiblichen Backgroundsängerinnen versehen wurde. „Ich wollte etwas nach dem Vorbild von James Brown machen“, beleuchtet das Kraftpaket die Entstehungsgeschichte des Stückes. „Die Magie James Brown bestand für mich immer darin, dass in seiner Musik sehr viel passiert, ohne dass viele Musiker gleichzeitig spielen. Auf dieser Idee basiert auch dieses Lied, das sehr minimalistisch ist.“ Manchmal ist weniger eben mehr.
Stimmt es eigentlich, dass ein großer Teil des neuen Materials auf Tour entstand? „Viel davon, ja.“ Demnach ist das Unterwegssein also seine größte Inspirationsquelle? „Für mich schon, was wohl damit zusammenhängt, dass ich mich sehr stark an das Tourleben gewöhnt habe. Ich bin ja neun Monate pro Jahr auf Achse, so dass ich manchmal denke, dass ich gar kein richtiges Zuhause habe.“ Dass dabei gleich 29 Songs entstanden, von denen nur zwölf auf der CD-Version verewigt sind, ist allerdings schon eine kleine Überraschung – was für eine Fülle! Da muss ihm der Selektionsprozess doch bestimmt schwer gefallen sein, oder? „In gewisser Weise schon. Es ging uns hauptsächlich darum, dass die ausgewählten Lieder gut zusammenpassen. Wir haben zwölf Stücke ausgewählt, die auch von der Reihenfolge her miteinander harmonieren. Bei acht Songs waren wir uns alle sofort einig. Bei anderen Stücken gab es hingegen erhebliche Zweifel, aber ich denke, dass wir die beste Wahl getroffen haben.“ Und was wird mit dem Rest des Materials passieren, welches wir vorerst nicht zu hören bekommen werden? „Zum Teil werden sie als B-Seiten verwendet werden“, erläutert Rollins. „Vier davon werden außerdem auf der Vinyl-Version von „Nice“ enthalten sein, so dass die LP 16 Songs umfassen wird. Was dann noch übrig bleibt, wird vielleicht auf meiner Webseite veröffentlicht werden, wo ja auch schon die Outtakes des letzen Albums unter dem Titel „Yellow Blues“ erschienen sind.“
Die Vinyl-Junkies werden sich sicherlich freuen, aber kommen wir mal auf die Erwartungshaltung des Multitalents zu sprechen: Was erhofft er sich von der neuen Langrille? „Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass es mir egal ist, was die Leute über die Platte denken. Ich möchte schon, dass das, was ich mache, gemocht wird. Aber was die Hörer letztendlich von „Nice“ halten, liegt außerhalb meines Machtbereiches. Ich mache mir darüber auch kaum Gedanken, weil ich längst schon wieder mit den nächsten Projekten beschäftigt bin. Meine eigenen Erwartungen sind bereits erfüllt. Ich wollte ein besseres Werk als „Get Some Go Again“ abliefern, was auch gelungen ist.“ Und wie sehen die nächsten Projekte aus, die den arbeitswütigen Mister Rollins auf Trab halten? „Zunächst einmal steht eine ausgedehnte Tournee an“, lautet die Antwort. „Während dieser Tour werden wir auch schon wieder neue Songs schreiben, um das nächste Studioalbum vorzubereiten.“ Doch damit nicht genug: Rollins arbeitet auch schon wieder an einem Nachfolger von „Smile You´re Traveling“, seinem letzten Buch. „Ja, auch daran arbeite ich“, freut er sich, „aber bis das nächste Buch erscheint, werden mindestens noch zwei Jahre vergehen. Bücher brauchen viel länger als Platten, aber zum Glück stehe ich in dieser Hinsicht nicht unter Druck. Es ist ja nicht so, dass die Welt atemlos auf ein neues Buch von mir wartet, so dass ich tun und lassen kann, was ich will.“
Bei einem hyperaktiven Kerlchen wie ihm stellt sich natürlich die Frage, ob es in seinem Leben noch irgendwelche unerfüllten Träume gibt. „Ich weiß nicht“, zögert er kurz. „Ich wäre glücklich, wenn ich das, was ich gerade tue, noch eine Weile weiter durchziehen kann. Denn das, was ich seit über zwanzig Jahren mache, ist nicht immer einfach. Es ist schwer, dass einen die Leute nach dieser langen Zeit immer noch mögen.“ Über seinen normalen Tagesablauf kursieren ja die wildesten Gerüchte. Oft wird behauptet, dass sich der gute Mann nicht die geringste Pause gönnt. Aber wie sieht ein durchschnittlicher Tag im Leben des Henry Rollins nun wirklich aus? „Heute Vormittag gebe ich drei Stunden Interviews“, legt er wie aus der Pistole geschossen los. „Dann mache ich ein paar Trailer für ein paar TV-Stationen, wo ich ein paar nette Worte in die Kamera spreche. Danach gehe ich dann nach Hause, um schnell einige Sandwiches zu essen. Anschließend geht es zur Bandprobe, die ungefähr drei Stunden dauern wird. Dann geht es wieder nach Hause, um was zu essen, damit ich für die nächsten Interviews fit bin, die noch mal drei Stunden dauern werden. Dann ist es neun Uhr abends. Bevor ich ins Bett gehe, mache ich noch einen Abstecher in meine Garage, um ein paar Gewichte zu stemmen. Und morgen geht das alles wieder von vorne los.“ Ein echtes Arbeitstier, von dem wir noch viel hören und lesen werden...
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