Hunde, die bellen, beißen ja angeblich nicht. Durch Gespräche und diverse Social Media-Kanäle bekam ich aber mit, inwiefern die Londoner Streetpunks RESTARTS nicht nur bellen, sondern auch beißen: Kieran erzählte mir von einem Guerilla-Gig auf dem Themse-Strand und Robin war als Helfer in dem Ende Oktober geräumten Flüchtlingscamp „Jungle“ in Calais aktiv. „It turned all to shit“ heißt es auf dem aktuellen Album „A Sickness Of the Mind“. Beeindruckt davon, dass eine Band nicht nur darüber singt, was sie stört, sondern selbst in Aktion tritt, fragte ich die beiden Gründungsmitglieder zu den beiden Ereignissen. Herausgekommen ist ein Einblick ins aktuelle London und ein bewegender Erfahrungsbericht direkt aus dem „Jungle“ von Calais.
Wie steht es derzeit um die RESTARTS?
Kieran: Wunderbar! Für Januar 2017 planen wir eine Tour nach Südostasien, Australien und Neuseeland und im Sommer soll dann eine neue EP erscheinen.
Im September 2016 habt ihr ja beim „Trespass“-Festival mitten in London auf dem Sandstrand der Themse gespielt. SHOT und CONFLICT waren auch dabei, aber ganz legal war das nicht, oder?
Kieran: Nein. Entsprechend wurde auch alles Guerilla-mäßig aufgebaut und die Bühne war eher improvisiert, Jay und die Crew von den DSI-Studios haben alles in bester DIY-Manier ziemlich professionell aufgezogen. Und wer konnte und wollte hat geholfen. Schon dieses Gemeinschaftsgefühl machte den Abend unvergesslich.
Unter welchem Motto stand der Abend?
Kieran: Die ganze Aktion galt als Protest gegen die Gentrifizierung und die Privatisierung von öffentlichen Räumen. Insbesondere haben wir etwas gegen die Errichtung der „Garden Bridge“, ein Prestige-Objekt, welches von Steuergeldern finanziert und dessen Nutzung dann doch kostenpflichtig sein soll. Die Entscheidung für den Themse-Strand kam dabei nicht von ungefähr: Das ist nämlich wegen eines gesetzlichen Schlupfloches einer der letzten verbliebenen öffentlichen Räume – vorausgesetzt, es herrscht Ebbe auf dem Fluss. Daher konnten uns weder die Securities von der gegenüberliegenden South Bank noch die Polizei verjagen. Kurzfristig meldeten wir die Show noch als Demo an und haben ganz legal unser Recht durchgesetzt.
Robin, du warst im Flüchtlingscamp „Jungle“ in Calais aktiv. Wie kam es dazu?
Robin: Im Oktober 2015 bin ich erstmals mit zwei Freunden und einer Wagenladung zuvor gesammelter Hilfsgüter ins L’Auberge-Camp gefahren. Wenn wir für Shows von der britischen Insel aufs Festland fahren, kommen wir immer dort vorbei. Nachdem ich das Camp aus der Nähe gesehen habe, wollte ich aktiver helfen. Seitdem war ich mindestens ein Mal im Monat für mehrere Tage dort.
Und was hast du dort gemacht?
Robin: Am Anfang habe ich gespendete Kleidung sortiert, Essen verteilt, Autos repariert und mich um viele andere Kleinigkeiten gekümmert, die so anfallen. Außerdem habe ich Schichten im „Welcome Caravan“ übernommen, neu Angekommene willkommen geheißen und ihnen „Starter-Packs“ gegeben. Darin war enthalten, was man so benötigt: Decken, Schlafsäcke, Zelte, Hygieneartikel, Kleidung und eine kleine Mahlzeit. Weil ich in der glücklichen Lage bin, einen Van zu besitzen, verteilte ich mit zwei Freiwilligen Material auf die verschiedenen Versorgungspunkte des riesigen Lagers. Mein Van wurde auch dazu genutzt, Menschen zu transportieren – zum Beispiel zu einem der LKW-Parkplätze vor dem Eurotunnel an denen sie hofften, auf eines der Fahrzeuge aufspringen zu können, um nach England zu gelangen.
Welche Komplikationen gab es im Camp?
Robin: Anfangs übernachtete ich in einem Hostel. Später wurde ich aber eingeladen, im Camp zu bleiben. Also schlief ich in meinem Van in dem Teil des Camps, in dem hauptsächlich kurdische Familien lebten. Schon bald bemerkte ich, warum die Geflüchteten sich so sehr darüber freuten, in Begleitung zu sein: Nachts bekamen wir regelmäßig „Besuch“ von Neonazis, die uns beschimpften und mit Feuerwerkskörpern bewarfen. Die Flüchtlinge antworteten, indem sie mit Steinen gefüllte Schlafsäcke nach den Faschisten warfen. Die Polizei wiederum intervenierte mit Tränengasbomben, die sie mitten ins Familiencamp warfen – eine unheimliche Gefahr für die Gesundheit der Kinder. Regelmäßig fingen dabei auch Zelte Feuer und Familien verloren erneut ihr Hab und Gut – es war teilweise wie im Krieg. Ein anderer Grund, im Camp zu übernachten, war die mangelnde Versorgung von Verletzten. Obwohl das Krankenhaus nur zehn Minuten entfernt war, dauerte es manchmal bis zu einer Dreiviertelstunde, bis ein Rettungswagen eingetroffen war. Also übernahmen wir auch diese Fahrten. Das fanden auch die Neonazis heraus, so dass Fahrzeuge am Durchkommen gehindert wurden, Reifen zerstochen und Scheiben zerschlagen, ja, ganze Autos von Helfenden angezündet wurden. Erst im Februar wurde eine 100 Meter breite Sicherheitszone eingerichtet.
Ende Oktober kam es dann zur Räumung des Camps. Wie hast du diese erlebt?
Robin: Offiziell begann die Räumung am 24. Oktober. Die französische Regierung bat zu dem Zeitpunkt alle Geflüchteten, sich in einem Container zu registrieren und das Camp freiwillig zu verlassen. Sie wurden mit Bussen auf andere Standorte im Land verteilt. Es gab allerdings mehr Flüchtlinge, die das Camp verlassen wollten, als Busse, so dass diese zurück in den „Jungle“ geschickt wurden. Viele hatten dabei Angst vor der Räumung und den Nazis. Immerhin durften nach Demos und öffentlichen Protesten auf Druck der britischen Regierung zumindest unbegleitete Minderjährige nach England reisen.
Und dann eskalierte es?
Robin: Das, wovor viele Angst hatten, geschah am zweiten Tag: Die Polizeieinheiten räumten das Camp und wieder flogen Tränengasbomben. Zuvor haben wir verschiedene Sicherheitspunkte und -Zonen eingerichtet und mit Feuerlöschern ausgestattet.
Aber ihr wart gut ausgestattet, nicht wahr?
Robin: Ja, unter den Helfern befanden sich auch ehemalige Feuerwehrleute. Zusammen haben wir vor der Räumung ein paar Autos in Feuerwehrautos umgebaut, sie mit Tanks, Löschanlagen und Feuerlöschern ausgestattet. Einige Feuerwehrmänner kamen sogar in voller Montur. Nach den zwei vorherigen Räumungen waren wir ja schon darin erprobt. Trotzdem konnten wir nicht verhindern, dass der für Frauen und Kinder gedachte Bus ausbrannte. Auf dem ganzen Gelände verteilt brannten Zelte – manche von wütenden Flüchtlingen, andere von Neonazis angezündet. Die Feuerwehr kam geschützt durch die Polizei viel zu spät. Hinzu kam, dass auch unsere Feuerwehrschläuche durchgestochen oder -geschnitten wurden. Wir evakuierten das Camp, es war dort für alle zu gefährlich. Doch auch den Schutz der dortigen leerstehenden Restaurants hatten Nationalisten uns genommen und diese angezündet. Nach dieser Schreckensnacht wurde ich nach nur fünf Stunden Schlaf in meinem Van wach. Die meisten der Flüchtlinge hatten auf dem flachen Niemandsland um das Camp herum geschlafen. Noch immer knallte es, Gasflaschen explodierten, das ganze Camp schien zu brennen, nicht nur ein paar Zelte. Nur Ärzte durften das Camp betreten. Was uns blieb, war, weiterhin Feuerlöscher und Hilfsgüter zu verteilen.
Wie war die Lage in Calais nach der Räumung?
Robin: Noch lange hielten sich sowohl Flüchtlinge als auch Helfer im Camp auf – wo sollten sie auch hin? Die wenigen Verbliebenen versuchten wir noch mit Hilfsgütern auszustatten. Niemand wusste, wie er dort wegkommen sollte – es fuhren keine Busse mehr. Dazu hatten die Menschen den Staatsschutz im Nacken: jeder im Camp, in Calais und im Umland, der keine Papiere vorweisen konnte, wurde gleich festgenommen und wieder in sein Heimatland zurückgeschickt.
Das klingt nach einem äußerst emotionalen Erlebnis...
Robin: Ich selbst war vollkommen mitgenommen von den Ereignissen. Ich werde die Zeit im Jungle nie vergessen. Zu prägend waren die Erlebnisse, zu stark der Zusammenhalt, zu schön die Bekanntschaften mit Helfern und zu groß die Dankbarkeit der Flüchtlinge. Sie sind meine Jungle-Familie.
Fließen diese Eindrücke in eure Texte ein?
Kieran: Alle Eindrücke unseres Lebens fließen darin ein! Musik ist unser Sprachrohr. Das war schon immer so, auch wenn sich Lebensumstände ändern. Daher ändert sich auch die Aktualität der Texte. Aber ob es jetzt um Palästinenser geht, die sich gegen die Besatzer wehren oder ob unschuldige Menschen vor Kriegen fliehen, die nicht sein müssen – auf dieser Welt muss sich etwas verändern. Und das werden wir auch weiterhin rausschreien.
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