Einer Band das Kürzel für Rock'n'Roll zu geben, ist nun wirklich nicht besonders originell. Oder aber es legt die Messlatte hoch. Nach einigen Line-up-Wechseln, einem Labelwechsel, einer LP und diversen Split-7"s kamen R'N'R auf Tour und das Line-up ist laut Bridge 9 und den Jungs selbst endlich ein solides. Nachdem wir in Leeds vergeblich auf die Band gewartet hatten, haben wir dem Sänger Joe und dem Drummer Colby nach der Show in Essen ein paar Fragen gestellt.
Warum habt ihr euch selbst R'N'R genannt? Die Frage müssen wir einfach stellen, denn wenn zum Beispiel im Internet nach R'N'R sucht, findet man hauptsächlich Seiten zu Rock'n'Roll, wofür das Kürzel ja auch steht.
Joe: Ich mochte irgendwie die Idee, es als Name zu verwenden, da es auch als Rock'n'Roll interpretiert werden kann. Wir passen nicht wirklich in eine Kategorie, deshalb wollte ich die Band nicht "Rock'n'Roll" nennen, das wäre zu offensichtlich gewesen. R'N'R ist besser, da es Interpretationsspielräume offen lässt und einem erlaubt, selbst herauszufinden, was es bedeuten könnte.
Meinem Eindruck nach sind eure Texte, anders als die doch sehr rockige Musik, ziemlich offensiv und tough. Einer der neuen Songs auf der letzten 7" heißt "Punk's dead, hardcore's next". Was denkt ihr über die aktuelle Hardcore-Szene und was bedeutet Straight Edge für euch und für die Band?
Joe: Für mich ist Straight Edge sehr wichtig. Ich bin 27 und ich bin noch Straight Edge und ich werde es wohl auch für immer sein. Wenn man in diesem Alter ist, dann ist das eh eine Angewohnheit und man denkt nicht mehr darüber nach. Wir sind aber definitiv keine Straight Edge-Band. Drei von uns sind Edge, einer nicht. Wir schreiben auch nicht in jedem Song darüber. Sofern es die Hardcore-Szene als solche betrifft, steht es alles in allem eher schlecht, und zwar in jeder Beziehung. Es ist irgendwie auf allen vorstellbaren Ebenen bergab gegangen. Dass einige Bands mittlerweile auf MTV laufen, hat die Sache auch nicht wirklich weiter gebracht, da hat letztendlich niemand was davon, der sich auch nur einen Deut um Hardcore schert.
Colby: Ich bin erst 21 und folglich nicht seit Ewigkeiten in der Hardcore-Szene. Das, was ich sehe, ist, dass zumindest in den USA für die meisten Leute die wichtigsten Bestandteile von Hardcore farbiges Vinyl, Schuhe, limitierte Shirts und dergleichen sind. Da gibt es diese eine Band aus Boston, CLOSE CALL. Joe war eine zeitlang in der Band, und läge es an mir, dann würde ich diese Band zurückbringen und dafür auf 15 aktuelle Bands verzichten. Die waren vielleicht nicht so, wie Hardcore sein sollte, aber so, wie ich mir Hardcore vorstelle und mag. Auf der einen Seite gibt es eine Menge guter Bands zurzeit, andererseits geht es vielen Kids nur darum, hart abzugehen und die neuesten Nikes zu tragen. Das ist etwas, was ich nicht verstehe.
Was grenzt R'N'R von diesen überflüssigen Bands deiner Meinung nach ab?
Colby: Ich will damit nicht sagen, dass wir die Besten sind. Ich kann auch nicht sagen, was R'N'R so sehr unterscheidet. Es ist nur so, dass ich die Musik sehr mag. Ich hatte die letzten Monate mehr Spaß, in dieser Band zu spielen, als in allen Bands, in denen ich davor war. Zumindest für mich ist es befriedigender, diese Art von Musik zu spielen als den typischen schnellen und moshigen Hardcore. Es ist nicht so, dass ich schnelle Musik nicht mag, ich mag es auch mal, schnell zu spielen, aber dieses rockige ist mehr mein Ding. Viele Kids tun sich etwas schwer mit R'N'R, da man nicht wirklich dazu abgehen und moshen kann. Es ist ein wenig seltsam. Ich mag es auf jeden Fall, ich will in keiner anderen Band sein.
Wie seid ihr denn zum Hardcore gekommen und wie sieht es bei euch aus mit anderen Hardcore-relevanten Themen wie Veganismus, Vegetarismus, Anti-Sexismus und politischer Attitüde?
Joe: Ich bin mit 14 Jahren zum Punk und Hardcore gekommen. Ich hatte Glück und traf einen Jungen namens Ethan Crosby an der katholischen Schule, die ich für ein Jahr besuchte. Und er hat mir Bands wie BLACK FLAG und die MISFITS nahe gebracht und dann ist es irgendwie eskaliert. Ihr wisst ja, wie so was läuft. Hinsichtlich einer politischen Einstellung muss ich zugeben, dass ich kein sehr politischer Mensch bin. Ich schreibe Texte über Sachen, die in meinem Alltag geschehen. Das habt ihr sicherlich gemerkt, als ihr die Texte gelesen habt. Offensichtlich ist Rassismus wirklich schrecklich und Sexismus ist natürlich auch nicht gut. Ich verhalte mich und denke nicht so, aber ich halte da auch kein Schild hoch und protestiere großartig dagegen.
Colby: Ich bin durch Grunge-Bands wie HELMET und SOUNDGARDEN zum Hardcore gekommen. Dann habe ich mit dem BMX-Fahren angefangen und in all diesen Videos liefen damals Songs von SLAPSHOT und den BAD BRAINS. Da habe ich dann quasi meinen Verstand verloren und am Ende von Biker-Videos im Abspann immer nach den Namen der Bands gesucht. So bin ich dazu gekommen. Was das ganze Politische angeht, sitze ich mit Joe so in etwa in einem Boot. Ich bin zwar auch Straight Edge, aber kein Vegetarier oder Veganer. Ich gehe auch nicht wählen, mit 21 bin ich eh erst seit einigen Jahren dazu in der Lage. Ich habe auch nicht das Gefühl, mit meiner Stimme etwas ausrichten zu können, vor allem nicht in Amerika. Das ist sicherlich nicht die beste Einstellung, die man haben kann, aber ich will einfach nichts damit zu tun haben. Was so Sachen wie Sexismus und Rassismus angeht, so finde ich auch, dass es so etwas nicht geben sollte. Ich protestiere da nicht so sehr gegen, aber wenn es mich im alltäglichen Leben betreffen würde, dann würde ich auf jeden Fall etwas dagegen unternehmen.
Ich mochte das Gangster-Artwork der LP sehr gerne. Steht das Artwork für ein bestimmtes Thema? Nun sind ja Gangster eher bekannt für Alkoholschmuggel und extreme Brutalität. Wo ist da die Beziehung zu R'N'R?
Joe: Ich hatte die Idee, die Platte "The Infamous And The Notorious" zu nennen, bevor wir auf das Artwork kamen. Der Titel ist so gewählt, da wir nirgendwo richtig reinpassen. Wir passen in kein Musikgenre richtig rein, wir passen nicht in die Line-ups auf Shows, wir haben heute Abend nicht ins Line-up gepasst, eigentlich haben wir auf keiner Show auf der Tour so richtig gepasst. Manche Leute mögen uns, manche hassen uns, so kam es zum Namen. Joe Sylvia, unser alter Gitarrist, kam mit der Idee für das Cover an und es steht nicht wirklich für etwas Bestimmtes. Offensichtlich sind wir ja keine Gangster ...
Die aktuelle Split mit FIT FOR ABUSE ist auf Bridge 9 Records raus gekommen, dass Album lief noch über Manic Ride. Gab es irgendwelche schwerwiegenden Gründe für einen Labelwechsel?
Joe: Der Hauptgrund dafür, dass ich das Label wechseln wollte, war, dass wir, wie ich eben schon sagte, ja nirgendwo richtig reinpassen. Besonders bei Manic Ride fühlte ich mich fehl am Platz, da die ja irgendwie mehr ein crustig-punkiges Spektrum bedienen. Irgendwie mögen uns die Kids aus der Ecke nicht. Ich bin auch noch in einer anderen Band namens THINK I CARE, mit der wir auch auf dem Label waren, und das war ebenfalls nicht das Richtige. Die Leute haben die Musik da nicht anerkannt und ich wollte zu Bridge 9, da ich hoffte, dass die Kids die Musik da zu würdigen wissen. Ich habe also Chris von Bridge 9 eine E-Mail geschrieben und ihn gefragt, ob er die Scheibe rausbringen würde und er war sofort begeistert. So einfach war das!
Sind schon neue Aufnahmen geplant?
Joe: Ja, definitiv. Wir haben eine Menge neuer Songs. Ich will uns jetzt nicht selber über den grünen Klee loben, aber wir werden besser im Songwriting. Jeder Song wird besser als der vorige und meiner Meinung nach sind die Songs auf der letzten Split auch die besten, die wir je gemacht haben. Wir haben noch einige Songs, die bisher noch nicht hundertprozentig passen, aber das ist das Erste, was wir nach unserer Rückkehr in Angriff nehmen werden. Chris hat des weiteren Interesse daran bekundet, noch eine Platte mit uns zu machen. Wenn das nicht funktioniert, dann werden wir hoffentlich ein anderes Label finden, aber ich würde gerne bei Bridge 9 bleiben, da ich denke, dass wir da sehr gut aufgehoben sind.
Seht ihr irgendwelche Veränderungen in der Musik? Ich habe die letzte 7" nur einmal gehört, hatte aber den Eindruck, dass die Musik etwas härter geworden ist.
Joe: Wenn das so ist, dann ist das eine natürliche Sache, die von allein kam, da wir uns nicht gemeinsam hinsetzen und uns überlegen, dass wir härter klingen müssen. Ich denke einfach, dass wir an einem Punkt angekommen sind, an dem wir unseren eigenen Sound haben, im Guten wie im Schlechten. Es war alles nicht geplant, es ist einfach so passiert. Ich schreibe eine Menge der Songs und mein Bruder schreibt auch viel und so ist es einfach passiert. Aber ich bin sehr glücklich mit der Richtung, die es nimmt.
Textlich geht es ja, wie bereits angesprochen, sehr angepisst zu. Würdest du sagen, dass du generell eine sehr übellaunige oder genervte Person bist?
Joe: Versteht mich da nicht falsch. Ich hab halt meine Aussetzer. Es gibt sicherlich eine Menge Dinge, die mich wahnsinnig machen, vor allem im Hardcore, denn ich sehe da ein großes Potenzial und sehe jedes Mal, wenn ich zu einer Show gehe, wie es verschwendet wird, und das berührt mich. Das ist auch aus verschiedenen Perspektiven das Thema der meisten Songs. Ich schreibe halt nicht über politische Themen, sondern über die alltäglichen Dinge, die mich wütend machen. Ich bin kein Nihilist oder Sadomasochist, ich bin nur ein normaler Typ. Es gibt eine Menge Sachen, die einen wütend machen, und das ist mein Job in der Band. Ich schreie das heraus. Das ist alles.
Joe, in dem Song "Weak ass shit" singst du über SLAPSHOT, die CIRCLE JERKS, die RAMONES und die MISFITS. Ich unterstelle dir mal, dass du die Bands sehr magst. Welche anderen Bands mögt ihr und gibt es darunter irgendwelche, die größeren Einfluss auf R'N'R nehmen?
Joe: Ja, ich liebe diese Bands. Um ehrlich zu sein, ist R'N'R einfach nur die Essenz dessen, was ich an Musik mag, und das beschränkt sich nicht nur auf Hardcore. Ich wollte eine Band machen, die all die Sachen zusammenmischt, und dann sehen, was passiert und das ist dann nun eben dabei heraus gekommen. Es ist keine bestimmte Band oder Stil, es ist einfach das, was wir mögen. Wenn du also einen Song von uns hörst, dann ist es einfach eine Mischung all der Sachen, die wir gerne haben. Ich mag eine ganze Menge Zeug. Ob ihr es mir glaubt oder nicht, ich finde Kelly Clarkson gut.
Wie sieht es denn dann mit Kelly Clarkson als Einfluss aus? Ich habe noch keinen raushören können.
Joe: Ich würde nicht so weit gehen und sie als Einfluss nennen, aber ich denke, sie ist eine aufrichtige Person. Viele Leute werden wahrscheinlich denken, dass das falsch ist, da sie so ein großer Star ist, aber nachdem ich die Musik gehört und die Texte gelesen hatte, da hatte ich den Eindruck, dass sie echt ist, und deshalb mag ich sie.
Sarah Shokouhbeen, Oliver Niermann
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #67 August/September 2006 und