Der sogenannte Junge bzw. Neue Deutsche Film, proklamiert 1966 in Oberhausen unter dem Schlachtruf "Papas Kino ist tot" mit Vertretern wie Ulrich Schamoni, Volker Schlöndorff, Rainer Werner Fassbinder und Alexander Kluge, entpuppte sich in der Regel als das, was man am treffendsten mit "am Publikum vorbeiproduziert" bezeichnen könnte. Im besten Fall bekam man DIE BLECHTROMMEL von Schlöndorff vorgesetzt, im schlimmsten ein selbstverliebtes Machwerk von Kluge, einem Intellektuellen der übelsten Sorte, der sich kurioserweise in letzter Zeit als Jörg Buttgereit-Fan hervorgetan hat.
Roland Klick, geboren 1939 in Hof, hatte - glücklicherweise, muß man sagen - wenig mit den oben genannten Herren zu tun, obwohl er ebenfalls seit den 60ern als Regisseur aktiv ist. Wahrscheinlich hat das sein "spärliches" Oeuvre von gerade mal vier Kurz- und sieben Langfilmen in 35 Jahren vor einem frühzeitig ablaufenden Verfallsdatum bewahrt. Klick ist innerhalb des deutschen Kinos immer eine auch den wildesten Abenteuern gegenüber nicht abgeneigte Außenseiterfigur gewesen - dafür sind seine Arbeiten der beste Beweis. Richtig erfassen kann man das aber erst, wenn man die Entstehungsgeschichten dazu von Klick persönlich geliefert bekommt, was beinahe noch spannender ist als die Filme selbst.
Auf Klicks Werk war ich bereits in Ox #27 und #29 relativ ausführlich eingegangen, deshalb soll der Mann an dieser Stelle selbst zu Wort kommen. Das folgende Interview ist aber in diesem Fall mal nicht auf meinem Mist gewachsen, sondern ist die Bearbeitung eines von Frieder Schlaich von der Filmgalerie 451 geführten, auf Video erhältlichen und wesentlich längeren Interviews, dem man kaum noch etwas hinzufügen kann.
Übrigens lief Klicks letzter, von 451 wegen rechtlicher Probleme nicht veröffentlichter Film SCHLUCKAUF - eine sympathische Komödie über ein Mädel vom Lande in der durchgedrehten Großstadt und, wie von Klick gewohnt, eine gelungene Milieustudie - vor kurzem überraschend im Fernsehen. Ich fand das klasse, Klick aber wahrscheinlich weniger, da er sich irgendwann mal mit dem Produzenten übel zerstritten hatte.
Und einem alten Weggefährten von Klick, Jost Vacano, dem Kameramann bei SUPERMARKT und LIEB VATERLAND MAGST RUHIG SEIN, wurde letztens ein ausführliches Fernsehporträt gewidmet, da der inzwischen mit Paul Verhoeven in Hollywood Karriere gemacht hat und bei Streifen wie ROBOCOP, TOTAL RECALL und STARSHIP TROOPERS hinter der Kamera stand.
Du bist ja nie ein typischer Vertreter dessen gewesen, was man sich normalerweise unter deutschem Film vorstellt. Woran, glaubst du, liegt das?
Viele Filme sehen deshalb "deutsch" aus, weil sie das Risiko des Unbekannten, also dessen, was die Phantasie entfaltet, nicht eingehen wollen. Sie neigen dazu, jedes Element zu Ende zu erklären.
Ich bin ein Mensch, der Geheimnisse liebt. Und zu jeder Form von Poesie und Geschichte sollte ein Hauch Geheimnis gehören. Denn wo ein Geheimnis ist, kann der Zuschauer seine eigene Phantasie hineinprojezieren. Wenn alles klar ist, gibt es überhaupt keinen Raum für die Phantasie des Zuschauer und er wird sozusagen aus der Geschichte rausgeschmissen.
In DEADLOCK sieht man z.B. diesen Jungen im hellblauen Anzug, der aussieht, als wenn er aus einem Salon kommt. Trotzdem hat er diese Wunde am Arm und eine Maschinenpistole - und das in der Wüste! Diese drei Elemente sind extrem widersprüchlich und werden auch nie aufgeklärt. Ich habe das bewußt nicht aufgeklärt, weshalb ich auch vom deutschen Fernsehen keine Co-Produktion bekommen habe, haha. Der Redakteur wollte natürlich sofort, daß man das erklärt. Und ich habe gesagt: Nein, dann töten wir die Phantasie und damit den Zuschauer.
Dein erster längerer Film nach Kurzfilmen wie LUDWIG war JIMMY ORPHEUS, der aber mit seinen 52 Minuten wie ein verunglückter Spielfilm wirkt. Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Länge?
Ich habe damals nach LUDWIG zu Hanns Eckelkamp, dem Produzenten von Atlas-Film, gesagt: ,Ich will jetzt einen Spielfilm machen.' Dann hat er mir doch noch einen Kurzfilm abgenötigt, nämlich ZWEI, der auch sehr viele Preise bekommen hat. Danach hat er mir wieder einen Kurzfilm angeboten. Da war ich so stinksauer, daß ich die 20.000 DM für den Kurzfilm genommen und angefangen habe, einen Spielfilm zu drehen. Ich dachte, wenn er erst die Muster sieht, wird er vielleicht doch einen Spielfilm machen wollen. Er fand die Muster dann auch tatsächlich ganz toll, aber dummerweise stand die Firma gerade vor der Pleite, haha. Das Geld, einen Spielfilm zu machen, war also nicht mehr da. Was bedeutete, daß ich mit dem restlichen Geld den Film zu Ende drehen mußte. Ich mußte also unheimlich bauen und basteln, um halbwegs eine Geschichte hinzukriegen, vor allem was die Action betraf.
Eigentlich darf man das gar nicht erzählen, aber ich habe dann einen Mietwagen gemietet und für den eine Vollkaskoversicherung abgeschlossent - wissend, daß es einen Crash gibt, haha. Wir waren halt verrückt, völlig wahnsinnig! Dann kam also der Crash, nachts, und es war eiskalt. Robert Van Ackeren stand mit seiner Kamera hinter dem Verkehrsschild und ich sollte das Verkehrsschild umfahren. Ich kam dann um die Kurve geschlittert und Robert dachte, ich würde ihn erwischen. Also hat er seine Kamera genommen und ist davongerannt. Ich habe das Verkehrsschild umgefahren, aber die Szene war natürlich nicht auf dem Film, haha. Dann hatte das Auto einen Achsenschaden, und deshalb ist der Crash nicht da. Noch mal drehen, das konnten wir nicht, es war kein Geld mehr da.
In meiner Laufbahn gibt es verschiedene Filme, die nicht ganz fertig geworden sind. Das liegt eigentlich immer daran, daß ich ein bißchen dazu neige, manche Sachen mit der Brechstange zu erzwingen. Ich wollte das einfach machen, und dann war das Geld nicht da. Ich habe dann einfach darauf gesetzt, durch die Qualität das Geld zu kriegen. Manchmal ist es gut gegangen, und manchmal nicht.
Bei DEADLOCK war es auch so. Ich habe praktisch mit 250.000 DM einen Eine-Million-Film gedreht. Wir hatten gerade genug Geld, den Film in der Wüste abzudrehen. Alles andere wie die Kopierwerksleistungen, Kameramiete und Schauspieler lief über Kredit. Plötzlich hatte ich einen Berg Schulden, hatte aber das Material. Bei DEADLOCK ist die Rechnung wirklich aufgegangen, weil der Film das Geld schnell wieder eingespielt hat. JIMMY ORPHEUS ist für das zehnfache, was er ursprünglich gekostet hat, ans Fernsehen verkauft worden, insofern ist auch das gut gegangen.
War nicht auch WHITE STAR mit Dennis Hopper so ein finanziell riskantes Unternehmen?
Stimmt! Ich hatte einen amerikanischen Co-Produzenten, der eigentlich die Starbesetzung, also Hopper und Jane Birkin, bezahlen sollte - das war Vertrag. Ich sollte die deutsche Seite tragen. Dieser amerikanische Co-Produzent hat das Geld nicht aufgebracht, aber nicht den Mut gehabt, mir das zu sagen. Er hat mich bis an den Rand des Abgrunds getrieben, weil es einen Zeitpunkt gab, wo meine Fördergelder verfallen wären. Ich saß da also kurz vor Drehbeginn mit einer Million Mark Miesen.
Ich hatte auch noch einen deutschen Co-Produzenten, der dann Schiss gekriegt hat und auch noch ausgestiegen ist. Dadurch war das Loch noch größer und ich konnte Jane Birkin nicht mehr bezahlen. Ich konnte mir gerade noch Hopper leisten. Ich habe dann das amerikanische Armeetheater in Berlin als Restbesetzung genommen - alles G.I.s. Und dann kam Hopper, dem das Drehbuch übrigens sehr gut gefiel, und deshalb die Rolle auch ganz toll machen wollte. Wenn Hopper "ganz toll" sagte, meinte er Kokain, haha. Er glaubte, daß er dadurch noch toller wäre.
Eigentlich wußte auch jeder, daß Hopper kokst, aber mir war nicht klar, was das bedeutet, da er immer unheimlich zivilisiert wirkte, als ich in den Staaten war. Als wird dann anfingen zu drehen, kam plötzlich das Koks ins Spiel. Der ist dann regelmäßig ausgeflippt, wenn er nichts mehr hatte oder nichts neues gekriegt hat. Dadurch, daß er oft ausgefallen ist, sind wir in Zeitnot geraten und konnten viele Szenen nicht mehr drehen. Wir haben manchmal einen ganzen Tag darauf gewartet, daß Hopper zwei Stunden am Tag da war, wo man gerade gut drehen konnte. Es gibt auch Szenen wo ihm einfach nicht mehr der Text eingefallen ist und er unheimlich wütend wurde.
Wir haben jede Nacht im Drehbuch Sachen gestrichen und Fetzen zusammengefügt, damit der Film irgendwie fertig wurde. Alles im Hintergrund wurde nicht mehr gedreht, weil nur das gedreht wurde, was wir unbedingt brauchten. Statt einer Suppe mit Maggi ist so nur noch Maggi auf der Leinwand, weil die Verdünnung fehlt - der zeitliche Puffer zwischen den Szenen. Dann haben wir hinterher noch versucht, Verdünnung nachzudrehen, wie dieser nebelige Morgen, wo die Sonne aufgeht. Ich habe diesen Überdruck deutlich beim Schnitt gespürt, worunter der Film natürlich leidet.
Glaubst du, daß ein risikoerzeugender Druck beim Filmemachen manchmal nötig ist, damit ein Film überhaupt Spannung besitzt?
Das gilt sicherlich nicht für jeden Film und für jeden Regisseur. Allerdings stimmt es im Zusammenhang mit meiner Persönlichkeit - ich freue mich über Abenteuer. Ich habe natürlich auch Schiss, aber eine Herausforderung, bestimmte Gefahren zu bewältigen, entfaltet sehr viel Energie in mir. DEADLOCK war eigentlich ein unmögliches Abenteuer. Da wo wir gedreht haben, war gerade der Sechs-Tage-Krieg gewesen. Und im Niemandsland zwischen Jordanien und Israel, praktisch zwischen zwei Fronten, wollten wir drehen, haha. Der Typ, der den Film eigentlich mitfinanzieren wollte, hat dann aber gesagt: ,Keinen Pfennig, die schießen euch da zusammen.' Aber die Israelis meinten: ,Ihr dürft das machen. Die schießen euch nicht zusammen, denn wir passen auf.' Das ganze Unternehmen war ein unglaubliches Abenteuer. Diese Kraft ist auch in das Abenteuer, das der Film zeigt, eingeflossen.
DEADLOCK ist ja in der Hochzeit des Neuen Deutschen Films entstanden, fällt aber thematisch deutlich aus dem Rahmen. Wie sah denn dein Verhältnis zu dessen Vertreten aus?
Die waren mit dem Film nicht einverstanden, weil sie gesagt haben, daß das ein kommerzieller Film sei. Was nicht stimmt, da Kino für mich auch immer die Freude ist, daß etwas gerne gesehen wird und die Leute irgendwie bewegt, so daß sie lachen und weinen können. Das gehört für mich zum Spaß, eine Geschichte zu erzählen. Deshalb hat der Film beim Publikum auch so eine große Resonanz gehabt. Und daß er auch noch Geld gebracht hat, war für mich immer ein Nebeneffekt, auch wenn man mir das Gegenteil unterstellt hat. Mir wurde vorgeworfen, daß meine Filme fürs Kino und die Leute gemacht waren, und auch ein Einspielergebnis hatten. Die dachten, wenn jemand kommerzielle Filme dreht, unterbindet er dadurch die Filmförderung. Bei bestimmten deutschen Regisseuren war schon so eine Art Krankenkassenmentalität verinnerlicht - wir bekommen die Kohle ja vom Staat.
Diese Gefahr hat sich im ganzen Förderungsbereich abgezeichnet, wenn die Filme nicht von vornherein den Anspruch hatten und so konzipiert waren, auf eigenen Füßen stehen zu können. Womit ich nicht sagen will, daß Förderung nicht sein soll. Nur die Filmemacher müssen erkennen, daß eine Förderung kein Selbstzweck ist und man es deshalb nicht mehr nötig hat, Filme zu drehen, die beim Publikum Resonanz finden.
Nach DEADLOCK hast du viele Angebote für Italo-Western bekommen, die damals ziemlich populär waren. Warum hast du die nie angenommen?
Ich bin ein Mensch, der Ehrlichkeit braucht. Ehrlichkeit ist für mich die Luft zum Atmen. Deswegen habe ich immer versucht, wenn ich einen Film gemacht habe, nicht zu betrügen. Also zu sagen, das ist jetzt Mode und das könnte deshalb erfolgreich sein. Wenn ich nicht das Gefühl hatte, daß ich etwas von einem bestimmten Thema verstehe oder es meinen Bedürfnissen und meiner Neugier entspricht, habe ich das nicht machen können.
Deswegen war es wichtig für mich, nach einem Film wie DEADLOCK, wo ich meine ganze innere Wahrheit rein gesteckt hatte, einen neuen Stoff zu finden, der das wieder erfüllt. Außerdem habe ich gemerkt, daß ich ansonsten anfangen würde, mich zu kopieren: Wüste, Sonne, Italo-Western, da muß der Klick hin!
Ich finde, ein Regisseur ist immer in einer elitären Situation. Er dreht z.B. einen Film über die Drogenszene, aber er ist kein Junkie. Insofern hat Filmemachen auch immer etwas mit Ausbeutung zu tun. Gut, daß es Junkies gibt, da kann man einen Film drüber machen. Gut, daß es Mord und Totschlag gibt...
Du bist da als Regisseur aber nie wirklich drin, sondern nur der, der das für seine Zwecke benutzt, und das hat mich immer gestört. Wenn wir schon Filme über eine bestimmte Szene machen, der wir nicht angehören, müssen wir die Filme so machen, daß sie dieser Szene wieder gehören. Das ist für mich die einzige Legitimation, aus der man heraus überhaupt Filme machen kann. Wir dürfen die Filme nicht wie Alexander Kluge für die feinen Leute im Elfenbeinturm machen.
Apropos Junkies. Eigentlich solltest du ursprünglich mal "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" verfilmen. Warum ist daraus eigentlich nichts geworden?
Es ist daran gescheitert, daß ich nun mal kein Junkie bin und alles neu ergründen und die Ordnung darin finden mußte. Ich habe deshalb eine Ausschreibung gemacht und Kids für den Film gesucht. Wir haben ca. 2.500 Zuschriften mit Photos bekommen und haben alle 2.500 angeschaut. Übrig blieb dann eine Gruppe von 30 oder 40, die dann noch kleiner wurde. Das waren meine Kinder vom Bahnhof Zoo! Dann habe ich angefangen, aus diesen Figuren heraus, den Film zu entwickeln, weil das meine Methode ist. Damit die nicht irgendwas daher plappern - Schauspielschüler spricht Junkie, wie man das so kennt -, sondern daß es bei denen aus dem Bauch kommt und sie wissen, wovon sie reden. Diese Methode war für den Film richtig. So kann man natürlich keinen "James Bond" drehen.
Wir haben dann angefangen, den Film vor der Kamera zu spielen, und das auf Video aufgenommen und protokolliert. Nach und nach wäre so der Film entstanden. Ich hatte aber einen Herstellungsleiter, der diesen Prozeß nicht verstanden hat. Der war sauer, daß die Jungs immer auf die Klobrille gepinkelt haben. Lauter so'n Quatsch! Die mußten dann zum Pinkeln immer runter ins Restaurant gehen, weil das Produktionsbüro dafür nicht da ist. Ich habe gespürt, daß der Apparat diese Methode nicht annimmt. Daraus ist ein Konflikt entstanden, der soweit eskalierte, daß ich 14 Tage vor Drehbeginn gesagt habe: "Ich mach so nicht weiter". Dann ging der Rechtsprozeß los. Leider, da ich den Film sehr gerne gemacht hätte, und glaube, daß der Film, der dann entstanden ist, nicht der richtige Film ist.
Du hast seit 1989 keinen weiteren Film gemacht, was angesichts deiner Begeisterung fürs Kino schwer nachvollziehbar ist.
Ich bin zu dieser Zeit ganz schön angeknackst gewesen und habe mich gefragt, ob ich das alles überhaupt noch will. Ich habe dann beschlossen, das ich das nicht mehr will, und mich gefragt, woran das liegt, daß ich immer in solche Situationen gerate. Mir ist dann klar geworden, daß ich in solche Situationen gerate, weil ich filmsüchtig bin - sozusagen ein Junkie! Denn wenn du abhängig bist, läßt du dich von den Umständen in jede Scheiße reintreiben und verlierst die Souveränität den Dingen gegenüber. Ich habe gespürt, daß ich mir durch diese absolute Leidenschaft unheimlich viele Situationen eingehandelt habe, die ich gar nicht tragen konnte. Deshalb habe ich mir eine Auszeit genommen, um diese Besessenheit zu überwinden. Ich habe dann begonnen, Zen zu machen und zu meditieren. Ich habe mich intensiv mit meiner Seele befaßt und versucht die in Ordnung zu bringen. In diesem Prozeß stecke ich momentan immer noch.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #30 I 1998 und Thomas Kerpen