Groß vorstellen muss man Rocko Schamoni unseren Lesern sicher nicht. Zu viele Jahre geisterte der gebürtige Lütjenburger nun schon durch die Subkultur und war nicht unwesentlich für das Gesicht der heutigen Hamburger Szene mitverantwortlich. Als Musiker, Autor, Kleinkünstler, Telefon-Terrorist und Betreiber des Pudel Clubs hat sich Rocko inzwischen über Norddeutschlands Grenzen hinaus einen Namen gemacht, der für intelligente, aber dennoch anarchische und kritische Unterhaltung steht. Ende letzten Jahres erschien ein opulentes „Best Of“-Werk seines musikalischen Schaffens, und sein erstes Hörbuch hat Rocko gleich auch noch veröffentlicht. Genug Stoff also für ein abwechslungsreiches Gespräch.
Ich habe dich vor vielen Jahren mal in einem Interview für den damaligen Kabel-Sender Tele 5 gesehen, wo du dich auf der Reeperbahn als Straßenmusiker verdingt hast. Damals hast du gesagt: „Ich bin mit einer Mission gekommen, aber keiner will sie haben. Die Zeit ist einfach nicht reif für mich.“ Wollte die Mission inzwischen jemand haben, bzw. wann ist die Zeit reif?
„Wenn man wie ich vor der Zeit flieht, dann erwischt sie einen nicht. Aber die Frage bezieht sich ja wohl eher darauf, ob man mal im Mainstream ankommt. Dann ist die Zeit quasi nie reif für mich, weil mich diese Art der Eingliederung nicht interessiert. Es gab immer so Versuche von Leuten, mich da irgendwo reinstecken zu wollen. Zum Beispiel sollte ich 1994 den Schlager-Move vor 200.000 Leuten zusammen mit Costa Cordalis moderieren. Da wäre die Zeit dann sozusagen reif gewesen, nachdem ich ja 1989 schon mit Michael Holm ‚Mendocino‘ gecovert habe.“
Kann man also sagen, du bist der Zeit einfach immer nur weit voraus?
„Das würde ich nicht sagen. Ich habe immer nur versucht, mich soweit wie möglich von gängigen Strömungen fernzuhalten. Das Schlager-Ding war ja damals total tot, als ich das gemacht habe. Das fing dann erst so ‘93 an langsam hoch zu kommen, mit Dieter Thomas Kuhn und den ganzen Leuten. Aber als ich damit so 1985 angefangen habe, ging das los, da war das was Provozierendes – das konnte man nicht machen. Die Punks haben mich mit Mais-Dosen und vollen Bierflaschen beworfen.“
Und was brachte dich damals dazu, das zu machen? Was wolltest du damit erreichen?
„Ich wollte provozieren. Ich habe vorher Hardcore-Punk gemacht, sehr schlechten übrigens, mit noch schlechteren politischen Texten. Und damit ging gar nichts. Ich habe mich immer gefragt, warum. Bis ich dahinter kam, dass die Leute, die damit angefangen hatten, es viel besser machten. So habe ich also begonnen, Musik zu machen, bei der ich spürte, dass sich andere Leute darüber ärgern. Und da war dann der Punkt, an dem ich dachte, so geht es. Ein paar Leute freuten sich darüber, ganz viele ärgerten sich. Das durfte man nicht. Verboten! Geht nicht!“
Wird es mit der Zeit nicht immer schwerer, gegen bestimmte Strömungen anzugehen?
„Ich treffe immer wieder auf Leute, die sagen, das geht doch nicht, was der da textlich wieder produziert hat. Trotzdem wird es natürlich immer schwieriger, weil an allen Fronten versucht wird, alles gleichzuschalten. Bei allem, was man möglicherweise noch ironisieren oder bloßstellen kann. Das ist einfach oft grotesk da draußen. Wir hatten im letzten Jahr eine Veranstaltung am Schauspielhaus geplant, in der wir den Schulterschluss von Sexbusiness und Politik fordern wollten. Aber dann kam der ganze Sex-Skandal mit Schill und von Beust, und hat uns einfach komplett überholt. Die Wirklichkeit war schneller als wir. Man muss sehr aufmerksam sein, um überhaupt noch solche Freiräume zu finden.“
Dennoch oder gerade deshalb ist ja nun eine „Best Of“-CD von dir erschienen. Wie kam es dazu?
„Die zweite Phase von mir bei Polydor, sprich die zweite und dritte Platte, ist aufgrund von nicht erfüllten Verkaufserwartungen eingestampft worden. Die hatten da unheimlich viel Geld reingesteckt. Die ÄRZTE hatten sich damals aufgelöst, und da dachten die bei Polydor wohl, das ist der Mann, der die Lücke wieder schließt. Wir haben aber nur ein paar tausend Platten verkauft. Und diese Platten wurden jahrelang von Sammlern gesucht, aber die gab es halt nicht mehr. Jetzt habe ich die Rechte zurückbekommen und mir gesagt: Um all die Sammler zu befriedigen, bringen wir alles, was in den letzten fünfzehn Jahren so passiert ist, auf einer Doppel-CD raus.“
Beim Durchhören erkennt man deutlich deinen musikalischen Werdegang und die damit verbundenen stilistischen Veränderungen. Wo willst du denn mal hin, oder bist du ein ewig Suchender?
„Nirgendwohin. Ich warte einfach das nächste spannende Ding ab, was in mir entsteht, und auf das ich mich stürzen kann. Aber ich habe ja so ein bisschen meine Heimat gefunden. Als Liebhaber von klassischer Soul-Musik hat sich da langsam ein Sound entwickelt, wie ich ihn am liebsten mag. Da bin ich relativ zu Hause.“
Was war denn dein kommerziell gesehen erfolgreichstes Stück bzw. welche Platte hat sich am besten verkauft?
„Es gab mehrere Sachen, von denen auch Videos rotierten, so dass sich ein paar Singles verkauften. Am erfolgreichsten war wohl bis dato ‚Der Mond‘, der vor allem in Österreich total abging. Danach folgt ‚Geld ist eine Droge‘, was auch sehr gut lief. Aber auch das lief überraschenderweise in Österreich am besten, wo ich nach Hamburg sicher am erfolgreichsten bin.“
Du warst ja gerade mit der Platte auf Tour. Wie war es?
„Na ja, wirklich neu ist das Album ja nicht. Aber es war eine super Tournee. Das war für mich ein bisschen unerwartet, weil ich dachte, dass das alte Material nicht so sehr zieht, doch die Tour war genauso gut besucht wie die letzten. Von daher haben wir ganz wunderbare, aufregende Abende erlebt. In den Metropolen, aber auch in Städten, in denen wir vorher noch nie waren. Ich fahre gerne in die Provinz, weil da die Veranstalter und auch die Fans am offensten sind.“
Du kommst ja auch aus der Provinz.
„Genau, da komme ich her. Großstädte bringen Spaß, weil es dort brennt. In Berlin haben wir im Big Eden auf dem Kuhdamm gespielt, dieser Disco von Rolf Eden, das ist schon spannend, wenn da so 600 Leute sind, dann ist da die Stimmung natürlich wahnsinnig aufregend. Aber schöner ist es in einer österreichischen Kleinstadt zu spielen und später nachts draußen zwischen den Leuten zu stehen und sich die Mondfinsternis anzugucken.“
Hast du eine feste Band, mit der du spielst, wenn du live unterwegs bist, oder wechselst du die Musiker je nach Bedarf aus?
„Ich bin da nicht so drauf wie Chuck Berry. Der tourt durch die Welt und erwartet, dass sich in jeder Stadt Musiker einfinden, die seine Songs spielen können. Ich habe eine feste Band, und zwar ist das die zusammengefasste Version von meiner alten, größeren Band, wo noch Bläser dabei waren. Diesmal sind wir zu dritt gefahren. Love Jones der Organist, Tex Strzoda am Schlagzeug und ich mit Gitarren und Bass. Das war eine sehr positive Erfahrung, weil wir erstens nicht so viel Stress hatten, die Leute alle zusammen zu halten, und zweitens haben wir sehr komprimiert gespielt. Da war eine ganze Menge Druck hinter.“
Kommen wir mal auf deinen Roman „Risiko des Ruhms“ zu sprechen, der vor zwei Jahren erschien und nun auch noch als Hörbuch veröffentlicht wurde. Beim Lesen bzw. Hören wurde für mich überhaupt nicht das erfüllt, was ich erwartet hätte. Anstatt eines Hamburger Szene-Romans kommt da so was groteskes. Was hat dich da geritten?
„Es gab mal ein Buch bei Rowohlt, das hieß ‚Poetry Slam - Texte der Pop-Fraktion‘. Da wurden deutsche Musiker gefragt, ob sie Texte beisteuern könnten. Ich habe mir da auch etwas sehr Groteskes aus dem Ärmel geleiert, weil ich nicht wusste, worüber ich sonst hätte schreiben sollen. Das hat Marcel Hartkes, dem Lektor, so gut gefallen, dass er mich bat, ein ganzes Buch in dem Stil zu schreiben. Das habe ich dann zum Anlass genommen, mir mal so richtig die Dachstube auszufegen. So gesehen ist das eine Aneinanderreihung von Gedanken und Ideen, die sich bei mir im Laufe der Jahre angesammelt hatten. Das hat sich dann bei Rowohlt so gut verkauft, dass jetzt die zweite Auflage erschienen ist. Daher wurde ich wohl auch gefragt, den Roman für ein Hörbuch zu lesen.“
Das erschien dann immerhin bei der Deutschen Grammophon Literatur.
„Ja, die hatten mich darum gebeten, und auch das entsprechende Geld geboten, da habe ich das halt gemacht. Im Grunde genommen sind Hörbücher ja nur Resteverwertung. Da kann man als Schreiber froh sein, denn dann gibt es noch mal Geld. Ich habe aber auch ein neues Buch geschrieben, das im Frühjahr erscheinen wird. Das wird ein Roman, der diesmal nicht fiktiv ist, sondern sich mit meiner Vergangenheit auf dem Dorf auseinandersetzt. Der wird ‚Dorfpunks‘ heißen und ist auch in so einem lakonischen Ton geschrieben, weil unsere Zeit damals als Dorfpunks ziemlich grotesk war. Im Großen und Ganzen ist er aber ernst.“
Wie stehst du denn generell dem immer populärer werdenden Medium Hörbuch gegenüber?
„Eigentlich finde ich es immer besser, die Bücher selber zu lesen. Ich kann mir gar nicht die Zeit dafür nehmen, ein ganzes Buch zu hören. Um mich hinzusetzen und an die Decke zu starren, da ist für mich Musik geeigneter. Es gibt bestimmt sehr gute Hörbücher, ein paar habe ich ja auch selber, aber schöner ist es zu lesen. Da tauche ich tiefer ein und schaffe mir intensivere Bilder. Ich finde es korrekt, wenn Leute sich auf diese Weise Entspannung verschaffen oder das beim Autofahren hören, das direkte Medium ist aber interessanter.“
Noch einmal zurück zu „Risiko des Ruhms“. Im Schlusskapitel erzählst du dann vom Mythos um die Gründung der Hamburger Schule, wie ich finde völlig ohne Zusammenhang zur eigentlichen Geschichte. Musste das mit rein?
„Ja, das musste mit rein. Ich habe aber den Stil da auch nicht verändert, denn grotesk ist auch dieses Kapitel. Ich habe natürlich alles verdreht. Was da drinsteht, ist kompletter Blödsinn. All die Rollen, die da verteilt wurden, sind vollkommen verdreht. Ich wollte den Rest des Buches durch diese Geschichte auf eine wahrscheinlicheres Niveau heben. Aber zum anderen natürlich auch, um meine ganzen Freunde so ein wenig zu foppen.“
Wird es denn dann nicht auch langsam Zeit für die ultimative Rocko Schamoni-Biographie?
„Mein nächster Roman ist ja eine Biographie. Ich muss nur meinen Nachlass ökonomisch verwalten, also erstmal nur der erste Teil, damit ich immer noch was nachschieben kann. Aber ‚Dorfpunk‘ passt gut in die Zeit der ganzen 80er Jahre Bewältigung, die gerade stattfindet. Da wird immer von den aufregenden Zeiten in den Großstädten berichtet, und wie viele geile Leute in Berlin oder Düsseldorf welche geilen Bands hatten. Aber ich muss mal klarstellen, dass ein Großteil der Szene der 80er ursprünglich Landeier waren, die irgendwann in die Stadt übersiedelten und dort was aufbauten. Die früheren Fans und Szene-Macher von Berlin und Hamburg sind eigentlich Landvögel. Und diesen fehlenden Teil der Geschichte erzähle ich.“
Was ja jetzt noch nicht automatisch eine skandalträchtige Biographie ausmacht, wie sie derzeit den Büchermarkt überschwemmen.
„Das muss aber auch nicht sein. Ich bin froh, in eine andere Richtung zu arbeiten. Auch ich habe mit Erschrecken festgestellt, dass es gerade für sehr viele Leute an der Zeit ist, ihre Geschichte zu erzählen. Ich selber habe mit Skandalen und Promi-Geschichten nichts am Hut. Ich erzähle eine kleine Geschichte vom Land, wie das damals dort gewesen ist, wo eigentlich keiner hingucken wollte. Für uns war es trotzdem genauso spannend und dramatisch, was bei uns an der Bushaltestelle passiert ist. Es waren die gleichen großen Lebensentscheidungen, die getroffen werden mussten, die gleichen Visionen und Wünsche, die wir hatten, nur unter anderen Bedingungen. Wir wollten auch glänzen und geil sein. Nur konnten wir es auf dem Land nicht. Wir saßen stattdessen jeden Tag im Haus der Jugend und haben Dosenbier getrunken. Die Dramatik dieser Käfigwelt und der Wille, dort auszubrechen, ist der Inhalt meiner Geschichte.“
Und trotzdem hast du das Dorf verlassen ...
„Ja, klar. Ich wollte nach Berlin oder Hamburg und daran teilnehmen, was da so passierte. Ich wollte auch nicht mehr ständig aufs Maul kriegen, nur weil ich blaue Haare hatte.“
Ist es richtig, wenn ich neben der Musik und der Literatur die Gastronomie als dein drittes Standbein bezeichne?
„Das kann man so nicht sagen. Obwohl Schorsch und ich gerade wieder beim Pudel Club als Inhaber einsteigen.“
Es gab ja auch damals auf 3sat die „Pudel Overnight“-Nächte. Ist so etwas in der Art noch mal wieder geplant?
„Es gibt immer mal wieder so eine Zusammenarbeit. Nachdem wir die ‚Pudel Overnight‘-Nächte gemacht hatten, gab es vor einem Jahr ‚Pudel Reisen: Prag‘, wo wir in die Tschechei gefahren sind. Solche Sachen stehen immer mal wieder an, aber nicht vornehmlich. Das liegt auch daran, dass ich dem Medium Fernsehen ziemlich misstraue. Um regelmäßig damit zu arbeiten, müsste ich einen Kanal finden, der gewillt ist, meine Unschärfe mitzutragen und diese auch so dem Publikum zu präsentieren. Aber den gibt es nicht.“
Wie sieht es denn mit dem etablierten Kultur-Bereich aus. Du versuchst ja auch dort einen Fuß in die Tür zu kriegen.
„Ich habe mittlerweile drei mal fürs Theater Musik gemacht, für zwei Stücke, die Schorsch geschrieben und bei denen er auch Regie geführt hat, und für ‚Ein Sportstück‘ von Elfriede Jelinek. Schorsch hat seitdem weitere Regiearbeiten gemacht, unter anderem auch in Berlin. Dadurch sind Kontakte zum Theater entstanden, und so konnten wir dann auch dort gelegentlich unsere grotesken Ideen umsetzen. Das ist am Schauspielhaus in Hamburg auch so. Die sind sehr an Studio Braun interessiert, mit dem wir dort auch mehrere Abende gemacht haben. Mal abgesehen davon, dass die Zusammenarbeit mit den Leuten vom Schauspielhaus sehr konstruktiv ist, können wir dort machen, was uns gerade in den Sinn kommt. Man darf halt nur nicht seine Ecken und Kanten verlieren. Wenn man da permanent drinsteckt, verliert man sich selber aus den Augen und wird infiziert.“
Du sprachst Studio Braun an. Wie geht es damit weiter? Besteht nicht die Gefahr, dass der Witz sich totläuft?
„Auf jeden Fall. Jeder blöde Radiosender macht inzwischen Telefonstreiche. Deshalb hat dieser Bereich für uns auch sehr an Reiz verloren. Trotzdem machen wir im Frühjahr eine neue CD und auch eine DVD, wo diesmal aber auch mehr Hörspiele und Songs mit drauf sein werden. Unser Live-Programm besteht ja auch nur zum Bruchteil aus Telefonaten. Und das kommt bei den Leuten gut an.“
Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin alles Gute für die Zukunft.
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