Roderick James Byers alias Roddy Radiation wurde am 5. Mai 1955 in Coventry, England geboren. Bereits im Kindesalter wurde Roddy von seinem Vater zu Posaune und Trompete hingeführt, bis er mit dreizehn Jahren sein Instrument – die Gitarre – fand. Von Bandleader Jerry Dammers angeheuert, schrieb Roddy mit den COVENTRY AUTOMATICS Geschichte, aus denen bald die 2Tone-Legende THE SPECIALS hervorgehen sollte. Ihr gleichnamiges Debütalbum aus dem Jahr 1979 ist der Inbegriff von 2Tone, eine Fusion aus Pop, Punk, Reggae und Rock. Roddy selbst ist verantwortlich für Hymnen wie „Rat race“, „Concrete jungle“, „Gangsters“ oder „Hey little rich girl“. Und wer kennt nicht den Alltime-Classic „A message to you Rudy“ mit dem unvergleichlichen Posaunensolo von Rico Rodriguez. Ein Klassiker! Das zweite Album „More Specials“ aus dem Jahr 1980 hingegen sorgte bereits für Missstimmung sowohl in der Band, als auch in der Fangemeinde. Nach dem Split sollte die Band in der Mark 2-Besetzung in den Neunziger Jahren noch einmal kurz für Aufsehen sorgen. Vor wenigen Monaten wurde auf Grover Records die Anthologie des SPECIALS-Gitarristen Roddy Radiation veröffentlicht. Mit seiner aktuellen Formation THE SKABILLY REBELS war er diesen Sommer in Deutschland auf Tournee, auf der wir uns leider verpassten, so dass wir Ende Juli via eMail folgenden Schriftwechsel führten.
Würdest du nach all den Erfahrungen vor mehr als 25 Jahren noch einmal alles aufgeben, um zu versuchen, berühmt zu werden?
„Schwierige Frage. Wahrscheinlich nicht, da ich nicht mehr so jung und dumm bin. Heute bin ich aber manchmal immer noch genauso dumm.“
Wie wichtig war für dich die 2Tone-Ära als politisches Statement?
„Punkrock, wie ihn damals THE CLASH spielten, war politisch. Aus diesem Background kamen wir. Als ‚multi-racial‘ Band war es uns ein Anliegen, uns klar gegen Rassismus auszusprechen. Ich bin nach wie vor politisch aktiv. Man kann nicht einfach auf der Stelle treten und alles, was in der Welt vor sich geht, ignorieren. Deshalb sollte jeder ein Stückchen dazu beitragen.“
THE SPECIALS werden immer wieder mal als Gründer von Skapunk
beschrieben. Siehst du das auch so?
„Sagen wir mal so: Der authentische Ska der sechziger Jahre hätte ohne den Schuss Punkrock in den Siebzigern das nächste Level nicht erreicht.“
Deine musikalischen Vorbilder kamen aber nicht aus dem Punkrock.
„Die meisten Punkrocker, wie Mick Jones, Steve Jones und Joe Strummer wuchsen mit den ROLLING STONES oder Chuck Berry auf. Diese Typen waren die Rebellen ihrer Tage. Jede Generation hat ihre Anti-Helden vorzuweisen. Ich bevorzuge die Punkbands, die kraftvolle Melodien und die richtige Einstellung, was Punk betrifft, mitbringen.“
Du mochtest das Touren mit den SPECIALS nicht. Wie ist das heute?
„Am Anfang hatte ich Spaß daran. Das änderte sich, als Jerry Dammers nur noch die Songs spielen wollte, die er geschrieben hatte. Einige Songs von dem Album ‚More Specials‘ funktionierten live einfach nicht, da es sich um Studio- und Konzeptsongs handelte. Touren kann immer anstrengend sein. Auch heute noch möchte ich manchmal die Welt anhalten. Andererseits hat es auch etwas Erhabenes.“
Warum hast du nicht bereits während der Aufnahmen zu „More Specials“ die Band verlassen, wenn du im Studio schon so viele falsche Kompromisse eingehen musstest?
„Gute Frage. Nach ewigen Diskussionen hoffte ich trotzdem darauf, dass mich Jerry meine eigenen Ideen umsetzen lässt. In einer Band zu sein, bedeutet Kompromisse eingehen zu müssen, es sei denn, es ist deine eigene Band.“
Ihr habt bei einem Benefiz-Festival für die Bevölkerung Kambodschas mitgewirkt, bei dem auch Größen wie THE CLASH, THE PRETENDERS, QUEEN oder THE WHO vertreten waren und wovon es auch ein Doppelalbum gab.
„Das war im Hammersmith Odeon, diesem alten Theater in London. Ein großartiges Konzert. Wir spielten aber auch auf Festivals, die weitaus größer als dieses waren.“
„Never bite that hand that feeds you.“ Mit eurer Plattenfirma Chrysalis hattet ihr auch bald darauf Stress. Wieso eigentlich?
„Das waren nur Geschäftsleute, die ihren Profit aus der Vermarktung eines Trends machen wollten. Vielleicht wäre es besser gewesen, wir hätten mit einem Independent-Label zusammen gearbeitet.“
Was hast du nach den SPECIALS gemacht?
„Das Geld, das ich damals mit den SPECIALS verdient hatte, steckte ich in meine Band THE TEARJERKERS. Nachdem ich einige meiner Gitarren verkaufen musste, sah ich ein, es ist besser, ich arbeite wieder in meinen erlernten Berufen als Maler und Dekorateur und bin nebenher als semiprofessioneller Musiker aktiv. So habe ich einige Jahre mein Geld verdient. Alles auch eine Frage der Prioritäten, die man sich setzt. Meine Frau zeigt sich jedoch sehr verständnisvoll. Sie ist Lehrerin.“
Was steckte hinter der Idee SPECIALS Mark II in den Neunzigern?
„Roger Lomas, der Produzent von THE SELECTER und den BAD MANNERS, bat uns – Lynval Golding, Neville Staple, Horace Gentleman und Charley Bembredge, Schlagzeuger der THE SELECTER-Ur-Besetzung, und mich – Desmond Dekker als Backing Band zu begleiten. Es sollte keine neue Band werden, aber dann passierte es einfach so. Wir hatten alle sehr unterschiedliche Ansichten, was das Format SPECIALS Mark II betraf. Wir hatten eine Weile wieder unseren Spaß und tourten erneut um die Welt. Wir waren auch immer wieder mal in Deutschland, konzentrierten uns insgesamt jedoch mehr auf die USA.“
Hast du noch Kontakt zu deinen ehemaligen Mitstreitern?
„Kürzlich sah ich Neville und seine Band in Coventry, das war klasse. Im August war ich in Japan und Australien mit Neville und Rankin Roger – von THE BEAT – als eine Art Special Guest mit SPECIAL BEAT unterwegs. Jerry sah ich einige Male. Wir kommen persönlich ganz gut miteinander aus, haben aber musikalisch wenig Gemeinsames. All die anderen Jungs treffe ich auch ab und an mal, wir sind aber nicht mehr miteinander befreundet.“
Wie stufst du Bands von damals ein, die nach wie vor ihre alten Hits spielen, ansonsten aber mit neuem Material nicht punkten können?
„Das wäre nicht im Sinne der SPECIALS. Ich spiele mit meiner neuen Band THE SKABILLY REBELS die Songs aus der SPECIALS-Ära, die ich geschrieben habe, und konzentriere mich ansonsten auf mein eigenes Material.“
Wie wahrscheinlich ist ein Projekt „SPECIALS III“?
„Lieber mache ich meine eigene Musik. Ich hoffe, dass es dazu nicht mehr kommen wird, aber wer weiß das schon so genau ...“
Geht es dir nicht manchmal auf den Geist, dass sich vieles um deine Person auf die Vergangenheit bei den SPECIALS bezieht?
„Manchmal. Ich kann es nicht abstreiten. Andererseits muss ich damit leben, ein Mitglied in einer großartigen Band gewesen zu sein.“
Fünf Alben – fünf Kommentare! „The Specials“?
„War 1979 unser Live-Set.“
„More Specials“?
„Jerrys ‚Seargent Pepper‘-Album. Eine Platte für Intellektuelle.“
„Guilty ‘til Proved Innocent“?
„Enthält einige richtige Diamanten.“
„Desmond Dekker & The Specials“?
„Lediglich ein Spaßalbum, und nichts, was die Welt verändert hat.“
„Skabilly Rebels – The Anthology“?
„Meine eigenen Songs von 1980 bis heute. Eigene Veröffentlichungen, Demomaterial und Home Recordings. Eine musikalische Zeitreise meines Lebens.“
Einige deiner Songs erinnern an Joe Strummer-Kompositionen. Kam es nie zu einer musikalischen Zusammenarbeit außerhalb der Tour?
„Mick Jones’ Job wäre mir damals am liebsten gewesen. Joe kannte ich eben mal so, um kurz ‚Hallo‘ zu sagen, auch wenn ich 1976 etwas mit ihm rumhing, da ich mit einem Typen namens Rodent befreundet war, der gelegentlich als Roadie bei THE CLASH arbeitete. Dann war da noch unsere erste große Tour in England mit THE CLASH. Wir hatten viel Spaß zusammen. Ich liebe deren Musik, da es tatsächlich ähnliche Einflüsse in meinen Arrangements gibt.“
Du bezeichnest deine Musik als Skabilly – Ska kombiniert mit Rockabilly. Was fasziniert dich an Rockabilly?
„Ich mag alles Mögliche an Musik. Rockabilly heute ist so was wie eine Karikatur der frühen Fünfziger geworden. Trotzdem liebe ich die Originale aus dieser Zeit. Machen wir mal eine Zeitreise in die Musikgeschichte, so stellen wir fest, dass vieles die gleichen Wurzeln hat. Egal ob Fats Domino, Jerry Lee Lewis, Buddy Holly oder Elvis Presley, sie alle bedienten sich beim schwarzen Blues. Ich wünschte, meine Musik ist ebenso langlebig.“
Nachdem du jetzt dein altes Material auf einer Zusammenstellung veröffentlicht hast, wann kann man mit neuem Material von dir rechnen, ohne SPECIALS-Background?
„Es ist ausreichend Material für zwei CDs vorhanden. Im Moment nehme ich Demos für eine weitere Veröffentlichung in diesem Jahr auf. Meine Songs sind so, wie sie sind, und werden wohl immer auch etwas denen der SPECIALS ähneln. Eben meine Art und Weise, wie ich versucht habe, ihnen Songs nahe zu bringen.“
Ein junger Kerl aus Coventry wird zu einem Teenie-Popstar. Einige letzte Eindrücke von dir.
„Vielleicht hätte ich einiges anders gemacht. Leben ist stetiges Lernen. Trotzdem machen die Fehler manchmal großen Spaß.“
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #62 Oktober/November 2005 und Simon Brunner
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #61 August/September 2005 und Robert Noy
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