Nicht nur der Name der Band ist ungewöhnlich, sondern auch die Musik. REIZIGER passen in keine der gängigen Schubladen, obwohl die Belgier immer wieder der Emo-Szene zugerechnet werden. Geert Plessers, Sänger, Gitarrist und Sprachrohr des sympathischen Quartetts, stand uns vor dem Konzert in München Rede und Antwort, wobei es nicht nur um das neue Album "My Favourite Everything" ging.
Ich verstehe ehrlich gesagt auch nicht, dass wir immer wieder in die Emo-Ecke gedrängt werden", antwortet Geert auf meine These, dass REIZIGER eigentlich gar nicht so recht in diese Schiene passen. "Ich habe einen ganz andere Definition von Emo", fährt er fort, um den Sound seiner Combo genauer zu erläutern: "Wir klingen zwar sehr emotional, aber trotzdem. Wenn ich gefragt werde, wie unsere Musik klingt, dann erzähle ich meistens etwas von Post-Core oder so. Im Prinzip sind wir ein Schmelztiegel der verschiedensten Stile. Die belgischen Radiosender können unseren Sound nicht einordnen - für das eine Programm sind wir zu hart, für die nächste Sendung zu soft." Im Prinzip ist das doch gar nicht so schlecht, zeigt es doch, dass REIZIGER eine eigene Nische gefunden haben. "Sicher", freut sich Geert, "ich glaube, dass wir eine sehr komplexe Band sind. So lange es gut klingt, finde ich das auch völlig in Ordnung."
Reich werden sie zwar auch mit der neuen Scheibe nicht werden, aber ihr Bekanntheitsgrad ist seit dem erst kürzlich vollzogenen Wechsel zu Sticksister Records (ein Ableger von Stickman, wo u.a. MOTORPSYCHO und FIRESIDE beheimatet sind) schon deutlich gestiegen, wie Geert stolz berichtet:
"Wir stehen plötzlich viel stärker im Rampenlicht, erfahren viel mehr Aufmerksamkeit als früher, wo wir noch auf Genet (ein belgisches Hardcore-Label - Anm.d.A.) waren. Stickman ist ein tolles Label, das ein echtes Familiengefühl vermittelt. Der "Do it yourself"-Gedanke ist mir nach wie vor sehr wichtig." Mittlerweile hat sich der Vierer auch schon Fans außerhalb Europas erarbeitet: "Neulich habe ich eine E-Mail von einem Fan aus Mexiko bekommen, kurz darauf sogar eine von den Philippinen. Das ist anfangs zwar etwas exotisch, aber auf lange Sicht motiviert es einen natürlich unheimlich, wenn man Post von der anderen Seite der Welt bekommt."
Ihre normalen Jobs werden die Belgier dennoch nicht so schnell aufgeben. Stimmt es eigentlich, dass Geert hauptberuflich als Lehrer tätig ist? "Drei von uns haben früher als Lehrer gearbeitet", holt er aus, "aber letztes Jahr haben wir die Jobs gewechselt. Ich zum Beispiel bin jetzt Sozialarbeiter, wobei ich es mit schwer erziehbaren Jugendlichen zu tun habe, die zu Hause Probleme haben. Neben unseren Jobs haben wir zum Glück genügend Zeit, um uns intensiv mit der Musik zu beschäftigen. Momentan können wir uns noch nicht alleine von der Musik ernähren." Glaubt er, dass das eines Tages der Fall sein könnte? "Die Frage kann ich so nicht beantworten", reflektiert Geert. "Im Moment sind wir eigentlich sehr glücklich, so dass das in naher Zukunft kaum eintreten wird. Aber schön wäre es natürlich! Warten wir erst einmal ab, wie gut das neue Album ankommen wird..."
Womit wir auch schon beim neuen Output "My Favourite Everything" angekommen wären. Ein auf den ersten Blick nicht besonders eingängiges Album, das allerdings von Hördurchgang zu Hördurchgang an Größe gewinnt. "Du hast es erfasst - ich sehe es genauso", freut sich Geert. "Es sind viele versteckte Melodien in den Songs, die man erst nach und nach entdeckt. Fast wie bei einem Adventure-Videogame." Dabei sind laut Geert einige signifikante Unterschiede zu den Vorgängeralben "Our Kodo" und "The Kitten Becomes A Tiger" zu beobachten: "Wir haben diesmal wesentlich mehr Wert auf das Songwriting gelegt. Die alten Stücke waren eher zusammengestückelt, weil sie meist auf eine sehr impulsive und spontane Art und Weise entstanden. Bei der neuen Platte war das anders, weil wir bereits im Vorfeld viel über die neuen Songs nachgedacht haben."
Der ehemalige Lehrer erklärt den Sinneswandel mit der wachsenden Erfahrung und Routine: "Wir haben mittlerweile als Band fünf, sechs Jahre auf dem Buckel, in denen man dazu lernt und neue Dinge entdeckt. Mit der neuen Platte haben wir endgültig zu unserem eigenen, individuellen Sound gefunden." Dabei greifen REIZIGER auf ein breites Spektrum von Inspirationsquellen zurück, wie Geert aus dem Nähkästchen plaudert: "Ich persönlich mag viele Sachen aus den achtziger Jahren sehr gerne, also zum Beispiel JOY DIVISION, SONIC YOUTH und WIRE. Aber auch den ganzen D.C.-Stoff wie FUGAZI, RITES OF SPRING und JAWBOX höre ich gerne. Im Prinzip mag ich eigentlich alles, auch Klassik. Nur Techno nicht. Ich hänge jeden Monat einen Zettel mit meinen Top 5-Platten ins Badezimmer." Und wie sieht dieser Zettel momentan aus? "Im Moment steht IDA, eine Band aus New York, ganz oben. Kennst du die?" Ehrlich gesagt nicht. "Sehr schöne, ruhige, melodische Musik", erklärt Geert, "dabei kann man super relaxen."
REIZIGERS Texte, die allesamt aus Geerts Feder stammen, kann man hingegen nicht als besonders relaxt bezeichnen. "Die Texte sind mir im Laufe der Jahre immer wichtiger geworden", setzt er zum Erklärungsversuch an. "Texte hängen immer von der jeweiligen Situation und Stimmung ab. Der Kern meiner Texte befasst sich mit dem Leben selbst, auch wenn das jetzt eine recht klischeehafte Antwort ist. Aber so ist es nun einmal." Ähnliche vage äußert sich der gute Mann im ersten Moment auch zum Plattentitel "My Favourite Eyerything": "Der Titel lässt einen großen Interpretationsspielraum. Eigentlich hat er keine spezielle Bedeutung." Nach einer kleinen Pause korrigiert er sich dann aber doch ein wenig: "Weißt du, wir sind sehr leidenschaftlich, wenn es um die Musik geht. Vielleicht ist die Musik ja mein Ein und Alles."
Fragen wirft auch der außergewöhnliche Bandname auf, hinter dem sich eine witzige Story verbirgt: "Kennst du Michael Reiziger, den niederländischen Fußballprofi?" Das musst du Paul Breitner oder Franz Beckenbauer fragen, aber nicht mich. "Michael Reiziger ist niederländischer Nationalspieler", fährt er schmunzelnd fort. "Ich finde, dass in der holländischen Nationalmannschaft nur arrogante Arschlöcher spielen, bis auf Reiziger natürlich. Das ist der einzige normale Typ unter diesen ganzen Superstars. Der hat immer einen total bizarren "Warum ich?"-Gesichtsausdruck, der ihn sympathisch macht. Im Grunde genommen also eine graue Maus, ein totaler Antistar, aber trotzdem unser Held. Der fällt dort total aus dem Rahmen." Eine Band von Fußball-Fans also? "Nein, nicht wirklich, wir sind nicht besonders verrückt nach Fußball." Hätte mich auch gewundert, denn wie ein Soundtrack für Hooligans klingt "My Favourite Everything" nicht gerade, da das Album auch einige sehr zerbrechliche Momente zu bieten hat, wie beispielsweise das Cello in "Is It Safe?" belegt. "Mit diesem Lied bin ich extrem zufrieden", kommentiert Geert das Stück. "Wir haben dabei mit einem jungen Gastmusiker am Cello zusammengearbeitet, der unsere Art der Musik überhaupt nicht kannte. Er musste dafür erst ein Gefühl entwickeln. Mittlerweile hat er durch uns ganz neue Musikrichtungen kennen gelernt."
Wer REIZIGER (die Band, nicht den Fußballspieler) bis jetzt verpasst hat, sollte das schleunigst nachholen. Neues Futter für die Lauscher soll es in den nächsten Monaten auch schon wieder geben, da laut Geert eine Split-LP mit einer belgischen Band namens CORNFLAMES in Planung ist...
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #43 Juni/Juli/August 2001 und Elmar Salmutter
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #43 Juni/Juli/August 2001 und Elmar Salmutter