Irgendwie ist 2013 das Jahr der RAMONES. Die Band existiert zwar seit 1996 nicht mehr und die wichtigsten Mitglieder haben längst das Zeitliche gesegnet, doch plötzlich bringen binnen weniger Monate gleich zwei Überlebende ihre Soloplatten raus: Zuerst CJ, der letzte Bassist der Band, und nun auch Richie, der zwischen 1983 und 1987 am Schlagzeug saß. Und auch wenn der sein Album „Entitled“ explizit nicht als Tribut an die alte Band verstanden wissen will, sind die RAMONES im Interview natürlich allgegenwärtig. Zudem erweckt Richie, von dem man jahrelang nichts gehört hatte, den Eindruck, dass der damalige Ausstieg bei der New Yorker Punk-Institution seinem Selbstbewusstsein absolut nicht geschadet hat.
Richie, vor ein paar Monaten hat CJ sein Soloalbum „Reconquista“ veröffentlicht und es eine „RAMONES-Tribute-Platte“ genannt. Ist dein erstes Soloalbum „Entitled“ ebenfalls ein Tribut an die Band – oder ist es ganz und gar und ausschließlich Richie Ramone?
Es ist ganz und gar ein Richie Ramone-Album. Natürlich ist es auch eine Widmung an meine früheren Brüder in der Band. Das wird auch im Booklet stehen. Aber hier steckt mein Herzblut drin. Und es sind meine Songs drauf, darunter einige, die ich in den Achtzigern für die RAMONES geschrieben hatte – etwa „I know better“ oder mein bekanntestes Stück: „Somebody put something in my drink“.
Fragen wir mal andersrum: Aus welchem Grund sollten ausgerechnet RAMONES-Fans das Album kaufen – von deinem Namen einmal abgesehen?
Sie sollten es kaufen, weil einfach großartige Songs darauf sind. Und die Songs sind großartig, weil ich Unmengen an Arbeit investiert habe. Ich habe vor zwei Jahren angefangen, die Lieder zu arrangieren, auszuarbeiten und aufzunehmen. Das Mischen hat dann allein über ein halbes Jahr gedauert, denn ich habe Dinge verworfen, neu arrangiert und wieder und wieder abgemischt. Und ich musste Leute finden, die mir bei dieser Arbeit helfen und an das, was ich tue, glauben. So etwas braucht Zeit. Im vergangenen Februar waren wir dann zwar fertig, mussten aber noch das passende Label finden, denn die Platte sollte auf jeden Fall auch als Vinylversion in Weiß mit ein paar Bonussongs darauf gepresst werden.
Wer war alles an der Produktion beteiligt?
Ich habe das Album produziert. Aber ich hatte beim Abmischen der Songs Hilfe von einigen echten Schwergewichten – unter anderem von Mark Needham, der schon mit THE KILLERS und BLOC PARTY zusammengearbeitet hat. Ich hätte das Album zwar selbst mischen können, aber das wollte ich nicht. Ich wollte einen anderen Blick darauf haben, jemanden, der die Songs von außen bewertet. Das ist wichtig, wenn man so ein Projekt professionell durchziehen und am Ende das bestmögliche Ergebnis haben möchte. Außerdem haben wir das Album konsequent live und analog eingespielt. Heutzutage bewegt sich zwar alles in der digitalen Welt. Aber ich wollte diesen Dreh haben, diese Rohheit im Sound. Das war mir wichtig. Es ging nur um Groove und Gefühl.
„Entitled“ erscheint 26 Jahre nach deinem Ausstieg aus den RAMONES. Was hast du in all den Jahren musikalisch gemacht?
Oh, ich hatte einige Projekte. Ich habe viel mit anderen Bands zusammengearbeitet. Das waren meist kleinere Sachen. Dann habe ich eine lange Pause gemacht, bin nach Los Angeles gezogen – und bin 2006 wieder auf den Geschmack gekommen: da habe ich beim Joey Ramone Birthday Bash gespielt. Anschließend arbeitete ich mit einem Klassikorchester zusammen und bin ein paarmal mit diesen Musikern aufgetreten, was unheimlich interessant war. Und dann kam irgendwann der Wunsch auf, wieder eigene Songs zu komponieren und aufzunehmen.
Interessanterweise klingt „Entitled“ stellenweise zwar durchaus nach den RAMONES, insgesamt ist die Platte aber wesentlich härter als deren klassischer Sound.
Jeder muss seinen eigenen Sound finden. Mir hätte es nichts gebracht, die Songs nur im RAMONES-Stil aufzunehmen. Es muss weitergehen. Es sollte ein Album sein, das nach vorne blickt, in die Zukunft weist. „Entitled“ ist letztlich meine Vision vom perfekten Sound: Punk trifft Metal. Das ändert natürlich nichts daran, dass ich bei Konzerten den einen oder anderen RAMONES-Klassiker spielen werde.
Apropos Konzerte: Du warst bei den RAMONES der Schlagzeuger. Auf „Entitled“ singst du jetzt auch. Wie wird das zukünftig bei Auftritten aussehen?
Ich werde Schlagzeug spielen und singen.
Was ja nun für einen Schlagzeuger nicht so selbstverständlich ist, auch wenn du damals bei den RAMONES zum Beispiel bei „Wart hog“ ebenfalls immer gesungen hast.
Richtig, das ist ungewöhnlich. Und es ist verdammt anstrengend. Ich bin nach Konzerten dann auch immer froh, wenn’s vorbei ist. Wobei ich das schon so lange mache, dass ich mittlerweile daran gewöhnt bin. Bei den Konzerten der kommenden Tour werde ich auch für einen oder zwei Songs nach vorne kommen. Aber dabei bleibt es dann auch. Ich will nämlich kein Frontmann sein. Ich fühle mich am Schlagzeug immer noch am wohlsten.
Und wer trommelt, wenn du vorne stehst?
Ich habe mit Tommy Bolan von WARLOCK und Ben Reagan von den FEEDERZ zwei Gitarristen dabei. Und von denen geht dann einer kurz nach hinten.
Während der Sänger, der Gitarrist und der ursprüngliche Bassist der RAMONES bereits tot sind, leben alle drei Schlagzeuger, noch, Tommy, Marky und du.
Haha, ja. Das ist ein bisschen wie der Film „Spinal Tap“, aber andersrum, oder? Da sterben alle Drummer. Das liegt vielleicht daran, dass wir Schlagzeuger bei Konzerten am meisten zu tun haben und besonders fit sein müssen.
Wer aus dem genannten Trio ist deiner Meinung nach der beste RAMONES-Schlagzeuger?
Sind wir doch mal ehrlich: Das bin ich. Das weiß jeder. Ich habe Schlagzeugspielen von der Pike auf gelernt und auf die klassische Weise trainiert. Ich kann mir den Arsch abspielen, ohne zu schwächeln. Aber Tommy war natürlich großartig! Er hat mit seinem Backbeat den Sound der Band getragen. Er hat den typischen RAMONES-Rhythmus ja erst erfunden. Ich war eher so die Lokomotive unter den Schlagzeugern. Ich kam in die Band und habe sie noch härter nach vorne getrieben. So nach dem Motto: Aus dem Weg, hier kommen wir! Uns hält keiner auf! Das hörst du zum Beispiel ganz extrem auf „Too Tough To Die“. Diese Platte klingt tougher und wesentlich wütender als die Vorgänger. Ich war eben immer schon die etwas aggressivere Variante von Schlagzeuger. Zu Marky kann ich gar nichts sagen. Ich habe mit ihm nie ein Wort gesprochen. Ihn kenne ich gar nicht.
Irgendwie scheint – aus welchen Gründen auch immer – kein Ramone mehr Kontakt zu Marky zu haben. Auch CJ deutete das kürzlich im Ox-Interview an ...
Keine Ahnung, was da läuft. Aber irgendwie ist ja jeder auch mit seinen eigenen Projekten beschäftigt. Wir leben alle in verschiedenen Städten. Und wir müssen auch nicht alle befreundet sein. Tommy habe ich zuletzt beim Joey Ramone Birthday Bash getroffen und mit ihm zusammengespielt. CJ habe ich im vergangenen Jahr zum ersten Mal getroffen.
Du hast von 1983 bis1987 für die RAMONES gespielt und bist im Unfrieden – unter anderem heißt es, nach Diskussionen um deine Beteiligung an den Gewinnen aus dem Fanartikel-Verkauf – gegangen. Bewertest du deine Zeit in der Band eher nach dem Motto „Es war fantastisch, in dieser Legende zu spielen“, oder doch in der Art: „Das war eine echt harte, anstrengende Zeit“?
Machst du Witze? Hach, es war natürlich fantastisch! Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort: Als sie Marky rausgeschmissen hatten, stand ich bereit. Und ich war gesegnet, in dieser Band zu spielen. Manchmal denke ich. ich hätte noch ein paar Hits für sie schreiben können. Aber ich kam damals einfach nicht mehr mit Johnny aus. Es wurde schwierig mit ihm. Nach seinem Geschmack war ich vielleicht ein wenig zu sehr involviert. Joey hatte damit keine Probleme. Im Gegenteil: Er hat mich immer noch gepusht und gesagt: Richie, du kannst ruhig noch mehr Songs schreiben und singen! Er ließ mich auch seine Stimme auf Platte doppeln und hatte nichts dagegen, wenn ich ihn live unterstützte. Joey war dabei immer eine Inspiration für mich. Wie Dee Dee auch. Die beiden wollten mein Talent fördern. Natürlich war ich damals echt genervt, als ich ausstieg. Und natürlich könnte ich jetzt zurückblicken und sagen: Mensch, wärest du doch besser in der Band geblieben. Aber was würde das bringen? Man muss mit den Entscheidungen, die man trifft, leben. Man muss nach vorne schauen und weitermachen.
Hattest du zu Joey und Dee Dee auch später nochKontakt?
Ja, ich hing häufig mit Joey ab, war am Ende auch bei seiner Beerdigung. Und als sein Bruder Micky Leigh vor zwei Jahren an Joeys posthum erschienenem Soloalbum „’Ya Know“ arbeitete, holte er mich auch dazu. Dee Dee wiederum habe ich damals, nach seinem Ausstieg aus der Band, bei seinen Rap-Projekten geholfen.
Von Joey ist der Satz überliefert: „Richie ist das Beste, was den RAMONES passieren konnte. Er hat die Band gerettet.“
Unglaublich, oder? Es ist wundervoll, so einen Satz über sich selbst aus dem Mund so einer Legende zu hören. Ich kam in die Band und habe frischen Wind, Herzblut, Können, Gesang und Songs mitgebracht. Außerdem waren die Spannung in der Band zum Zeitpunkt meines Einstiegs ziemlich hoch – was am Konflikt zwischen Joey und Johnny lag. Als ich dann dazukam, konnten sie sich jetzt auf mich, den Neuen, konzentrieren und waren von ihren Problemen abgelenkt.
Wie bist du mit all den mittlerweile sattsam bekannten Streitereien in der Band klargekommen?
Na ja, es gehörte einfach dazu. Als Band sitzt du nun einmal ständig zusammen. Mir hat das nichts ausgemacht, ich habe das ignoriert beziehungsweise eher darüber gelacht, was zwischen Joey und Johnny so los war. Und wenn wir ein Konzert hatten, spielte das sowieso keine Rolle mehr. Da waren die RAMONES unheimlich professionell. Da zählte nur die Musik, die man für die Fans spielte. Denn wenn du als Fan zur Show kommst, dann hast du Geld dafür bezahlt. Dann willst du eine Band sehen, die alles gibt. Da interessiert es dich nicht, was im Hintergrund abgeht.
Werden wir in Zukunft noch mehr von dir hören?
Definitiv! Ich habe noch so einige Songs auf Lager, die ich auf einem weiteren Album veröffentlichen möchte. Aber erstmal möchte ich betonen: Ich kann es kaum erwarten, in Deutschland zu spielen und nach den Shows rauszukommen und den Leuten die Hand zu schütteln. Jedem einzelnen. Deutschland war immer großartig zu den RAMONES. Außerdem freue ich mich unheimlich auf euer Bier und eure Schnitzel! Ganz ehrlich: Ich bin verrückt danach! Wir haben hier in Los Angeles ein deutsches Restaurant, das so was auf der Karte hat – da bin ich Stammgast.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #110 Oktober/November 2013 und Frank Weiffen
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